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„Beyspiel eines äusserst crassen Aberglaubens“
1795-07-03 findet die Hinrichtung eines Mörders auf dem Richtplatz, der „eine ziemliche Strecke vor den Thoren Marburgs liegt“ statt. Leonhard Johann Carl Justi war mit seinem Amtskollegen Johann Ludwig Henrich Fenner seitens der Kirche, Johann Karl Heinrich Gottfried Hille seitens der Justiz mit diesem Fall beschäftigt. Erstere begleiteten den Delinquenten Johannes Immel zur Richtstätte.
Johannes Immel, Bauer, etwa 40 Jahre alt, aus Erxdorf im Amt Rauschenberg, war verheiratet und hatte vier Kinder. Er stand in Geschäftsverbindungen mit dem Juden Aaron Isaak aus Allendorf bei Mainz. Beim Ochsenverkauf kam es unter Alkoholeinfluss dazu, dass Immel den Juden schlug, und um den Vorfall zu vertuschen diesen mit der Barte, einem Beil mit breiter Schneide, erschlug.
Bei der Hinrichtung mit dem Schwert ließ ein Landmann sein epileptisches Kind von dem Blut des Enthaupteten trinken, um dieses dadurch zu heilen. Dies wird dann als „Beyspiel eines äusserst crassen Aberglaubens“ benannt.
Im Anschluss an einen Bericht aus Seyda in Sachsen über die dortige Räderung des Johann Friedrich Weßlau aus Zahna am 1795-08-14 schreibt ein Einsender den Nachtrag zum Bericht über die Enthauptung Immels. Er hält die Begleitung von Verurteilten durch Geistliche für unzweckmäßig, da es das Vorurteil bestärke, „daß man ein Leben voller Verbrechen noch im letzten Augenblicke durch Selbsttäuschung und das Spiel der Phantasie mit gewissen Bildern und Ideen gut machen könne, […]“
NB: Weßlau war Huf- und Waffenschmied, etwa 40 Jahre alt; verurteilt wegen Straßenraubes und Menschenmordes. Sein Steckbrief vom 1794-04-06 wird z. B. in der „Bayreuther Zeitung“ abgedruckt.
Nach dem umfangreichen Zeitungsbericht, der nur mit „J.“ unterzeichnet war, wird dieser im August im Salzburger Intelligenzblatt nachgedruckt. War er zuvor unter dem Titel „Folgen des Eigennutzes und des Zornes“ gedruckt worden, so wird hier die erzieherische Absicht noch deutlicher:
Das „Salzburger Intelligenzblatt“ leitet den Text ein mit einer Sentenz: „Der Mensch ist von Natur, wenn er sich selbst überlassen, wild aufwächset, träge, unwissend, unvorsichtig, unbedachtsam, leichtgläubig und gedankenlos; furchtsam und dabey ohne Gränzen gierig, und wird dann durch die Gefahren, die seiner Schwäche, und durch die Hindernisse, die seiner gierigen und anspruchvollen Selbstsucht in den Weg kommen, krumm, verschlagen, heimtükisch, undankbar, mißmüthig und dabey verwegen, rachgierig und grausam: - das ist der Mensch, wie er im Gewirre und im Drang des gesellschaftlichen Lebens, sich selbst überlassen, wild aufwächset, werden muß. – Eltern! Bieget eure Kinder, fast ehe sie noch wissen, was links oder rechts ist, zu dem, wozu sie gebogen seyn müssen! Pestalozzi.“ Am Schluß ergänzt das „Salzburger Intelligenzblatt“ mit einer Anmerkung das Original: „Möchten alle Aeltern und Jugendlehrer, welche dieses lesen, aufs Lebhafteste dadurch überzeugt werden. was für ein wichtiger Theil der Erziehung die Bildung des Gemüths des jungen Menschen, die Verwahrung dessen vor heftigen Leidenschaften aller Art sey!“
Justi, empört durch den erlebten Aberglauben, publiziert mit dem am 1795-09-25 unterzeichneten Vorwort die kleine Schrift:
Warnung vor dem Aberglauben, eine Predigt über Apostelgeschichte 17, 22; auf Veranlassung einer bey der am 3ten Julius 1795 geschehenen Hinrichtung eines Mörders auf dem Richtplatz vorgefallenen öffentlichen höchst auffallenden Aeußerung desselben am Sonntag nachher gehalten, und mit einem Sendschreiben an die lutherischen Prediger des Oberfürstenthums Hessen, Casselischen Antheils, begleitet. Halle: Curt 1795; S. (1)-45.
In ihr verurteilt er aufs Schärfste den gesehenen, erlebten Aberglauben:
„darf der Aberglaube so öffentlich und ungerügt der Vernunft Hohn sprechen? darf er es an einem Orte thun, wo eine Universität ist? – eine Anstalt, welche ihrer Bestimmung nach der Unvernunft aller Art entgegenarbeiten soll? – darf er hier am Sitze der Weisheit – (und wenn auch nur vor dem Thor desselben) ohne eine Rüge zu erhalten, sein Wesen treiben? – das sey ferne!“
So wundert es nicht, dass er auch, auf der Suche nach den Ursachen des Aberglaubens, der Vernunft und Menschheit entehrt, auf Geister und ihre Beschwörer zu sprechen kommt. Schröpfer, St. Germain und Cagliostro sind ihm „Gelichter“ und vor allem Betrüger.
In dieser Art klärt Justi auf; was mag sein Kollege Jung-Stilling dabei gedacht haben? Im Jahr 1808 erschien ja dessen „Theorie der Geisterkunde“.
Max von Schenkendorf schrieb am 20. Februar 1813:"Er [= Jung-Stilling] gilt für einen Schwärmer / - Doch wer gilt nicht dafür? und bald wird das wohl ein Ehrentitel / seyn. Zur Erneurung dieses Vorwurfs hat seine Theorie der / GeisterKunde viel beigetragen. Ob ein solches Buch überhaupt / geschrieben werden sollte will ich dahin gestellt seyn lassen, / und daß die Beispiele darin schlecht gewählt sind gebe ich / gerne zu; aber das System selbst ist ungemein scharfsinnig, / und ich glaube daß der geförderte animalische Magnetismus noch mehr / Licht hierüber verbreiten wird. Das Buch ist übrigens geschrieben / Gespensterfurcht zu vertreiben und nicht zu erwecken."