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Andenken an die Leipziger Völkerschlacht
(16. – 19. Oktober 1813)
 
 
 
Sophie Anna Franziska Freifrau von Hahn geb. de Graimberg schreibt in ihren Memoiren
 
 
„In Karlsruhe ward am Jahrestage der Schlacht von Leipzig ein Kreuz errichtet, unter welchem ein Schauspieler bei großem Zulauf der Straßenjugend eine Rede hielt. Welchen Teil von Schuld die Regierungen an dieser traurigen Erscheinung hatten, ziemt mir nicht zu entscheiden. Nur fand sich unser intimer Freundeskreis schmerzlich enttäuscht durch die geringe Beachtung, die der Sänger und Held Max v. Schenkendorf, selbst nachdem er zum zweiten Mal sein gutes Schwert ergriffen hatte, um mit Deutschlands Söhnen endgültig die Macht Napoleons zu brechen, bei seiner Regierung fand.“
 
 
Vielleicht war es auch dieses Mitgefühl mit Max von Schenkendorf, das zu der nun beschriebenen Feier führte. Hier zeigt sich Jung-Stilling ähnlich wie Johann Peter Hebel vom Zeitgeist ergriffen.
 
Wir erfahren von diesem Ereignis durch Johann Ludwig Ewald, den Freund Jung-Stillings, der in seiner von 1815 an erscheinenden „Zeitschrift zur Nährung des christlichen Sinnes“ (herausgegeben gemeinsam mit Carl Christian Flatt (1772-1843) den folgenden Aufsatz im 1. Heft, Stuttgart: Steinkopf 1815, S. 44-59 veröffentlichte.
 
 
Die „Allgemeine Literatur-Zeitung / - / November 1816.“ Nr. 253, Sp. 417-421 rezensiert in der Rubrik „Theologie.“ die Zeitschrift zur Nährung christlichen Sinnes, Heft 1, 1815, und Heft 2, 1816; 296 S. 8°, und in Sp. 421 liest man:
 
„Unter den Gedichten sind die von Stolberg und Conz die vorzüglichsten. [...] Eine Ode, von Jung, auf den 18ten Octbr. vergisst Joh. 12, 47.“ [Stolberg; Karl Philipp Konz (1762-1827)]
 
Joh 12, 47: „Und wer meine Worte hört und bewahrt sie nicht, den werde ich nicht richten; denn ich bin nicht gekommen, daß ich die Welt richte, sondern daß ich die Welt rette.“
 
 
 

 
Religiöse Privatfeier
zum Andenken an die Leipziger Völkerschlacht
den 18ten Oktober 1814.
  
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[...]
Religiöse Privatfeier
zum Andenken an die Leipziger Völkerschlacht
den 18ten Oktober 1814.
– = –
Weil keine öffentliche, religiöse Feier dieses merk=
würdigen Tages angeordnet war, und manche
Christlichgesinnte sich doch gedrungen fühlten, Gott
 
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an den Jahrestag der Leipziger Schlacht ihren
Dank zu wiederholen: so versammelten sich einige
christliche Familien, Abends, zu diesem Zweck.
Erst wurde mit Begleitung des Flügels ein passen=
der Choral gesungen; dann las Hr. geheimer Hof=
rath Jung folgende Ode:
 
Du, der Du auf dem Stralenthrone
Der Welten herrschest, höre mich;
Hör’ auf mein Lied, im Herzenstone,
Und neig’ dein Ohr! Es singt nur Dich.
 
Wenn Myriaden Sonnenwelten
Vor Dir in weiten Kreisen glüh’n;
Wenn Myriaden starker Helden
In ew’ger Jugend Dir blühn:
 
Dann ruht dein Aug’ in dunkler Ferne,
Auf deiner Menschheit Vaterland;
Es weilt auf unserm blut’gen Sterne,
Geröthet von des Krieges Hand.
 
Und eine heil’ge Thräne lebet
In deinem Aug’ aus Vatersinn;
Du winkst; mit raschem Fluge schwebet
Der Erde Schutzgeist zu Dir hin.
 
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Ihm dünstet schon von fern entgegen
Der Pesthauch der verdorbnen Welt;
Sein Auge sieht, statt Erdensegen,
Ein blutbedüngtes Leichenfeld.
 
Ein Eisgebürg’ im kalten Norden;
Mit tiefem Seufzen harrt er dorten,
Bis er von Dir Befehle hat.
 
Was ist’s, das mir den Blick verhüllet,
Ich seh’ dein holdes Antlitz nicht.
Des Zornes Becher ist gefüllet,
Und Nacht verbirgt dein Angesicht.
 
Ein Donnerwetter schwebt hernieder,
Tief aus der Nacht der Ewigkeit
Und Blitze zucken hin und wieder;
Sie wetzen sich zum nahen Streit.
 
Du zügelst sie mit deiner Rechten,
Hüllst sie in deinen Köcher ein,
Gebeutst nun allen Himmelsmächten,
Sich des gewissen Siegs zu freu’n.
 
Indessen strömen Völkerfluthen
Von Süden her, mit wilder Fluth;
Sie bringen Skorpionen=Ruthen,
Und Jeder lechzt nach Raub und Blut.
 
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Die Menschheit bebt; die Rauchwerksdämpfe
Der Beter steigen hoch empor
Zu Dir; Du denkst die herben Kämpfe
Auf Golgatha, vor Salems Thor.
Salem = Jerusalem.
 
Aus deinem Herzen quillt Erbarmen;
Du steigst herab von deinem Thron,
Siehst von der Sternen Höh’ uns Armen,
Gedrückt von Schmach und stolzem Hohn.
Tyrannen hörst Du mächtig pralen,
Sie lachen frech Dir ins Gesicht,
Und ihre Schaaren allzumalen,
Sie fürchten Gott im Himmel nicht.
 
Du winkst, und aus dem kalten Norden
Tritt Teutschlands Engel nun hervor;
Er öffnet die krystallnen Pforten;
Der Nord brüllt schaudernd durch das Thor.
 
Sein kalter Hauch durchweht die Schaaren,
Nun fallen Tausende dahin,
Die sonst der Menschheit Schrecken waren;
Doch das ist nur der Noth Beginn.
 
Du kommst, und Feuerflammen sprühen
Aus deinen Augen; jeder Tritt
Ist Donnerknall; die Pfeile glühen
In deinem Köcher; jeder Schritt
 
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Schickt Tausende ins Reich der Schatten,
Jagt Leichen lebend vor sich her;
Die starken Helden fliehn’n, ermatten;
Sie fühlen sich, ihr Selbst nicht mehr.
 
Noch ist der Mächt’ge nicht bezwungen,
Noch glühet seine Kriegerwuth;
Noch einmal ist es ihm gelungen;
Er kommt und lechzt nach deutschem Blut.
 
Er kommt mir unzählbaren Heeren,
Und träumet schon als Sieger sich,
Als ob wir nicht mehr Teutsche wären;
Er trotzet uns, und höhnet Dich.
 
Du winkst, und Teutschlands Schutzgeist hauchet
Vollkraft ins biedre teutsche Herr;
Ein Priesterengel geht, und tauchet
Den Ysop ins krystallne Meer;
 
Ps 51, 9: Entsündige mich mit Isop, daß ich rein werde; wasche mich, daß ich schneeweiß werde. (3.Mose 14, 6.7; Jes 1, 18). – 4. Mose 19, 18: Und ein reiner Mann soll Isop nehmen und ins Wasser tauchen und die Hütte besprengen und alle Geräte und alle Seelen, die darin sind; also auch den, der eines Toten Gebein oder einen Erschlagenen oder Toten oder ein Grab angerührt hat. – Vgl. 2. Mose 12, 22: Und nehmet ein Büschel Isop und taucht in das Blut in dem Becken und berühret damit die Oberschwelle und die zwei Pfosten. Und gehe kein Mensch zu seiner Haustür heraus bis an den Morgen.
 
Siehe zum Isop/Ysop = Hyssopus officinalis auch Vieharzneikunde §. 978.
 
 
Und weiht zum Kampf die starken Schaaren
Aus Osten, Westen, Norden ein,
Und Völker, die sich fremd noch waren,
Sie nähern sich zum Bunds=Verein.
 
Und ihre edlen Fürsten treten
In Demuth vor dein Angesicht,
Sie bitten Dich, dein Volk zu retten;
Gesteh’n, sie könnten’s selber nicht.
 
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Du lächelst ihnen Huld und Gnade
Und Sieg vom Thron der Welten zu,
Zeigst ihnen dann die sichern Pfade
Zum Frieden hin und zur stolzen Ruh.
 
Die drei Monarchen zieh’n mit Freuden
Vor ihren starken Heeren her,
Du bist ihr Schild; sie geh’n und streiten,
Der Kampf ist blutig, lang und schwer.
 
Doch teutscher Muth, auf dich Vertrauen
Beseelte jede Kämpferschaar;
Auf deinen Beistand nur zu bauen,
Das ist’s, was ihre Rettung war.
 
Nun fährt das Schwerd aus deinem Munde,
Ein glühend=rother Feuerstral.
Es röcheln dort in Einer Stunde
Im Staub die Feinde ohne Zahl.
 
Ein Pesthauch duftet aus den Leichen,
Aus lebenden Gerippen aus,
Erzeugt ein ganzes Heer von Seuchen,
Erfüllt die Welt mit Wust und Graus.
 
Der Hunger, der an Aesern naget,
Wirft einen nach dem Andern hin,
Und brennende Verzweiflung plaget
Den unerloschnen stolzen Sinn.
      4
 
- 50 -
 
Du hauchst den Feind, wie Spreu im Winde
In sein verarmtes Vaterland;
Die Sieger kommen und gelinde
– – – – – – –
 
Nun sind die Teutschen wieder Christen,
Sie sind vom Schlummer froh erwacht;
Den Glauben, den wir lang vermißten,
Hat dein Geist wieder angefacht.
 
Erhalt’ ihn, Herr! Laß uns nicht wanken,
Von diesem neu=betretnen Pfad;
Erhalt’ uns immer in den Schranken,
Die dein Geist uns bezeichnet hat.
 
Du Sieger, mit den vielen Kronen,
Wir huld’gen Dir aufs Neue heut;
O segne auch auf ihren Thronen
Die frommen Herrscher unsrer Zeit.
 
Gesegnet sey vor allen Tagen
Der heutige Befreiungstag,
Damit kein Feind, sein Schwerd zu tragen,
In unsre Hütten wagen mag.
 
Dir, Löw’ aus Juda, Preis und Ehre,
Anbetung Dir und Hochgesang!
Stimmt mit uns ein, ihr Himmelsheere,
Der Seraphinen Harfenklang.
 
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Durchströme aller Welten Kreise!
Der Herr hat alles recht bedacht.
Die ganze Schöpfung rühm’ und preise
Ihn; Er hat Alles wohl gemacht.
Amen! Hallelujah!
--
 
Hierauf redete Hr. Kirchenrath Ewald:
Ja, wir haben Friede! Heute wurde zu den
Freiheits=Unterdrückern, zu den Menschen= und
Menschheits=Verächtern gesagt: „Bis hieher sollt
ihr kommen, und nicht weiter! Hier sollen sich le=
Hiob 38, 11; Psalm 104, 8 f.
gen eure stolzen Wellen. Ich will euch einen Ring
in eure Nasen legen, und ein Gebiß in euren
Mund; und ihr sollte den Weg wieder zurückkehren,
Jesaja 37, 29. – Psalm 56, 10; 129, 5.
den ihr gekommen seyd.“ Wir haben Friede, und
– Gott hat uns diesen Frieden gegeben.
Es ist unaussprechlich, welche Wonne, welche
Aufregung zur Dankbarkeit, welche Glaubensstär=
kung in diesen Worten liegt. Friede in unserm
ganzen Vaterland, in ganz Europa; und Friede,
von Gott gegeben! Nie war dies so offenbar,
wie diesmal; nie wurde es so allgemein anerkannt,
wie diesmal; anerkannt von den frommen Regen=
ten, als sie nach der gewonnenen, friedebringenden
Schlacht auf ihre Kniee niederfielen, um dem zu
 
Vgl. Schenkendorfs Gedicht Lobgesang nach der Schlacht bei Leipzig.
 
danken, der zu dem Despoten sprach: „Das thust
du, und ich schweige; da meynst du, ich sey dir
      4 *
 
- 52 -
gleich. Aber ich will dich strafen, und es dir unter
die Augen stellen, daß du sehen sollst, es sey mein
Gericht.“ Das erkannten sogar die Krieger, daß
nicht ihre Taktik, ihre Weisheit, ihre Tapfer=
keit allein, sondern daß Du, Allmächtiger, ihnen
den Siege gegeben habest. Und wie sollten wir es
nicht erkennen? Sahen wir ja, daß Er die ver=
schiedenen Interessen so vereinigte, aus ehemaligen
Feinden Ein Herz und Eine Seele machte; daß Er
 
Apg 4, 32.
 
den Herrscher Frankreichs so verstockte, daß er Al=
 
Napoleon Bonaparte. – Das Bild Napoleons schwankt – entsprechend den Lebensumständen Jung-Stillings – im Leben Jung-Stillings. So schreibt er1806 im Grauen Mann: „Daß Kayser Napoleon einer der grösten Männer aller Zeiten und vielleicht unter allen der gröste ist, das kann und muß jeder vernünftige Mensch gestehen, der ihn mit unbefangenem Blick von seinem Studieren in Strasburg an, bis auf den heutigen Tag beobachtet hat“, und ebd.: „Kayser Napoleon wird von einer großen unsichtbaren Macht geleitet, getrieben, geschüzt und unterstüzt“. – Weitere Informationen zum Verhältnis Jung-Stillings zu Napoleon sind möglich.
 
les aufs Spiel setzte, um Alles zu gewinnen; daß
der, sonst so Vorsichtige, jetzt so unvorsichtig war;
der sonst so viel Kopf zeigte, ganz den Kopf ver=
lor! Sahen wir ja, wie Er ihm, nahe bei seiner
Hauptstadt, noch einen kleinen Sieg gelingen ließ,
 
Brienne, Ligny?
 
und ihn dadurch so übermüthig machte, daß er al=
le, auch die mehr als gemäßigten Friedensvorschlä=
 
Kongreß von Châtillon?
 
ge verwarf, und hauptsächlich durch diesen Ueber=
muth unsere Ketten selbst zerbrach. Gott! was
wäre aus uns geworden, wenn er jene Vorschläge
angenommen hätte! Er, der nie Verträge hielt,
würde uns sicher mit Skorpionen gezüchtigt haben,
 
Off 9, 5.
 
wenn er uns vorher mit Ruthen züchtigte. Wie
thut mir’s in diesem Augenblick so unaussprechlich
wohl, nicht blos, daß Friede ist, sondern daß Gott
diesen Frieden gab. Wir erhielten nicht blos ein
kostbares Geschenk, sondern es trägt seinen Namen,
sein Bild, damit wir Jedermann zeigen können:
 
- 53 -
wir haben’s von Ihm. Wenn uns Jemand eine
Kleinigkeit schenkt, und wir wissen, er gab sie uns
aus Liebe: wie erhöhet das den Werth des Geschenks!
Und wie muß es uns seyn, da Gott und das köstli=
che Geschenk, den Frieden, gab; – Gott, der Alles,
was er thut, aus Liebe thut, der ja sogar von
Menschen wollte, daß sie Alles, was sie thun, aus
Liebe thun sollten! Wäre es da noch nöthig, zur
Dankbarkeit zu ermuntern? Zieht es uns nicht
von selbst auf die Kniee; hebt es sich nicht von
selbst empor, das in Freudenthränen schwimmende
Auge? Spricht es nicht von selbst aus uns her=
aus: „Lobe den Herrn, meine Seele, und ver=
giß nie, was Er die Gutes gethan hat“?
 
Psalm 103, 2.
 
Und was sagt uns dies dankbare Herz? Was
anders, als: Erinnere dich jeden Morgen, daß
das Sklavenjoch von uns genommen ist; daß wir
Frieden haben, und ihn lange behalten hoffen
dürfen, und das Gott diesen Frieden geschlossen
hat. Der Mensch gewöhnt sich so leicht an Wohl=
thaten; meynt, er könne nicht anders seyn; fühlt
den Werth einer Gabe nicht, weil er sie nicht ent=
behrte, weil er sie alle Tage genießt. Sey du
nicht so! Ueber deinem Arbeitstisch, unter deinem
Spiegel häng’ eine Tafel hin, mit der Inschrift:
Am 18ten Oktober 1813 wurde Teutschlands Frei=
heit erkämpft und der Friede.
 
- 54 -
Was sagt es anders, die dankbare Herz, als:
Meide an deinem Theil Alles, was uns unter dies
Joch brachte, was alle diese Kriege hervorbrachte.
Despotismus, Vergrößerungssucht auf der Einen
Seite; Zwietracht aus Selbstsucht, Eigennutz, Man=
gel an Gemeingeist auf der andern. Im Großen
kann sich’s nur bei Großen, Mächtigen äußern;
doch ist der Keim davon auch in dir. Auch im
Kleinen, in deinem nächsten Kreise, laß nie so et=
was ausbrechen; ersticke den Keim davon in dir.
Der Geist der Uneigennützigkeit, der Eintracht, Va=
terlandsliebe, Menschenliebe werde immer lebendi=
ger in dir. Thue du, was du kannst, um Ein=
tracht und Frieden zu erhalten, um dich her; und
Gott wird thun, was du nicht kannst.
Was sagt uns dies dankbare Herz? Was an=
ders, als: Brauche die Zeit, das Vermögen, die
Kräfte, die vorher dem Krieg geopfert werden
mußten, zu Segnungen im Frieden; mache an die=
nem Theil das Schwerd zur Pflugschaar, den
 
Jes 2, 4.
 
Spies zur Sichel. Deine Kriegssteuer werde zur
Armensteuer; die Lasten, die dir etwa der Krieg
gegen deinen Willen auflegte, trage freiwillig zum
Besten derer, die unglücklich wurden durch den
Krieg.
Doch was sagt uns gerade unser dankbares
Herz, die wir so verschont wurden, im Verhält=
niß gegen Andere so wenig durch den Krieg lit=
 
- 55 -
ten*)? Waren wir besser als die Millionen, de=
nen Alles aufgezehrt, genommen, abgepreßt wur=
de, was sie besaßen; die fremden, vielleicht rohen
Kriegern die Herrschaft in ihrem Eigenthum über=
lassen mußten, denen ihre Häuser wohl gar über
dem Kopf angezündet wurden? Was wollte uns
Gott damit? Mit Liebe wollte Er uns zu sich
ziehen; und gewiß, wir wollen uns ziehen lassen
zu Ihm.
Was sagt uns dies dankbare Herz? Was an=
ders, als: Hat Gott das an unserm Vaterlande
gethan, was dürfen wir nicht von Ihm erwarten?
Größer war nicht leicht eine Noth, drückender nicht
leicht ein Joch; keine Macht schien fester gegründet,
schien sich täglich fester zu gründen, als die feind=
liche, die sich freundliche, verbündete nannte, und
unleidlicher drängte, als je eine feindliche gedrängt
hat; – bei welcher jede Klage ein Aufruf zur Em=
pörung, jeder Seufzer Hochverrath, jede Thräne,
von Schmerz und Jammer erpreßt, ein respekt=
widriges Pasquill war. – Und doch wurden wir
 
Pasquill = Läster-, Schmähschrift.
 
geretter; so schnell, so ganz und für immer geret=
tet. O wollen wir uns nicht wieder fürchten. Der
alte Gott lebt noch! Der, welcher das Heer Pha=
rao’s im rothen Meer vernichtete, den Gott und
--
*) Es kam gar keine Einquartierung in die Residenz
Carlsruhe.
 
- 56 -
Menschen trotzenden Goliath niederstürzte, in Einer
Nacht 185,000 Krieger des übermüthigen Sanheribs
 
Sanherib, König von Assyrien, belagerte Jerusalem; siehe 2. Kön 18, 13; 2. Chron 32, 1-19; Jes 36.
 
tödtete, der hat auch dem Sanherib unserer Zeit
seine Macht genommen. Er wird uns nicht und
nie verlassen. Scheint es auch eine Zeitlang so,
wie ehemals bei seinem Zöglingsvolk, wenn wir
 
Juden.
 
den Götzen unserer Zeit dienen, wie diese den Götzen
der ihrigen dienten, wir wollen Ihn wieder suchen,
und Er wird sich von uns finden lassen, wie Er
sich ehemals finden ließ.
Was sagt uns unser dankbares Herz? Hasse
das Böse an den Bösen, aber hasse die Bösen
nicht. Denke an den, der gesagt hat: „Liebet eure
Feinde“ – und der für die bösartigsten Menschen
 
Mt 5, 44 et par.
 
betete: „Vater vergib ihnen, sie wissen nicht,
was sie thun.“ Haß, auch gegen den Hassenswür=
 
Lk 23, 34.
 
digsten, ist nie Christenthum, ist immer unverträg=
lich mit Christenthum. Durch die tückischsten,
heuchlerischsten, verdorbensten Menschen wurde
das größte Glück über die Menschheit gebracht;
gewiß wird es uns noch einmal klar werden, wel=
ches Heil durch den ärgsten Despoten über die
Menschheit gekommen ist.
Was sagt uns unser dankbares Herz? Was
anders, als: Gott hat uns äußeren Frieden gege=
ben, streb’ auch nach dem inneren, bei dem alles
in dir nur Eins will, nur nach dem Einen strebt,
was noth ist; wo es keinen innern Kampf mehr
 
- 57 -
gibt, weil Sinn fürs Gute und Geschmack am Gu=
ten dich belebt, und Eckel an aller Verkehrtheit dich
erfüllt. Du weißt, daß diese hohe Sittlichkeit nur
durch Zutrauen zu Jesus und Liebe zu Jesus mög=
lich ist. So strebe denn, immer fester an Ihn zu
glauben, immer inniger Ihn zu lieben. Laß dir
das Christenziel nicht zu niedrig stecken. Bedenke
das Wort: „Wer aus Gott geboren ist, der thut
nicht Sünde. Der göttliche Saame bleibt in ihm.
Er kann nicht sündigen, denn er ist aus Gott ge=
boren.“ *)
O! in dieser Zeit des Friedens wollen wir hin=
blicken auf den allgemeinen, ewigen Frieden, der
dort unserer wartet. Wenn der Erdenfriede schon
so wohl thut, wie muß es erst seyn, wenn je=
ner Friede anbricht! Ist auch jetzt Friede unter
den Völkern, doch noch nicht in Städten, Fami=
lien, unter Menschen. Aber es kommt eine Zeit,
wo kein hartes Wort mehr gehört, keine Bitterkeit
mehr gesagt, kein Zank mehr bemerkt, wo keine
Thräne mehr fließen, wo alle Feindschaft in der
Schöpfung aufgehoben seyn wird. O lasset uns fest
und unbeweglich bleiben, und immer zunehmen in
dem Werk des Herrn; unsere Arbeit in dem Herrn
wird nicht vergebens seyn.
--
*) 1 Joh. 3, 9.
 
- 58 -
Wir wollen Gott danken, Gott bitten, daß Er
diese glückliche Zeit auch an unsern Herzen segnen
wolle.
(Alle ließen sich, ohne alle Verabredung, auf die
Kniee nieder.)
[...]
- 59 -
Ja, Dank, Dank, Dank Dir, Herr und Regent
des Himmels und der Erde, der Du stillest das
Toben der Völker, wie die Wellen der See; der
Du Menschenherzen lenkst, wie Wasserbäche –
Dank Dir, daß Du uns Friede gegeben, daß Du
dem Blutvergießen ein Ende gemacht hast. Unserer
sind nur Wenige, die Dich heute hier anbeten;
aber Du hörst den stillen Dank von Zehen, wie
Du den Dankjubel von Tausenden hörst. „Wo
auch nur zwei oder drei in deinem Namen versam=
melt sind, da bist du mitten unter ihnen.“ Herr
 
Mt 18, 20.
 
und Heiland der Christen, wir wollen nicht nur
Dank sagen, sondern auch Dankbarkeit zeigen.
Heute, vor Dir, verpflichten wir uns: wir wollen
nicht vergessen, was Du an uns gethan hast. Wir
wollen Alles meiden, was Veranlassung zu Krieg
und Jammer giebt; Alles zu Segnungen des Frie=
dens nützen, was vorher zu Förderung des
Kriegs hingeopfert werden mußte. Glaubensstär=
kung soll uns das seyn, was Du an uns thatest.
Wir wollen keinen Haß im Herzen tragen, auch
nicht gegen den, der so viel Elend über unser Va=
 
Vgl. Schenkendorfs Gedicht Lobgesang nach der Schlacht bei Leipzig.
 
terland gebracht hat. Dir wollen wir das Urtheil
- 59 -
über ihn überlassen, Dir, der Du gerecht richtest.
Durch Liebe wollen wir uns ziehen lassen zu Dir.
Nach innerem Frieden, nach Eintracht unseres We=
sens wollen wir streben, und hoffnungsvoll hinbli=
cken auf die Zeit des ewigen, allgemeinen Friedens,
den Du uns versprochen hast. Ja, Herr, Du siehst
in unser Herz, das wollen wir. Aber Du weißt,
wie leicht unsere Vorsätze schwinden oder geschwächt
werden, wie oft unsere Kraft unserm Willen nicht
gleich ist. Hilf uns denn, wo wir deiner Hülfe
bedürfen. Erinnere, leite, warne, wecke uns. Du
sprichst zu uns in unsern Schicksalen; weckst, erin=
nerst, erziehst uns durch sie; o! erzieh’ auch uns.
Kann es geschehen durch Liebe, wir wollen dir dan=
ken, und nicht verachten den Reichthum deiner Ge=
duld, Langmuth und Güte, die uns zur Sinnes=
änderung leiten will. Aber sollten wir nicht hören,
uns nicht erwecken lassen, so komme auch Leiden
über uns. Es kommt die Zeit, wo wir uns freuen
werden dieser Trübsale, weil sie uns tüchtig machen
zu dem, was unserer wartet. Dann und nur dann,
 
Vgl. Jung-Stillings „Rede über den Werth der Leiden“.
 
wenn wir diese Friedenszeit recht benützen, wird sie
für uns wahrer Segen seyn. Amen! Amen!
--
Nun wurde noch das Lied: „Nun danket Alle
Gott“ gesungen, und der Abend mit einer frohen
 
Sirach 50, 24. – Text: Martin Rinckart (1586-1649); Weise: Johann Crüger (1598-1662); Satz: Johann Sebastian Bach (1685-1750), BWV 386.
 
Mahlzeit beschlossen.
-=-
 
 
 

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