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Erster Theatereklat 1809

Max von Schenkendorf und Friederike Bethmann-Unzelmann

 

Ernst August Hagen, der Biograph Max von Schenkendorfs, gibt nur Kenntnis von einem Theatereklat in dessen Leben – vielleicht aus Rücksicht, vielleicht aus Unkenntnis. Er berichtet nur von dem Henriette Hendel-Schütz und deren Gatten betreffenden Streit im Jahr 1811 und erwähnt den Zwist, die Schauspielerin Friederike Bethmann-Unzelmann betreffend, nicht. Letzterer fand im Jahr 1809 in Königsberg statt und trug vielleicht zu der kurznervigen Reaktion der Schauspielerin in Berlin bei, an der nun Max von Schenkendorf nicht beteiligt war, der aber auch im Ausland Aufmerksamkeit erregte.

 

Der erste Theaterstreit im Jahr 1809 ist – wie auch der zweite – durch Friedrich August von Stägemann überliefert. Allem Anschein nach ist es Elsa von Klein, die 1908 erstmals auf diese Quelle zugriff, indem sie den durch Franz Rühl publizierten Nachlass Stägemanns benutzte.

 

Stägemann schreibt am 1809-05-19 an seine Frau aus Königsberg:

„Madame Bethmann hat hier einigen Verdruss, weil ihr Mann nicht gefällt, obgleich er besser spielt, als unsre Rosciusse. Man erzählte gestern (doch habe ich sie selbst darüber nicht gesprochen), dass sie durch ein anonymes Schreiben gewarnt worden sei, nicht in der Fanchon aufzutreten; einige behaupteten, Madame Ritzler habe ihr solche Warnung freundschaftlichst erteilt, andre, der Herr v. Schenkendorf sie dadurch kränken wollen, der sich aus Kunsthochmut oder Albernheit als ihren Gegner aufwirft.“

 

Dies ist der Hinweis, der verklausuliert in den Journalen der Zeit vorkommt. – Das persönliche Verhältnis Stägemanns zu der Schauspielerin, das hier anklingt, wird in einem anderen Text deutlicher. Dies ist dann die Stelle, die den Eklat zeigt, an dem Max von Schenkendorf nicht beteiligt war.

Am 1809-12-22 schreibt Stägemann wieder an seine Gattin:

„Ich bin am 19. des Abends um 5 Uhr hier wohlbehalten und gesund angekommen. […] Man vergißt darüber (Me: Über die Rückkehr des Hofes nach Berlin) den Scandal, den Madame Bethmann im Schauspielhause gegeben hat. Sie hatte bis gestern Haus-Arrest. Noch habe ich sie nicht besucht.

Die Geschichte wirst Du längst wissen, da sie doch auch wohl nach K. geschrieben seyn wird. [....] Bei Madame Bethmann bin ich heut Vormittag noch gewesen und habe ihr den Leviten gelesen. Die Polizei-Wache war noch bei ihr, verliess sie aber während meiner Anwesenheit, worüber ihr kleiner Sohn, der mit dem Polizei-Bedienten grosse Freundschaft geschlossen hatte, die bittersten Thränen vergoss. Es ist wohl nicht zu besorgen, dass sie von hier fortgehen wird, doch ist die Sache allerdings noch nicht regulirt und immer eine verdriessliche Musik.“

 

Zunächst zum Skandal in Königsberg

 Bereits Ende März freute man sich in Königsberg auf das Gastspiel der Berliner Künstler. „Madame Bethmanns Ankunft wird sehnlich erwartet. Schon seit einigen Tagen ist keine Loge mehr zu haben.“ schreibt Stägemann und vermutete, wie die Zeitungen ebenfalls schrieben, dass die Reise über Riga bis nach St. Petersburg gehen sollte.

Anfang Juni berichtet die „Zeitung für die elegante Welt“: „Mit Sehnsucht erwarten wir die Ankunft der Madame Bethmann, die hier einige Gastrollen geben wird, worunter man die Phädra, Orsina, Maria Stuart, Fanchon, Aline, die Unvermählte und den Pagen nannte. Sie ist bereits erschienen, und ich werde nächstens das Nähere hierüber benachrichtigen.“

Am 1809-04-08 reisen die Eheleute Bethmann nach Königsberg; den Mai und Juni verbringen sie dort. Engagiert waren sie ab 1809-04-20 für 15 Gastrollen, u. a. in „Maria Stuart“, für Rollen in Racines „Phädra“ in einer Übersetzung von Friedrich Schiller und als „Isabella“ in der „Braut von Messina“.

Am 22. Juni schreibt das „Morgenblatt für gebildete Stände“: „Madame Bethmann hat in Königsberg schon mehrere Gastrollen gegeben, und einen ungetheilten Beyfall erhalten. Weniger gefällt Hr. Bethmann; darüber schreyen einige Berliner, andre sagen: Es kann nicht anders seyn! Herr B. ist ein braver Schauspieler, aber kein großer Künstler. / Sobald Mad. Bethmann zurückgekehrt ist, wird, der Sage nach, Iffland selbst nach Königsberg reisen.“

Am 16. Juni berichtet die „Zeitung für die elegante Welt“ umfangreich und geht sicherlich – leicht versteckt – auf Max von Schenkendorf ein:

Korrespondenz und Notizen.

Aus Königsberg.

Mad. Bethmann hat den Ciclus ihrer Darstellungen geendet. Es waren Orsina, Josephine, in Armuth und Edelsinn; Phädra; Aline zweimal; Maria Stuart; Nina, Baronin Ammer; Eulalie Meinau; Elise, im Räthsel; Fürstin in Elise Valberg; Minna von Barnhelm; die Unvermählte; Baronin in stille Wasser sind tief; Johanna von Montfauçon; Fanchon wurde, weil Madame Bethmann krank war, von Mad. Ritzler gegeben. Herr Bethmann gab van den Husen, in Armuth und Edelsinn; Hippolyt in Phädra; Birken im Intermezzo; Mortimer; Knecht in Das war ich; Werther, in der beschämten Eifersucht; Baron, in der Beichte; Karl, im Räthsel; Loring in den Unvermählten; Wieburg, in stille Wasser sind tief; Philipp, in Johanna von Montfauçon. Mad. Bethmann trat wie eine fremdartige Erscheinung unter die Menschen, und das Urtheil über sie mußte also sehr verschieden ausfallen. Staunen erregte sie in ihrer ersten Rolle der Orsina; aber dieses Ergreifen eines Gesichtspunktes für eine ganze Rolle, und in diesem großen echt künstlerischen Sinne sie ausführen, alle kleinere Zwischenwirkungen verschmähend, welche so oft der Hobel sind, die den Schauspielern die Namen groß, unerreichlich erwarben, das, darf man sagen, war zu neu, zu unerlebt, als daß die Zuschauer mit sich einig werden konnten. Ihre gleich darauf folgende Rolle Josephine, in Armuth und Edelsinn, brachte sie schon der allgemeinen Faßlichkeit näher, aber ihrer Darstellung der Phädra war es bestimmt, die Zuschauer auf den Standpunkt zu führen, auf welchem sie stehen mußten, um eine Künstlerin, wie Mad. Bethmann, beurtheilen zu können. Das, dann freilich nicht entscheidende, Urtheil eines Einzelnen über diese Phädra klang zu sonderbar, als daß es nicht angeführt werden sollte, sey es auch nur als Beitrag zur Geschichte des Sonderbaren. Dieser Herr nämlich meinte: Mad. Bethmann habe die Phädra nichts minder als richtig gegeben. Sie habe auch nicht die leiseste Annäherung an die französischen Tragiker, deren Bühne diese Phädra entnommen sey, gezeigt, habe die Rolle zu deutsch gegeben und also ihren Charakter verfehlt, welches bei ihres Gatten Hippolyt nicht der Fall gewesen sey. Da gegen aber sagte der Kritiker des Theaters in der Morgenzeitung: – – ,denn schwerlich möchte je eine französische Künstlerin auch nur die leiseste Ahnung von diesen Eindringen in das Innere, von diesem Hinabsteigen in die heiligste Tiefe des Herzens, von diesem allgewaltigen mächtigen Eingreifen des Einen und Allen gehabt haben, als Mad. Bethmann.‘ Und dieses letzte Urtheil wird jeder unter schreiben, welcher französische Theater und Mad. Bethmann sah. Das ‚sie habe die Rolle zu deutsch gegeben‘ möchte also mit andern Worten wohl sagen: Mad. Bethmann, gab die Phädra menschlich, da jene eine Art von Parade mit ihr treiben. Aline gehörte unter das Vollendetste, was je von einer Künstlerin geleistet wurde, der zweite Aufzug besonders, war eine schöpferische Darstellung, und durch die Phädra nun auf die echt künstlerische Darstellungsweise der Mad. Bethmann vorbereitet und empfänglich gemacht, ward selbst die Masse der Zuschauer zur Begeisterung erhoben. Mad. Bethmann ward vorgerufen, und sprach folgende Worte: ,Ihr Beifall allein war im Stande, die Furcht zu überwinden, die ich hatte vor einem so gebildeten Publikum aufzutreten.‘ Maria Stuart, ihr erstes Benefize, erhielt das Publikum in der erhabenen Stimmung, trotz dem daß durch Weglassen verschiedener Stellen hie und da eine Lücke in dem Gedichte selbst, fühlbar wurde. Wenn auch im Ausdrucke zu hart, so doch in der Hauptsache richtig ist die Bemerkung des Kritikers in der Morgenzeitung über diese willkührlichen Auslassungen: das heißt Rollen spielen, aber nicht Stücke geben. Eben so möchte es zu tadeln seyn, daß die beiden Berliner Künstler mit den Jamben zu frei umgehen, und sie durch entweder ausgelassene, oder eingeschaltete Silben zur Prose umwandeln, ein Verfahren, welches wohl auf keine Weise gebilligt werden kann. In Nina effektuirte Mad. Bethmann nicht in dem Grade mehr wie einst Mad. Unzelmann, aber sollte die Schuld nicht mehr an den Zuschauern, als an ihr liegen? Ich meine doch –für diese stillern sanften Empfindungen möchten wir durch das Getriebe der Zeit abgestumpft worden seyn. In der Baronin Anmer, in Kotzebue‘s Beichte, wirkte Mad. Bethmann am wenigsten. Mad. Kühne –noch immer ist sie im warmen Andenken derer, die einst ihr Talent entzückte –hatte die Rolle zuerst gespielt, und wenn Raisonnement über Darstellungen gilt, darum den Preis über Mad. Bethmann errungen, daß sie die Empfindlichkeit über die Vergehung ihres Gemahls, als ein Abgemachtes betrachtete mit sich einig war, und nun nur die feine, aber sicher treffende weibliche Rache prädominiren ließ, da sich in das Spiel der Mad. Bethmann noch zuviel gekränkte Weiblichkeit mischte. Eulalie Meinau ward hier nie, und vielleicht nirgends in der Vollendung gegeben, als von Mad. Bethmann, und so gut Meinau auch besetzt war, so konnte ich den Wunsch doch nicht unterdrücken, das Mad. Bethmann entweder vor neun Jahren hier gewesen wäre, oder daß Hr. Porsch aus Riga, welcher damals den Meinau als Gast gab, jetzt mit ihr zusammen getroffen hätte. Es wär‘ ein einziger Genuß gewesen. Elise, im Räthsel, ward von ihr mit der liebenswürdigsten Laune gegeben. Die Fürstin, in Elise Valberg, bewährte jenen Ausspruch des französischen Dramaturgen, daß der Schauspieler, welcher fürstliche Personen darstellen will, auf den Armen der Königinnen gewiegt seyn muß. Eine würdigere Repräsentantin hat diese Fürstin noch nie gefunden; besonders waren es die Auftritte zwischen ihr und Elisen, ihr und dem Fürsten, welche jedes Gemüth zur innigsten Theilnahme erhoben. Auch war das ganze Personale des Stückes heute in einer so schönen Zusammenstimmung, daß dieser Abend unter die genußreichsten gehört, welche uns je wurden. Vorzügliche Anerkennung verdienten Hr. Schwarz als Amtshauptmann, und Dem. Sehring als Elise. Die Unvermählte, welche früher von Mad. Schwarz sehr brav dargestellt war, gewann durch Mad. Bethmann neue, glänzende, ergreifende Seiten, welche Mad. Schwarz sich anzueignen nicht vergessen wird. Johanna von Montfauçon, das zweite Benefize des Künstlerpaares, gewährte uns wieder das Vergnügen, eine anerkannt große, und eine minder bekannte brave Künstlerin in der Hauptrolle vergleichen zu können. Hr. Bethmann bewirkte die erwartete Sensation nicht. Seine Körperhaltung, seine Armbewegungen, welche, wie der Kritiker in der Morgenzeitung bemerkt, andern jungen Künstlern als Muster zur Nachahmung aufgestellt werden könnten, entschädigten nicht genug für das an ihm vermißte biegsame Organ, für eine Art Manier in der Deklamation, welche unangenehmen Eindruck hervorbrachte. L – i.“

Der Korrespondent „M. † Z.“ der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ berichtet (rückblickend) umfangreich über das kulturelle Leben in Königsberg. Im Juli schreibt er:

„Mad. Bethmann aus Berlin hat hier einige Vorstellungen gegeben: die ersten bey übervollem, die letzten bey mässig besetztem Hause. Unser Publikum hat bald genug. Dass sie, ohne Sängerinn zu seyn, kleine Singrollen mit unbeschreiblicher Zartheit vorträgt, und darin mancher Bravoursängerin den Rang abläuft, ist ja bekannt.“ 

und später, im September, heißt es:

„Mad . Bethmann gab uns von Singrollen Nina , Aline und Fanchon, die beyden letzten zweymal. Einige erkannten ihr in Aline, ich ihr aber in Fanchon den Preis zu. Durch Mad. B. wurde es mir erst klar , wie die kleine niedliche Fanchon das werden konnte, was sie geworden ist: das Schooskind des Berliner Publikums.“

Anfang August las man bereits in der „Zeitung für die elegante Welt“:

„Aus Königsberg. Mad. Bethmann und ihr Gatte gaben außer den schon genannten Gastdarstellungen noch Hamlet und Ophelia; Baronin und Karl in der Lästerschule und Wiederholungen des Räthsels, die Fanchon und Phädra. Mad. Bethmann entfernte sich mit Achtung und Liebe von dem hiesigen Publikum, dem ihr Andenken unvergeßlich bleiben wird.

Hr. Schwarz, welcher in Folge seiner Zwistigkeiten mit der Comitee des neuen Theaterbaues die Direktion des Theaters niederlegen wollte, hat sich zur Freude des Publikums wieder an die Spitze des Theaters gestellt. Das Publikum hatte bei der Darstellung der Fanchon, Zettel aufs Theater geworfen, welche den Wunsch ausdrückten, daß Hr. Schwarz hier bleiben und dem Theater ferner vorstehen möge. Mad. Bethmann, als Fanchon hervorgerufen, erfüllte die Bitte mehrerer Stimmen aus Parterre und Logen, daß sie diesen Zettel ablesen möge, und einstimmig ertönte laut: bleiben Sie bei uns. Die Comitee endlich fand sich mit Hrn. Heckert, welcher bis jetzt ein kleines wanderndes Völkchen Thaliens und Melpomenens in den winzigen Städten herumkutschirt hatte, und von der Comitee zum Direktor unsers Theaters bestimmt war, ab, zahlte ihm eine Entschädigung unter ergriff von neuem den Pilgerstab.“

 

Dieselbe Zeitung meldet am 18. Juli rückblickend: „Herr und Mad. Bethmann sind von ihrer Reise nach Königsberg zurückgekommen, und am 3ten dieses in der Phädra zum ersten Male wieder aufgetreten.“

Das „Morgenblatt“ hatte bereits am 15. Juli gemeldet: „Berlin, 1 Juli. Hr. und Mad. Bethmann sind von ihrer Reise nach Königsberg, wo sie eine Reihe von Gastrollen gaben, zurückgekehrt.“

Wiederum ist es die „Zeitung für die elegante Welt“, die aus Berlin unter dem 1809-07-04 meldet:

„Herr und Mad. Bethmann sind von ihrer Reise nach Königsberg zurückgekommen, und am3ten dieses in der Phädra zum ersten Male wieder aufgetreten, Mad. Bethmann entwickelte als Phädra die ihr so ganz zu Gebote stehende hohe tragische Kunst, und riß alles zur Bewunderung hin. Hr. Bethmann als Hippolyt erwarb sich durch sein wahres richtiges Spiel lauten Beifall. Eben so durchdacht gab Herr Mattausch den Theseus, und Mad. Schrök die Aricia.“

Mehr ist über dieses Ereignis bisher nicht bekannt.

 

Der Skandal in Berlin

Nun zu dem, was Stägemann am 1809-12-22 an seine Gattin geschrieben hatte. Da das Ereignis sich so spät im Jahr ereignete, erfolgte die Berichterstattung zumeist im Jahr 1810.

 

Die „Zeitung für die elegante Welt“ verzichtet im Januar 1810 auf eine eigene Berichterstattung und verweist auf eine andere Quelle:

„In den neuesten Blättern des Morgenblattes ist eine weitläuftige Correspondenznachricht über den Vorfall, den die Mad. Bethmann durch ihr Betragen auf der hiesigen Bühne, veranlaßt hat. In diesem Streit haben alle Parteien Unrecht, sowohl die Antagonisten als die Freunde der Mad. Bethmann und ihrer Tochter der Dem. Unzelmann, am meisten aber wohl Mad. Bethmann selbst.“

Das „Morgenblatt für gebildete Stände“ hatte in seiner Nr. 310 vom Donnerstag, dem 1809-12-28 geschrieben.

„Korrespodenz=Nachrichten.

Berlin.

„ – Sie werden sich erinnern, daß man seit einiger Zeit in öffentlichen Blättern viel von der Partheilichkeit redete, in welche das hiesige Schauspielbesuchende Publikum versunken zu seyn scheint, daß die Protekteurs einer oder der andern jungen Schauspielerinn mit den Beschützern einer andern zuweilen in offner Fehde sich befinden, daß man vor einiger Zeit die Demois. Herbst, welche uns Gastrollen gab, verdientermaßen lobte, während die Anhänger der Demois. Schick sie sehr mittelmäßig fanden, und sich Anspielungen auf ihren Namen erlaubte, welche der letztern schmeicheln mußten, indem sie die erstere kränkten. Demois. Schick war – im Gegensatze des Herbstes – der Frühling. In der lebhaften Ueberzeugung, daß Demois. Schick nichts gethan hat, sich eine solche Parthey zu schaffen, erwähne ich dieses Umstandes (aus dem sich scheinbar das Folgende entwickelte) nur, um sie der Katastrophe näher zu führen. Jene kleinen Ereignisse waren vorübergegangen, ohne irgend ein merkwürdiges Resultat erzeugt, ohne die äußersten Gränzen des Schicklichen überschritten zu haben; was ihnen aber folgte, war Anstandverletzend, und führte zu Auftritten, die in ihrer Natur keine Spur von Erfreulichem offenbaren, und von denen der feingebildete Weltmann nur mit Trauer sich abwenden kann. Zur Sache.

Demois. Minna Unzelmann hat seit ihrer Erscheinung auf unsrer Bühne nie ein großes Talent für Gesang oder Darstellungskunst beurkundet; ihr Spiel ließ kalt, ihr Gesang befriedigte nicht; dennoch erhielt sie manche bedeutende Rolle. das alles wäre unter andern Umständen jedoch ohen folgen geblieben, hätten nicht die Freunde der ausgezeichneten Künstlerinn, Mad. Bethmann, ihrer Mutter, durch öftere Beyfallsbezeugungen die Direktion glauben machen wollen, das Publikum sey mit der Tochter der verehrten Mutter ganz zufrieden, und wünsche sie stets thätig zu sehen. (Auch hier wird gern zugegeben, daß weder Mad. Bethmann, noch Demois. Unzelmann das Streben ihrer Freunde veranlaßten, aber dieses Streben war unverkennbar). die Direktion nahm wirklich Rücksicht darauf, und Demois. Unzelmann erschien oft in Partieen, für welche – besonders in der Oper – ihre Fähigkeit nicht ausreichte. Wie konnte das aber von den Beschützern anderer weiblicher Mitglieder des Theaters ruhig geduldet werden? Der Direktion Vorstellungen dagegen zu machen wagte man nicht, da man Kenntniß von dem freundschaftlichen Verhältnisse Ifflands zu Herrn und Mad. Bethmann hatte. Man beschloß also, seine Meinung kurz und gut öffentlich auszusprechen. Demois. Unzelmann sang den Pagen in Figaros Hochzeit, und sang ihn nicht gut, aber ihre Beschützer klatschten ihr Beyfall. Das enragirte die Gegner vollends, und die Beyfallsbezeugungen wurden durch Unzufriedenheitsäußerungen überstimmt. Die Folge war der Unmuth der Mad. Bethmann, welche nur den Haß der Widersacher, nicht aber das geringe Talent der Tochter sah. Sie entschloß sich, die Tochter nicht mehr eine Bühne betreten zu lassen, wo man diese nicht mit Achtung behandelte. Vielleicht war dieser Entschluß die Stimme einer Ahnung, vielleicht aber auch die Geburt eines Vorurtheiles. Ist denn ein kleiner theil der Versammlung vor einer Bühne das Publikum? Gehören Zischende und Pochende zum bessern Publikum, worauf der ächte Künstler nur achtet? Mußte Mad. Bethmann nicht sehen, daß man so eigentlich nicht ihre Tochter mißhandeln, sondern nur die Widersacher bekämpfen wollt? Aber Mad. Bethmann reflektirte nicht so.

Ihr Entschluß, die Tochter von der hiesigen Bühne zu entfernen, ward von den Bitten ihrer Gönner und Freunde vernichtet, und Demois. Unzelmann trat am 17 Dec. in der Isell im Sargines (der Lieblingsoper der Berliner), wieder auf.

Einige Tage früher hörte man an allen öffentlichen Orten von dem Plane der Bethmannschen Parthey, daß Demois. Unzelmann bey ihrer ersten Erscheinung applaudirend bewillkommt werden sollte. Ein neuer Hauch in die stillglimmende Flamme der Unzufriedenheit auf der andern Seite.

‚Wenn ihr applaudirt wird, so werden wir zischen und pochen,‘ hieß es; dabey blieb es, und so geschah es.

Das erste Auftreten der Demois. Unzelmann ward durch Beyfallsäußerungen bezeichnet, aber unmittelbar darauf folgte lebhaftes Gezische; doch, das ging ohne bedeutenden Erfolg vorüber; nur die arme junge Schauspielerin wurde sichtbar verlegen. Die Auftritte glitten fort; jetzt sang die Unzelmann eine Arie. So wie diese endete, erscholl Bravoruf und lauter Beyfall, aber gleichzeitig entstand ein anhaltendes Zischen und Pochen, der Kampf der beyden Parteyen. Wer hätte nicht gewünscht, daß der Augenblick, wie seine Brüder, ohne Folgen geblieben wäre; aber leider war es nicht so. Eine merkwürdige Scene reihte sich ihm an.

Mad. Bethmann, welche in der Oper unbeschäftigt, und in eine Gesellschaft gebeten war, hatte einige Augenblicke früher Anwandlungen von einer gewissen Angst gefühlt, den Cirkel verlassen, und sich auf die Bühne begeben. So eben war sie hier angekommen, als sich der lärm im Parterre erhob. Sie weiß, wem das Mißfallen gilt. Sie sieht (nach ihrer Ansich) ihre Tochter mißhandelt; die mütterliche Liebe, ihre Angst, die Reizbarkeit ihrer Nerven, alles stürmt in diesem Augenblick auf sie ein, und führt si zu einem Vergessen aller übrigen Rücksichten. Plötzlich stürzt sie hinter den Coulissen hervor auf die Bühne, sagt mit großer Heftigkeit, daß sie sich zu sehr beleidigt fühle, als daß sie es verschmerzen könne, und daß weder sie noch ihre Tochter jemals diese Bühne wieder betreten würden. So eilt sie zurück. ihre Tochter mit sich fortführend.

In einem Theile der Versicherung hielt sie Wort. Demois. Unzelmann erschien an dem Abende nicht wieder, du Sargines mußte ohne Iselle ausgeführt werden.

Am folgenden Tage erfuhr man, daß der Policey=Präsident Gruner der Mad. B. habe Arrest in der Hausvogtey geben wollen, um dem erzürnten Publikum Genugthuung zu gewähren, daß aber dann, als er ein ärztliches Zeugniß über den krankhaften Zustand, worin sie verfallen war, erhalten hatte, er sie blos zum Hausarreste verurtheilt habe. Am Abende dieses Tages wurde Fridolin gegeben, worin Demois. Maas die Gräfinn – sonst eine Rolle der Mad. Bethmann, darstellte. Man applaudirte ihr lange und lebhaft, um diesen Ersatz zu billigen. Nach dem Schlusse des Stückes forderte man für den folgenden Tag eine Vorstellung von Macbeth. Iffland selbst trat vor, verkündigte, daß Mad. Bethmann im Arreste sey, und folglich vor der Hand nicht activ seyn könne, daß aber die verlangte Vorstellung seyn solle, sobald eine andre Schauspielerinn die Lady Macbeth einstudirt habe.

Dies ist eine treue, leidenschaftlose Darstellung des unangenehmen Vorfalles, an den man sich nur mit Unmuth erinnern kann.

Ich enthalte mich jedes weitern Urtheiles darüber; das gebildete Publikum richte! Einundzwanzig Jahre hindurch hat Mad. B. uns die herrlichsten Kunstgenüsse bereitet. Ach, ein Augenblick hat die Erinnerung an das durch diese Reihe von Jahren uns geschenkte Vergnügen grausam vergiftet.

 – r – “

 

Die „Zeitung für die elegante Welt“ hätte auch auf den Bericht der „Allgemeinen Zeitung“ verweisen können. Pointierter als im „Morgenblatt“ heißt es hier:

„Am lezten Sonntage waren wir in unserm Nationaltheater Zeugen einer auffallenden Scene. Die junge Schauspielerin, Minna Unzelmann, erhielt vom Publikum wiederholte Beweise des Mißfallens; ihre Mutter, die berühmte Künstlerin, Madame Bethmann, nahm das so übel, daß sie, ohne bei der Vorstellung beschäftigt, und ohne anständig gekleidet zu seyn, leidenschaftlich auf das Theater stürzte, den Gang der Vorstellung unterbrach, der Versammlung versicherte, daß sie und ihre Tochter diese niemals wieder betreten würden, und das junge Mädchen mit sich wegführte, so daß das Stük ohne dasselbe beendigt werden mußte. Madame Bethmann erhielt sogleich Hausarrest. Die Sache wird bei der Anwesenheit des Hofes bald entschieden werden. Das Publikum fühlt sich sehr beleidigt.“

Ebenfalls muß wiederum Stägemann zu Wort kommen der am 2. Januar an seine Gattin schreibt:

„[…] Herr Ifland, der mich heut besuchte, machte mir davon eine lebendige Beschreibung. Nach Beendigung des der Feierlichkeit angepassten Vorspiels hatte der König ihn in die Loge rufen lassen und ihm verbindlich gedankt. Er versicherte mich, so gerührt gewesen zu seyn, dass er nicht ein Wort habe antworten können, sondern wie ein todter Hund weggegangen wäre. Ich tröstete ihn damit, dass dies erstaunt viel gewesen wäre, denn ich wäre (als ein todter Hund) liegen geblieben. Nach Vollendung des Schauspiels hatte das Publikum Herrn Ifland herausgerufen; er hatte dieses benutzt (wahrscheinlich hatte man es auch so verabredet), das Publicum an die Geschichte mit Madame Bethmann zu erinnern, wozu ihm der Titel seines Vorspiels: der Verein, die Hand bot. Kaum hatte er diese Sache aufs Tapet gebracht, wurde laut geklatscht; nach einigen Worten von ihm ward Madame Bethmann gerufen, statt derer Herr Bethmann erschien (weil sie nicht gegenwärtig war), dessen Entschuldigungen sehr beklatscht wurden. Kurz, diese fatale Geschichte ist so gut als beendigt und Madame Bethmann wird morgen wieder als Lady Macbeth auftreten. Sie wollte mir gestern Abend Gesellschaft leisten, da sie gehört hatte, dass ich krank sei, ich verbat es jedoch aus Gewissenhaftigkeit, und weil wir zusammen doch 88 Jahr alt sind.“ 

Die „Allgemeine Zeitung“ trägt dann, drei Tage vor dem „Morgenblatt“, nach: „Die Schauspielerin, Madame Bethmann, hat am 27. d. [Me = 1809-12-27] vor der Vorstellung des Macbeth im Schauspielhause öffentlich wegen ihrer Uebereilung Abbitte geleistet.“ Sie entschuldigte alles mit ihren Muttergefühlen und, so meint das „Morgenblatt“, Iffland dies vorbereitet hatte.

Damit scheint die Berichterstattung über diesen Theatereklat in Deutschland beendet zu sei.

Die ausländischen Korrespondenten in Berlin ließen sich dieses Ereignis jedoch auch nicht entgehen.

Am 1810-01-12 rückt das „Journal de l’Empire“ die Nachricht ein:

« PRUSSE.

Berlin, 24 Décembre.

Dimanche dernier, il s'est passé sur le théâtre national, une scène fort extraordinaire. Le public en masse siffloit mademoiselle Unzelmann, qui débutoit dans le rôle de Minna de Barnhelm. Tout-à-coup, Mad. Bethmann, mère de la jeune personne, s’élança, assez peu vêtue, sur la scène; et après avoir déclaré en termes très-énergiques, que ni elle ni sa fille ne paroîtroient jamais devant un public aussi injuste , elle prit la débutante par la main et l’emmena hors du théâtre. La pièce ne fut pas achevée. Le public se trouva très-offensé. On assure que madame Bethmann a eu les arrêts chez elle. Ainsi, il paroît que les acteurs, avoient interprété trop en leur faveur l’ordonnance de police qui défend de siffler les artistes d’un talent reconnu, ou peut être les parties intéressées n'avoient- -elles pas encore eu l’occasion de reconnoître les talens de mademoiselle Uzelmann. » [sic ; Unzelmann]

 

Jean Gabriel Peltier (1760-1825) gibt im Februar 1810 einen kleinen Einblick ins Geschehene in seiner in London erscheinenden Zeitschrift „L‘Ambigu, ou Variétés littéraires et politiques“ in der Rubrik  

„Anecdotes Étrangeres. […]

Il s’est passé sur le théâtre de Berlin, une scene fort extraordinaire. Le public en masse siffait Mademoiselle Unzelmann, qui débutait dans le rôle de Minna de Earnhelm [sic ; Barnhelm]. Tout-à-coup Mad. Bethmann, mere de la jeune personne, s’élanca, assez peu vêtue, sur la scene; et après avoir déclaré en termes très-énergiques, que ni elle, ni sa fille, ne paraîtraient jamais devant un public aussi injuste, elle prit la débutante par la main et l'emmena hors du théâtre. La piece ne fut pas achevée. Le public se trouva très-offensé. On assure que Madame Bethmann a eu les arrêts chez elle. Ainsi, il paraît que [S. 345 :] les acteurs avaient interprété trop en leur faveur l’ordonnance de police qui défend de siffler les artistes d’un talent reconnu, on peut-être les parties intéressées n’avaient-elles pas encore eu l'occasion de reconnaître les talents de Mademoiselle Unzelmann. »

 

Erst im April des Jahres hat der schwedische Augenzeuge die Gelegenheit zur Publikation seines Erlebens. Das „Journal för Litteraturen och Theatern. Lördagen den 7 April 1810.“ bringt

„Theater=Nyheter.

En af Berlins berömdaste Aktriser, Fru Bethmann har icke långesedan haft erregd med Publiken hwars anledning och förlopp warit följande:

Fru Bethmanns dotter Minna Unzelmann har några år wisat sig på Berlinska Theatern, utan att hwarken åga owanligt bifall eller gifwa rått stora förhoppningar om sig. Litmål spelte hon wißa roller rått artigt. Med fången wille det icke lockas så wål, och hårtill bidrog mycket hennes naturliga timidité. Emedlertid wisade Publiken henne det öfwerseende och till och med den uppmuntran, som åro nodwändiga för rådda nybegynnare, emedan det eliest aldrig skall blifwa någon ting af dem. I slus ter af fórledet år blei Mozarts Figaro på nytt inofwad. Mamse Unzelmann sick Cherubins roll, och di uppkom en kabal. En wiß Herre, som var en stor beundrare af en annan Aktris, tog några af sitt parti till hjelp, och deßa yttrade sict stora mißuöje. Fru Bethmann som kände werkeliga orsaken, låt sin dotter vå en kort tid icke wica sig på Theatern. Den 17 Dec. gafs Sargines. M:rell Unzelsmann hade deruti den unga Bondflickans lilla naiva roll. Hon sjöng ester wanligleren, och ofwannåmda Herrar yttrade sitt mißhag. Nu glómde Fru Bethmann sig. Hon war på Spektalet i stu husliga klädsel, gick fram med häftighet, förde sin dotter dort of theatern, och förklarade högt inför Publiken, att hon kände djupt hwad man tillfogade henne och hennes dotter, och att ingendera skulle nånsinmer wisa sig. Pjesen flutades utan denna rollen. Det war söndag, och då år en alldeles fårskilt Publik på spektaklet; den wißte icke huru den skulle uppföra sig, men så mycket estertrydligare del tog den werksamme Polis=Presidenten deruti. Han befallte genast att låta arrestera båda Aktriserna; blott på twenue låkares attester, hwar af Presidenten sjelf stickade den ena, mildrades befallningen till hus arrest: Efter några dagar åstundade Publiken Macbeth. Iffland steg fram och förklarade att den Aktris som spelade Lady Macbeth hade hus arrest och war dessutom sjuk. Publiken gaf sig tillfreds. Den 25 December uppfördes till strande af det Kongl. Parets antomst, ett litet stycke kalladt Föreningen, som man såger år af Iffland. Efter [S. 328:] deß slut hade Hofwet, som till en del kommit dit ifrån Operan, begiswit sig hort. Hårpå gafs ve båda wånnerna af Beaumarchais. Efter flutade spektakel framkallades Iffland. Han kom Jhland sina tacksågelser blandade han Bethmannska saken, i det ban sade, att wid alla nu warande glada händelser störde endasi denna hans glådje, han önskade att Publiken wille förlåta en Angrande, ett allt för harstigt uttaldt ord. Man swarade med bifall. Nu framtrådde Hr. Bethmann med honom wid handen. Denne bad i sin hustrus namn att man skulle förlåta en hånförande Moders=Kånsla som förglömt sig, och åberopade sig det er åringa nit hans hustru wisat för Berlinska theatern. Man säger att Fru Bethmann hårpå wåndt sig till Drottningen med bön och önskan att åter så spela. Drottningen skall emediertid hafwa förklarat att hon måste försona sig med Publiken. I stället för ett annat annonceradt stycke afficherades d. 27 Dec. Macbeth. Redan klockan 3 infunno sig åstårdare, och trångseln war så stark som wid Skådespels Husets oppnande 1801. Efter en kort Ouverture uppdrogs rideaun. Fru Bethmain framkom swartklådd. Hon blef emottagen med allmäuna handklappningar. Hon talte några ord med mycken rörelse, undskyllade sin glömska emot Publiken med den wåckia Moders=kånflan, od lofwade att fördubbia sina krafter. Nu flutades den afdrutna Ouverturen, representationen började och fru Bethmann höll ord: Hon fördubblade sina frafter.“

 

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