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Ein informativer Lexikon-Artikel zu Jung-Stilling 

 
Der folgende, gut lesbare Artikel über Jung-Stilling ist von Heinrich Döring 1 verfasst worden. Er speist sich aus den autobiographischen Werken Jung-Stillings und den Ergänzungen durch Enkel und Schwiegersohn. Herangezogene Literatur wurde von Döring verwendet, vor allem das Werk von Strieder (1819). Dieser benutzte Jung-Stillings Werk "Lehrbuch der Staats=Polizey=Wissenschaft" (1787), dem vorausgeht "Meine Geschichte als Lehrer der Staats= wirthschaftlichen Wissenschaften, statt einer Vorrede." Diese Quelle wurde von Döring nicht angegeben. So sind im folgenden Text in eckigen Klammern durch mich kleinere Ergänzungen und Korrekturen eingefügt worden. Sonst ist der Text einschließlich der Zeilengestaltung belassen worden. 
Weitere Texte von Literaturwissenschaftlern über Jung-Stilling finden sich hier
 
Allgemeine / Encyklopädie / der / Wissenschaften und Künste / in alphabetischer Folge / von genannten Schriftstellern bearbeitet / und herausgegeben von / J[ohann]. S[amuel]. Ersch und [Johann]. G[ottfried]. Gruber. / Mit Kupfern und Charten. / - Zweite Section. / - H – N. / Herausgegeben von / A. G. Hoffmann. / Achtundzwanzigster Theil. / - / Jüdische Münzen – Jungermannia. / - / Leipzig: F. A. Brockhaus. / - / 1851. 
    
Allgemeine / Encyklopädie der Wissenschaften und Künste. / Zweite Section. / H – N. / - / Achtundzwanzigster Theil. / Jüdische Münzen – Jungermannia. 
    
    
S. 432-453: 
[...]  
7) Johann Heinrich genannt Stilling, erblickte 
das Licht der Welt in Verhältnissen, die unter Entbeh= 
rungen mannichfacher Art ihn ein unerschütterliches Ver= 
trauen auf Gott lehrten, zugleich aber auch seinem Geiste 
eine ganz eigenthümliche Richtung gaben. Das Dörfchen, 
in welchem seine Vorältern und Ältern wohnten, hieß 
Im Grund. Es liegt in einem Waldgebirge des Für= 
stenthums Nassau=Siegen, im Amte Hilgenbach [sic; Hilchenbach]. Dort 
wurde er am 12. Sept. 1740 geboren. Nach seinem ei= 
genen Zeugnisse war er ein frischer, gesunder Knabe 90), [LG S. 23] 
und wurde in der benachbarten florenburger [= Hilchenbacher] Kirche getauft. 
Sein Vater, Wilhelm Jung, hatte, seiner gebrech= 
lichen Füße wegen, das Schneiderhandwerk gelernt, war 
aber zugleich auch Schulmeister, und soll ein trefflicher 
Kinderlehrer gewesen sein. Die ursprüngliche religiöse 
Richtung dieses Mannes schien noch strenger und ernster 
geworden zu sein durch den Verlust seiner Gattin Doro= 
thea, einer armen Pfarrerstochter, mit der er sehr glück= 
lich gelebt hatte. Anderthalb Jahre nach der Geburt sei= 
nes Sohnes ward sie ihm durch den Tod entrissen. Spär= 
lich von seinem Handwerke sich nährend, zog der tief füh= 
lende Mann sich in die Einsamkeit zurück. Die Welt 
hatte keinen Reiz mehr für ihn. In der Religion suchte 
er Linderung seiner Schmerzen und Ersatz für seinen Ver= 
lust. Das Knabe, den ihm seine Gattin geboren, war 
sein einziges Kind, an welchem er mit der ganzen Innig= 
keit seines Gefühls hing. Vor dem Misgriffe, seinen 
Sohn zu verzärteln, bewahrte ihn sein heller Verstand. 
In der Erziehung, die er ihm, so gut es seine Umstände 
erlaubten, gab, war eine gewisse Strenge vorherrschend. 
"Mein Vater", äußerte Jung selbst in spätern Jah= 
--- 
[...] 90) s. Jung's Lebensge= 
schichte (von ihm selbst verfaßt). Neue Ausgabe. (Stuttgart 1843.) 
S. 59. [LG S. 23] 
    
ren 91), "hatte den Grundsatz: der Mensch müsse von der 
Wiege an immer willenlos gehalten werden, um sich nach= 
her in alle Schicksale seines Lebens finden zu können; 
und er übte diesen Grundsatz ununterbrochen aus. Alles, 
was ich nur mit einiger Leidenschaft verlangte, erhielt ich 
nie, und zugleich wurde in jeder Befriedigung meiner 
Bedürfnisse eine Reinheit und Ordnung beobachtet, die 
fast ohne Beispiel war. Dadurch bekam mein Geist eine 
Richtung, mein ganzes Ich eine Geschmeidigkeit, die mich 
in meinem Leben durch eine ganze Kette der schwersten 
Leiden immer aufrecht, und im festen Vertrauen auf Gott 
erhalten haben." Ohne jene Strenge, meinte Jung, 
wäre er, bei seinem höchst lebhaften und empfindsamen 
Temperament, vielleicht dem Schicksale anheim gefallen, 
"ein elender Taugenichts zu werden." 
 
Seinem Vater war die Einsamkeit so lieb geworden, 
daß er auch seinen Sohn von allem Umgange mit Ju= 
gendspielen zurückhielt. Nie durfte sich dieser aus dem 
väterlichen Hause entfernen. Ein Spaziergang in dem 
daran stoßenden Hofe war seine einzige Erholung, und 
auch von da rief ihn der Vater zu sich, wenn er einen 
Knaben in seiner Nähe erblickte. Auch seine übrigen Nei= 
gungen trug der Vater auf den Sohn über. Er mußte 
gemeinschaftlich mit ihm beten. Jeder Morgen und Abend 
fand beide auf den Knieen. "Mit heiligem Schauer," 
äußerte Jung in spätern Jahren, "denke ich noch oft 
daran, wie mein Vater seinen Gott beschwor, einen recht= 
schaffenen Mann aus mir zu machen" 92). Der Theil 
des Tages, den der Religionsunterricht nicht in Anspruch 
nahm, ward mit Schreiben und Rechnen ausgefüllt. 
 
Viel für sich hat die Ansicht, daß die eigenthümliche 
Jugenderziehung des Knaben sehr geeignet war, ihn zu 
dem religiösen Volksschriftsteller zu bilden, der er später= 
hin ward. Unter andern Verhältnissen, in einem höhern 
Stande geboren, wäre er vielleicht dem religiösen Indif= 
ferentismus anheim gefallen. Auf dem Boden des lau= 
teren Christenthums aber, wie es ihm sein Vater lehrte, 
mußte ein Geist, wie der seinige, um so sicherer gedeihen, 
da er in der Abgeschiedenheit, die am meisten zur Ent= 
wickelung seines Geistes beitrug, vor den Stürmen des 
Unglaubens völlig gesichert schien. Er konnte sich frei 
und beinahe aus sich selbst entwickeln. Vorherrschend war 
unter seinen Naturanlagen eine sehr lebhafte Phantasie. 
Was seiner Individualität gemäß schien, begrifff und faßte 
er schnell. Fremd aber blieb ihm für immer, was nicht 
in seine eigene innere Welt passen wollte. Statt äußern 
Eindrücken seine Richtung zu verdanken, gab sein Geist 
sich selbst seine Form und seinen Charakter. 
 
Der Religionsunterricht, den er seinem Vater ver= 
dankte, war einfach. Die Begriffe, die Jung dadurch 
erlangte, empfahlen ihm die wahre Gottesverehrung. Er 
urtheilte sehr richtig, wenn er in spätern Jahren meinte: 
das Lesen trockener dogmatischer Schriften würde ihm we= 
nig genützt, aber desto mehr geschadet haben. Wohlthä= 
tig wirkten auf sein empfängliches Gemüth die Ermah= 
--- 
91) s. Strieder's Hessische Gelehrtengeschichte Bd. 18. 
S. 246 f. [= Vorwort zum Lehrbuch der Staats=Polizey=Wissenschaft; vgl. Graue Mann H. 24, S. 126.]     92) Derselbe a. a. O. S. 247. [alle Zitate nach ebd.] 
    
nungen und moralischen Beispiele, die der Vater an sei= 
nen Unterricht knüpfte. Die Lebensbeschreibungen vor= 
trefflicher Menschen und wahrer Christen, die sein Vater, 
nach seinem eigenen Ausdrucke, von allen Seiten für 
ihn zusammenschleppte, spornten ihn zur Nacheiferung. 
Daneben mußte er den heidelbergischen Katechismus mit 
allen seinen Glossen auswendig lernen. Dies hielt der 
Vater für nöthig als eine Vorbereitung zur Confirmation. 
"Du brauchst das," äußerte er, "nicht als Christ, son= 
dern als Glied der reformirten Kirche. Lerne nur täglich 
etwas auswendig, so weißt du zu seiner Zeit alles, was 
dir zu wissen nöthig ist." Wie gewissenhaft Jung die= 
sen Rath befolgte, scheint daraus hervorzugehen, daß er 
in der öffentlichen Prüfung zu allgemeiner Zufriedenheit 
bestand. 
 
Einen tiefen Eindruck machten auf ihn Jacob Böh= 
me's Schriften, schon durch die wunderbare, phantastische 
Form, in welche jener philosophische Kopf seine Lehren ge= 
kleidet hatte. In Jung erwachte dadurch eine eigen= 
thümliche Welt religiöser Gedanken und Gefühle. Dem 
Leser dieser und anderer mystischer Schriften stellte der 
Vater um so weniger Hindernisse entgegen, da Bücher 
dieser Art mit seiner eigenen Gemüthsstimmung harmo= 
nirten. Zur Abwechselung erlaubte er seinem Sohne 
auch mitunter Romane und Erzählungen zu lesen. Auch 
mit verschiedenen wissenschaftlichen Werken, die ihm der 
Zufall in die Hände führte, ward dieser bekannt. In seiner 
Bildung hatte er dadurch so rasche Fortschritte gethan, 
daß er, nach seinen eigenen Worten, in seinem siebenten 
Jahre für ein Wunder von Gelehrsamkeit galt. [LG S. 196] Die frü= 
her erwähnte strenge Zucht behielt sein Vater bei. Das 
kleinste Vergehen seines Sohnes ward mit der Ruthe be= 
straft. [LG S. 47] 
 
Mit der Lage, in welcher sich Jung befand, bildete 
das in ihm allmälig erwachende Selbstgefühl den wun= 
derbarsten Contrast. Dem lebhaften Wunsche, zu studiren, 
stellten sich fast unüberwindliche Hindernisse entgegen. 
Seines Vaters Vermögen, das nach Jung's eigener An= 
gabe kaum 500 Fl. betrug, [nach Vorwort a. a. O.] reichte nicht hin, um die Ko= 
sten zu bestreiten, den der von ihm gewählte Beruf nö= 
thig machte. Manche Plane wurden ersonnen und ebenso 
schnell wieder verworfen. Eine höhere Stellung im Leben, 
als die eines Schullehrers, hielt Jung's Vater für sei= 
nen Sohn fast unerreichbar. Er ließ ihn vor der Hand 
die lateinische Schule in Hilgenbach besuchen. Da eer aber 
einsah, daß sein Sohn von der kärglichen Besoldung als 
Dorfschulmeister sich künftig kaum würde ernähren können, 
so hielt er ihn zugleich zur Erlernung des Schneiderhand= 
werks an. Diese Beschäftigung trieb Jung mit entschie= 
denem Widerwillen. Er sah indessen ein, daß er sich in 
die Umstände fügen mußte, um sich eine Art von Sub= 
sistenz [Auskommen, Lebensunterhalt] zu gründen. Seinen Studien ward er darüber 
nicht untreu. Ein besonderes Interesse fand er an der 
Mathematik. Zu den Büchern über Geometrie, die sein 
Vater, der zugleich Feldmesser war [recte: Gehilfe von Jung-Stillings Oheim] war, besaß, lieh er sich 
noch einige andere Schriften verwandten Inhalts, die er 
fleißig studirte und dadurch zu ziemlich gründlichen Kennt= 
nissen in der reinen und angewandten Mathematik ge= 
 
    
    
langte. Auch mit andern Wissenschaften ward er vertraut, 
namentlich mit der Forstkunde und Landwirthschaft, dem 
Bergbaue und der Metallurgie. In diesen Studien war 
er, wie er in spätern Jahren gestand, durch seine näch= 
sten Umgebungen sehr gefördert worden. Zu praktischen 
Kenntnissen gelangte er besonders durch seinen häufigen 
Verkehr mit Kohlenbrennern, Bauern, Bergleuten, Eisen= 
schmelzern und Hammerschmieden. 
 
Unter der Beschäftigung mit Büchern, zu denen 
er immer wieder zurückkehrte, konnte er den oft wieder= 
kehrenden Gedanken, Prediger zu werden, nicht unter= 
drücken, so wenig sich auch Aussichten zur Erfüllung die= 
ses Lieblingswunsches zeigten. "Wenn ich," erzählt er 
selbst, "mich auf der Kanzel dachte, und mir dazu vor= 
stellte, mein ganzes Leben unter Büchern hinzubringen, 
so erweiterte sich mein Herz. Ich ward von Wonne 
durchdrungen, und dann fiel mir will zuweilen ein: Gott 
hat mir diesen Trieb nicht umsonst eingeschaffen; ich will 
ruhig sein; er wird mich leiten, und ich will ihm folgen." [LG S. 86] 
In seinem Enthusiasmus für den Beruf eines Predigers 
versammelte er zuweilen heimlich mehre Kinder um sich, 
und mit einer schwarzen Schürze und einem Kragen von 
weißem Papier bekleidet, hielt er dann von einem Lehn= 
stuhle herab allerlei erbauliche Reden 93). [LG S. 87] 
 
Diese hochfliegenden Wünsche mußte Jung herab= 
stimmen, und sich mit einem Schulmeisteramte behelfen, 
das er 1755 in Zellberg, [= Lützel] einem an der wittgensteinischen 
Grenze gelegenen Dorfe, erhielt. Er hatte damals sein 
15. Lebensjahr erreicht. Der Förster Krüger, in dessen 
Hause er wohnte, schildert Jung als einen redlichen, bra= 
ven Mann, der nicht ohne Bildung gewesen sei, und 
eine kleine, doch ausgewählte Bibliothek besessen habe. 
Groß war Jung's Freude, als er beim Durchsuchen der= 
selben in einem Folianten eine Übersetzung des Homer in 
teutschen Versen fand. Seine Empfindungen schildert er 
selbst sehr lebhaft. "Ich küßte das Buch," schreibt 
er 94), "drückte es an meine Brust, bat mirs aus, und 
nahm es mit in die Schule, wo ichs in der Schublade 
unter dem Tische sorgfältig verschloß, und so oft darin las, 
als es mir nur möglich war. Auf der lateinischen Schule 
hatte ich den Virgilius erklären, und bei der Gelegenheit 
soviel vom Homer gehört, daß ich Schätze darum gege= 
ben hätte, ihn nur ein Mal lesen zu können. Nun bot 
sich mit hier die Gelegenheit von selbst dar, und ich nutzte 
sie rechtschaffen." [LG S. 93] 
 
Seine Stelle in Zellberg, in der er sich sehr behag= 
lich fühlte, verlor Jung durch das in dortiger Gegend 
der Dorfgemeinde zustehende Recht, ihre Schullehrer nach 
Belieben abzusetzen. Dies Schicksal verfolgte ihn auch 
späterhin. Ohne sein Verschulden behielt er selten lange 
ein ihm verliehenes Schulamt. In dem Raume von sie= 
ben Jahren zog er fortwährend von einem Dorfe zum an= 
dern, um eine neue Anstellung zu suchen. Mit diesem 
unstäten Leben war wenigstens der Vortheil verbunden, 
daß er sich auf jenen Wanderungen allerlei praktische 
--- 
93) s. Jung's Lebensgeschichte S. 133.     94) a. a. = 
S. 140. 
    
Kenntnisse einsammelte. Gelegenheit dazu boten ihm die 
Besuche von Bergwerken, Eisenhütten und Landgütern. 
Jede müßige Stunde nutzte er zu mathematischen, geo= 
graphischen und historischen Studien. Aus Büchern, die 
ihm der Zufall in die Hände führte, schöpfte er mannich= 
fache Belehrung, sodaß ihm kein wissenschaftlicher Zweig 
gänzlich unbekannt blieb. 
 
In seiner Individualität suchte er den Grund, wes= 
halb er nirgends eine bleibende Stelle finden konnte. 
"Ich hatte," gestand er in spätern Jahren 95), "an je= 
dem Orte meine enthusiastischen Freunde, aber auch die 
bittersten Feinde. Vielleicht war meine ganze isolirte Er= 
ziehung Schuld daran. Ich war zu offenherzig, zu son= 
derbar, zu auffallend, und daher kam es, daß meine 
Feinde gar leicht eine Blöße fanden, wo sie mich tief 
verwunden konnte. Ich wurde fast von jedem Dorfe 
mit dem bittersten Haß verstoßen, und zugleich mit der 
wärmsten Zärtlichkeit beweint." [nach dem Vorwort a. a. O.] Bei seinem Vater, zu 
dem er in solchen Fällen seine Zuflucht nehmen mußte, 
war er genöthigt sich Geschäften zu widmen, zu denen 
es ihm sowol an Kraft als an Geschicklichkeit fehlte. 
Durch eine zweite Heirath war sein Vater Besitzer eines 
Bauernguts geworden. In der Feldarbeit, die er größten= 
theils selbst verrichtete, mußte ihn sein Sohn unterstützen. 
Die ungewohnte Arbeit, das Gefühl der Müdigkeit und 
gänzlicher Erschöpfung preßten ihm, wie er selbst erzählt, 
oft Thränen aus. Eine dumpfe Schwermuth ergriff ihn [LG S. 114] 
und mit derselben die Sehnsucht nach einem neuen Schul= 
dienste, den er, wenn er ihn kaum erhalten, durch aller= 
lei Cabalen wieder einbüßte. Er mußte endlich sogar vor 
dem Consistorium erscheinen. Mit Vorwürfen überhäuft, [LG S. 144 f.] 
die er nicht verdient zu haben glaubte, entschloß er sich, 
dem Schullehrerberufe gänzlich zu entsagen und wieder 
zum Schneiderhandwerk zurückzukehren. Er arbeitete nun 
bei mehren Meistern. Der Vater beklagte sein Schicksal; 
doch theilte er die Meinung der übrigen Verwandten, 
daß aus seinem Sohne wol nicht viel werden möchte. 
Seine Liebe zu ihm muß wohl viel schwächer geworden sein, 
weil er ihn allmälig als einen gänzlich Verlorenen aufgab. 
 
Unter so trüben Aussichten beschloß Jung, das äl= 
terliche Haus zu verlassen und auf die Wanderschaft zu 
gehen. Am 12. April 1762 führte er diesen Entschluß 
aus. Er begab sich als Handwerksbursche in der Her= 
zogthum Berg. Wie er sich zu dieser Wanderung rüstete, 
hat er selbst geschildert. "Mit einem Thaler in der Tasche," 
schreibt er 96), "ging ich auf meine Kammer, that meine 
drei zerlappten Hemden – das vierte hatte ich an – ein 
Paar alte Strümpfe, eine Schlafkappe, meine Scheere 
und meinen Fingerhut in einen Reisesack, zog darauf meine 
Kleider an, die aus einem Paar mittelmäßig guten Schuhen, 
schwarzen wollenen Strümpfen, ledernen Hosen, einer 
schwarzen Tuchweste, einem ziemlich guten braunen Rocke 
von schlechtem Tuche und einem großen Hut, nach der 
damaligen Mode, bestanden. Nun kämmte ich mein brau= 
nes Haar, nahm einen langen dornichten Stock in die 
--- 
95) s. Strieder a. a. O. S. 249.     96) S. Jung's Le= 
bensgeschichte S. 247. 
    
Hand, und wanderte auf Solingen zu." [LG S. 184] Dort fand er 
Arbeit bei einigen Meistern, und mehre Freunde, die es 
gut mit ihm meinten. In diesen Verhältnissen würde er 
sich glücklich gefühlt haben ohne die oft wiederkehrende 
Sehnsucht nach einer andern Bestimmung, zu der er sich 
durch seine Wißbegierde und seine Kenntnisse berechtigt 
glaubte. 
 
Seine Lage verschlimmerte sich aber, als er, des 
Handwerks müde, sich entschloß, auf dem Landgute eines 
angesehenen Kaufmanns, Hochberg mit Namen, eine 
Hauslehrerstelle anzutreten. Der Stolz und Hochmuth 
jener reichen Familie, die allein auf Geld einen Werth 
legte, und in deren Augen Kenntnisse wenig oder nichts 
galten, machten ihm den Druck der Armuth, unter dem 
er seufzte, sehr fühlbar. Unvermögend, die nöthigsten Be= 
dürfnisse zu befriedigen, traf ihn das Schicksal, für einen 
Landstreicher gehalten und aufs Verächtlichste behandelt 
zu werden. Was irgend einen Werth hatte, ward vor 
ihm verschlossen, woraus hervorzugehen schien, daß man 
selbst in seine Ehrlichkeit Zweifel setzte. Wirklich fiel bei 
den Veruntreuungen, die sich das Hausgesinde erlaubte, 
der Verdacht auf ihn. Diese Kränkung schmerzte ihn so 
tief, daß er in einen Zustand gerieth, in welchem er, wie 
er selbst erzählt, nahe daran war, sich selbst das Leben 
zu nehmen. Nur Gottes Hand, meinte er, habe ihn ab= 
gehalten, diesen Entschluß auszuführen. Auch auf seinen 
Gesundheitszustand wirkte jene Beschuldigung höchst nach= 
theilig. "Ich war," schreibt er 97), "so blaß und hager 
geworden, daß ich die Zähne mit den Lippen nicht mehr 
bedecken konnte; meine Gesichtslineamente waren vor Gram 
schrecklich verzerrt, die Augenbrauen waren hoch in die 
Höhe gestiegen und meine Stirn voll Runzeln; die Au= 
gen lagen wild, tief und finster im Haupte; die Ober= 
lippe hatte sich mit den Nasenflügeln emporgezogen, und 
die Winkel des Mundes sanken mit den häutigen Wan= 
gen herab. Wer mich sah, betrachtete mich starr, und blickte 
blöd von mir hinweg." [LG S. 207] 
 
Dem Hause, wo es ihm so trübe ergangen, entzog 
er sich im März 1763 durch eine heimliche Flucht. In 
dem Walde hinter dem Städtchen Rade in der Grafschaft 
Mark, wo er, gänzlich vom Gelde entblößt, mit bitterem 
Hunger kämpfte, kam ihm der Entschluß, wieder zu sei= 
nem Handwerke zurückzukehren, und es nie zu verlassen. 
Er kehrte wieder nach Rade zurück, wo er bei einem Manne, 
den er in seiner Selbstbiographie Meister Isaak nennt, [=Johann Jakob Becker; "Graue Mann", H. 12, 1802, S. 413 f. löst dies auf] 
Arbeit und Unterhalt fand. "Es ward mir," schreibt er, 
"dort wieder innig wohl; denn dieser Knecht Gottes klei= 
dete mich von Haupt bis zu Fuß, und versah mich mit 
allem, was ich brauchte." Jung war nicht unerkenntlich 
für die Beweise eines reinen Wohlwollens. Der Ent= 
schluß, seinen Wohlthäter, als er zehn Wochen in seinem 
Haus gelebt hatte, wieder zu verlassen, ward ihm schwer. 
Er kämpfte lange mit sich, ob er eine Hauslehrerstelle, 
die ihm um diese Zeit angeboten ward, übernehmen sollte. 
Die bittern Kränkungen, die er in der Hochbergischen 
Familie erfahren, schwebten ihm noch immer drohend 
--- 
97) s. a. a. O. S. 276. 
    
vor Augen. Den Antrag, der an ihn erging, machte ihm 
ein reicher Kaufmann, unweit Rade, den er in seiner 
Selbstbiographie "Herr Spanier" nennte. Der eigentliche 
Name dieses Mannes, der "an der krähwinkler Brücke 
wohnte," war Peter Johann Flender 98). Mit dem 
Amte als Hauslehrer, das er dort nach langem Kampfe 
mit sich selbst übernahm, war zugleich die Stelle eines 
Handelsdieners verbunden. 
 
Jung hatte in keiner Hinsicht Ursache, seinen Ent= 
schluß zu bereuen. Er ward von seinem neuen Herrn 
mit Wohlwollen und Auszeichnung behandelt. Seine 
Verhältnisse zu jenem vielseitig gebildeten und zartfühlen= 
den Manne waren so angenehm, daß ihm kaum ein bil= 
liger Wunsch übrig blieb, auf dessen Erfüllung er nicht 
mit Sicherheit hätte rechnen können. Auch um seine Bil= 
dung machte sich Flender mehrfach verdient. Er ließ 
ihn unter andern Französisch lernen. Durch den Unter 
richt, den er den Söhnen seinen Gönner im Lateinischen 
ertheilte, brachte Jung es in jener Sprache zu einer 
immer größern Vollkommenheit. Der Wunsch, zu studi= 
ren, regte sich wieder in ihm. Merkwürdig ist die Art 
und Weise, wie er auf die Idee kam, das Griechische zu 
lernen. Als er einst zum Zeitvertreib in Reiz's Ge= 
schichte der Wiedergeborenen las und das Wort [… grch. Eilikrineia] 
fand, stand dies Wort vor ihm, "als wenn es im Glanze 
gelegen hätte." Dabei fühlte er einen unwiderstehlichen 
Trieb, die griechische Sprache zu lernen, und einen ver= 
borgenen starken Zug zu etwas, das er noch gar nicht 
kannte, aber auch nicht zu sagen wußte, was es war. 
Er besann sich und dachte: Was will ich doch mit der 
griechischen Sprache machen? Wozu wird sie mir nützen? 
Welche ungeheure Arbeit ist das für mich, in meinem 28. 
Jahre noch eine so schwere Sprache zu lernen, die ich 
noch nicht einmal lesen kann! Allein alle Einwendungen 
der Vernunft waren fruchtlos; sein Trieb dazu war so 
groß und die Lust so heftig, daß er nicht genug eilen 
konnte, um zu Anfange zu kommen 99). Wirklich er= 
lernte er das Griechische im 28. Jahre seines Lebens und 
zwar mit großer Fertigkeit. "Ich applicirte mich," [ich legte mich = beschäftigte mich] er= 
zählt er selbst, "mit aller Kraft darauf, bekümmerte mich 
aber wenig um die Schulmethode, sondern suchte nur mit 
Verstand in den Genius der Sprache einzudringen, um 
das, was ich las, recht zu verstehen. Kurz, in fünf 
Wochen hatte ich auch die fünf ersten Capitel des Evan= 
geliums Matthäi, ohne Fehler gemacht zu haben, ins La= 
teinische übersetzt. Ein rechtschaffener Mann, Herr Pastor 
Seelburg, [= Johann Christoph Finke (1727-1785)] unterrichtete mich in der Aussprache, und 
die faßte ich gar bald. Bei dieser Gelegenheit machte 
ich mich auch ans Hebräische, und brachte es auch darin 
in Kurzem so weit, daß ich mit Hilfe eines Lexikons mir 
helfen konnte." [LG S. 237] 
 
Über diesen Sprachstudien verabsäumte er nicht, sich 
auch anderweitige Kenntnisse zu erwerben,. Vorzüglich 
beschäftigte er sich mit der Philosophie, und studirte fleißig 
die Schriften von Wolf und Leibnitz. Die Befriedi= 
--- 
98) s. Strieder a. a. O. S. 251.     99) s. Jung's Le= 
bensgeschichte S. 310 fg. 
    
gung, die er suchte, fand er nicht. In den Grundsätzen, 
die jene beiden Männer aufstellten, sah er zwar eine fort= 
laufende Kette von Wahrheiten, aber das Princip, von 
welchem die Folgerungen ausgingen, schien ihm falsch. 
Das wahre, meinte er, müsse erst gefunden werden, und 
dann sei die wahre Philosophie gegeben. "Ich glaubte," 
gestand er in spätern Jahren 1) [Vorwort a. a. O.], "die Logik müßte in den  
Eigenschaften der Dinge eben das sein, was das Rech= 
nen in Ansehung ihrer Größe und Zahl ist, und so gab 
ich mir erstaunliche Mühe im Definiren und Demonstri= 
ren. Freilich fand ich nun, daß man in Erfindung sol= 
cher Wahrheiten nicht zur mathematischen Gewißheit kom= 
men könne. Zugleich aber fing ich an zu glauben, daß 
das eben nicht nöthig sei, indem man sich mit der mora= 
lischen wohl begnügen könne." 
 
Aber auch Jungs's lebhafte Phantasie verlangte Be= 
friedigung. Schon als Kind hatte ihn die Dichtkunst be= 
zaubert, besonders Homer's und Virgil's Werke, die er 
in allen teutschen Übersetzungen gelesen. Das Epos schien 
die poetische Gattung zu sein, für die er eine besondere 
Vorliebe fühlte. Mit steigender Begeisterung las er Mil= 
ton's verlorenes Paradies, Young's Nachtgedanken 
und Klopstock's Messiade. Über diesen poetischen Be= 
schäftigungen vernachlässigte er nicht die gewissenhafte Er= 
füllung der Pflichten, die seine Stelle als Handlungs= 
diener ihm auferlegte. Durch rastlose Thätigkeit erwarb 
er sich die volle Zufriedenheit seines Principals, der ihm 
die Aufsicht über zwei entfernte Eisenhämmer übertrug. 
Er ernte das Handels= und Fabrikwesen gründlich kennen. 
Immer aber regte sich in ihm, so günstig sich auch seine 
Verhältnisse gestaltet hatten, die Sehnsucht nach einem 
andern Berufe. Worin derselbe eigentlich bestehen sollte, 
war ihm nicht ganz klar. Er fühlte wohl, daß er zum 
Gelehrten geschaffen sei. Wenn er jedoch die einzelnen 
Facultäten musterte, fand er an keiner ein eigentliches 
Behagen. Das unbestimmte Verlangen, in einen andern 
Wirkungskreis zu treten, so wenig er sich davon genaue 
Rechenschaft geben konnte, machte ihn unzufrieden mit 
seiner Lage. Was ihm aufgetragen ward, besorgte er 
pünktlich, aber er that es nicht mit Lust und Liebe zur 
Sache. Unruhig warf er oft einen Blick in die Zukunft. 
Ihn bekümmerte der Gedanke, was aus ihm werden sollte. 
Zum Handwerksmann war er nicht geboren; von einem 
Schulamte schreckten ihn die trüben Erfahrungen, die er 
gemacht, zurück, und zum Kaufmannsstande, wenn er 
auch wirkliche Neigung dazu in sich verspürt hätte, fehlte 
er ihm an Vermögen. 
 
Von dem Schwanken in der Wahl eines künftigen 
Lebensberufs befreite ihn sein Principal, der Kaufmann 
Flender. Er rieth ihm, Medicin zu studiren. Wie leb= 
haft Jung diese Idee ergriff, schildert die Antwort, die 
er dem für sein Wohl besorgten Manne gab. Ganz be= 
wegt rief er aus: "Was soll ich sagen? Was soll ich den= 
ken? Das ists, wozu ich bestimmt bin. Ja, ich fühle in 
meiner Seele, das ist das große Ding, das immer vor 
mir verborgen gewesen, das ich so lange gesucht und 
--- 
1) s. Strieder a. a. O. S. 251 fg. 
    
nicht habe finden können. Dazu hat mich der himmlische 
Vater von Jugend auf durch schwere und scharfe Prü= 
fungen vorbereiten wolle. Gelobt sei der barmherzige 
Gott, daß er mir doch endlich seinen Willen offenbart 
hat. Nun will ich auch getrost seinem Winke folgen 2)." [LG S. 238] 
In dieser religiösen Stimmung warf er einen Rückblick 
auf sein bisheriges Leben. Überall glaubte er in seinen 
Schicksalen eine höhere Leitung und die unverkennbare Ab= 
sicht wahrzunehmen, ihn dem Ziele, nach der er jetzt 
strebte, entgegen zu führen. "Ich sahe klar ein," schreibt 
er, "warum ich eine so abgesonderte Erziehung genossen, 
warum ich die lateinische Sprache so früh habe lernen 
müssen, warum mein Trieb zur Mathematik und zur Er= 
kenntniß der verborgenen Kräfte der Natur mit eingeschaf= 
fen, warum ich durch Leiden beugsam und bequem ge= 
macht worden, allen Menschen zu dienen, warum eine 
Zeit her meine Lust zur Philosophie so gewachsen, daß 
ich die Logik und Metaphysik habe studiren müssen, und 
warum ich endlich zur griechischen Sprache solche Neigung 
bekommen." 
 
Sein Principal befreiete ihn von einem Theile der 
Handelsgeschäfte, um ihm die nöthige Muße zu seinen 
Studien zu gönnen. Neben der Erweiterung seiner Sprach= 
kenntnisse las er Krüger's Naturlehre, und suchte aus 
Büchern mit den ersten Elementen der Anatomie bekannt 
zu werden. Nach und nach studirte er, wie er selbst er= 
zählt, "alle Disciplinen der Arzneikunde so gründlich, als 
es ihm seine Zeit irgend erlaubte." Seinem Vater hatte 
er seinen Entschluß, auf einer auswärtigen Universität 
Medicin zu studiren, gemeldet, doch von ihm die Ant= 
wort erhalten, daß er auf keine Unterstützung rechnen 
könnte. So war Jung wieder allein au das Vertrauen 
zu Gott und der Vorsehung hingewiesen, die ihn, wie er 
meinte, noch nie ganz verlassen habe. Schwer ward ihm 
die Trennung von der Flender'schen Familie, in der 
er viel Gutes genossen. Dazu kam der Umstand, 
daß er ein Mädchen, mit dem er sich verlobt, und die 
er Christine nennt 3), zurücklassen mußte. Sie war 
die Tochter eines Bandfabrikanten in Rensdorf [sic; Ronsdorf] bei Elber= 
feld, und war späterhin (1770) Jung's Gattin. 
 
Viel Rühmliches sagt er von dem Charakter eines 
Mannes, Troost mit Namen, der ihn auf der Reise 
nach Strasburg begleitete. Er war Chirurg, und wollte 
dort einen anatomischen Cursus machen und überhaupt 
seine chirurgischen Kenntnisse erweitern. Sich zu einem 
tüchtigen Arzte zu bilden, war die Absicht Jung's. Eine 
interessante Bekanntschaft machte er bald nach seiner An= 
kunft in Straßburg. In die Wirthshausstube, wo er 
und andere Gäste zu Mittag speisten, trat ein junger 
Mann, "mit großen hellen Augen, prachtvoller Stirn 
und schönem Wuchs, den man Herr Goethe nannte 4)." 
Er gewann sogleich Jung's Herz durch die Art und Weise, 
wie er den auf ihn zielenden Spott eines der Anwesenden, 
--- 
2) s. Jung's Lebensgeschichte S. 312.     3) s. a. a. O. 
S. 324.     4) s. a. a. O. S. 341 fg. Durch einen schönen 
Kupferstich hat Chodowiecky diese Scene verewigt in Heinrich 
Stilling's Wanderschaft. (Berlin 1778.) S. 158. 
    
ob wol Adam im Paradiese eine Perücke möchte getragen 
haben, ernst rügte. Unwillig äußerte Goethe, während 
die Übrigen lachten: "Probirt erst einen Menschen, ob 
er des Spottes werth sei. Es ist teufelsmäßig, einen 
rechtschaffenen Mann, der Niemanden beleidigt hat, zum 
Besten zu haben!" 
 
Das freundschaftliche Verhältniß, daß sich seit diesem 
Augenblicke zwischen Goethe und Jung bildete, ward 
befestigt durch die Humanität, womit jener seines Freun= 
des eigenthümlichen Denk= und Empfindungsweise respec= 
tirte, und besonders seine religiösen Überzeugungen, so 
wenig sie mit den seinigen harmonirten, gänzlich unan= 
gefochten ließ. Mit Jung's Äußerem beginnt die inter= 
essante Schilderung, die Goethe von seinem damaligen 
Zusammentreffen mit ihm entwirft 5). "Seine Gestalt, 
ungeachtet einer veralteten Kleidungsart, hatte, bei einer 
gewissen Derbheit, etwas Zartes. Eine Haarbeutelperücke 
entstellte nicht sein bedeutendes und gefälliges Gesicht. 
Seine Stimme war sanft, ohne weich und schwach zu 
sein, ja sie wurde wohltönend und stark, sobald er in 
Eifer gerieth, welches leicht geschah. Wenn man ihn 
näher kennen lernte, fand man an ihm einen gesun= 
den Menschenverstand, der auf dem Gemüthe ruhte, 
und sich deswegen von Leidenschaften und Neigungen be= 
stimmen ließ, und aus eben diesem Gemüthe entsprang 
eine Enthusiasmus für das Gute, Wahre; Rechte in mög= 
lichster Reinheit." 
 
Aus seinem bereits geschilderten Lebensgange, aus 
der wundersamen Verkettung seiner Jugendschicksale, die 
ihm einen "unverwüstlichen Glauben an Gott und dessen 
unmittelbare Hilfe" eingeflößt hatten, besonders aber auch 
aus der Wahl seines Umganges, der ihn in diesen Ansich= 
ten bestärkte, erklärt sich Goethe Jung's eigenthümliche 
Geistesrichtung. "Mit der größten Freudigkeit," sagt 
Goethe 6), "führte er zwar ein mäßiges, aber doch sorgen= 
loses Leben, wobei er seinen Studien aufs Ernstlichste ob= 
lag, wiewol er auf kein sicheres Auskommen von einem 
Vierteljahre zum andern rechnen konnte." Sehr begreif= 
lich ist, wie diese individuelle Denk= und Empfindungs= 
weise auch auf sein äußeres Benehmen übergehen mußte. 
Goethe sagt in dieser Beziehung von Jung: "Unter we= 
nigen, wenn auch nicht grade Gleichgesinnten, doch sol= 
chen, die sich seiner Denkweise nicht abgeneigt erklärten, 
fand man ihn nicht allein redselig, sondern beredt. Be= 
sonders erzählte er seine Lebensgeschichte auf das Anmu= 
thigste, und wußte dem Zuhörer alle Gegenstände deutliche 
und lebendig zu vergegenwärtigen. Ich trieb ihn, solche 
aufzuschreiben und er that's 7). Weil er aber in seiner 
--- 
5) s. Goethe's sämmtliche Werke. (Stuttgart 1840.) Bd. 21. 
S. 191.     6) a. a. O. S. 192.     7) Goethe erwarb sich um 
Jung das Verdienst, daß er die ersten Theile seiner Selbstbiographie 
zum Druck beförderte. Sie erschien mit Kupfern und Titelvignetten 
von Chodowiecky zu Berlin 1777 – 1789 in 5 Octavbänden und 
ward ebendaselbst 1789 – 1806 neu aufgelegt. Der erste Theil 
enthält Heinrich Stilling's Jugend, der zweite seine Jünglingsjahre, 
der dritte seine Wanderschaft, der vierte sein häusliches Leben, der 
fünfte endlich seine Lehrjahre. Einen sechsten Theil fügte Jung's 
Schwiegersohn, der großherzoglich badische Kirchenrath und Profes= 
    
Art sich zu äußern einem Nachtwandler glich, den man 
nicht anrufen darf, wenn er nicht von seiner Höhe her= 
abfallen, einem sanften Strom, dem man Nichts entgegen= 
stellen darf, wenn er nicht brausen soll: so mußte er sich 
in größerer Gesellschaft oft unbehaglich fühlen. Sein 
Glaube duldete keinen Zweifel, und seine Überzeugung 
keinen Spott. Und wenn er in freundlicher Mittheilung 
unerschöpflich war, so stockte gleich Alles bei ihm, wenn 
er Widerspruch erlitt. Ich half ihm in solchen Fällen 
gewöhnlich über, wofür er mich mit aufrichtiger Neigung 
belohnte. Da mir seine Sinnesweise nichts Fremdes 
war, sie mir auch in ihrer Natürlichkeit und Naivität 
überhaupt wohl zusagte, so konnte er sich mit mir durch= 
aus am besten finden. Die Richtung seines Geistes war 
mir angenehm, und seinen Wunderglauben, der ihm so 
wohl zu statten kam, ließ ich unangetastet." 
 
Erwähnt zu werden verdient, daß Goethe, dessen 
Antheil an seinen Jugendfreunden in spätern Jahren oft 
gänzlich erkaltete, wofür sich unter andern die Belege in 
seinem Verhältnisse zu Lavater finden, für Jung immer 
ein fast ungeschwächtes Interesse behielt. Er besuchte ihn 
auf seiner bekannten Reise ins Bad zu Ems 1774 zu 
Elberfeld, und noch zwei Jahre vor Jung's Tode (1815) 
zu Karlsruhe, wo dieser nur bedauerte wegen einer nicht 
aufzuschiebenden Reise sich nur kurze Zeit des Wiedersehens 
seines Jugendfreundes erfreuen zu können. Durch Goethe 
war übrigens Jung während seines Aufenthaltes in Stras= 
burg auch mit dessen Freunden, dem Actuarius Salz= 
mann, mit Lerse, dem nachherigen Inspector der Pfef= 
fel'schen Kriegsschule in Kolmar, und mit Lenz, dem 
talentvollen und originellen Dichter, der in der bekannten 
Sturm= und Drangperiode eine bedeutende Rolle spielte 8), 
in nähere Berührung gekommen. Am innigsten harmo= 
nirte er mit dem "ehrwürdigen Salzmann," wie er ihn 
selbst in spätern Jahren nannte 9). "Auch Salzmann," 
--- 
sor der Theologie in Heidelberg, Dr. F. H. C. Schwarz, hinzu, 
unter dem Titel: Heinrich Stilling's Alter. Beigefügt ist dieser Schrift 
eine Schilderung von Jung's Lebensende und ein Nachwort, eine 
Art von Charakteristik Jung's enthaltend. Eine neue vollständige 
Ausgabe dieses Werkes, in Octav und Taschenformat gedruckt, er= 
schien zu Stuttgart 1843, mit Jung's Portrait und einer Abbil= 
dung seines Sterbelagers und Grabdenkmals. Beurtheilt ward das 
Werk in der Allgem. deutschen Bibliothek Bd. 36. [2. Stück, 1778] S. 606 fg. [so nach Strieder; recte S. 616-617] 
Bd. 96. [2. Stück, 1790] S. 433 fg. Allgem. Literaturzeitung 1791. Nr. 204. [1791-10-01] 
Neu. Allgem. deutsch. Bibliothek Bd. 95. [1. Stück, 1805] S. 432 fg. Neu. theo= 
logisch. Annalen 1805. St. 13. S. 254 fg. [= S. 251-255] Eine kurze geistreiche 
Anzeige der drei ersten Theile von Jung's Lebensgeschichte steht in 
Pfenniger's christl. Magazin. (Zürich 1779.) St. 2. S. 442 fg. [recte S. 242-243] 
Dort wird das erwähnte Werk ein "Kleinod aus dem Heiligthume 
der göttlichen Vorsehung" genannt. "Beinahe alles lebt und webt 
in einem so guten und reinen Elemente frommer, froher Einfalt, 
Kinderweisheit und Wahrheit; alles ist so schmucklos und doch mit 
so köstlichem, lebendigem Schmucke reich besetzt u. s. w., daß wir 
das seltenste Vergnügen bei dieser Lectüre empfanden." Angehängt 
ist ein schönes Gedicht des Grafen Friedrich Leopold zu Stol= 
berg, mit der Überschrift: "An den Verfasser von Stilling's 
Jugend." 
8) Jacob Michael Reinhold Lenz, aus Seszwegen in 
Livland gebürtig, starb am 24. Mai 1792 in Moskau.     9) s. 
Strieder a. a. O. S. 253. 
    
sagt Goethe 10), "betrug sich schonend gegen ihn; scho= 
nend, sage ich, weil Salzmann, seinem Charakter, We= 
sen, Alter und Zuständen nach, auf der Seite der ver= 
nünftigen oder vielmehr verständigen Christen stehen und 
halten mußte, deren Religion eigentlich auf der Recht= 
schaffenheit des Charakters und auf einer männlichen Selb= 
ständigkeit beruhte, und die sich daher nicht gern mit Em= 
pfindungen, die sie leicht ins Trübe, und Schwärmerei, 
die sie bald ins Dunkle hätte führen können, abgaben und 
vermengten." 
 
Auch mit Herder, der damals nach Strasburg ge= 
kommen war, um sich durch den berühmten Arzt Lob= 
stein eine Thränenfistel operiren zu lassen 11), war Jung 
durch Goethe näher bekannt geworden. Den Eindruck, 
den Herder auf ihn machte, schildert Jung mit den Wor= 
ten 12): [LG S. 271] "Nie habe ich einen Menschen mehr bewundert, als 
diesen Mann. Herder hat nur Einen Gedanken, und 
dieser ist eine ganze Welt. Er machte mir einen Umriß 
von Allem in Einem, ich kann's nicht anders nennen, 
und wenn jemals ein Geist einen Stoff bekommen hat 
zu einer ewigen Bewegung, so bekam ich ihn durch Her= 
der, und dies darum, weil ich mit diesem herrlichen Ge= 
nie, in Ansehung des Naturells, noch beinahe mehr har= 
monirte, als mit Goethe." Auch Herder's Gattin 
bestätigt dies innige Verhältniß. "Jung=Stilling," 
schreibt sie 13), "schloß sich mit der ganzen Herrlichkeit ei= 
nes vertrauenden Freundes Herder'n an, und Herder 
achtete und liebte auch ihn, seines gutmüthigen religiösen 
Charakters wegen, aufrichtig; blieb auch diesem Gefühle 
immer treu, obgleich er später in Vielem von entgegen= 
gesetzter Meinung mit Jung war." 
 
Mit Eifer betrieb Jung seine medicinischen Studien. 
Spielmann, Lobstein, Schurer, Ehrmann u. A. 
waren seine vorzüglichsten Lehrer. Gründliche Kenntnisse 
erwarb er sich besonders in der Anatomie. Doch ver= 
säumte er auch außerdem Nichts, um sich zu einem tüch= 
tigen Arzte zu bilden. Förderlich war ihm hierzu auch 
das fleißige Besuchen der Krankenhäuser uns Hospitäler. 
Unter den Fortschritten, die er in seiner Wissenschaft machte, 
regte sich bald ihn ihm der Wunsch, das Erlernte auch 
Andern mitzutheilen. Sein eigenes Geständniß hierüber 
aus spätern Jahren verdient hier eine Stelle. "Ich kann 
nicht unbemerkt lassen," sagt er 14), [nach dem Vorwort a. a. O.] "daß schon als 
Schulmeister der mündliche Vortrag meine größte Lust ge= 
wesen ist. Im Siegenschen ist es ein alter Gebrauch, 
daß der Schulmeister des Sonntags Nachmittags für seine 
Dorfgemeinde einen Gottesdienst halten, und ihr eine 
Predigt aus einer Hauspostille vorlesen muß. Dieses war 
mir nun eine besondere Freude, und ich hatte es nach 
meiner Art in der Declamation soweit gebracht, daß ich 
in dem Vorlesen einen allgemein anerkannten Vorzug hatte, 
Als ich nun die Professoren in Strasburg zuerst ihre Col= 
--- 
10) s. Goethe's sämmtliche Werke Bd. 21. S. 194.     11) 
s. Erinnerungen aus Herder's Leben von s. Gattin Th. I. S. 157. [Stuttgart u. Tübingen: Cotta 1830] 
Herder's Leben von H. Döring S. 93 u. 95. [Weimar: Hoffmann 1823, 2. Aufl. 1829.]     12) s. Jung's 
Lebensgeschichte S. 350.     13) s. Erinnerungen aus Herder's Le= 
ben S. 159.     14) s. Strieder a. a. O. S. 253. 
    
legien lesen hörte, so wurde der Trieb in mir unwider= 
stehlich, auch solche Collegia zu halten, und ich beschloß 
daher, gleich den ersten Winter eine Lehrstunde in der 
Philosophie zu geben. Ich machte mein Vorhaben be= 
kann, und bekam eine Menge Zuhörer. Jetzt fing ich 
an, mich mit äußerstem Fleiß im öffentlichen Reden zu 
üben, und so setzte ich mich auch in der Weltweisheit im= 
mer fester. Nun fand ich aber auch allmälig, daß die 
Leibnitz=Wolfische Philosophie außerordentliche Lücken habe. 
Daher suchte ich höhere Quellen, und fand sie auch. 
Unter allen Wissenschaften, die ich studiren mußte, zogen 
mich die Physik und Chemie besonders an, und das zweite 
Jahr las ich für Herrn Spielmann die Chemie publice." 
 
Durch seine Inauguraldissertation: de historia Mar- 
tis Nassovico-Sigenensis 12), die er ohne Präses am 
22. März 1772 zu Strasburg vertheidigte, erlangte Jung 
den Grad eines Doctors der Medicin. Zwei Tage später 
verließ er Strasburg und seine dortigen Freunde. In 
Mannheim überreichte er seine akademische Probeschrift 
dem Kurfürsten von der Pfalz. Die kurfürstliche Gesell= 
schaft der Wissenschaften zu Mannheim ernannte ihn zu 
ihrem correspondirenden Mitgliede. Für die Ausübung 
seiner ärztlichen Praxis ward ihm die Handelsstadt Elber= 
feld im Herzogthum Berg angewiesen. Dort ließ er 
sich mit seiner geliebten Christine nieder, die bereits am 
17. Juni 1771 seine Gattin geworden, als er Strasburg 
auf einige Zeit verlassen und in seine Heimat zurückge= 
kehrt war. Kaum aber hatte er seine ärztliche Praxis 
begonnen, als sich ihm immer mehr die Überzeugung auf= 
drang, daß er einen Beruf gewählt, dem er nicht gewach= 
sen sei. Sein eigenes Geständniß aus spätern Jahren 
verdient hier eine Stelle. "Ich hatte mir," schreibt er 16), 
"die praktische Heilkunde viel wissenschaftlicher und gewis= 
ser vorgestellt, fand aber nun in den meisten Fällen, daß 
die Prämissen, woraus ich meine Heischesätze folgern sollte, 
ganz vor meinen Augen verborgen waren, und daß ich 
mehrmals als bloßer Empiriker verfahren mußte. Dazu 
kam noch, daß ich mich mit diesem Berufe nähren mußte, 
weil wir, ich und meine Frau, kein Vermögen hatten. Nun 
waren aber, außer mir, noch vier wackere Ärzte in der 
Stadt, die alle in voller Wirksamkeit standen, und sich, 
so zu sagen, in die ganze Einwohnerschaft getheilt hat= 
ten, sodaß für mich Niemand übrigblieb, als die Armen 
und solche Kranke, die kein Mensch heilen konnte, und 
die also noch ihr Heil bei mir versuchten. Ich hatte also 
genug zu thun, aber ich konnte nicht von meiner Praxis 
leben, denn ich wurde nicht bezahlt. Dazu kam noch 
mein natürlicher Hang zur Wohlthätigkeit, und eine im= 
merwährende Kränklichkeit meiner Frau, sodaß mein Zu= 
stand viel trauriger wurde, als jemals. Es waren schreck=  
liche sieben Jahre, die ich in Elberfeld verlebt habe. In 
der ersten Zeit verzweifelte ich noch nicht ganz, und ich 
fing an, mit äußerstem Fleiß zu untersuchen, ob die Arz= 
neikunde nicht mehrerer Gewißheit fähig sei. Ich studirte 
also mit äußerstem Eifer, durchkroch, so zu sagen, alle 
--- 
15) Argentorati 1772. 4.     16) s. Strieder a. a. O. 
S. 254. 
    
Winkel dieser Wissenschaft, las beständig physiologische 
und chirurgische Collegia für die jungen Wundärzte, und 
that überhaupt, was ich konnte. Allein ich fand am Ende, 
daß ich nie als praktischer Arzt glücklich sein würde, weil 
es mir zwar wohl nicht an Wissenschaft, wol aber an dem un= 
nennbaren Etwas fehlte, das auch den sehr mittelmäßigen 
Arzt zu beglücken fähig ist." [Vorwort a. a. O.] 
 
In ähnlicher Weise schildern Jung's ungünstige Ver= 
hältnisse mehrere Stellen in seiner mehrfach erwähnten ei= 
genen Lebensgeschichte. Er sagt dort unter andern 17): [LG S. 302] 
"Mit meinem Berufe und Krankenbedienung war es eine 
sonderbare Sache. So lange ich unbemerkt unter den 
Armen und unter dem gemeinen Volke wirkte, so lange 
that ich vortreffliche Curen; fast Alles gelang mir. So= 
bald ich aber einen Vornehmen, auf den viele Augen ge= 
richtet waren, zu bedienen kam, so wollte es auf keiner= 
lei Weise fort. Daher blieb mein Wirkungskreis immer 
auf Leute, die wenig bezahlen konnten, eingeschränkt. 
Doch äßt sich dieser seltsam scheinende Umstand leicht be= 
greifen. Meine ganze Seele war System. Alles sollte 
mir nach Regeln gehen. Daher hatte ich gar keine An= 
lage zu der feinen und erlaubten Charlatanerie, die dem 
praktischen Arzt, der etwas verdienen und vor sich brin= 
gen will, so nöthig ist. Wenn ich also einen Kranken 
sah, so untersuchte ich seine Umstände, machte alsdann 
einen Plan, und verfuhr nach demselben. Gelang mir 
mein Plan nicht, so war ich aus dem Felde geschlagen, 
nun arbeitete ich mit Verdruß, und konnte mir nicht mehr 
helfen. Bei gemeinen und robusten Körpern, in welchen 
die Natur regelmäßiger und einfacher wirkt, gelang mir 
meine Methode am leichtesten; aber da, wo Wohlleben, 
feinere Nerven, verwöhnte Empfindung und Einbildung 
mit im Spiele waren, und wo die Krankenbedienung aus 
hunderterlei Arten von wichtig scheinenden Geschäften zu= 
sammengesetzt sein mußte, da war ich nicht zu Hause. 
Das Alles flößte mir allmälig einen tiefen Widerwillen 
gegen die Arzneikunst ein, und blos der Gedanke: Gott habe 
mich zum Arzte bestimmt, und er werde mich also nach 
und nach in meinem Berufe glücklich machen, erhielt meine 
Seele aufrecht und in unermüdeter Thätigkeit. Aus die= 
sem Grunde faßte ich schon im ersten Sommer den rie= 
senmäßigen Entschluß, so lange zu studiren und durchzu= 
denken, bis ich es in meinem Berufe zur mathematischen 
Gewißheit gebracht hätte. Ich kam auch bei dieser müh= 
seligen Arbeit auf wichtige Spuren, und entdeckte viele 
neue philosophische Wahrheiten; allein je weiter ich forschte, 
desto mehr fand ich, daß ich immer unglücklicher werden 
würde, je mehr Grund und Boden ich in meinem Be= 
rufe fand; denn ich sah immer mehr ein, daß der Arzt 
sehr wenig thun, also auch wenig verdienen könne. Dar= 
über wurde meine Hoffnung geschwächt, die Zukunft vor 
meinen Augen dunkel, grade wie ein Wanderer, den auf 
unbekannten gefährlichen Wegen ein düsterer Nebel über= 
fällt, daß er keine zehn Schritte vor sich weg sehen kann. 
Ich warf mich also blindlings in die Vaterarme Gottes, 
--- 
17) S. 388 fg. 
    
hoffte, wo Nichts zu hoffen war, und pilgerte meinen Weg 
schwermüthig fort." 
 
Dies unerschütterliche Vertrauen sah Jung belohnt, 
als einst zu einer Zeit, wo seine Casse gänzlich erschöpft 
war und der Druck seiner Lage den höchsten Grad erreicht 
hatte, der Briefträger, mit einem Quittungsbüchelchen in 
der Hand, zu ihm ins Zimmer trat. Er überbrachte 
ihm 150 Thaler in Golde. Der Brief, der diese Summe 
begleitete, war von Goethe, der ohne sein Wissen, den 
Anfang seiner Lebensgeschichte unter dem Titel: "Stil= 
ling's Jugend" hatte drucken lassen und ihm das Honorar 
für dies Werk sandte. Der Eindruck, den diese Überra= 
schung auf Jung machte, war tief und bleibend. Er 
faßte den festen Entschluß "nie mehr zu wanken und zu 
zweifeln, sondern alle Leiden mit Geduld zu ertragen 18)." [LG S. 344] 
 
Einigermaßen verbesserte sich seine Lage durch die 
Sensation, welche einige glückliche Staaroperationen mach= 
ten, die er damals unternahm. Ein Artikel in der frank= 
furter Zeitung vom J. 1777 rühmte öffentlich seine Ge= 
schicklichkeit. Er erhielt dadurch als Augenarzt eine ge= 
wisse Celebrität. Lange hatte er aus Mangel an Vertrauen 
zu sich selbst gezögert, von diesem Theile seiner Praxis 
den er unter Lobstein's Leitung in Strasburg eifrig 
betrieben, eigentlichen Gebrauch zu machen, und er über= 
häufte sich nun selbst mit Vorwürfen. 
 
Einen Antrieb zu literarischer Thätigkeit, außerhalb 
des Kreises der Medicin, erhielt Jung um diese Zeit 
durch Johann Georg und Friedrich Heinrich 
Jacobi, die er im Herbst 1772 kennen lernte. In 
seiner Lebensgeschichte bezeichnet er jene beiden geistreichen 
Männer mit dem Namen der "Brüder Vollkraft." Un= 
geachtet der ihm eigenthümlichen Schüchternheit, die er 
beiden gegenüber zeigte, und die er überhaupt in Gegen= 
wart reicher und vornehmer Personen nie ganz verleugnen 
konnte, erkannte Friedrich Heinrich Jacobi in Jung 
den denkenden Kopf. Er foderte ihn auf zu schriftstelle= 
rischen Arbeiten, denen er durch seine Bekanntschaft mit 
Wieland einen Platz im teutschen Merkur zu verschaf= 
fen hoffte. Anonym erschien dort von Jung eine orien= 
talische Erzählung, "Ase=Neitha" betitelt 19). Eine große 
Übereilung, die er bald nachher bitter bereute, ließ sich 
Jung zu Schulden kommen, als er, entrüstet über die 
Ausfälle, die sich Fr. Nicolai in Berlin gegen die Pie= 
tisten erlaubt hatte, gegen den genannten Autor eine po= 
lemische Schrift richtete. Er nannte sie die Schleuder 
eines Hirtenknaben gegen den Hohnsprechenden 
Philister, den Verfasser des Sebaldus Noth= 
anker. Schon dieser Titel zeigte, in welchem Tone diese 
Schrift abgefaßt war. Das Manuscript hatte Jung wi= 
der den Rath seiner Freunde, der Eichenberg'schen 
Buchhandlung in Frankfurt a. M. übergeben 20). In ei= 
ner dieser Schrift vorgeschalteten "Nachricht an das 
Publicum" sagt Jung: "Alle die mich kennen, werden 
--- 
18) s. Jung's Lebensgeschichte S. 438.     19) s. den Deut= 
schen Merkur 1773. Bd. 3. St. 3. S. 223 fg. Bd. 4. St. 2. 
S. 119 fg.     20) Die Schrift erschien dort 1775; vgl. Jung's 
Lebensgeschichte S. 433. 
    
bei Lesung dieser Blätter staunen und sagen: wie kommt 
der zu einem solchen scharfen und hämischen Styl? – 
Die mich aber nicht kennen, werden mich gewiß aus fol= 
genden Bogen auch nicht kennen lernen. Es war mei= 
nem Herzen recht lästig, einem Menschen zu Leibe zu ge= 
hen, der mich gradezu nicht mehr beleidigt hat, als auch 
andere Chrsiten. Beiden Arten von Lesern aber muß ich 
aufrichtig sagen, daß ich einen Antrieb in meinem Gewis= 
sen fühlte, dem Herrn Verfasser des Sebaldus Noth= 
anker und denen, die über seine ungesalzenen Schmiere= 
reien lachen, öffentlich vor der ganzen Welt ins Gesicht 
zu sagen, daß er ein boshafter Spötter der Religion und 
ein Stümper von Romanschreiber sei. Dieses nicht nur 
zu sagen, sondern auch zu beweisen, ist gar nicht schwer. 
Ein ernster Zweifler, der mit Wahrheitsliebe die Grund= 
sätze der christlichen Religion untersucht, muß weder ge= 
striegelt, noch gehechelt werden. Ein Jeder sei seiner 
Meinung gewiß, und wer's glaubt zu sein, der ist glück= 
selig. Ich für meinen Theil bin der Wahrheit von Jesu 
Christo, seiner seligmachenden Gnade, der Wiedergeburt, 
Rechtfertigung und Heiligung so gewiß, als der strengsten 
mathematischen Wahrheiten. Die wunderbaren Schicksale 
meines Lebens, und die sichtbaren Erhörungen meiner 
Seufzer zu Jesu Christo, sind mir mehr als alle Demon= 
strationen. Allein wenn ein anderer, sonst gutherziger, 
ehrlicher Mann diese Überzeugung nicht hat, soll ich den 
nicht hoch schätzen? – Die witzigen Spöttereien Vol= 
taire's haben die Gottesgelehrten rege gemacht, daß sie 
ihm durch vernünftige Beweisgründe haben begegnen wol= 
len. Dadurch aber ist noch mehr Schaden, als Nutzen 
angerichtet worden; denn da die christliche Religion sich 
nur auf historische Thatsachen und auf eigene Seelener= 
fahrung gründet, so ist klar, daß durch die Demonstra= 
tion weiter Nichts herauskam, als ein heidnisch=moralisch= 
philosophisches Christenthum, nicht viel besser als Confu= 
cianismus, Mahometismus und dergleichen. Aus diesen 
Abweichungen der Theologen von der uralten aposto= 
lischen Bekehrungsmethode sind nun leider mehr Soci= 
nianer=Naturlaisten, Deisten, Freigeister und Spötter 
entstanden, als durch alle Voltair'schen Witzeleien. 
Hätte man die Leute auf den Glauben an den auferstan= 
denen Weltheiland, zum Gebet um Erleuchtung und zu 
rechtschaffener Sinnesänderung verweisen, und sie dazu 
angehalten, ohne sich mit dergleichen Thorheiten abzuge= 
ben, indem es nicht möglich ist, daß Sachen, die vor 
vielen hundert Jahren geschehen sind, mathematisch de= 
monstrirt werden können: so würde man erfahren haben, 
daß Christus Recht habe, wenn er sagt, daß diejenigen, 
welche den Willen seines himmlischen Vaters thun wür= 
den, inne werden sollten, daß seine Lehre von Gott sei. – 
Es ist gewiß, daß wir Menschen, wenn wir das Ziel 
unserer Schöpfung, die wahre Glückseligkeit, erreichen wol= 
len, unserer Sinnlichkeit absterben, und einen ihr entge= 
gengesetzten Weg einschlagen müssen. Diesen Weg zeigt 
uns nun die christliche Religion. Es läßt sich leicht be= 
greifen, daß eine höhere Kraft zu unserer Besserung nö= 
thig sei, als die wir selbst besitzen; denn da es ein Wi= 
derspruch ist, daß eine Kraft sich selber sollte überwinden 
    
    
können, so folgt natürlich, daß noch eine andre hinzu= 
kommen müsse, wenn wir uns selbst überwinden sollen. 
Nun ist aber Christus dazu Mensch geworden; dazu hat 
er gelitten; dazu ist er auferstanden, daß er durch seinen 
Geist, durch seine Gnade auch in uns die Werke des 
Fleisches (d. i. die Reize der Sinnlichkeit) zerstöre und 
überwinde. Diese Vervollkommnung thut aber freilich, 
sonderlich im Anfange, dem Menschen wehe. Und darum 
haben die Philosophen von jeher gesucht, ob man nicht  
einen andern Weg finden könne, der gemächlicher sei; 
und dieses ist endlich, wenigstens menschlichem Wesen [recte: Wahne] nach, 
gelungen. Spinoza und Edelmann brachen das Eis; 
sie wußten den Faden so einzufädeln, daß, da einmal 
gefunden worden, daß die Welt mit den Menschen eine 
Maschine sei, die nach ununterbrochenen gesetzmäßigen 
Folgen ihre Umwälzungen in einem fort verrichtete, nun= 
mehr die immerwährende fortdauernde Mitwirkung des 
Schöpfers nicht mehr nöthig sei. Gott, das liebenswür= 
digste Wesen, das von Anbeginn sich als einen König der 
Menschen immer in Regierung derselben thätig bewiesen, 
wurde nunmehr als ein von der Welt entfernter Gott 
angesehen, der sich gar nicht mehr mit seiner Hände 
Werk melirte. Leibniz und nach ihm Wolf [sic; Wolff] traten in 
Teutschland auf, da sie aber von den allerersten Grund= 
sätzen der Erstern nicht genugsam abwichen, nicht genug 
die Erfahrungssätze der göttlichen Offenbarung an die Welt 
in ihr System einflochten: so wurde die Sache, ob sie 
es schon beide recht gut meinten, gar nicht gebessert. Gott 
bleibt immer ein metaphysischer Gott, und dem Alter= 
thume zu Ehren, und aus Höflichkeit glaubt man noch 
immer, daß ehemals ein guter Mann in der Welt ge= 
wesen, der Christus geheißen habe. Da nun die Leib= 
niz=Wolfische Lehre zur Schulphilosophie geworden 
(wir haben auch wirklich keine bessere), so werden junge 
Leute, die studiren sollen, dadurch zum Demonstriren ein= 
geleitet. Die Seele, des Demonstrirens gewohnt, betrachtet 
nun Alles mit mathematischem Auge, geht mit die= 
ser Rüstung ins Religionssystem ein; da kann sie nun nicht 
mehr fort, da heißt's: Glaubet an das 
Evangelium. Der Jüngling, der gewohnt ist, immer: 
Warum zu fragen, erschrickt, daß er ohne Demonstra= 
tion glauben soll; jetzt fällt ihm ein Buch vom Vol= 
taire in die Hand, und, siehe da! er wankt und zweifelt. 
Dies ist, nach meiner Meinung, die erste Quelle, wor= 
aus unsre heutige freigeisterische Zeiten zu erklären 
sind. Wie sehr wäre es nun zu wünschen, daß unsere 
Gottesgelehrten endlich einmal aufhörten, in Religions= 
sachen aus vernünftig sein sollenden Grundsätzen zu de= 
monstriren. Nichts aber ist verkehrter, als gar die Bi= 
bel darnach reformiren zu wollen! Ist die Vernunft über 
die Offenbarung, ei! so haben wir sie nicht nöthig, und 
wir sind Heiden, wie die Griechen und Römer waren; 
und alsdann ist die Anlage des menschlichen Geistes vom 
Schöpfer übel gemacht worden, und alle seine  großen 
Messiasanstalten, von Anfang der Welt her, sind ver= 
geblich gewesen. Ist aber die Offenbarung über die Ver= 
nunft: so arbeiten die Theologen, welche sie reformiren 
wollen, gegen Gott, und also zum Verderben. Es läßt 
 
    
    
sich also einsehen, wie behutsam heutigen Tages ein Schrift= 
steller zu Werke gehen müsse, der von Religionssachen 
schreiben will, daß er weder zum Aberglauben, noch zum 
Unglauben wanke. Doch kann keine größere Frevelthat 
begangen werden, als wenn ein Mensch bei so kritischen 
Umständen auf die allerinsinuanteste Weise auftritt, und 
die äußere sowol als innere Verfassung unserer lie= 
benswürdigsten Religion zu untergraben sucht – der Re= 
ligion, die doch in den beinahe achtzehnhundert Jahren, 
die sie gedauert, mehr gute und rechtschaffne Menschen, 
bei aller ihrer Ausartung, gebildet hat, als die ersten vier= 
tausend Jahre alle Religionen zusammen; ich will von 
der individuellen Glückseligkeit eines jeden wahren Christen 
nicht einmal reden. – Bei allen diesen kritischen Um= 
ständen tritt in der Mitte der protestantischen Kirche ein 
Buchhändler, Herr Nicolai in Berlin, auf, schreibt mit 
einer ironischen Laune einen Roman, unter dem Titel: 
Leben und Meynungen des Herrn Magister Se= 
baldus Nothanker 21), ein Buch, worin die Prediger 
der protestantischen Kirche, und mit ihnen die allertheuer= 
sten Wahrheiten der Religion, auf eine so infame Weise 
durchgezogen und lächerlich gemacht werden, daß es mit 
Thränen nicht genug zu beklagen ist, wie viel Menschen 
dadurch zu lachen und zu sündigen gereizt werden. – [Auslassung von Text] 
Dieses schädliche Buch hab ich mir vorgenommen zu wi= 
derlegen, und die Ehre der Religion gegen diesen Hohn 
sprechenden Philister zu vertheidigen. Und weil ein 
trockner dogmatischer Styl von unsern teutschen Jüng= 
lingen nicht würde gelesen werden, so hab' ich mich ei= 
ner aufgeweckten Schreibart bedienen müssen. Ich habe 
den Verfasser nicht mehr schonen können, als geschehen 
ist: Niemand verdient mehr bittere Verweise, als einer, 
der göttlichen Dingen hohnspricht, ohne Mittel zu et= 
was Besserem anzuweisen. Ich hoffe, keiner Entschuldi= 
gung nöthig zu haben, daß ich als Arzt mich mit theo= 
logischen Sachen abgebe. Ein jeder jeder Christ ist verbunden, 
seine Religion zu vertheidigen, wo ihr gradeswegs und 
noch mit Hohn widersprochen wird. Überdies kommen 
dergleichen Bücher selten den Theologen in die Hände; 
wie können sie aber vertheidigen, wenn sie von Nichts 
wissen? Und endlich greift der Verfasser die Prediger vor= 
nehmlich an. Es wird also mir, als einem Unparteiischen, 
besser anstehen, ihm unter Augen zu treten. 
 
Jung's friedliche Natur verleugnete sich gänzlich in 
der heftigen Polemik, womit er der Vernunft durchaus 
keine Stimme in Glaubenssachen einräumen wollte. Bald 
aber regte sich in ihm, wie er selbst gesteht 22), die Be= 
sorgniß, "er möchte für dumm orthodox gehalten werden." 
Unter dem Titel: "Die große Panacee gegen die Krank= 
heit des Unglaubens" schrieb er daher eine Abhandlung, 
die er der Eichenbergischen Buchhandlung in Frankfurt 
--- 
21) Berlin 1773. Vierte Aufl. ebendas. 1799. 3 Bde. Mit 
Kupfern von Chodowiecky. Über die zahlreichen Gegenschriften, 
die dieser Roman veranlaßte, sowie über die Beurtheilung dessel= 
ben in kritischen Blättern vgl. Jördens in s. Lexikon deutscher 
Dichter und Prosaisten Bd. 4. S. 46 fg.     22) s. Jung's Le= 
bensgeschichte S. 434. 
    
a. M. zum Druck übergab 23). Unterdessen hatte der 
Nicolaische Roman an einem niederländischen Kauf= 
manne [= Engelbert vom Bruck] einen öffentlichen Vertheidiger gefunden. Dadurch 
ward Jung veranlaßt, noch einmal die Feder zu ergreifen. 
Er schrieb eine "Theodicee des Hirtenknaben, als Be= 
richtigung zur Vertheidigung der Schleuder desselben." 
Der Ton in dieser Schrift war wesentlich verschieden 
von dem, den Jung früher angestimmt hatte. Ohne seine 
Behauptung zu widerrufen, behandelt er den Verfasser 
des "Sebaldus Nothanker" doch mit mehr Humanität. 
Er bat ihn sogar, ihm seine frühere Heftigkeit zu verzei= 
hen. Seinem Gegner, der Nicolai's Roman in Schutz 
genommen hatte, suchte Jung richtigere Begriffe von sei= 
ner Denkungsart beizubringen, und indem er sich aller 
Bitterkeit enthielt, eine Art von Versöhnung einzuleiten. 
 
Auch ohne die bittern Vorwürfe, die er sich über jene 
Übereilung machte, mußte er dem Felde der Polemik wie= 
der entführt werden durch einen Blick auf seine in viel= 
facher Beziehung traurige Lage. Durch seine Ernennung 
zum Brunnenarzt in Elberfeld hatte sich seine ärztliche 
Praxis zwar etwas vermehrt. Doch war mit jener Stelle 
kein Gehalt verbunden. Die Sorge für die Familie er= 
schwerte eine Schuldenmasse, zu deren Tilgung sich ihm 
durchaus keine Aussicht zeigte. Seine damaligen Empfin= 
dungen schildert folgende Äußerung späterer Zeit. "Wer 
ein solches Unglück nicht kennt, der kenn das größte nicht, 
das einem redlichen und aufrichtigen Manne zustoßen kann. 
Alle Jahre wurden meine Schulden größer, und ich sah 
keine Rettung und keinen Ausweg. Mit Einem Wort, 
wenn mich die Religion und mein unerschütterliches Ver= 
trauen auf die Vatertreue meines Gottes nicht erhalten 
hätten, so wäre ich vergangen in meinem Elende 24)." [Vorwort a. a. O.] 
 
Einige Aussichten, daß ihn sein Vertrauen auf die 
Vorsehung und ihre Hilfe nicht getäuscht hatte, schienen 
sich ihm zu zeigen, als er 1776 von dem Regierungs= 
rathe Medikus in Mannheim, den er in seiner Lebens= 
geschichte Eisenhart nennt, aufgefodert ward, für ein 
von der kurfürstl. pfälzischen physikalisch=ökonomischen Ge= 
sellschaft herausgegebenes Journal geeignete Beiträge zu 
liefern. Diese Societät hatte sich aus der ehemaligen so= 
genannten Bienengesellschaft in Lautern gebildet und ward 
späterhin mit der hohen Kameralschule verbunden, für 
welche der Kurfürst Karl Theodor mehre ausgezeichnete 
Gelehrte, wie unter andern Suckow und Schmid spä= 
ter berief. Jung fand auf diese Weise Gelegenheit, 
seine Erfahrungen im Forst=, Handels= und Fabrikwesen 
zu veröffentlichen. Seine Abhandlungen 25) fanden ziem= 
--- 
23) Die genannte Schrift erschien dort 1776.     24) s. Strie= 
der's Hessische Gelehrtengeschichte Bd. 18. S. 255.     25) Ge= 
schichte des nassau=siegenschen Stahl= und Eisengewerbes und staats= 
wirthschaftliche Anmerkungen über das Hammerschmieds=, Eisen= 
und Stahlgewerke [sic] des Siegerlandes, mit einer Beschreibung der 
Methode des Stahlschmiedens (in den Bemerkungen der k. pfälz. 
physikal.=ökonom. Gesellschaft. 1777. S. 106 fg. 1778. S. 321 fg.). 
Einwürfe gegen diese Abhandlungen machte Schlözer in seinem 
Briefwechsel Th. 8. Hft. 47. S. 273; vgl. Hft. 48. S. 391. [= Johann Philipp Becher und seine Auseinandersetzung mit Jung-Stilling] 
Jung's Erwiederung steht a. a. O. Th. 10. Hft. 55. S. 56 fg. 
Auch in den Jahren 1782 – 1784 lieferte Jung noch Beiträge für 
    
lich allgemeinen Beifall, und er wußte die Auszeichnung 
zu schätzen, als ihn die physikalisch=ökonomische Gesell= 
schaft zu ihrem Mitgliede ernannte. 
 
Der Gewinn, den ihm diese literarische Thätigkeit 
verschaffte, konnte nicht hinreichend sein, seine Lage auch 
nur einigermaßen zu verbessern. Seine Sparsamkeit kannte 
keine Grenzen. Mit der einfachsten Kleidung verband er 
eine streng geregelte Lebensweise und eine rührende Ver= 
zichtleistung auf alle einigermaßen überflüssige Lebensbe= 
dürfnisse. Ein sogenanntes Steckenpferd hatte er gar nicht. 
Aber auch den äußersten Mangel ertrug er, eh' er zu 
Schritten seine Zuflucht nahm, die der Gutmüthigkeit sei= 
nes Charakters widerstrebte, Bei Armen auf Zahlung 
zu dringen für die ihnen geleistete Hilfe war ihm unmög= 
lich. Aber ebenso wenig erlaubte ihm sein Gefühl für 
Rechtlichkeit, seine Forderungen an die Wohlhabenden und 
Reichen nur einigermaßen zu steigern. Bei dieser Sin= 
nesart mußte er in Dürftigkeit versinken. "Wer sich," 
schrieb er in spätern Jahren 26), "eine Vorstellung von 
meiner damaligen Gemüthsverfassung machen will, der 
stelle sich einen Wanderer auf einem schmalen Fußsteige 
an einer senkrechten Felsenwand vor, rechts eine Hand 
breit weiter einen Abgrund von unsichtbarer Tiefe, links 
an ihn gedrängt, steil aufsteigend der Felsen mit drohen= 
den lockern Steinmassen, die über seinen Kopf hangen; 
vor sich hin keine Hoffnung zum bessern, sichern Wege, 
im Gegentheil wird sein Pfad immer schmaler, und nun 
hört er ganz auf, allenthalben Abgrund!" [LG S. 352] 
 
Ein Blick in den Abschluß seiner Rechnungen zu An= 
fanges des Jahres 1778 überzeugte ihn, daß er noch tiefer 
in Schulden versunken war. Seine drohenden Gläubiger 
zu befriedigen, schien bei der sehr merklichen Abnahme sei= 
ner ärztlichen Praxis fast unmöglich. Dazu kam noch ein 
Umstand, der ihn mehr als alles Übrige beunruhigte. Er 
hatte Pränumeranten gesammelt für das Journal der phy= 
sikalisch=ökonomischen Gesellschaft in Lautern. Die Zeit 
rückte heran, wo er die empfangenen Gelder einsenden 
sollte, die er jedoch längst zur Bestreitung seiner eigenen 
Bedürfnisse verwendet hatte. Er war genöthigt, dem 
früher erwähnten Regierungsrath Medikus seine Lage zu 
entdecken. Dies that er mit Offenheit, und unterdrückte 
dabei nicht das Geständniß, daß er als Arzt nimmermehr 
sein Glück zu machen hoffte. In der Antwort auf diesen 
Brief äußerte Medikus, daß er Alles aufbieten wolle, 
ihm einen seinen Neigungen und Fähigkeiten angemessenen 
Wirkungskreis zu verschaffen. Bei dem Kurfürsten hoffte 
er es dahin zu bringen, daß Jung eine Anstellung finde 
auf der Kameral=Hohenschule, und zwar als Lehrer der 
Ökonomie, Technologie und Vieharzneikunde. In die= 
ser Stelle könne er auf ein Gehalt von 600 Fl. rech= 
nen. Die Empfindungen, die ihn, als er jenen Brief 
--- 
das genannte Journal: Bemerkungen über den natürlichen Zustand 
der Fabriken; von den Mitteln, Landwirthschaft, Fabriken und 
Handlung blühend zu machen; über das Studium der Staatswirth= 
schaft, nebst dem Beweise, daß auch die Vieharzneikunde dazu ge= 
höre u. a. m.; vgl. Strieder a. a. O. S. 262 fg. 
26) s. Jung's Lebensgeschichte S. 447. 
    
    
las, ergriffen, schildert er selbst mit den Worten: "Die= 
ser Vorschlag drang mir tief in die Seele, und ich kann 
nicht umhin, zu bemerken, daß damals etwas Sonderba= 
res mit mir vorging. Ich fühlte nämlich bei dem Lesen 
des Briefes, daß dies die Bestimmung meines Lebens 
und der Beruf sei, zu dem mich die hohe Vorsehung von der 
Wiege an vorbereitet habe. Alles, was ich lehren sollte, 
hatte ich praktisch und so zu sagen mit der Faust gelernt, 
und nun auch als Arzt grade alle die Hilfswissenschaften, 
und zwar mit vorzüglicher Vorliebe studirt, die dazu 
nöthig waren. Zugleich stand das ganze System der 
Staatswirthschaft deutlich und sonnenklar vor meinen 
Augen." 
 
Diese frohen Aussichten zerstörte ein Brief, in wel= 
chem Medikus meldete, daß eine veränderte Einrichtung 
der Kameralschule die Anstellung neuer Lehrer bedenklich 
mache. Für Jung war diese Anstellung eine harte Schick= 
salsprüfung. Mit der ihm eigenthümlichen Fassung that 
er auf jene Stelle Verzicht und widmete sich wieder der 
ärztlichen Praxis. Kaum aber hatte er sich einigermaßen 
beruhigt, als er wirklich die Vocation nach Lautern er= 
hielt. Er bagab sich dorthin im October 1778. Zu sei= 
nem neuen Berufe bereitete er sich vor durch die Ausarbei= 
tung seines "Versuchs einer Grundlehre sämmtlicher Kameral= 
wissenschaften" 27). Gleichzeitig veröffentlicht er einen kurzen 
Umriß der Industrie in einem "öffentlichen Anschlage bei 
dem Antritte seines Lehrstuhl der praktischen Wissenschaf= 
ten auf der Kameralschule zu Lautern" 28). Auch über 
die übrigen wissenschaftlichen Fächer, mit denen er sich als 
Docent beschäftigte, schrieb er zweckmäßige Compendien. 
Erwähnt zu werden verdienen darunter sein "Lehrbuch 
der Forstwissenschaft" 29), "der Landwirthschaft" 30), "der 
Fabrikwissenschaft" 31), "der Handlungswissenschaft" 32), 
"der Vieharzneikunde" 33), "der Staatspolizeiwissenschaft" 34) 
"der Kameralwissenschaft oder Kameralpraxis" 35), seine 
--- 
27) Mannheim 1779.     28) s. diesen Aufsatz in der Samml. 
kleiner Schriften der Kameralschule zu Lautern Bd. I. S. 105 fg. 
29) Mannheim und Lautern 1781 – 1782. 2 Thle. Zweite ver= 
mehrte und verbesserte Aufl. ebendas. 1787. Vgl. Allgem. deutsche 
Bibliothek. Bd. 70. S. 204 fg. [recte S. 294-300, St. 1, 1786] Ergänzungsblätter der Allgem. Li= 
teraturzeitung I. Jahrg. Bd. 3. Nr. 59.     30) Mit dem Zusatze 
auf dem Titel: "Der ganzen Welt, in sofern ihre Producte in den 
europäischen Handel kommen." (Leipzig 1783.) .     31) Nürnberg 
1785. Zweite Aufl. Ebendas. 1794. Vgl. Gothaische gel. Zeitung 
1786. St. 58. S. 482 fg. [= 1786-07-22] Allgem. deutsche Bibliothek. Anh. von 
Bd. 53 – 86. [1791] 5. Abth. S. 2562.     32) Für alle Classen von 
Kaufleuten und Handlungsstudirenden. (Leipz. 1785.) Neueste (2.) 
verb. und verm. Aufl. (Ebendas. 1799.) Vgl. Allgem. Lit.=Zeit. 
1785. Supplem. Nr. 6. [1785-07] Allgem. deutsche Biblioth. Anhang vom 
53. – 86. Bde. [1791] 5. Abth. S. 2562. Neue Allg. deutsche Biblioth. 
Bd. 53. [1800] S. 547 fg.          33) Heidelberg 1785 – 1786. 2 Thle. 
Vgl. Goth. gel. Zeit. 1787 [-04-18]. St. 31. S. 258 fg. Allgem. deutsche 
Biblioth. Bd. 81. [1788] S. 417 fg. Mit Jung's Vorwissen und Ge= 
nehmigung umgearbeitet von J. D. Busch erschien das genannte 
Werk zu Heidelberg 1795; s. Salzburger medicin.=chirurg. Zeitung 
I. Ergänz.=Bd. von 1790 – 1800. S. 208.          34) Leipzig 1788. 
Vgl. Goth. gel. Zeit. 1788 [-07-19]. St. 58. S. 473 fg. Allgem. deutsche 
Biblioth. Bd. 92. [Stück 1, 1790] S. 223 fg.          35) Marb. 1790. Vgl. Allg. 
Lit.=Zeit. 1791 [-06-24]. Nr. 173. Allgem. deutsche Biblioth. Bd. 99. [1791] 
St. I. S. 274 fg. 
    
"Abhandlungen ökonomischen und statistischen Inhalts" 36) 
u. a. m. (Me: Siehe dazu hier.)
 
Auch in einer andern Gattung von Schriftstellerei, 
die mit seiner Berufsthätigkeit Nichts gemein hatte, ver= 
suchte sich Jung damals. Es war der Roman. Das 
sittlich=religiöse Interesse, das tief in seiner Natur lag 
und fast immer die Richtung seines Geistes bestimmte, 
diente ihm dabei zur Grundlage. Wie schon in einigen 
seiner frühern Schriften, erschien er auch in seinen Ro= 
manen als rüstiger Bekämpfer des philosophischen Atheis= 
mus. Merkwürdig genug war er selbst durch die Her= 
ausgabe seiner Lebensgeschichte bei den Elberfeldern in den 
Ruf eines Freigeistes gekommen. Gegen einen solchen 
Verdacht glaubte er sich rechtfertigen zu müssen. Er that 
es in seiner "Geschichte des Herrn von Morgenthau" 37). 
Durch diesen Roman suchte er aber auch gegen die blinde 
Anhänglichkeit an die Pietisten, die man ihm Schuld gab, 
sich zu vertheidigen, indem er dieser religiösen Sekte ihre 
Absonderung von der Welt und den daraus fließenden 
Mangel an Gemeinsinn zum Vorwurf machte. Seine 
Äußerungen erhielten noch mehr Gewicht durch seine eigene 
Sinnesweise, nach welcher ihm der Drang zum Wohl= 
thun und zu einer nützlichen Wirksamkeit gleichsam ange= 
boren schien. Styl und Darstellung in dem erwähnten 
Roman erinnerten an den Engländer Fielding. Von 
dieser Manier wich Jung wieder ab in dem "Florentin 
von Fahlendorn" 38), in welchem er wieder zu dem Tone 
zurückkehrte, der in seiner Lebensgeschichte herrscht. An 
dies Werk erinnert auch im Allgemeinen die Tendenz sei= 
nes Romans. Aus seinen eigenen Lebenserfahrungen nahm 
Jung den Stoff zu seinem "Theobald" 39). Er bezeich= 
nete dies Werk daher auch auf dem Titel als eine "wahre 
Geschichte,"durch welche er vorzüglich die Ansicht geltend 
zu machen suchte, daß der Weg zur wahren zeitlichen und 
ewigen Glückseligkeit zwischen Unglauben und Schwärmerei 
mitten hindurchgehe 40). Den Stoff selbst hielt er für in= 
teressant genug, auch ohne eine gehörige Verarbeitung des 
Materials, durch die sein Werk einen noch höhern Grad 
--- 
36) Kopenhagen und Leipzig 1788. Diese Sammlung, wahr= 
scheinlich ohne Mitwissen des Verfasser veranstaltet, enthält die 
bereits früher in den Bemerkungen der kurfüstl. ökonom Gesell= 
schaft gedruckten Abhandlungen: 1) Staatswirthschaftliche Anmer= 
kungen bei Gelegenheit der Holznutzung des Siegerlandes. 2) Über 
das Handlungsgenie. 3) Landwirthschaftliche Geschichte einiger nie= 
derländischen Provinzen (das Siegerland, Herzogthum Westfalen, 
Grafschaft Mark und Berg). 4) Über den Einfluß der Städte, 
Dörfer und Bauernhöfe auf die Gewerbe des Volkes. 5) Bemer= 
kungen über den forstwissenschaftlichen Zustand einiger Ämter im 
Herzogthumer Berg. 8) Über die Wirkungen der Pracht und des 
Luxus auf das Gewerbe.     37) Sie erschien unter dem Namen 
Heinrich Stilling zu Berlin 1779. 4. und war in demselben 
Jahre zu Stuttgart in gleichem Formate gedruckt.     38) 
Dieser Roman erschien unter dem Namen Heinrich Stilling zu 
Mannheim 1781 – 1783 in drei Octavbänden und gleichzeitig zu 
Tübingen. Vgl. Gothaische gel. Zeitung 1781. St. 47. S. 389 fg. 
1783 [-05-03]. St. 36. S. 290 fg. Allgem. deutsche Bibliothek Bd. 58. [1784] 
S. 121 fg.     39) Oder die Schwärmer. (Leipzig 1784 – 1785.) 
2 Bde. (Ebenfalls unter dem Namen Heinrich Stilling.)     40) 
s. Gervinus in s. Geschichte der poetischen Nationalliteratur der 
Deutschen Bd. 5 [Leipzig: Engelmann 1842, hier der Abschnitt über Jung-Stilling Tl. 2, S. 268-276; oder gemeint die Ausgabe Leipzig: Engelmann 1844]. S. 272. 
    
von Vollendung erhalten haben würde. es handelt sich 
darin um die Misbräuche des Pietismus. Daher sollte 
jener Roman, nach Jung's eigenen Geständniß, nur 
trockene Wahrheit enthalten. Das Geringste hinzuzudich= 
ten, hielt er für Sünde. "Den Pietismus," sagt ein 
geistreicher Schriftsteller 41), "vertheidigte Jung in diesem 
Werke aus demselben romantischen Sinne, aus dem die 
genialen Jünglinge damals alles Poetische des Lebens und 
der Sitte gut hießen." "Warum," sagt er, "haltet ihr 
einen Mann für ein großes Genie, dessen Seele im Reiche 
der Phantasie herumschwärmt und dichtet? Das tadelt 
ihr nicht; hingegen wenn ein phantasiereicher Kopf die Re= 
ligion für einen würdigen Gegenstand hält und von ihr 
romanhafte Begriffe hat, den wollt ihr verdam= 
men?" [Gervinus a. a. O.] – Auch wer dem Pietismus ein poetisches Ele= 
ment nicht absprechen möchte, dürfte doch schwerlich Jung's 
Überzeugung teilen, daß in der Vorstellung von dem 
nahen Weltgerichte die süßeste Schwärmerei zu finden sei. 
Den völligen Sieg über die Zweifel, die durch Freigei= 
sterei und Determinusmus in Jung rege geworden waren, 
schildert der von ihm herausgegbene Roman: "das Heim= 
weh" 42). Erleichtert ward ihm dies Werk durch die Ex= 
treme des Unglaubens und der Aufklärung, welche die 
Kant'sche Philosophie und die französische Revolution her= 
vorgerufen hatten. Wie er in einem seiner frühern Ro= 
mane den Styl und die Darstellungsweise Fielding's 
copirt hatte, so schien er in diesem den Tristram 
Shandy von Sterne zum Muster genommen zu haben. 
Die ganze Structur des Werks ruht auf den Fundamen= 
ten des Ordenswesens. Treffend, wenn auch nicht ohne 
Schärfe, ist das Urtheil eines neuern Schriftstellers über 
diesen Roman. 43). "Er soll den Christen auf seiner Heim= 
wehreise, seine Ausbildung zum Kreuzritter in dem Tem= 
pel von Jerusalem, unter den Prüfungen des Geheim= 
ordens der Felsenmänner, darstellen, und ist ausdrücklich 
gegen die Ritter vom flammenden Stern der Aufklärung 
geschrieben. Die Erzählung ist peinlich und gespenstig, 
weil man auch ohne den Schlüssel 44) die minutiöse Alle= 
gorie überall durchmerkt. Es ist ein Roman, der völlig 
in dem allegorischen bedeutsamen Sinn der Geschichtsge= 
dichte des 17. Jahrh. geschrieben ist. Da sich die Füh= 
rung eines jeden Kreuzritters im Allgemeinen gleich bleibt, 
so läßt sich erwarten, daß auch dieses Buch wieder Jung's 
eigenes inneres Leben erzählt, nur in einer überweit ge= 
triebenen Allegorie, die es deutlich verräth, wie der Autor 
in spätern Jahren immer mehr in die Blindheit seiner 
Jugend zurückging. Er überläßt sich dem Geiste der 
--- 
41) s. Gervinus in s. Geschichte u. s. w. 5. Bd. S. 273. 
42) Es erschien unter dem Namen Heinrich Stilling zu Mar= 
burg 1794 – 1796. 4 Bde. Neue Ausg. Ebendas. 1800. 2 Thle. 
Vgl. Nürnberger gel. Zeitung 1794 [-11-14]. St. 91. S. 721 fg. Goth. 
gel. Zeitung 1796 [-01-23]. St. 6. S. 44 fg. Neue Allgem. deutsche Bi= 
blioth. Bd. 15. [1. Stück, 1795] S. 377 fg. Bd. 23. S. 166 fg. Bd. 29. [Stück 1, 1796] S. 315 fg. 
Bd. 30. [Stück 2, 1797] S. 550 fg. Neue Religionsbegebenheiten 1796 [-07]. 3. Quar= 
tal. S. 526 fg.     43) s. Gervinus a. a. O. S. 276. Vgl. 
Franz Horn, Die Poesie und Beredsamkeit der Deutschen [Berlin: Enslin 1824] Bd. 3. [Siehe den Text hier.] 
S. 286 fg.    44) Der von Jung (H. Stilling) herausgegeben 
Schlüssel zum Heimweh erschien zu Frankfurt und Leipzig 
1796. 
    
Weissagung so ganz, daß er selbst die höhere Allegorie 
seines Romans nicht mehr enthüllen kann." 
 
Unter solchen Beschäftigungen tröstete sich Jung, als 
er sich in den Erwartungen, mit denen er seinen neuen 
Wirkungskreis in Lautern eröffnete, getäuscht sah. Als 
Docent hatte er die Einrichtung getroffen, daß er im 
Frühjahre über Forstwissenschaft, Ökonomie und Techno= 
logie las und das Wintersemester für das Rechnungswesen, 
die Handlungswissenschaft, Vieharzneikunde und Gewerb= 
polizei bestimmte. Er fühlte seine Thätigkeit zu sehr zer= 
splittert. Auf das landwirthschaftliche Fach allein wünschte 
er sie zu verwenden und sein darüber entworfenes System 
völlig ausarbeiten zu können. Dazu bot sich ihm aber 
weder zu Lautern, noch zu Heidelberg, wohin im Herbst 
1784 die Kameralschule verlegt worden war, eine Gele= 
genheit. Einen noch tieferen Grund zur Unzufriedenheit 
mit seinen neuen Verhältnissen suchte er in seiner Indivi= 
dualität. Sein Geständnis hierüber aus späterer Zeit 
verdient hier eine Stelle. "Meine Erziehung," sagt 
Jung 45), "mein bisheriger Lebenswandel und Verhältnisse 
und mein Charakter, in welchem Offenheit, die nicht im= 
mer mit der gehörigen Behutsamkeit gepaart ging, beson= 
ders hervorstach, stellten mich gleich von Anfang meinen 
Mitarbeiter auf einer Seite dar, die man nicht in ihrem 
wahren Licht betrachtete. Meine rastlose Thätigkeit, die 
so äußerst gut gemeint war, wurde als Empordrang an= 
gesehen. Man glaubte, ich wollte jedem den Rang ab= 
laufen. Den Beifall, den ich in meiner Amtsführung 
hatte, suchte ich nicht zu verdecken. Da ich von Herzen 
glaubte, Jeder müßte sich mit mir von Herzen darüber 
freuen, so äußerte ich mich hin und wieder darüber, und 
zwar in einer Art von Entzückung. Dieses wurde nun 
als ein Triumph über meine Collegen betrachtet. Es war 
also Nichts natürlicher, als daß bald Mistrauen und Kälte 
entstand, welche sogar heimliche Schranken erzeugte, die 
man, wie man glaubte, meinem emporstrebenden Geiste 
entgegensetzen müßte. Ich merkte das alles bald mit dem 
äußersten Kummer; aber die wahre Ursache ahnte ich erst, 
als es zu spät war. Ich suchte daher Alle, die um mich 
waren, durch Dienstfertigkeit und Freundlichkeit zu ge= 
winnen. Allein das Mistrauen war einmal tief einge= 
wurzelt. Man sah das als Falschheit an und betrachtete 
mich als einen politischen Menschen, vor dem man sich in 
Acht zu nehmen habe." 
 
Aus dieser Trüben Lage befreite ihn ein Ruf, den er 
im Winter 1787 nach Marburg erhielt. Er ward dort 
Professor der Ökonomie, Finanz= und Kameralwissenschaf= 
ten. Kurz zuvor (1786) hatte er bei dem vierten Jubi= 
läum der Universität Heidelberg von der dortigen philo= 
sophischen Facultät die Doctorwürde erhalten. Bald nach= 
her war er zum kurpfälzischen Hofrath ernannt worden. 
Noch während seines Aufenthaltes in Lautern hatt e der 
Tod ihm seine geliebte Christine entrissen. Im J. 1782 
verheirathete er sich mit Selma, einer geborenen von 
St. Georg. Im November des genannten Jahres 
--- 
45) s. Strieder's Hessische Gelehrtengesch. Bd. 18. S. 257 f. 
    
vermählte er sich mit Elisabeth Coing, einer Tochter 
des Doctors und Professors der Theologie Johann 
Franz Coing in Marburg. 
 
Im Allgemeinen fühlte sich Jung in seinen neuen 
Verhältnissen glücklicher als bisher. In den Fächern, die 
er lehrte, hatte er keinen Nebenbuhler, und war daher 
auch sicherer vor dem Schicksale, beneidet zu werden. 
Überdies schien er durch seine bisherigen Erfahrungen be= 
hutsamer und klüger geworden zu sein. Wie früher, war 
er nun auch in Marburg rastlos thätig. Er las täglich 
vier, bisweile fünf Stunden, und führte, außer seinen 
literarischen Arbeiten, einen sehr ausgebreiteten Briefwech= 
sel. Seine Lectüre beschränkte er fast nur auf religiöse 
und philosophische Schriften. Von den Fesseln des De= 
terminismus, die ihm die Leibnitz=Wolfische Philosophie 
angelegt hatte, befreite ihn Kant's Kritik der reinen Ver= 
nunft. Nicht ohne große Selbstüberwindung hatte er sich 
an dies Werk gewagt. In dem von Kant auf unwider= 
legbare Gründe gestützten Beweise, daß die menschliche 
Vernunft außer den Grenzen der Sinnenwelt ganz und 
gar Nichts wisse, und daß sie in der Beurtheilung über= 
sinnlicher Dinge sich fast immer in Widersprüche ver= 
wickele, glaubte Jung einen Commentar über die Worte [LG S. 449 f.] 
des Apostels Paulus [1 Kor 2, 14] zu finden: "Der Mensch vernimmt 
Nichts von den Dingen, die des Geistes Gottes sind; 
sie sind ihm eine Thorheit u. s. w." "Jetzt war meine 
Seele," schreibt Jung 46), "wie emporgeflügelt. Es war 
mir bisher unerträglich gewesen, daß die menschliche Ver= 
nunft, dies göttliche Geschenk, das uns von den Thieren 
unterscheidet, der Religion, die mir über Alles theuer war, 
schnurgerade entgegen sein sollte. Nun aber fand ich Alles 
passend und Gott geziemend. Ich fand die Quelle über= 
sinnlicher Wahrheiten in der Offenbarung Gottes an die 
Menschen in der Bibel, und die Quelle aller der Wahr= 
heiten, die zu diesem Erdenleben gehören, in Natur und 
Vernunft." So versöhnte sich Jung mit den Ansichten 
Kant's, und unvergeßlich blieben ihm die Worte, die 
ihm jener denkende Kopf als Antwort auf einen an ihn 
gerichteten Brief schrieb: "Auch darin thun Sie wohl, 
daß Sie Ihre einzige Beruhigung im Evangelio suchen; 
denn es ist die unversiegbare Quelle aller Wahrheiten, de, 
wenn die Vernunft ihr ganzes Feld ausgemessen hat, nir= 
gends anders zu finden sind." 
 
Unter diesen Studien regte sich, wie in früherer Zeit, 
in ihm der Wunsch nach einem andern Wirkungskreise. 
Der Erfolg seiner akademischen Thätigkeit entsprach, so 
ernstlich er esa auch damit meinte, keineswegs seinen Er= 
wartungen. Unter den Studirenden in Marburg herrschte 
damals ein Freiheitsgeist und religiöser Skepticismus, der 
nicht der Denkweise entsprach, die sie zu Jung hätte hin= 
ziehen können. Oft hatte er nicht mehr als drei Zuhörer, [so richtig dies ist: aber wegen der Kriegszustände nahm die Zahl der Studierenden in Marburg allgemein ab.] 
ja er war ein Mal der Gegenstand roher Ausgelassenheit 
der Musensöhne. Unter so bittern Erfahrungen gerieth er 
mit sich selbst in den größten Zwiespalt. Er sah ein, daß 
er als akademischer Lehrer keinen Nutzen stifte, und doch 
fühlte er noch eine hohe Geisteskraft in sich, Großes zu 
--- 
46) s. Jung's Lebensgeschichte S. 561 fg. 
    
wirken und zu schaffen. Der religiösen Richtung gemäß, 
die ihm seine Natur von Jugend auf angewiesen, wollte 
er für die Sache des Christenthums thätig sein. Dies 
Streben ward für ihn die Veranlassung, sein Lehramt in 
Marburg, nachdem er es 16 Jahre bekleidet hatte, nie= 
derzulegen. Die dabei obwaltenden Umstände waren in= 
dessen nichts weniger als angenehm. Ein asketischer Auf= 
satz, den er in dem grauen Mann, einer von ihm her= 
ausgegebenen Volksschrift 47), herausgegeben hatte, erregte 
allgemeine Sensation. Die Folge davon war ein an die 
Universität Marburg erlassenes fürstliches Rescript, nach 
welchem jedes schriftstellerische Product der Censur des 
Prorectors und Dekans derjenigen Facultät, in deren Fach 
das Werk gehöre, unterworfen werden sollte. Als der 
akademische Senat um Milderung jenes Rescripts bat, 
durch welches einer ganzen Corporation durch den Mis= 
brauch eines Einzigen ein bedeutendes Vorrecht entzogen 
würde, dachte Jung billig genug, in einem an die höchste 
Landesbehörde gerichteten Schreiben den Wunsch auszu= 
drücken, daß die Censur nur auf seine schriftstellerischen 
Producte eingeschränkt werden möchte, da er jenes Edict 
veranlaßt habe. Zugleich bat er um Entlassung von sei= 
nem bisherigen Lehramte, die er auch zu Endes des Jah= 
res 1803 erhielt. Vielleicht fühlte er selbst, daß seine 
Freunde Recht hatten, wenn sie die Richtung, die er als 
Autor verfolgte, scharf tadelten. In einem Briefe [von Anonymus an Justi, nach Strieder] aus 
jener Zeit findet sich die Äußerung: "Warum bleibt Jung 
nicht bei seinem Fache? Warum will er durchaus einen 
Ehrenplatz neben den apostolischen Männern Arnd, Spener 
und Franke erringen? Die öffentliche Kritik hat sich  
schon oft laut gegen ihn erklärt. Das hilft aber alles 
Nichts. Dies Classe von Unheilbaren glaubt die Ehre, 
für das Christenthum zu Märtyrern zu werden, nicht 
theuer genug erkaufen zu können." 
 
Zu Ende des Jahres 1803 hatte sich Jung nach 
Heidelberg begeben 48), wo er in die Dienste des damali= 
gen Kurfürsten und nachherigen Großherzogs von Baden 
trat. Seine Besorgnisse, ob seine verminderten Einkünfte, 
die in Marburg gegen drittehalb tausend Gulden betragen 
hatte, zur Bestreitung seiner Bedürfnisse in Heidelberg 
hinreichen würden, sah Jung gehoben durch einen beträcht= 
lichen Gehalt, den ihm sein Landesfürst anwies, um in 
Baden von einer Geschicklichkeit im Staarstechen Gebrauch 
zu machen 49). "Diese Operationen," erzählt einer seiner 
Freunde 50), der ihn in Heidelberg besuchte, "haben ihn 
--- 
47) Sie erschien zu Nürnberg 1795 – 1816. 30 Stücke. Vgl. 
Allgem. Literaturzeitung 1797. Nr. 99. 1805. Nr. 181 – 183. 
Ergänz.=Bl. 1807. Nr. 105. 1808. Nr. 96. 1810. Ergänz.=Bl. 
Nr. 78. 1811. Ergänz.=Bl. Nr. 33. 1812. Ergänz.=Bl. Nr. 23. 
1813. Ergänz.=Bl. Nr. 55. 1815. Ergänz.=Bl. Nr. 77. 1815. 
Ergänz.=Bl. S. 626 fg. 1816. Ergänz.=Bl. S. 575 fg.     48) 
s. Allgem. deutsche Bibliothek Bd. 80. S. 570.     49) Vgl. die 
von Jung herausgegebene Schrift: Methode, den grauen Staar 
auszuziehen; nebst einem Anhange von verschiedenen andern Augen= 
krankheiten und der Curart derselben. (Marburg 1791.) Mit Kpfrn. 
Vgl. Salzburger medic.=chirurg. Zeitung 1791. Bd. 2. S. 273 fg. 
Allgem. deutsche Biblioth. Bd. 101. S. 99 fg.     50) Matthis= 
son; s. dessen Schriften. (Zürich 1825.) Bd. 3. S. 86. Noch in 
dem letzten Jahre seines Lebens gelangen ihm, ungeachtet seiner 
    
bereits zum glücklichen Wohlthäter von 500 Blinden ge= 
macht. Alle seine Curen sind unentgeltlich. Ganz Arme 
werden überdies noch, während ihrer Genesung, auf seine 
Kosten verpflegt. Zu letzterem Zwecke schenkte er noch vor 
Kurzem sehr beträchtliche, von bemittelten Geheilten ihm 
übersandte Geldsummen dem Hospital in Heidelberg." In 
gerechter Anerkennung seiner Verdienste ernannte ihn sein 
neuer Landesherr 1808 zum geheimen Hofrath. Seine 
Verhältnisse in der Letzten Zeit seines Lebens waren glück= 
lich. Er befand sich in einer sorgenfreien Lage. Außer 
einigen Reisen, die er zu seiner Zerstreuung [nein! zur Durchführung von Augenkuren und Kuren für sich und seine Gattin] unternahm, 
benutzte er die Muße, die ihm sein Beruf gönnte, zu 
schriftstellerischen arbeiten. 
 
Mit Ausnahme seiner "staatswirthschaftlichen Ideen," 
von denen jedoch nur ein Heft erschien 51), und einiger 
belletristischen Aufsätze in Journalen und Taschenbüchern, 
schien es fast auschließlich das sittlich=religiöse Interesse 
zu sein, das in den letzten Jahren seines Lebens Jung's 
Feder beschäftigte. In seiner "Siegesgeschichte der christ= 
lichen Religion" 52) versuchte er eine populäre Erklärung 
der Apokalypse. Unter dem Titel: "Der christliche Men= 
schenfreund" 53), gab er eine Sammlung von moralischen 
Erzählungen heraus, für die Fassungskraft der Bürger 
und Bauern berechnet. Eine Art von Fortsetzung dieses 
Werks erschien unter dem Titel: "Des christlichen Men= 
schenfreundes biblische Erzählungen" 54). Durch eine an 
ihn gerichtete, in Briefform abgefaßte, Schrift des Pro= 
fessors J. A. Sulzer in Constanz ward Jung veranlaßt, 
ein mildes und versöhnendes Wort über den Katholicismus 
und Protestantismus zu sprechen 55). Unter seinen übri= 
gen Schriften, zu denen auch eine dreibändige Samm= 
lung seiner "Erzählungen" gehört 56), erregte keine mehr 
--- 
schwachen Hand, mehre jener Operationen. Er hatte sie seit länge= 
rer Zeit nicht mehr aufgeschrieben, zählte jedoch über 2000, die er 
mit glücklichem Erfolge unternommen; s. Jung's Lebensgeschichte 
S. 828. [Sicherlich Friedrich Heinrich Christian Schwarz, Jung-Stillings Schwiegersohn, schreibt in seinem "Nachwort" zur Lebensgeschichte. – 1806-12-04 Jung-Stilling an Engelbert vom Bruck: "Ich habe nun ungefähr zweitausend Staarblinde operirt und das durchgeführt mit beyspiellosem Glück".] 
51) Marburg 1798. Vgl. Göttinger gel. Anzeigen 1798. St. 
198. S. 1983 fg. Ergänz.=Bl. d. Allgem. Literaturzeit. 3. Jahrg. 
Bd. I. Nd. 57. Neue Allgemeine deutsche Bibliothek. Bd. 45. S. 532 fg. 
52) Sie erschien anonym Marburg 1799. Neue Ausg. Ebendas. 
1822, und ward auch ins Holländische übersetzt. Vgl. Neue theol. 
Annalen 1800. St. 43. S. 881 fg. Schmidt's Allgem. Biblioth. 
der theolog. Literatur Bd. 5. St. 2. S. 196 fg.     53) Nürnberg 
1803 – 1815. 12 Hefte. Vgl. Neue theolog. Annalen 1804. St. 
14. S. 273 fg. Allgem. Lit.-Zeit. 1805. Nr. 275. Ergänz.=Bl. 
1807. Nr. 103.     54) Von diesen alttestamentlichen Gemälden 
erschienen in den Jahren 1808 – 1816 zu Nürnberg 14 Hefte. Vgl. 
Ergänz.=Bl. der Allgem. Literaturzeitung 1808. Nr. 123. 1810 
Ergänz.=Bl. Nr. 78. 1811. Ergänz.=Bl. Nr. 79. Nr. 129. 1813. 
Ergänz.=Bl. S. 63. 975. 1814. Ergänz.=Bl. S. 883. 1815. 
Ergänz.=Bl. S. 913. 1817. Ergänz.=Bl. S. 143.     55) Ant= 
wort durch Wahrheit und Liebe. (Nürnberg 1811.) Vgl. Hall. Li= 
teraturzeitung 1812. Nr. 127.     56) Frankf. a. M. 1814 – 1815. 
Vgl. Neue theolog. Annalen 1814. S. 310 fg. 1815. S. 393 fg. 
1817. S. 493 fg. Hall. Allgem. Literaturzeitung 1814. Nr. 153. 
1815. Ergänz.=Bl. S. 183 fg. S. 1915 fg. Mehre dieser Erzäh= 
lungen hatten früher in Taschenbüchern gestanden: Gotthard und 
seine Söhne, in Ewald's Urania. (Bd. I. St. 1. S. 32 fg. 
St. 4. S. 303 fg. St. 6. 608 fg.) Der Rand am Ab= 
grund. (Ebendas. St. 4. S. 303 fg.) Die edlen Jünglinge. 
(Ebend. St. 6. S. 608 fg.) Die Mineralogen, in W. Aschen= 
    
Sensation, als die anonym herausgegebenen "Scenen aus 
dem Geisterreiche" 57) und seine "Theorie der Geister= 
kunde" 58), die er unter seinem wirklichen Namen Jo= 
hann Heinrich Jung erscheinen ließ. Als einen Nach= 
trag zu diesem Werke schrieb er noch eine "Apologie sei= 
ner Theorie der Geisterkunde" 59). 
 
Die ebengenannte Schrift enthält über die Veran= 
lassung seines Werkes folgende, in mehrfacher Hinsicht 
merkwürdige, Äußerungen Jung's 60): "Durch meine weit= 
läufige Correspondenz erfuhr ich, daß es hin und wieder 
gut=, aber auch übelgesinnte Menschen gäbe, die durch vor= 
witzige Wißbegierde angetrieben, Umgang mit Geistern 
suchten; sich wol auch ihrer bedienten, um verborgene 
Schätze zu erlangen. Dann gibt es aber auch Gesell= 
schaften, theils fromme, theils auch nicht fromme, welche 
durch die Alles, Unsterblichkeit der Seele, Himmel und 
Hölle, wegleugnende Philosophie und ihre scheinbaren Ein= 
würfe gegen die Bibel irre gemacht, doch gern zur Ge= 
wißheit kommen möchten, und diese Gewißheit nun im 
verbotenen Umgang mit dem Geisterreiche suchen wollen. 
Ferner: unsere gegenwärtig bedenklichen Zeiten machen 
auch den blos natürlichen Menschen auf die biblischen 
Weissagungen aufmerksam. Man geräth ins Grübeln, 
vergleicht die wichtigen politischen Vorfälle mit jenen; 
daraus entstehen denn allmälig sogenannte Aufschlüsse in 
Ansehung der nahen Zukunft. Nun bedarf es – be= 
sonders bei hysterischen Frauen und hypochondrischen Män= 
nern – [Hysterisch = nervenschwach, überspannt; hypochondrisch = schwermütig, trübsinnig.] nur eines Schrittes, so entstehen Visionen, Ent= 
zückungen; man sieht Engel, Geister, ja sogar Christum selbst; 
man sagt Dinge vorher, die zutreffen, abwesende, die 
ebenfalls wahr sind, und bildet sich nun ein, das sei gött= 
liche Offenbarung. Der sogenannte Aufgeklärte lacht dar= 
über, und untersucht nicht, denn er hält das Alles für 
vorsätzliche Betrügerei. Aber das ist es nicht, sondern 
vielmehr eine Seelenkrankheit, die ihren Sitz in der fein= 
sten Nervenstructur hat. Der gemeine Mann aber, auch 
der frömmste, wird durch das, was er sieht und hört, 
higerissen; denn er urtheilt so: Niemand weiß, was in 
der Zukunft und in der Abwesenheit geschieht, als allein 
Gott; die gegenwärtige Person aber weiß es, folglich wird 
es ihr von Gott offenbart. Daß aber diese Schlußfolge 
grundfalsch sei, wird in der Geisterkunde unwiderleg= 
bar bewiesen. Aus dieser Quelle sind von jeher die ge= 
fährlichsten Sekten und die furchtbarsten Schwärmereien 
--- 
berg's Taschenbuch für bildende, dichtende und historische Kunst 
(Dortmund 1804.) u. a. m. 
57) Frankf. a. M. 1797 – 1801. 2 Bde. 3. Aufl. Ebendas. 
1803. Vgl. Allgem. Lit.=Zeitung 1802. Nr. 323. 1804 [-09]. Nr. 255. 
Neue Leipziger Lit.=Zeit. 1803. St. 307.     58) In einer natur=, 
vernunft= und bibelgemäßen Beantwortung der Frage, was von Ah= 
nungen und Geistererscheinungen geglaubt und nicht geglaubt werden 
müsse. (Nürnberg 1808. gr. 8.) Mit einem Titelkupfer (die soge= 
nannte weiße Frau, Agnes, Gräfin von Orlamünde). Vgl. Neue 
theolog. Annalen 1808. November. S. 721 fg. Allgem. Literatur= 
zeitung 1808. Nr. 356 u. 357. Den Allgemeinen Anzeiger der 
Deutschen 1808. Nr. 249. [1808-09-15] u. 347. [1808-12-23]     59) Nürnberg 1809. gr. 8. 
Vgl. Hall. Literaturzeitung 1809. [-08-19] Ergänz.=Bl. Nr. 99. Neue 
theolog. Annalen 1809. [-06] S. 412 fg.     60) s. Apologie u. s. w. 
S. 4 fg. 
    
entstanden. Man erinnere sich nur an die schreckliche Ge= 
schichte zu Rapperswyl im Canton Bern, und an so viele 
andere ältere und neuere mit allen ihren Folgen. Auch 
jetzt, in dieser Zeit sind mir noch verschiedene solcher Per= 
sonen bekannt, die auf diese Art weissagen, oder vielmehr 
wahrsagen; und wo ich mit Gewißheit voraussehe, daß 
der Ausgang höchst traurig sein wird. Da nun so viele 
redliche Seelen dadurch verführt und dann dergleichen 
Vorfälle von ihren Gegnern der christlichen Religion zur 
Last gelegt werden, so ist es doch wahrlich die höchste 
Pflicht, davor zu warnen. Wie kann man das aber, wenn 
die Sache ihrer Natur nach nicht erklärt und so Jedermann 
begreiflich gemacht wird? Denn Verlachen und Ableug= 
nen beleidigt nur den, der mit gesunden Augen gesehen 
und mit gesunden Ohren gehört hat. Aber es überzeugt 
ihn das Leugnen nicht nur nicht, sondern es bestärkt ihn in seinem 
Glauben; denn er denkt: wenn's der widerlegen könnte, 
so spottete er nicht; und er hat Recht. Und ebenso ver= 
hält es sich auch mit den Geistererscheinungen. Sobald 
Mehre zugleich ein Gespenst, oder doch untrügliche Zei= 
chen seines Daseins gesehen haben, so hilft's nicht, wenn 
nun Einer kommt und sehr vernünftig beweist: Geister= 
erscheinungen seien nicht möglich. Denn die, welche ge= 
sehen und gehört haben, lachen oder ärgern sich darüber, 
und sagen: Euer Vernünfteln hilft euch nicht; denn wir 
haben die Sache gesehen und gehört, und dies ist der Fall 
bei dem ganzen allgemeinen Publicum. Man lasse Bür= 
ger und Bauern, von der vornehmsten bis zur geringsten 
Classe, kommen, und examinire sie ernstlich, so wird man  
unter zehn kaum einen finden, der nur an Geistererschei= 
nungen zweifelt; denn alle wissen mehr oder weniger 
wahre Gespensterhistorien zu erzählen. Die Herren Auf= 
klärer sollen nur ja nicht glauben, daß ihr Licht schon so= 
weit vorgedrungen sei und jemals vordringen werde, daß 
dadurch der jeden Tag sich erneuernde Glaube an Geister= 
erscheinungen jemals erlöschen werde. Denn immer fin= 
den sich Zeugen, die da und dort etwas dergleichen ge= 
sehen und gehört haben; und wenn auch das Meiste Täu= 
schung ist, so ist doch auch unleugbar, daß sich zu Zeiten 
Wesen aus dem Geisterreiche in der Sinnenwelt empfin= 
den lassen, und diese sind dann die Ursache, daß alle phi= 
losophischen Raisonnements [Raisonnements = Vernunftschlüsse; hier mit mißbilligendem Unterton, also: Vernünfteleien.] den Glauben an Gespenster 
nie auslöschen können, so sehr es auch die Aufklärer und 
Neologen [Neologen = Neulehrer] wünschen. Da steht nun der Freund der Wahr= 
heit zwischen beiden und fragt: Was ist denn aber nun 
wahr? – Sagt man ihm, das kann dir ja gleichgültig 
sein, so muß er ganz natürlich antworten: Nein! das 
kann mir nicht gleichgültig sein; denn Zeugen aus der 
andern Welt sind Jedermann wichtig. Ist es nun nicht 
nöthig und nützlich, einmal zu wissen, was den eigent= 
lich an der Sache sei, und in wiefern sich diese Erschei= 
nungen mit den sinnlichen vereinigen lassen, oder in 
wiefern sie für uns wichtig sind, oder nicht? Endlich, 
wenn wirkliche Geistererscheinungen wahr sind, so ist die 
mechanische Philosophie in Ansehung ihrer Begriffe von 
der Geisterlehre nicht wahr! Dies ist leicht zu erweisen; 
denn nach ihren Grundsätzen kann sich kein Geist anders, 
als in seinen Wirkungen den Sinnen offenbaren; die 
 
    
    
Seele kann ohne Leib nicht fortdauern, sich nicht selbst 
bewußt sein, nicht denken. Folglich gibt es auch keine 
Belohnungen und Strafen nach diesem Leben; die Seele 
muß mit ihrem Körper aufhören, wenn nicht eine neue 
Schöpfung mit ihr vorgeht, und davon haben wir keine 
Gewißheit. Dies Alles ist aber auf ein Mal widerlegt, 
sobald es gewiß ist, daß von Zeit zu Zeit Zeugen aus der 
andern, aus der Geisterwelt auftreten, die durch ihr Da= 
sein das Alles widerlegen, und mit apodiktischer [apodiktisch = beweiskräftig, unwiderleglich.] Gewiß= 
heit durch ihr Dasein bezeugen, daß die Seele unsterblich 
sei, daß es nach diesem Leben Belohnungen und Strafen 
gebe, und daß wirklich zwischen Himmel und Hölle ein 
Mittel, ein Vorbereitungsort existire, der die Seelen zu 
dem einen oder dem andern Ziel vollendet. – Sagt 
man mir, wozu aber das Alles? Wir haben ja die Bi= 
bel, die uns das Alles deutlich sagt, so antworte ich: 
wer wahrhaft an die Bibel glaubt, und von dem Allen 
überzeugt ist, der braucht freilich solcher Zeugen nicht. 
Aber ich bitte um Gottes willen doch wohl zu bedenken, 
daß die mechanische oder Aufklärungsphilosophie beweist, 
daß die Bibel Nichts weniger als göttliche Offenbarung 
sei. Man lese doch das heutzutage so sehr gelobte "El= 
ipzon" 61), Wieland's "Euthanasia" u. a. m., wo mit 
äußerst blendenden Gründen Wahrheiten der Bibel und 
der Religion widerlegt, und welches Alles von unserer 
jungen Lesewelt mit Begierde verschlungen und dadurch 
zum unvermeidlichen Abfall von Christo hingerissen wird. 
Und dies Alles ignorirt die Geistlichkeit und die Kirchen= 
polizei, [Kirchenpolizei = Aufsichts- und Ordnungsbehörde über kirchliche Angelegenheiten] verwirft und verbietet aber ein Buch 62), das mit 
unumstößlichen Gründen darthut, daß alle Sophistereien 
jener Bücher auf Grundlagen (Prämissen) beruhen, die 
grundfalsch sind, und zwar unter dem Vorwande, es 
möchte Aberglauben und Gespensterfurcht verbreiten, denen 
es doch mächtig vorbeugt. – Aus allen diesen Betrach= 
tungen und Voraussetzungen entstand nun das Resultat 
in mir: Wenn ich den gänzlichen Ungrund der Prämissen 
der falschen und schädlichen Aufklärungsphilosophie zeigte, 
wenn ich zeigte und aus Vernunftgründen bewiese, daß 
die ganze Bibellehre von Gott, von der Geisterwelt, von 
der Unsterblichkeit der Seelen und von Belohnungen und  
Strafen nach diesem Leben der reinen, vorurtheilsfreien 
Vernunft, dem gesunden Menschenverstand und allen Er= 
fahrungen aus der Geisterwelt vollkommen gemäß sei, so 
müßte daraus ein für die christliche Religion, und beson= 
ders für die große Menge derer, die noch am Scheide= 
wege stehen, und durch die herrschende Philosophie oder 
Aufklärung geblendet, den rechten Weg nicht finden könne, 
ein sehr nützliches Werk entstehen, und so entstand denn 
die Theorie der Geisterkunde. Vielleicht hätte ich 
dies Alles in einer Vorrede sagen sollen, und as hätte 
ich wirklich gethan, wenn es mir nur im Traum einge= 
fallen wäre, daß irgend ein Leser meines Buches während 
--- 
61) Oder über meine Fortdauer nach dem Tode. Von C. F. 
Sintenis. (Danzig 1796.) Dritte Ausg. Ebendas. 1810 – 1815. 
6 Thle. [Das Wort Elipzon bedeutet Hoffnungs-Schimmer.]     62) Dies war bald nach der Erscheinung der Geister= 
kunde im Canton Basel und im Würtembergischen geschehen; s. 
Jung's Apologie u. s. w. S. 3. 
    
dem Lesen meine Absicht verfehlen könnte, und doch ist 
dies häufig geschehen." 
 
Nach den eben mitgetheilten Äußerungen kann das, 
wenn auch zu lieblos ausgesprochene, Urtheil eines neuen 
Schriftstellers kaum befremden, wenn er meint, daß Jung 
in späteren Jahren immer in die Blödheit seiner Jugend 
zurückgegangen sei 63). "In seiner Theorie der Gei= 
sterkunde sehen wir ihn völlig zu den Volksclassen gleich= 
sam herabgesunken, aus denen er sich Anfangs emporge= 
hoben hatte. Er bringt den trivialen Köhlerglauben in 
ein System, nicht mit der Gewalt jener bildnerischen Phan= 
thasie des Paracelsus, die einer poetischen Theorie der Gei= 
ster noch gewachsen war, sondern mit dem ärgerlichen 
Oppositionsgeist gegen die Philosophie und Aufklärung der 
Zeit, der er zu folgen, die er zu begreifen nicht im Stande 
war, und mit jener Miene der Wissenschaftlichkeit, die 
sich gar nicht bewußt ist, daß sie auf ein Gewebe von 
halben physikalischen Erkenntnissen und von Charlatane= 
rien ein Gebäude der Wahrheit aufstellen will." 
 
Wer auch diesem Urtheil in seinem ganzen Umfange 
nicht beistimmen und den Verfasser der Geisterkunde we= 
nigstens nicht von dem Vorwurfe freisprechen kann, durch 
sein Werk den Aberglauben befördert zu haben, kann 
doch in Jung, trotz der Befangenheit seiner Ansichten, die 
redliche Gesinnung nicht verkennen. "Der ganze Zweck 
meines Lebens und meines ganzen Wirkungskreises," sagt 
er selbst 64), "geht dahin, die wahre, reine, evangelische 
Christus= und Bibelreligion gegen die so scheinbaren So= 
phistereien der neuern Aufklärungsphilosophie zu vertheidi= 
gen und zugleich in diesen so wichtigen und schweren Zei= 
ten den wahren, schmalen Weg, zwischen der falschen 
Aufklärung und der Schwärmerei durch, zum großen und 
glänzenden Ziele zu zeigen. Man prüfe alle meine Schrif= 
ten, und man wird in keiner einzigen diese Tendenz ver= 
kennen." In ähnlicher Weise äußert sich Jung an einer 
andern Stelle. "Meine Theorie der Geisterkunde," 
sagt er 65), "hat den Zweck, die Hauptwahrheiten der 
christlichen Religion, die Unsterblichkeit der Seele und die 
Lehre von Belohnungen und Strafen nach diesem Le= 
ben gegen die mechanische Aufklärungsphilosophie zu ver= 
theidigen. Die Wichtigkeit der Sache, ihre Gewißheit und 
meine höchst klare Überzeugung macht, daß ich mit Zuver= 
sicht spreche und sprechen kann. Ich frage nun jeden auf 
sen Gewissen, thun das die Gegner von ihrer Seite nicht 
auch? Stoßen sie nicht mit einem höhnenden stolzen Tone 
Alles um, was nur Bibel und Bibelreligion heißt? Und 
andere, noch gefährlichere Männer nehmen einen frommen, 
menschenliebenden Ton an, indem sie dem Christen Alles 
rauben, was nur heilig ist. Solche Schriften aber sollen 
weniger schaden, als mein Buch, weil sie weniger Ge= 
räusch machen? Wissen denn die Herren nicht, daß der= 
gleichen abscheuliche Schriften von unserer Welt begierig 
verschlungen werden, und daß alle Lesebibliotheken damit 
--- 
63) s. Gervinus in s. Geschichte der poetischen National= 
literatur der Deutschen Th. 5. S. 276.     64) In der Apologie 
s. Theorie der Geisterkunde S. 3 fg.     65) a. a. O. S. 73 fg. 
    
angefüllt sind? – Was man zu meinem Lobe sagt, er= 
kenne ich mit dem verbindlichsten Danke, und sollte irgend 
wem in dieser Schrift 66) das Eine oder Andere beleidi= 
gend vorkommen, so bezeuge ich hiermit vor Gott, daß 
ich Niemand beleidigen wollte. – Der, welcher Herzen 
und Nieren prüft, kennt meine Absichten; er weiß auch, 
was mich, außer den im Eingang angeführten Veran= 
lassungen, drängte, mein Buch zu schreiben. Wahrlich 
nicht Geld, und noch weniger Ehre; denn an deren Stelle 
ernte ich Schmach, Spott, Verachtung und Schande, 
und das konnte ich im Voraus vermuthen. Ihm, mei= 
nem himmlischen Führer, überlasse ich die Folgen, die kein 
Verbot hindern, wol aber befördern wird; denn keine 
Bücher werden fleißiger und mir mehrem Interesse gele= 
sen, als die verbotenen. – Ich lege mit blutendem Her= 
zen die Feder weg, und werde sie auch zur Vertheidigung 
der Geisterkunde nie wieder in die Hand nehmen, wenn 
es mit nicht dringende Umstände zur Pflicht machen. Mein 
Zeuge ist im Himmel, und der mich kennt, wohnt in der 
Höhe." 
 
Als Jung diese Worte niederschrieb, erfreute er sich, 
ungeachtet seines weit vorgerückten Alters, einer fast un= 
unterbrochenen Gesundheit, die ihm die selten gestörte 
Ausübung seiner praktischen und literarischen Thätigkeit 
vergönnte. Im Frühjahre 1806 hatte er seinen bisheri= 
gen Aufenthalt in Heidelberg mit Karlsruhe vertauscht. 
Mit dem Antritte des 77. Lebensjahres (1816) ward ihm 
die Abnahme seiner geistigen und physischen Kräfte sehr  
fühlbar. Einige Erholungsreisen nach Baden und Rastadt 
schienen ihn gestärkt zu haben. Doch litt er an großer 
Mattigkeit und einem oft wiederkehrenden schmerzhaften 
Magenkrampf. Einem frühern Falle aus dem Wagen 
und einem dadurch entstandenen organischen Fehler schrieb 
Jung dies Übel und besonders das damit verbundene hef= 
tige Seitenstechen zu. Zu Anfange des Winters 1816 
bis 1817 mußte er gänzlich das Bett hüten. Aller ärzt= 
lichen Mittel ungeachtet schwanden seine Kräfte immer  
mehr. Es war ihm unmöglich, seinen ausgebreiteten 
Briefwechsel fortzusetzen, und selbst das Dictiren mußte 
er bei seiner zunehmenden Kränklichkeit unterlassen. Oft 
vergaß er den eigenen Schmerz bei einem Blick auf den 
Zustand seiner Gattin, die an einer gefährlichen Brust= 
krankheit litt. In Augenblicken, wo er sich kräftiger fühlte, 
schrieb er an einer Lebensgeschichte, von welcher die Schil= 
derung seines Alters Fragment geblieben ist. Als er aus 
der Druckerei das letzte Heft seiner biblischen Erzählungen 
erhielt 67), freute er sich sehr, sie noch vollendet zu haben. 
Mit dem Anfange des Jahres 1817 schien sich sein Zu= 
stand zu bessern. Er vermochte zuweilen eine Zeit lang 
das Bett zu verlassen. Immer blieb ihm eine stille Er= 
gebung in sein Schicksal. "Es ist mir einerlei, wie es 
komme," äußerte er einst, "fortwirken oder nicht, ich bin 
auf Alles gefaßt." [Nach: Vater Stillings Lebensende. Lebensende, beschrieben von seinem Enkel Wilh. Heinrich El. Schwarz] Mitten unter den durch heftige Me= 
--- 
66) Der erwähnten Apologie seiner Theorie der Geisterkunde. 
67) Das bereits früher erwähnte Wer: Des christlichen Men= 
schenfreunds biblische Erzählungen. Das 14. (letzte) Heft 
diess Werkes erschien zu Nürnberg 1816. 
    
genkrämpfe erzeugten Schmerzen rief er: "Gott hat mich 
von Jugend auf mit besonderer Vorsehung geleitet; ich 
will nicht unzufrieden sein, sondern ihm auch in meinen 
Leiden verherrlichen." [Enkel Schwarz a. a. O.] Immer beschäftigte er sich mit re= 
ligiösen Schriften. Mit besonderem Wohlgefallen las er 
Kanne's Werk: "Leben und aus dem Leben erweckter 
Christen," und Schubert's "Altes und Neues aus 
der höhern Seelenkunde.["; ebd.] Wenn es ihm seine sinkenden 
Kräfte irgend erlaubten, sprach er gern mit den Seinigen 
von seinen Jugendschicksalen, bei denen er immer auf die 
höhere Leitung hinwies und sich als ein Werkzeug der 
göttlichen Gnade betrachtete. Der Tod seiner Gattin 
machte ihn immer vertrauter mit dem Gedanken, daß auch 
ihm sein Ende nahe sei. Seine Entkräftung nahm zu, 
aber sein Geist blieb immer lebhaft. Eine merkwürdige 
Äußerung entfiel ihm einst im Gespräch mit einem alten 
Freunde und seiner zweiten Tochter: "Ich muß euch," 
sprach er [nach Schwarz a. a. O.], "etwas Wichtiges sagen, was zur Seelenkunde 
gehört. Ich habe ganz das Gefühl, als wenn ich ein 
doppeltes Ich hätte, ein geistiges und ein leibliches. Das 
geistige Ich schwebt über dem thierischen. Beide sind in 
dem Menschen im Kampfe, und nur durch Abtödtung 
alles sinnlichen Begehrens kann man dahin kommen, daß 
es nicht mehr zusammenhängt. Aber durch eigene Kraft 
nicht, sondern durch Selbstverleugnung mit dem Beistande 
Gottes" 68). [nach Schwarz a. a. O.] Jede andere Unterhaltung, als die von Gott 
und seinen Heilsanstalten, war ihm lästig. Daher sagte 
er einst: er habe seit seinem Krankenlager noch keinen Au= 
genblick lange Weile empfunden, aber seit dem Tode sei= 
ner Frau werde ihm die Zeit lang. Die Vollendete war 
ihm allerdings eine treue und unentbehrliche Lebensgefähr= 
tin gewesen, deren Sorgfalt und aufopfernde Liebe sein tief 
fühlendes Gemüth nicht verkennen konnte. Bewundernswerth 
war die Besonnenheit und Ruhe, womit er auf dem Sterbe= 
bette den Augenblick des Scheidens von dieser Welt er= 
wartete. Er rief seine Kinder zu sich, konnte jedoch, durch 
ein zunehmendes Asthma verhindert, nur wenig sprechen. 
Er hatte mitunter Visionen. Besonders quälte ihn die Er= 
scheinung eines schwarzen Mannes. Unter den Hyacin= 
then, Narcissen und andern Blumen, die ihn in Töpfen 
umgaben, glaubte er mitunter Engelsköpfe hervorblicken 
zu sehen. Die zwei Uhren, die neben seinem Bette hin= 
gen, täglich aufzuziehen, vergaß er nicht leicht. Es schien 
eine Art von Lieblingsbeschäftigung für ihn zu sein. Die 
Ordnungsliebe und Pünktlichkeit, die er in seinen zahl= 
reichen Geschäften zeigte, verließ ihn auch in den letzten 
Augenblicken seines Lebens nicht, und zeigte sich unter 
anderem in dem Verlangen nach den für ihn bereiteten 
Getränken und Arzneien. Wie der Gedanke an das Jen= 
seits ihn über alle irdischen Angelegenheiten emporhob, 
zeigten mehre seiner Äußerungen. Zu seiner zweiten 
Tochter sagte er einst: "Ich habe euch Alle so lieb, 
und doch wird mit die Trennung so leicht." Als ihm 
sein ältester Sohn erwiederte: "Das kommt daher, weil 
Sie den Herrn so lieb haben!" antwortete Jung: "Ja, 
das ist es!" In einer sehr feierlichen Stimmung versetzte 
--- 
68) s. Jung's Lebensgeschichte S. 805 fg. 
    
ihn einige Tage vor seinem Tode der Genuß des Abend= 
mahls, an welchem die Seinigen, seinem Wunsche gemäß, 
Theil nahmen. Mit einem festen Blick auf die seinem 
Lager gegenüber hängende Madonna schloß er seine Augen 
für immer am 2. April 1817. Seine scheidende Seele 
hatte alle ihre Freundlichkeit, Reinheit und Würde der 
sterblichen Hülle zurückgelassen. Ein schöner Kupferstich, 
der nach Jung's Tode erschien, zeigt ihn auf seinem 
Sterbelager ruhend 69). 
 
Den richtigsten [sic] Maßstab zur Beurtheilung dieses in 
mehrfacher Beziehung merkwürdigen Mannes liefert seine 
Selbstbiographie. Ohne Jung's eigene Äußerung, daß 
dies Werk, mit Ausnahme der Namen und einiger Ver= 
zierungen, nur die strengste Wahrheit enthalte, wird man 
sich versucht fühlen, es als einen religiösen Roman zu be= 
trachten. Nach der Schilderung, die Jung darin von sich 
entwirft, war er im eigentlichen Sinne des Worts eine 
religiöse Individualität, für deren Bezeichnung ein geist= 
reicher Schriftsteller [Friedrich Heinrich Christian Schwarz] sehr treffend den biblischen Ausdruck 
gewählt hat: Christus hatte in ihm eine Gestalt gewon= 
nen. [nach dem "Nachwort Von Jung=Stillings Schwiegersohne"] Auf das Dasein einer für ihre Verehrer sorgenden 
Vorsehung war er schon früh hingewiesen worden durch 
die nie ausbleibende göttliche Hilfe in mannigfacher Be= 
drängniß. Selbst seine Erhebung aus der niedrigsten und 
dunkelsten Lage zu der höhern Stellung, die er in spätern 
Jahren einnahm, mußte ihn in dem Vertrauen auf die 
höhere Leitung menschlicher Schicksale bestärken. 70). Mit 
den bedeutungslosen Individuen, die sich in ihrem Cha= 
rakter und Handeln durch die Umstände bestimmen lassen, 
hatte Jung's Natur Nichs gemein. Ihm fehlte nicht die 
ausdauernde Kraft, durch alle Hindernisse, die ihm seine 
Geburt, seine äußere Lage, die Vorurtheile der Menschen 
u. s. w. entgegenstellten, sich muthig den Weg zu bahnen 
zur Vollbringung der Hauptaufgabe seines Lebens. Schon 
in früher Jugend scheint sich in ihm, wenn auch dunkel, 
die Ahnung einer höhern Bestimmung im Reiche Gottes 
geregt zu haben. Mit der ganzen Lebendigkeit seiner Phan= 
tasie ergriff er diesen Gedanken, der eine unwiderstehliche 
Macht auf sein Gemüth ausübte. Seine eigenen Erfah= 
rungen, die für ihn feststehende Thatsache einer unmittel= 
bar in das Leben eingreifenden Vorsehung wurden ihm zu 
einer festen Stütze für seinen religiösen Glauben. Zahl= 
reiche Belege dafür finden sich in seinen Schriften, be= 
sonders in den einzelnen Heften seines bereits früher 
erwähnten "christlichen Menschenfreundes" und in sei= 
nen "biblischen Erzählungen." Sein unerschütterliches 
Vertrauen auf die Vorsehung bewahrte ihn aber auch 
zugleich vor allem religiösen Skepticismus. Als er einst 
während seiner akademischen Laufbahn Gefahr lief, in re= 
ligiöse Zweife zu gerathen, sagte er zu sich: Derjenige, 
der augenscheinlich das Gebet der Menschen erhört und 
ihre Schicksale wunderbarer Weise und sichtbar lenkt, muß 
--- 
69) Eine verkleinerte Copie jenes Kupferstichs, nebst der Ab= 
bildung seines Grabdenkmals, findet man in Jung's Lebensgeschichte 
(Stuttgart 1843. kl. 8.), welche auch sein nach einer Büste Dan= 
necker's von K. Mayer gestochenes Portrait ziert.     70) Vgl. 
Goethe's sämmtl. Werke Bd. 21. S. 192. 
    
unstreitig wahrer Gott und seine Lehre Gottes Wort 
sein. Nun habe ich von jeher Jesum Christum als meinen 
Gott und Heiland verehrt und ihn angebetet. Er hat 
mich in meinen Nöthen erhört und mir wunderbar beige= 
standen und geholfen. Folglich ist Jesus Christus unstrei= 
tig wahrer Gott, seine Lehre ist Gottes Wort und seine 
Religion, sowie er sie gestiftet hat, die wahre. 
 
Mit dieser religiösen Ansicht trat Jung dem Unglau= 
ben der Zeit entgegen, den er namentlich durch die Kan= 
tische [Kant] Philosophie, in sofern dieselbe auf die Gestaltung 
des christlichen Glaubens einen entschiedenen Einfluß ge= 
wann, befördert und immer weiter ausgebreitet wähnte. 
Das Eigenthümliche seiner Polemik bestand darin, daß er 
seinen Gegner aus dessen eignen Principien zu widerlegen 
suchte. Mit der von Kant aufgestellten Behauptung, 
daß unsere Begriffe bloße, uns eingeborene Formen wä= 
ren, denen das wahre Wesen der Dinge um uns her 
nicht entspräche, schien Jung völlig einverstanden. Nur 
auf eine allgemein faßlichere Weise, als Kant, suchte er 
jenen Satz begreiflich zu machen. Nach dem religiösen 
Standpunkte, von dem er dabei ausging, hielt er alle 
Vorstellungen, die sich auf Raum und Zeit beziehen, für 
eingeschränkt 71). Auf Gott aber, meinte Jung, lasse sich 
jener Satz nicht ausdehnen. Er, der Ewige, Unendliche 
und Unbegreifliche, kenne keine Schranken, und so könne 
sich Gott auch die Welt nicht im Raum und in der Zeit 
vorstellen. Da aber seine Vorstellungen allein Wahrheit 
hätten, so sei auch die Welt nicht Raum und Zeit. 
Den Beweis für die Endlichkeit unserer Begriffe über die 
Welt, ihren Anfang und Umfang, stützte Jung auf den 
bekannten Antinomieschluß Kant's, nach welchem wir 
uns einerseits den Raum als unendlich denken müßten, 
weil, wenn er eine Grenze hätte, jenseits ein leere Raum 
gedacht werden müßte, andererseits sich aber auch nicht 
eine endliche Unendlichkeit denken lasse, oder mit andern 
Worten ein unendlicher, mit lauter endlichen Dingen an= 
gefüllter Raum 72). Demgemäß hielt auch Jung die ganze 
Vorstellung des Raums überhaupt für eine blos subjective 
Vorstellung endlicher Menschen. 
 
Diese Lehre, verbunden mit der Idee einer unmittel= 
bar auf alle menschlichen Schicksale einwirkenden Vor= 
sehung, ward für Jung das Fundament seines Glaubens 
und zugleich das wissenschaftliche Prinzip seiner philoso= 
phisch=religiösen Überzeugung. Obgleich aber im Allge= 
meinen mit Kant's Principien einverstanden, bekämpfte er 
doch die damalige Philosophie, in sofern sie ihre Waffen 
gegen das Christenthum richtete. Aus ihren eigenen Prä= 
missen suchte er sie zu widerlegen. Er war der Meinung, 
daß wir aus dem Kreise der Vorstellungen von Raum 
und Zeit uns nicht entfernen dürften, da Gott uns die= 
selben für diese Welt angeschaffen habe. Ohne mit seinem 
Rathschluß in Widerspruch zu kommen, dürften wir nicht 
wagen, das wahre, übersinnliche Wesen der Dinge be= 
stimmen zu wollen. Nur die göttliche Offenbarung könne 
uns über das Ewige belehren, und es liege in der Natur 
--- 
71) Vgl. seine Theorie der Geisterkunde S. 33.     72) Vgl. 
S. Reinhold in s. Lehrbuch d. Gesch. d. Philosophie S. 476 f. 
    
der Sache, daß die menschliche Vernunft von Oben erleuchtet 
werde. Von der positiven Religion war aber der durch 
Kant begründete Vernunftglaube, der sich auf die drei 
Begriffe: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, concentrirte, 
so völlig unabhängig, daß durch die Voraussetzung der 
vollen Freiheit des menschlichen Willens die Nothwendig= 
keit der Erlösung gänzlich hinwegfiel, und Christus zu 
einem bloßen Sittenlehrer ward, der in seinem Tode ein 
hohes Beispiel von Aufopferung für das Gute aufstellte. 
Gegen diese Lehren, die er mit seiner Sinnerart durchaus 
nicht vereinigen konnte, richtete Jung seine mitunter sehr 
scharfe Polemik. Wie die Religion auf das Moralprincip 
gegründet werden könne, wollte ihm nicht einleuchten. 
Widersinnig erschien ihm schon diese Idee, wenn er die 
Verschiedneheit des sittlichen Gefühls bei verschiedenen Völ= 
kern, bei dem gebidleten Europäer und dem rohen Will= 
den, betrachtete. Der Mensch, meinte Jung, sei nicht 
blos ein geistiges, sondern auch ein sinnliches Wesen. An 
seine Veredlung aber, besonders bei den Ungebidleten, 
sei kaum zu denken, wenn die Triebfeder zum sittlichen 
Handeln, die in der Aussicht auf künftige Belohnung oder 
Bestrafung liege, gänzlich hinwegfalle. Am wenigsten 
konnte sich Jung mit der von Kant ausgesprochenen Be= 
hauptung vereinigen, daß der Mensch von Natur gut sei. 
Jung war ein entschiedener Anhänger der Theorie von der 
angeborenen Sündhaftigkeit der menschlichen Natur, die, 
wie er meinte, nur durch die göttliche Gnade und durch 
das Werk der Erlösung gebessert und geheiligt werden 
könnte. Nicht blos in wissenschaftlicher Form durch 
Schlüsse, auch durch einzelne Beispiele, aus eigener Er= 
fahrung geschöpft, vertheidigte er daher die Lehre von der 
göttlichen Gnade und ihrer beseligenden Kraft. 
 
Fast noch größere Gefahr, als von der Philsophie, 
befürchtete Jung von der Frivolität, die in Voltaire's 
Schriften die Grundpfeiler des Christenthums zu erschüt= 
tern drohte, zumal in einer Zeit, wo mit dem steigenden 
Luxus auch die Sittenlosigkeit sich immer mehr verbreitete. 
Das trostlose Gefühl, mit seinem Glauben allein und ver= 
lassen dazustehen, erfüllte ihn mit tiefem Unmuth über 
das Treiben seiner Zeitgenossen, mit denen er Nichts mehr 
gemein zu haben glaubte. Seine Empfindungen, sein 
Hinwegsehnen aus dem unchristlichen Zeitalter schildert 
sein bereits früher erwähnter Roman "das Heimweh." 
In einer andern Schrift, dem "grauen Mann," warnte 
er ernstlich vor dem immer mehr sich ausbreitenden Un= 
glauben. In seiner aufgeregten Phantasie sah er in dem 
Abfalle von Christus das wirkliche Herannahen des jüng= 
sten Tages und die Erscheinung des Herrn in sichtbarer 
Gestalt, um Gericht zu halten über die sündige Mensch= 
heit. Sein Glaube an das Eintreten des tausendjährigen 
Reichs war so stark, daß er für diesen, wie er glaubte, 
nahen Zeitpunkt allerlei Verhaltungsregeln geben zu mü= 
sen glaubte, und sich ernstlich mit Untersuchung der Frage 
beschäftigte, ob Christus Alle, oder nur den Wiedergebo= 
renen erscheinen werde. In der Grundidee, wenn sie sich 
auch geistiger auffassen ließe, lag etwas Anziehendes, wenig= 
stens in der Ansicht: die Ausgießung des heiligen Geistes 
auf Alle werde zu der Erkenntniß führen, daß der Unter= 
    
    
schied der verschiedenen christlichen Parteien aufhören und 
sich Alles in wahrer Einigkeit des Geistes versammeln 
werde. Wie sich Jung die Zukunft nach dem Eintritt 
der Weltkatastrophe dachte, zeigt die populäre Erklä= 
rung der Apokalypse in seiner bereits früher erwähnten 
"Siegesgeschichte der christlichen Religion," und der Nach= 
trag, den er zu diesem Werke lieferte 73). 
 
Jung's Polemik beschäftigte sich aber nicht blos mit 
der Bekämpfung des Unglaubens. Auch gegen ein an= 
deres extrem der Zeit, gegen den Aberglauben, war sie 
gerichtet, wie derselbe sich in der überreizten Phantasie des 
ungebildeten Volkes darstellte, die immer der sinnlichen Form 
bedarf, ums ich zu religiösen Begriffen von Gott und 
Unsterblichkeit zu erheben. In mannigfache Widersprüche 
verwickelte ihn aber der in seinem Roman "Theobald" 
aufgestellte Grundsatz: "Wenn man den Willen Gottes 
nicht wisse, und weder Vernunft, noch Offenbarung sichern 
Rath gäben, so solle man gar Nichts thun, sondern schwei= 
gen und ruhen, bis sich der Wille Gottes von selbst ent= 
wickle." Daß die Phantasie, das Gefühl in uns ebenso 
falsch, unsittlich und verkehrt, als dem willen Gottes an= 
gemessen sein kann, dafür liefert der vorhin erwähnte Ro= 
man traurige Beispiele, wenn z. B. der arme Bauern= 
bursche Theobald und ein Fräulein Amalie die aller 
menschlichen Ordnung zuwiderlaufenden Eingebungen ihrer 
fleischlichen Liebe für Gottes Werk halten. Ebenso kann 
höchstens das Interesse, den Pietismus von einer schönen 
Seite darzustellen, die kaum glaubliche Schilderung der 
Unsittlichkeiten in der berleburger Gemeinde entschuldigen. 
Die traurigen Verirrungen des Phantasie zeigen sich auch 
in dem neunjährigen Knaben Theobald's, der sich in 
diesem zarten Alter der Befriedigung des Geschlechtstrie= 
bes überläßt, und endlich zur Ausführung des abenteuer= 
lichen Entschlusse geführt wird, diese sündhafte Welt mit 
einem Einsiedlerleben zu vertauschen. Dagegen ist es ein 
schöner Zug in der Geschichte Theobald's. daß Jung 
seinen Helden, nach mannigfachen Verirrungen, zu der 
einflußreichen und Segen verbreitenden Stelle eines hohen 
Staatsbeamten gelangen läßt, und dadurch zwischen ihm 
und der wirklichen Welt, mit der er zerfallen, eine Art 
von Versöhnung einleitet. 
 
Die hier und da aufgeworfene Frage, ob Jung nicht mit 
seiner Polemik in eine frühern, verschollenen Zeit angehöre 
und für die jetzige wenig Bedeutung mehr habe, möchte 
dahin zu beantworten sein, daß der positive Theil der in 
seinen Schriften enthaltenen Weltansicht wol so lange 
Gültigkeit behalten dürfte, als das Christenthum selbst be= 
steht, auch ohne dabei die lebendige und anziehende Form, 
welche Jung seinen Darstellungen gab, in Anschlag zu 
bringen. Nicht blos von der positiven, auch von der po= 
lemischen Seite scheint die Tendenz seiner Werke noch im= 
mer bedeutend genug. Die Auffassung des Christenthums, 
--- 
73) Vgl. damit die in dem Taschenbuch für Freunde des Chri= 
stenthums (Nürnberg 1805. S. 82 fg. S. 100 fg.) enthaltenen 
Aufsätze: "Berichtigung zweier scheinbaren Unrichtigkeiten in der 
biblischen Zeitrechnung" und "Bemerkungen über die heilige Sie= 
benzahl." 
    
wie sie die Kantische Philospophie sich gestaltete, fin= 
det auch noch heutzutage ihre Vertheidiger, und noch 
immer lebt der Feind, gegen den Jung als ein Streiter 
des Herrn mit allen ihm zu Gebote stehenden Waffen 
muthig kämpfte. Das Leugnen des Jenseits, durch den 
damaligen Zeitgeist immer mehr verbreitet, mußte noth= 
wendig eine Gegenwirkung hervorbringen. Sie zeigte sich 
in dem durch den Somnambulismus erregten Glauben 
an eine innige Verbindung der Geisterwelt mit dem ir= 
dischen Leben. Die Äußerungen, die darüber laut wur= 
den und das Aufsehen, das sie erregten, wurden für 
Jung die Veranlassung, seine bereits früher ausführlich 
besprochen "Theorie der Geisterkunde" zu schreiben, ein 
Werk, das ihm wenig Bewunderer erwarb, aber desto 
mehr Tadel, Haß und Verfolgung zuzog. Jung war 
kein abergläubiger Bewunderer des Somnambulismus. 
Er sichte ihn theoretisch zu begründen, weil er darin eine 
ungewöhnliche Entwicklung des menschlichen Ahnungsver= 
mögens und der Einbildungskraft erblickte 74). 
 
Die religiöse Denk= und Empfindungsweise, von 
Jung's Kindheit an seinem Gemüth eingeflößt und mit 
ihm erwachsen, zeigte sich auch unverkennbar in seinem 
Charakter, in seiner Thätigkeit, ins einer ganzen Art zu 
wirken und zu sein. Das Christenthum war ihm zu ei= 
ner Herzensangelegenheit geworden. Über Nichts sprach 
er lieber, und wenige Gegenstände beschäftigten mehr sein 
Nachdenken. Sein Gemüth erhielt dadurch eine Tiefe, 
Fülle und Kraft, die seinen Worten ein ungewöhnliches 
Feuer der Beredsamkeit lieh. In seinem männlich schönen 
Gesicht lag eine ungemeine Würde, und äußerer Anstand 
begleitete alle seine Bewegungen. In frühern Jahren 
hatte ihn seine kräftige Natur und leicht erregbare Phan= 
tasie in schwere Kämpfe mit der Sinnlichkeit verwickelt. 
Er war aber siegreich daraus hervorgegangen durch die 
Macht, welche die Religion auf sein Gemüth ausübte. 
Daß er seine Seelenreinheit unbefleckt erhalten, hing wol 
auch mit seiner strengen Diät und Nüchternheit zusammen. 
Treffend bezeichnet einer seiner Freunde [F. H. C. Schwarz] Jung's Natur, 
wenn er meint, es habe gewissermaßen etwas Orientali= 
sches in ihr gelegen. Schwäche war ihm in jeder Be= 
ziehung fremd. Seine Worte, seine Gedanken, seine Hand= 
lungen trugen ein unverkennbares Gepräge von Kraft. 
Dies gab seinem Wesen, ungeachtet des Humors, zu dem 
er sich erheben konnte, etwas Ernstes und Feierliches, be= 
sonders im Gespräch über Gegenstände der Religion und 
Moral. Nicht konnte ihn mehr entrüsten, als Spott 
und Verhöhnung des Heiligen. Der tiefe Ernst seiner 
Natur zeigte sich besonders bei Religionszweifeln in dem 
innern heftigen Kampfe, zum Licht und zur Gewißheit 
zu gelangen. Wie unerschütterlich fest aber sein Glaube 
stand und über seinen Skepticismus stets den Sieg da= 
von trug, zeigt seine Selbstbiographie. Das Evangelium 
machte ihn zu einem Glaubenshelden, der sich vor keinem 
Märtyrerthum scheute. Er lebte, wie sich ein geistreicher 
Schriftsteller ausdrückt, gleichsam in den ersten Zeiten des 
--- 
74) Vgl. Jung's Äußerungen in dem 29. Stücke seiner 
Schrift: der graue Mann. 
    
Christenthums, wo ihn die Verkündigung des Herrn und 
die Schmach für den Herrn zu einem apostolischen Strei= 
ter gemacht haben würde. Es lag in seinem innern Le= 
ben und in seinen Schicksalen, daß ihm überhaupt das 
Christenthum von der Seite, wie es sich bei dem ein= 
tritte in die Welt offenbart, entgegentreten mußte, näm= 
lich in seinem Kampfe. Darauf bezogen sich manche sei= 
ner, in prophetischem Geiste gesprochenen Worte über die 
Zukunft. Noch stärker aber war die Einwirkung des 
Christenthums auf sein Inneres. Immer rief er den Bei= 
stand Gottes an und fühlte die beseligende Nähe des 
Herrn. Man hat ihn falsch beurtheilt, wenn man ihm 
eine Hinneigung zum Pietismus schuld gab. Noch ent= 
fernter war seine Natur von dem Dünkel der Frommen 
oder vielmehr der Frömmlinge. Jede Art von Affectation 
war ihm überhaupt verhaßt. In seinen Forderungen war 
er gegen Niemanden strenger als gegen sich, und nicht leicht 
verzieh er sich irgend einen Vorwurf, den ihm sein leises 
sittliches Gefühl machte. Wie die Religion sein ganzes 
Wesen durchdrungen hatte, zeigte sein zuversichtliches Be= 
ten, sein unermüdliches Wohlthun, seine gesellige Unter= 
haltung, mit einem Worte sein ganzes Sein und Wesen. 
Ein Mann, der ihm sehr nahe stand, [F. H. C. Schwarz] sagt von Jung: 
"Er hatte eine ganz eigene persönliche Zuneigung zu dem 
Erlöser. Ich bin überzeugt, daß in seiner Phantasie ein 
scharf gezeichnetes und lebendiges Bild von Christus stand, 
welches aus seinem innersten Wesen als sein höchstes Ideal 
hervorgegangen war, in welchem er die Gottheit schaute, 
und an den er sich im Gebete wandte; sein himmlischer 
Freund, mit welchem er in täglichem und in dem ver= 
trautesten Umgange stand. Der Gekreuzigte war es, auf 
den seine Seele immer niederschaute." Diese Vorstellun= 
gen befreundeten ihn, abgesehen von ihrer echtchristlichen 
Denkart, mit der Brüdergemeinde [sic; Brüdergemeine]. Wenige Menschen 
waren so geeignet, wie er, Sekten zu stiften, und manche 
Aufforderung dazu erging an ihn, die er aber entschieden 
von sich abwies, wenn er in dem Motiv Überspannung 
und Schwärmerei erkannte. Gleichwol kam er oft in den 
Verdacht eines Sektirers. Mit gleichem Rechte hätte man 
ihn des Indifferentismus beschuldigen können, weil er je= 
dem wahren Christen, welches Glaubens er auch sein 
mochte, mit brüderlicher Liebe zugethan war. Die re= 
formirte Kirche, der er angehörte, hinderte nicht sein freund= 
schaftliches Verhältniß zu edlen Seelen anderer Reli= 
gionsparteien. In der liberalen Gesinnung gegen an= 
dere Glaubensgenossen konnte er als Muster gelten. Er 
war zu tief in das Wesen des Christenthums eingedrun= 
gen, um auf die äußere Form mehr Werth zu legen, 
als sie verdient. Seinen lebhaften Unwillen aber erregte 
in den letzten Jahren seines Lebens, die an ihn ergangene 
Aufforderung, zur katholischen Kirche überzutreten. Er 
fühlte sich dadurch zu einer besondern Schrift veranlaßt. 
Bei aller Toleranz aber, die ihm eigen war, zeigte er 
eine unerbittliche Strenge gegen Meinungen, die nach 
seiner Ansicht mit den wesentlichen Lehren des Christen= 
thums im Widerspruch standen. Mitunter entwarf er sich 
auch wol ein zu grelles Bild von seinem Gegner, sodaß 
er ungerecht werden konnte. Ward er durch seine Freunde 
 
    
    
daraus aufmerksam gemacht, so stimmte ihn dies leicht zu 
mildern Gesinnungen und mit edler Selbstverleugnung 
gab er seine Meinung auf, wenn er die Wahrheit wirk= 
lich auf der Seite des Andern zu erblicken glaubte. Kei= 
ner seiner Gegner konnte ihn übrigens so erbittern, daß 
er Anstand genommen hätte, ihm als Mensch zu helfen, 
soviel irgend in seinen Kräften stand. 
 
Von seiner toleranten und liberalen Gesinnung zeugt 
das Verhältniß zu seinem nachherigen Schwiegersohne, 
dem großherzogl. badischen geheimen Kirchenrath und Pro= 
fesser der Theologie Dr. F. H. C. Schwarz. es möge 
hier mit seinen eigenen Worten geschildert werden. " Ich 
war," sagt Schwarz 75), " erst 23 Jahre alt, da ich 
ihn kennen lernte, war noch einigermaßen in der Wol= 
fischen, mehr noch in der Kantischen Philosophie be= 
griffen, und gab ihm eben nicht gerne nach. Wir spra= 
chen uns frei gegen einander aus, und grade so schenkte 
er mir seine Freundschaft. Damals waren die Verhält= 
nisse so, daß uns beiden noch kein Gedanke unserer nach= 
maligen Familienverbindung kommen konnte. Auch ich 
hatte Vorurtheile gegen ihn, und habe sie nicht so leichter 
Hand aufgegeben; und er wußte, daß wir in manchen 
Lehrmeinungen nicht übereinstimmen würden. Dessenunge= 
achtet wuchs unsere Freundschaft, sowol von Seiten des 
Geistes, als des Herzens. Er wollte mich keineswegs 
in seine Ansichten hinüberziehen, nachdem er sich nur so= 
weit überzeugt hatte, daß mir das biblisch=evangelische 
Christenthum am Herzen liege; und ich fand in ihm von 
den Jahren seiner blühendsten Wirksamkeit an bis in sein 
hohes Alter immer mehr den hochherzigen Mann, die Gei= 
stesgröße und das Christengemüth, das mir eine herrliche 
Welt aufgeschlossen hat. Ich danke Gott für diese Lebens= 
wohlthat. Denn was es heißt, in ein solches Gemüth 
einzuschauen, das haben viele, die in Bekanntschaft mit 
ihm kamen, wohl erfahren. Was mir schon in früher Ju= 
gend als das Wesen echter Frömmigkeit in geachteten 
Personen, in ihrem Leben selbst erschienen war, und was 
mir Schriften und Studien ausbilden halfen, fand ich in 
diesem Manne so klar vor mir stehen, daß mein Ideal 
unendlich dadurch gewann, selbst seine menschlichen Schwä= 
chen mir immer augenblicklich gegen jene wahre und hohe 
Kraft schwanden. – [...] Wenn man den Edlen wirklich 
kannte, so ärgerte man sich doch nur im Anfange über 
die beschränkten und feindseligen Beurtheilungen, die in 
öffentlichen Blättern über ihn ergingen; bald aber [...] be= 
dauerte man nur die Leute, die über einen Mann ur= 
theilten, dessen Höhe sie freilich nicht aus sich selbst zu 
würdigen vermochten." 
 
Selbst seine Schwächen hatten noch eine liebenswür= 
dige Seite. Dahin gehört das offene Vertrauen, das er 
zu leicht Menschen schenkte, die es nicht verdienten, die 
aber verstanden, ihn für sich einzunehmen. Schmerzlich 
--- 
75) In einem Nachwort zu dem 6. Bande von Heinrich 
Stilling's Lebensgeschichte, herausgegeben von seinem Enkel W. 
Schwarz. (Heidelberg 1817.) Vgl. Neue theolog. Annalen 1817. [-07] 
S. 1068. Hall. Allg. Lit.=Zeitung 1817. Ergänz. Bl. S. 993 fg. 
Vgl. auch Jung's Lebensgeschichte. (Stuttgart 1843.) S. 838 fg. 
    
empfand er es zwar, wenn er sich getäuscht sah. Aber 
solche Erfahrungen konnten ihm nie seinen Glauben an das 
Gute in den Menschen entziehen. "Hütet euch zu richten!" 
pflegte er zu seinen Freunden zu sagen, wenn sie ihn 
warnte, vorsichtiger zu sein in der Wahl der Personen, 
denen er sein unbedingtes Vertrauen schenkte. Der, der 
es misbrauchte, konnte freilich nicht mehr zu seinen 
Freunden gehören; aber er trauerte um ihn wie um einen 
Gestorbenen. 
 
Jung's häusliches Leben ist aus der Schilderung be= 
kannt, die er selbst unter diesem Titel entworfen hat 76). Ohne 
alle Frömmelei fühlten sich die Mitglieder seiner Familie 
durch eine Liebe höherer Art aufs Innigste mit einander 
vereinigt. Ungeachtet einzelner Anwandlungen von Schwer= 
muth wurde Jung doch leicht zum Frohsinn gestimmt 
durch kleine Abendgesellschaften, die sich um ihn versam= 
melten. Ihn ergötzten dann in höherem Alter die tanzen= 
den Reihen seiner Enkel und anderer jungen Leute. Zu 
andern Zeiten stimmte er auch wol am Clavier einen 
christlichen Choral mit den Seinigen an. Der liebevolle 
Geist und die Eintracht, die in seiner Familie herrschte, 
schien sich sogar auf das Gesinde erstreckt zu haben. es 
war ein echtchristliches Hauswesen, in welchem man sel= 
te eine Klage oder ein unfreundliches Wort vernahm. 
Dazu mochte auch der Umstand beitragen, daß Jung in 
der dreifachen Wahl seiner Lebensgefährtinnen sehr glück= 
lich gewesen war. Nicht blos die fromme Christine, 
die in seiner sehr bedrängten Lage ein frühes Opfer ihrer 
häuslichen Thätigkeit war, auch seine zweite und dritte 
Gattin, Selma und Elise, harmonirten in jeder Hin= 
sicht mit seiner Denk= und Empfindungsweise. Die Kin= 
der aus seiner dreifachen Ehe hatten sich nicht zu bekla= 
gen, daß sie stiefmütterlich behandelt würden. Den Theil 
ihrer Erziehung, dem sich Jung nicht gewachsen fühlte, 
nahm ihm seine Gattin Elise ab. die überhaupt durch 
gleiche Ansichten und Gefühle, durch ihr unendlich liebe= 
volles Wesen seinem häuslichen Leben gewissermaßen die 
Krone aufsetzte. 
 
Wer sich, wie Jung, so gänzlich der für ihn sorgen= 
den Vorsehung überließ, konnte sich, was ihm hier und 
da zum Vorwurfe gemacht worden, wenig oder gar nicht 
um seine äußerlichen Vermögensumstände bekümmern, 
Geldgedanken lagen ihm unter allen am fernsten. Mit 
der in ihm wohnenden Christuskraft erhob er sich über die 
leidigen Begriffe von Zahlen, und wirkte nur für seinen 
höhern Beruf. Auch darin erkannte er die Wege der 
Vorsehung, daß es ihm durch Unterstützung seiner Freunde 
möglich ward, seinem Hange zur Wohlthätigkeit Genüge 
zu thun. In dieser Hinsicht harmonirten auch seine Le= 
bensgefährtinnen so völlig mit ihm, daß sich, bei sei= 
nen vermehrten Geschäften, viele Hilfsbedürtige zunächst 
an seine Gattin Elise wandten. Daß es in einem solchen 
echt christlichen Hausstande nicht an Segen fehlen konnte, 
ist leicht begreiflich. Alles war einfach, aber wohlgeordnet, 
--- 
76) Berlin und Leipzig 1789. Vgl. Allgem. Literaturzeitung 
1791. [-10-01] Nr. 264. Allgem. deutsche Biblioth. Bd. 96. [1790] S. 433 fg. 
    
und besonders ward auf die zweckmäßige Erziehung der 
Kinder, was diese späterhin dankbar anerkannten, die größte 
Sorgfalt verwendet. 
 
Zu Jung's Lebensglück trug noch die ausgebreitete 
Bekanntschaft bei, die ihn mit seinen Freunden in münd= 
lichem und schriftlichem Verkehr erhielt 77). Schon seine 
schriftstellerische Thätigkeit, besonders im kameralistischen 
Fache hatte ihm manche persönliche Verbindung und eine 
ausgedehnte Correspondent erworben. Mehre ausgezeich= 
nete Staatsmänner waren seine Zuhörer gewesen, und 
viele Gelehrte gaben ihm Beweise ihrer Achtung. Diese 
bethätigte [sic; bestätigte] ihm unter andern Kant in einem Briefe, worin 
er einige von Jung an ihn gerichtete Fragen, die An= 
wendung seiner philosophischen Principien theils auf kame= 
ralistische Gegenstände, theils auf das Christenthum be= 
treffend, ausführlich beantwortete. Selbst manche Große 
der Erde gönnten ihm das Glück ihrer nähern Bekannt= 
schaft, so wenig sein anspruchsloser Charakter eine solche 
Auszeichnung suchte. In einem freundschaftlichen Ver= 
hältnisse stand er besonders zu seinem Landsfürsten, dem 
verewigten Großherzog Karl Friedrich von Baden, 
der seine religiöse Gesinnung theilte und ihn deshalb sehr 
schätzte. Die Huld dieses Fürsten ging auch auf seinen 
Nachfolger, den Großherzog Karl, über, was Jung oft 
mit tiefer Rührung und mit dem innigsten Dank erkannte. 
 
Vollständige Verzeichnisse von Jung's Schriften, de= 
ren größerer Theil bereits erwähnt worden ist, haben 
Strieder und Meusel geliefert 78). Aus seinem Nach= 
lasse wurde noch, außer seinem "Schatzkästlein 79)," ein 
Gedicht in vier Gesängen gedruckt, "Chrysäon," oder das 
"goldene Zeitalter" betitelt 80). Seine vermischten Ge= 
dichte gab sein Enkel W. Schwarz heraus 1819. Eine 
Gesammtausgabe von Jung's Werken erschien 1835 – 
1839 zu Stuttgart in 14 Octavbänden, auch ebendaselbst 
1841 – 1842 in Taschenformat gedruckt 82). Sein An= 
denken verherrlichte ein Ungenannter in einem dramati= 
schen Gedichte, zu welchem er die Namen von einigen in 
Jung's Scenen aus dem Geisterreiche (Frankf. 1797) 
auftretenden Personen wählte 83). Bildnisse von Jung 
--- 
77) Mit besonderer Herzlichkeit hatte er sich an Lavater an= 
gschlossen. Wie tief ihn das unglückliche Ende jenes ausgezeichne= 
ten Mannes ergriff, zeigt das poetische Denkmal, das er ihm stif= 
tete. Es erschien unter dem Titel: Lavater's Verklärung. 
(Frankf. a. ;. 1801.) Vgl. Neue theolog. Annalen. 1801. St. 16. 
Beil. S. 305 fg. Leipziger Jahrbücher d. Literatur 1801. St. 40. 
S. 313. fg. Allgem. Lit.=Zeitung 1801. Nr. 150. Neue Allgem. 
deutsche Bibliothek Bd. 71. [1802] St. I. S. 251 fg. – Auch ein von 
Jung an die Bürger Helvetiens gerichtetes Sendschreiben (Winter= 
thur 1802.) ward zum Theil durch Lavater's Tod veranlaßt. Vgl. 
Neue theolog. Annalen 1802. Beil. zum 49. Stück. S. 1051 fg. 
78) Jener in seiner Hessischen Gelehrtengesch. Bd. 18. S. 261 fg. 
dieser im Gel. Deutschland Bd. 3. S. 570 fg. Bd. 10. S. 44. 
Bd. 11. S. 406. Bd. 14. S. 247 fg. Bd. 18. S. 281. Bd. 23. 
S. 62.     79) Nürnberg 1817. gr. 12.     80) Ebendas. 1819. 
81) Frankf. a. M. 1821. gr. 8.     82) Unter dem Titel: Jo= 
hann Heinrich Jung's, genannt Stilling, sämmtl. Schrif= 
ten. Zum ersten Male vollständig gesammelt und herausgegeben 
von Verwandten, Freunden und Verehrern des Verewigten; mit ei= 
ner Vorrede begleitet von J. U. [eher N.] Grollmann.     83) s. dies 
Gedicht [von Christian Gottlob Barth, 1799-1862] unter der Überschrift: Stilling's Siegesfeier, in 
Jung's Lebensgeschichte. (Stuttgart 1843.) S. 853 fg. 
    
findet man vor dem 65. Theile der Krünitz'schen Ency= 
clopädie (1789) von S. Henne in Berlin gestochen; vor 
H. Stilling's häuslichem Leben (Berlin und Leipzig 
1789), ebenfalls von Henne; vor H. Stilling's Lehr= 
jahren (Berlin und Leipzig 1804) von Lips in Zürich; 
vor W. Aschenberg's Taschenbuch für bildende, dich= 
tende und historische Kunst (Dortmund 1804) und vor 
Jung's Lebensgeschichte (Stuttgart 1843); nach einer 
Büste Dannecker's gestochen von K. Mayer 84). 
8. Johann Nepomuk von Jung, geb. 1779 [...]  
[...]  
--- 
 
 
84) Vgl. Heinrich Stilling's (J. H. Jung's) Leben. 
(Berlin 1779 – 1789.) 5 Thle. Sechster Theil (Heinrich Stil= 
ling's Alter). Herausgegeben, nebst einer Erzählung von Jung's 
Lebensende, von seinem Enkel W. Schwarz, mit einem Vorworte 
von F. H. C. Schwarz. (Heidelberg 1817.) (Jene 6 Theile zu= 
samengedruckt unter dem Titel: J. H. Jung's, genannt Stil= 
ling, Lebensgeschichte. {Stuttgart 1843.}) Strieder's Hessische 
Gelehrtengeschichte Bd. 18. S. 246 fg. Allgem. Literaturzeitung 
1817 [-09]. Nr. 224. Goethe's Werke. (Stuttgart 1840.) Bd. 21. 
S. 191 fg. A. Nicolovius, Über Goethe. Th. 1. S. 92 fg. 
Matthisson's Schriften Bd. 3. S. 85 fg. Kunisch in seinem 
Handbuch der deutschen Sprache und Literatur Th. 1. [Leipzig: Barth 1822] S. 199 fg. 
[Johann Adam] Bergk's Kunst, Bücher zu lesen. (Jena 1799.) S. 292 fg. 
Franz Horn's Poesie und Beredsamkeit der Deutschen. Bd. 3. 
S. 285 fg. Erinnerungen aus Herder's Leben von s. Gattin 
Th. 1. S. 159. Herder's Leben von Heinrich Döring S. 95. 
Wachler's Handbuch der Geschichte der Literatur [z. B. Frankfurt am Main: Hermann 1824] Th. 3. S. 321. 
Gervinus in s. Geschichte der poetischen Nationalliteratur der 
Deutschen Th. 4. S. 514. 529. 535. Th. 5. S. 268 fg. 270 fg. 
275 fg. Meusel's Gel. Deutschland Bd. 3. S. 570 fg. Bd. 10. 
S. 44. Bd. 11. S. 406. Bd. 14. S. 447 fg. Bd. 18. S. 281. 
Bd. 23. S. 62. Raßmann's literar. Handwörterbuch der ver= 
storbenen deutschen Dichter S. 279 fg.     86) [...]  
 
 
 
1 Geb. Danzig 8. Mai 1789, gest. Jena 14. Dezember 1862. 
 

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