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„Beyspiel eines äusserst crassen Aberglaubens“
1795-07-03 findet die Hinrichtung eines Mörders auf dem Richtplatz, der „eine ziemliche Strecke vor den Thoren Marburgs liegt“ statt. Leonhard Johann Carl Justi war mit seinem Amtskollegen Johann Ludwig Henrich Fenner seitens der Kirche, Johann Karl Heinrich Gottfried Hille seitens der Justiz mit diesem Fall beschäftigt. Erstere begleiteten den Delinquenten Johannes Immel zur Richtstätte.
Johannes Immel, Bauer, etwa 40 Jahre alt, aus Erxdorf im Amt Rauschenberg, war verheiratet und hatte vier Kinder. Er stand in Geschäftsverbindungen mit dem Juden Aaron Isaak aus Allendorf bei Mainz. Beim Ochsenverkauf kam es unter Alkoholeinfluss dazu, dass Immel den Juden schlug, und um den Vorfall zu vertuschen diesen mit der Barte, einem Beil mit breiter Schneide, erschlug.
Bei der Hinrichtung mit dem Schwert ließ ein Landmann sein epileptisches Kind von dem Blut des Enthaupteten trinken, um dieses dadurch zu heilen. Dies wird dann als „Beyspiel eines äusserst crassen Aberglaubens“ benannt.
Im Anschluss an einen Bericht aus Seyda in Sachsen über die dortige Räderung des Johann Friedrich Weßlau aus Zahna am 1795-08-14 schreibt ein Einsender den Nachtrag zum Bericht über die Enthauptung Immels. Er hält die Begleitung von Verurteilten durch Geistliche für unzweckmäßig, da es das Vorurteil bestärke, „daß man ein Leben voller Verbrechen noch im letzten Augenblicke durch Selbsttäuschung und das Spiel der Phantasie mit gewissen Bildern und Ideen gut machen könne, […]“
NB: Weßlau war Huf- und Waffenschmied, etwa 40 Jahre alt; verurteilt wegen Straßenraubes und Menschenmordes. Sein Steckbrief vom 1794-04-06 wird z. B. in der „Bayreuther Zeitung“ abgedruckt.
Nach dem umfangreichen Zeitungsbericht, der nur mit „J.“ unterzeichnet war, wird dieser im August im Salzburger Intelligenzblatt nachgedruckt. War er zuvor unter dem Titel „Folgen des Eigennutzes und des Zornes“ gedruckt worden, so wird hier die erzieherische Absicht noch deutlicher:
Das „Salzburger Intelligenzblatt“ leitet den Text ein mit einer Sentenz: „Der Mensch ist von Natur, wenn er sich selbst überlassen, wild aufwächset, träge, unwissend, unvorsichtig, unbedachtsam, leichtgläubig und gedankenlos; furchtsam und dabey ohne Gränzen gierig, und wird dann durch die Gefahren, die seiner Schwäche, und durch die Hindernisse, die seiner gierigen und anspruchvollen Selbstsucht in den Weg kommen, krumm, verschlagen, heimtükisch, undankbar, mißmüthig und dabey verwegen, rachgierig und grausam: - das ist der Mensch, wie er im Gewirre und im Drang des gesellschaftlichen Lebens, sich selbst überlassen, wild aufwächset, werden muß. – Eltern! Bieget eure Kinder, fast ehe sie noch wissen, was links oder rechts ist, zu dem, wozu sie gebogen seyn müssen! Pestalozzi.“ Am Schluß ergänzt das „Salzburger Intelligenzblatt“ mit einer Anmerkung das Original: „Möchten alle Aeltern und Jugendlehrer, welche dieses lesen, aufs Lebhafteste dadurch überzeugt werden. was für ein wichtiger Theil der Erziehung die Bildung des Gemüths des jungen Menschen, die Verwahrung dessen vor heftigen Leidenschaften aller Art sey!“
Justi, empört durch den erlebten Aberglauben, publiziert mit dem am 1795-09-25 unterzeichneten Vorwort die kleine Schrift:
Warnung vor dem Aberglauben, eine Predigt über Apostelgeschichte 17, 22; auf Veranlassung einer bey der am 3ten Julius 1795 geschehenen Hinrichtung eines Mörders auf dem Richtplatz vorgefallenen öffentlichen höchst auffallenden Aeußerung desselben am Sonntag nachher gehalten, und mit einem Sendschreiben an die lutherischen Prediger des Oberfürstenthums Hessen, Casselischen Antheils, begleitet. Halle: Curt 1795; S. (1)-45.
In ihr verurteilt er aufs Schärfste den gesehenen, erlebten Aberglauben:
„darf der Aberglaube so öffentlich und ungerügt der Vernunft Hohn sprechen? darf er es an einem Orte thun, wo eine Universität ist? – eine Anstalt, welche ihrer Bestimmung nach der Unvernunft aller Art entgegenarbeiten soll? – darf er hier am Sitze der Weisheit – (und wenn auch nur vor dem Thor desselben) ohne eine Rüge zu erhalten, sein Wesen treiben? – das sey ferne!“
So wundert es nicht, dass er auch, auf der Suche nach den Ursachen des Aberglaubens, der Vernunft und Menschheit entehrt, auf Geister und ihre Beschwörer zu sprechen kommt. Schröpfer, St. Germain und Cagliostro sind ihm „Gelichter“ und vor allem Betrüger.
In dieser Art klärt Justi auf; was mag sein Kollege Jung-Stilling dabei gedacht haben? Im Jahr 1808 erschien ja dessen „Theorie der Geisterkunde“.
Max von Schenkendorf schrieb am 20. Februar 1813:"Er [= Jung-Stilling] gilt für einen Schwärmer / - Doch wer gilt nicht dafür? und bald wird das wohl ein Ehrentitel / seyn. Zur Erneurung dieses Vorwurfs hat seine Theorie der / GeisterKunde viel beigetragen. Ob ein solches Buch überhaupt / geschrieben werden sollte will ich dahin gestellt seyn lassen, / und daß die Beispiele darin schlecht gewählt sind gebe ich / gerne zu; aber das System selbst ist ungemein scharfsinnig, / und ich glaube daß der geförderte animalische Magnetismus noch mehr / Licht hierüber verbreiten wird. Das Buch ist übrigens geschrieben / Gespensterfurcht zu vertreiben und nicht zu erwecken."
Jung-Stilling und Kant
Jakob Salat publiziert 1798 den Aufsatz „Ueber den Beifall, den die Kantische Philosophie bei Schwärmern und Mönchen gefunden haben soll.“
Er schreibt darin über Jung-Stilling:
„3) Bekannter, aber in dieser Hinsicht noch immer merkwürdig, ist die Art, wie Hr. Hoft. Jung in Mar [S. 68:] burg mit der Kantischen Philosophie sich befasst und – benommen hat. Da er (ein Mann, welcher unstreitig in Ansehung seiner Schicksale, seines moralischen Charakters und, zum Theil oder in Rücksicht auf jene, selbst als Schriftsteller eine auszeichnende Achtung verdient,) im Ganzen betrachtet, wohl auch in die angezeigte Classe der Mystiker gesezt werden muß; da er überdies bei Vielen, mit mehr oder weniger Grund, im Rufe der Schwärmerei steht, und folglich da oder dort, zur Veranlassung des oben gedachten Einwurfes gegen die kant. Philosophie – nicht wenig beigetragen hat: so möchte hier allerdings der Ort seyn, zu erklären und, so weit der Raum es gestattet, genau zu bestimmen, ob und inwiefern die kant. Philosophie bei diesem Manne Eingang und Beifall gefunden habe.
Schon frühe beschäftigte sich Hr. Jung mit dem Studium der kant. Kritik; ja, diese zog ihn dergestalt an, daß er selbst mit Kant in BriefWechsel trat. Es war jedoch bloß oder vornehmlich der theoretische Theil, was ihn dergestalt beschäftigte; und er fand hier die Philosophie (in der Krit. d. r. Vern.) besser als je mit dem Christenthume vereinbar. Als er daher dem Stifter der kritischen Philosophie seinen Dank und seine Ehrfurcht bezeugte, drückte er zugleich seine hohe Meinung von dem Werthe des Christenthums aus. Was uns hier zu dieser Erklärung berechtigt, ist ein Fragment aus Kant‘s Briefe, welches Hr. Snell in seiner Kritik der VolksMoral (S. [S. 69:] 430 der 2ten Ausg.) uns liefert, und das nun, da es einmal bekannt ist, wegen der Verwandtschaft des Gegenstandes auch hier stehen mag: ‚Sie sehen, theuerster Mann,‘ (schrieb Kant dem H. Prof. Jung,) ‚alle Untersuchungen, die die Bestimmung des Menschen angehen, mit einem Interesse an, das ihrer Denkungsart Ehre macht ..... Sie thun auch daran sehr wohl, daß sie die letzte Befriedigung Ihres nach einem sichern Grunde der Lehre und Hoffnung strebenden Gemüthes im Evangelium suchen, diesem unvergänglichen Leitfaden wahrer Weisheit, mit welchem nicht allein eine ihre Speculation vollendende Vernunft zusammentrifft, sondern daher sie auch ein neues Licht in Ansehung dessen bekommt, was, wenn sie gleich ihr ganzes Feld durchmessen hat, ihr noch immer dunkel bleibt, und wovon sie doch Belehrung bedarf. Eine Antwort, welche die Weisheit (und die Humanität) gab, die aber freilich der Unverstand (und die geheime Neigung) für oder wider eine Partei auslegen könnte. Dies letztere zielt jedoch hier nur auf gewisse Urtheile, welche dieses Fragment hin und wieder veranlasst hat *). Und wer sieht nicht, wie Jemand dasselbe aufnehmen könnte, um damit jene angebliche Bemerkung zu unterstützen?
* Daß Hr. Jung diese Stelle dankbar aufnahm, und ihren Sinn, wenigstens im praktischen Gefühle und von einer Seite, nicht verkannte, weiß der Verf. der gegenw. Abhandl. aus dem Munde eines seiner Freunde, welcher, auf einer Reise den würdigen Mann damals (1790) in Marburg besuchte.
[S. 70:]
Indeß suchte Hr. J. nach einiger Zeit die Principien der krit. Philosophie zum Behufe seiner religiösen Vorstellungen öffentlich anzuwenden: Ewalds Urania v. J. 1792–1793 enthält mehrere Versuche dieser Art. Allein er hielt sich auch da nur an den theoretischen Theil jener Philosophie. Denn obgleich der höhere, moralische Geist, welcher in den Kantischen Schriften weht, auch seinem Geiste, seinem moralischen Gefühle (in der nächsten praktischen Hinsicht) vornehmlich zusagte: so hatte er dennoch auf dem individuellen Wege seines Studium‘s und seiner DenkWeise, sich überzeugt, daß er vermittelst der theoretischen Principien des Kriticismus zur Vertheidigung der Religion, und besonders der Christlichen, d. h. seiner Ansicht von dieser, am meisten beitragen könne. So gerne dringt das Theoretische im praktischen Gebiete überall vor! – Natürlich war der Gebrauch, den er jetzt von der krit. Philosophie machte, im glücklichsten Falle bloß negativ, indem er nach seiner Art zeigte, daß die Vorstellungen von Raum und Zeit, und die Katesgorieen auf das Höhere, Uebersinnliche sich gar nicht beziehen, und daß folglich hier für das Religiöse,Posis tive u. s. w. freies und offenes Feld sey.
Die neuere Schrift, in welcher Hr. J. die kant. Kritik zum Besten seiner Theorie wieder anwandte, ist sein ‚Heimweh:‘ ein Buch, das unstreitig bei allem – Sonderbaren manches Schöne, Hervor= [S. 71:] stechende, besonders im 1sten B., enthält, und das auch derjenige, welcher darin überall nur den Geist der Schwärmerei sieht, wenigstens als ein literarisches Phänomen merkwürdig finden wird, wenn er zumal die übrigen Verdienste des Mannes dabei nicht übersieht; und wer kennt nicht z. B. seine leichte und öfters schöne ErzählungsGabe, vorzüglich aus einigen Stücken in der eben genannten ZeitSchrift? – Indem, Hr. J. im 2ten B. den Helden seiner Geschichte durch verschiedene Grade des Unterrichts und der Vorbereitung führt, benutzt er auch da wieder die kant. Philosophie um ihn gegen die Anfälle des Unglaubens zu waffnen, um sein Auge zu schärfen, und zum höhern Lichte ihn vorzubereiten. Er zeigt, unter andern Lehrsätzen, die er aus der Kr. d. r. V. hier wieder aufnimmt, nach seiner Weise gut und treffend, wie uns die Vernunft (als theoretische, Kraft) von dem Höhern, Sittlichen und Religiösen, nichts offenbaren könne, da sie (als solche) in allem, was den wirklichen Gebrauch angeht, auf die SinnenWelt eingeschränkt, und zu nnsittlichen (wie zu sittlichen) Zwecken brauchbar ist: er heißt sie, in dieser Hinsicht, physische Vernunft; und sie erscheint hier allerdings in keinem sehr günstigen Lichte.
Man konnte indeß erwarten, daß er auf den nächste folgenden Stufen des Unterrichts, wo von dem Sittlichen und Religiösen die Rede seyn musste, die Vernunft als praktisches Vermögen eben so hin= [S. 72:] aufsetzen würde, als er sie in der erstern Beziehung, nach dem Gange seiner Vorbereitung, herabgesetzt hatte. Man konnte wünschen, daß er sie da als die eigentliche Quelle des sittlichen Gesetzes (zunächst im Menschen) und der Wahrheit im sittlichen Gebiete vorstellen, und etwa – was man an der kritischen Philosophie zum Theil noch vermisst — auch besonders die Schwierigkeiten zeigen möchte, die hinweggeräumt werden müssen, damit die Vernunft als praktisch sich äußern, und glücklich, im höhern Grade und in größerer Ausbreitung, wirken könne. Allein diese Erwartung und dieser Wunsch eines unparteiischen und prüfenden Lesers wurden nicht erfüllt. Zwar redet der Verf. von einem ‚SittenGesetze,‘ S. 276 u. ff., von einem ‚Gesetze, das im Wesen der menschlichen Vernunft verborgen liege‘ u. dgl. Anstatt aber die Wirkung auf ihre letzte und eigentliche Ursache, die Vernunft, zurückzuführen, bleibt er bei dem ‚moralischen Gefühle‘ stehen, ohne dieses je deutlich für eine Wirkung jener Ursache (der ingeheim wirkenden praktischen Vernunft) zu erklären; und nur selten vertauscht er diesen Ausdruck mit andern, noch weniger bestimmten. Der reine, d. i. der eigentliche Antheil der Vernunft an der moralischen Gesetzgebung und an der Bestimmung dessen, was im Gebiete der Sittlichkeit und, mittelbar, selbst der Religion wahr ist, wird mit keiner Sylbe genannt. Erst späterhin, wo der Un= [S. 73:] terricht schon vorbei ist, wird der Ausdruck ‚moralische Vernunft" einmal wie verloren eingewebt. Eine Darstellung wie diese konnte jener Erwartung um so weniger genugthun, da es hier nicht erlaubt war, bei einer MittelUrsache, die nur im wirklichen Leben öfters für die eigentliche Ursache gilt, bei dem moralischen Gefühle, stehen zu bleiben, und da es hier besonders darauf ankam, durch bestimmte und deutliche Begriffe eine HauptQuelle des Mysticismus und seiner verderblichen Folgen zu verschließen.
Der Mangel des Ausdrucks ‚moralische Vern. fiel überdies um so stärker auf, je öfter zuvor von der ‚physischen Vern.‘ die Rede gewesen war. Was mir aber zugleich einfiel, und wessen ich mich nicht erwehren konnte, dies war die Frage: ob Hr. J. die Kantische MoralPhilosophie auch wirklich annehme, und ob er insbesondre den wesentlichen Unterschied zwischen theoretischer und praktischer Vernunft je deutlich erkannt und eingesehen habe? Es ist so leicht nicht, das praktische Vermögen der Vernunft zu erkennen; es ist besonders schwer für denjenigen, welchem, bei einem regen und lebendigen Eifer für das Bessere, auf seinem Wege viele Menschen begegnet sind, denen die Vernunft nur (theoretisch oder wenn man will, physisch) zur größern Befriedigung ihrer Leidenschaften diente; und am schwersten für den, welcher sich zugleich lange an die Vorstellung gewöhnt
[S. 74:]
hat, daß die Religion etwas enthalten müsse, was schlechterdings über die Vernunft, und folglich auch, in jeder Hinsicht, über die praktische sey. Wer einmal der Vernunft einen wesentlichen Antheil an dem SittenGesetze (das sich, wie bekannt, als solches auch wesentlich auf den freien Willen bezieht) zugesteht; wer dasselbe, als Gesetz, eigentlich nur aus der Natur oder dem Wesen der Vernunft ableitet: der kann unmöglich annehmen, daß es in der Religion etwas gebe, welches (der Art, nicht bloß dem Grade und dem allumfassenden, religiösen StandPunkte nach) über das Sittliche und folglich über die Kraft sey, aus welcher das SittenGesetz in uns hervorgeht.
Durch die Art und Weise, wie dann Hr. J. in Sachen der Religion weiterhin demonstrirt und, was jetzt nothwendig hinzukam, vernünftelt und besonders wie er zu einer höhern Stufe des Unterrichts aufsteigt, und hier die positive Religion, oder auch die Religion überhaupt, in jedem Verstande über die Vernunft setzt; wie er nun eben die physische Vernunft, als logisch und, in seiner Anwendung, transcendent, oder dienstbar einem willkürlichen Stoffe gebraucht, und wie ihn dieselbe täuschet: dadurch wurde der Zweifel, den jene Frage mir darbot, verstärkt, oder vielmehr das Urtheil durch den geraden Anblick der Sache, ohne weitere Rücksicht, bestimmt. Und bei der zufälligen Erinnerung an Menschen von gleicher Denkungs= [S. 75: ] art, an solche, die auch dem ersten Anscheine nach Kant‘s Moral annehmen; die auch von einem,,Gesetze des Guten, von einem heiligen Gesetze in uns reden, aber schon die Frage scheuen: wer denn eigentlich in uns dieses Gefetz gebe? und den Beweis, daß die Vernunft es seyn müsse, nimmermehr aushalten; gewiß weil sie daher für die Theorie ihres bisherigen Glaubens, oder für ihre mystische HandlungsWeise besorgt sind; – bei dieser Erinnerung konnte ich mir die Vorstellung nicht versagen:
daß die Männer von dieser Stimmung des Verstandes und Herzens die Kantische Philosophie zwar insoweit annehmen, als sich dieselbe dem Eigennutze, der groben oder verfeinerten Eigenliebe entgegensetzt, und ein Gut anerkennt, welches über die Sinne und den (bloß denkenden) Verstand des Menschen geht; daß sie aber dessungeachtet den eigentlichen Beweis der kant. Philosophie, besonders in Ansehung der praktischen Vern., weder angenommen, noch jemals, im Begriffe oder in wissenschaftlicher Hinsicht, recht gefasst haben *).
Aus der bisherigen Erörterung ist es nun, wie mir däucht, hinlänglich klar, wie viel an der Bemerkung wahr
*) Doch kennt der Verf. auch solche, die, vorhin jenem (bessern) Mysticismus ergeben, nun durch die neuere Philosophie – die Kritik und die Wissenschaftslehre — zur reinern Ansicht gelangt sind.
[S. 76:]
sey, daß die Kantische Philosophie bei dieser Gattung von Mystikern, oder – wofern man, unter der Bedingung des vorhin gemachten Unterschiedes, so will — bei den Schwärmern, besonders viel Eingang und Beifall gewonnen habe.
In Ansehung der Mönche können wir uns kürzer fassen; denn […].“
Zum Zusammenhang siehe hier!
1799 liest man in einem Journal:
„Jung’s und Höslin’s Schuzrede für Strohdächer.
In meiner Uebersicht der Sicherungsmittel gegen Feuersgefahr S. 32. habe ich schon die Erfahrung zu Gunsten der Strohdächer im Fürstenthum Nassau=Siegen aus Jung Statspolizei angeführt. Die zahlreichen Eisenschmelzhütten sind dort wenigstens grösstentheils mit Stroh gedekt; die Flammen lekken drüber hin; Ströme glühender Feuerfunken regnen darauf; demungeachtet hört man aber selten vom Abbrennen dieser Hütten, und die Ursache eines wirklichen Brandschadens wird niemals dem Strohdache beigemessen. Vorzüglich ist dies bei den Stabhämmern der Fall. Sie haben durchgehends zwei Heerde, welche als eingemauerte Schornsteine zum Strohdach herausragen, und fast beständig Myriaden glühender Funken ausspeien, die dann glühend auf das Strohdach herabfallen, ohne im geringsten zu zünden.
Neuerlich hat Prof. Jung im ersten Heft seiner statswirthschaftlichen Ideen S. 122 diese Erscheinung umständlich erklärt, und die nachahmungswerthe Bereitung dieser Strohdächer beschrieben. Es wird nämlich das vorher wohl gekämte Rokkenstroh [sic; Roggenstroh] in Lagen eines guten Fingers dik auf Tannenbretter ausgebreitet, dann mit einem guten Ziegelthon etwa 2 Fus breit so dicht und dik bestrichen, daß er zwischen den Halmen eindringt, und man oben keine Halme mehr sieht. Nur am Stoppelende sowohl, als oben gegen die Aehre zu, lässt man das Stroh dort zwei Zoll, und hier noch breiter unbestrichen . Der Dachdekker lässt von dem Brette, worauf ihm das Strohblatt zugetragen [S. 62:] wird, dasselbe auf den Latten, wo es liegen soll, herabrutschen, so das die Thonseite oben komt. Dieses Blatt wird, wie gewöhnlich, befestigt. Auf das erste Strohblatt wird ein eben so bereitetes zweites so viel höher hinaufgerükt, daß nur die unbestrichenen Stoppelenden hervorragen und allein sichtbar sind; u. s. w . mit den folgenden Lagen. Das Aeussere dieses Strohdaches ist wie bei den gewöhnlichen. Der darauf fallende Regen wird von den Stoppelenden abgeleitet. Die Hauptsache ist der innere Kern von Thon, der zwei bis drei Zoll dik und zusammenhängend durchs ganze Dach geht, so daß nur die untere wie die obere Fläche blosses Stroh ist. Fällt auf ein solches Dach Feuer, so werden blos die Strohenden weggesengt; – das Dach selbst bleibt wegen des Thonkernes unversehrt, so lange, bis Latten und Sparren darunter entzündet werden. Auch ein innerer Brand ist dem Dache nicht so gefährlich, wie andern, sondern wird vielmehr dadurch aufgehalten; und durch Hize und Zerspringen wird es den Löschenden nicht nachtheilig, wie dies bei Ziegel und Schieferdächern oft der Fall ist. – Die gewöhnliche Dauer einer solchen Dachdekkung rechnet man auf 18 bis 20 J., bis das Stroh bis an den Thon wegfault, und dieser also dem Regen ausgesezt wird. Bei solcher Einrichtung bedarf es also keines Verboths gegen die Strohdächer, die doch um ihrer Feuergefährlichkeit wegen verrufen sind, da sie übrigens nicht nur wegen ihrer Wohlfeilheit, sondern auch wegen mancher andern Bequemlichkeiten vor den im Sommer brennend heissen, im Winter ausserordentlich kalten Ziegel= und Schieferdächern, die noch dazu, bei ihrer grössern Schwere, einen stärkeren Dachstuhl und stärkere Sparren und Hange= [S. 63; Hangebalken; Hängebalken] balken erfordern, entschiedene Vorzüge haben. – Eine ähnliche Schuzerde für die Strohdächer, * ) als die sichersten wider Regen, Schnee, Hize und Kälte, und selbst wider Feuersgefahr findet man in Höflins Beschreibung der Würtembergischen Alp. (Tübingen 1798. S. 82 ff.)“ Die Anm. lautet: „*) Vergl. auch Valentiners Bemerkungen Pr. Ber. 1795. II. S. 133.“
F[riedrich Valentiner (1756-1813):] „Nachricht von der allgemeinen Vertheilung der Brandschäden in den Landdistrikten der Herzogthümer Schleswig und Holstein im Jahr 1794, nebst einigen Bemerkungen über die Entstehung dieser Schäden.“ (mit Tabellen) – In: Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte 9.Jg.,1.Bd., (1795) (15), S. 128-134.
Höslin, Jeremias: Weil. Jeremias Höslins, Pfarrers zu Böringen, Uracher Oberamts, Beschreibung der Wirtembergischen Alp, mit landwirthschaftlichen Bemerkungen. - Herausgegeben von dessen Sohn, M. Jeremias Höslin, Pfarrer zu Gruorn, Uracher Oberamts. - Tübingen: Jakob Friedrich Heerbrandt 1798. – Höslin, Jeremias, 1722-1789; Höslin, Jeremias, 1752-1810.
Vgl. zu Johann Georg Arnold Oelrichs.
Jung-Stilling und Johann Jakob Günther
Der Mediziner und Naturforscher, der als Herzoglich Nassauischer und nachfolgend Königlich preußischer Medizinalrat und praktischer Arzt zuletzt in Köln wirkte, hatte eine besondere Beziehung zu Jung-Stilling.
Johann Jakob Günther, geb. Neviges bei Elberfeld 19.02.1771, gest. Köln 13.07.1852, faßte den Entschluß, Theologie zu studieren, und da er Jung-Stillings Lebensgeschichte gelesen hatte, in der auch arme Menschen von Gott unterstützt werden, ging er Herbst 1788 nach Marburg, um vom Autor selbst Rat zu erhalten.
Daniel Carl Theodor Merrem (geb. Duisburg 9.04.1790, gest. Köln 9.10.1859) schreibt darüber:
Ganz mittellos trat er im Herbst des Jahres 1788 die Reise nach Marburg an, wo Stilling ihn wirklich freundlich empfing, ihm aber rieth, statt der Theologie Cameralia zu studiren, in welchen Fache es ihm leichter werden würde, eine Anstellung zu erhalten. Zugleich verschaffte er ihm für drei Tage in der Woche freien Mittagstisch, und sammelte unter den Studirenden Beiträge, die aber kaum zureichten, ihm die übrigen Tage der Woche für einen Kreutzer Brod und für einen Kreutzer Milch zu verschaffen, während für die Heitzung des Zimmers in dem kalten Winter nichts übrig blieb.
I Johann Jakob Günther Johann Jakob Günther Johann Jakob Günther m Frühjahr 1789 rieth ihm daher Stilling zur Sammlung von Unterstützungen eine Rundreise ins Bergische zu machen, die aber bei der Furchtsamkeit und Schüchternheit des der Theologie abtrünnig gewordenen Kandidaten voraussichtlich keinen Erfolg hatte, so dass sich derselbe genöthigt sah, vorerst auf das Fortstudiren zu verzichten. Er wurde nun nacheinander Actuar bei einem Gerichtsschreiber, Informator auf einem adligen Gute, Lehrling bei einem Chirurgen, Elementarlehrer in verschiedenen Orten, und endlich im Jahre 1792 Hauslehrer bei einem Kaufmann in Duisburg, wo er zugleich die theologischen Studien wieder aufnahm und im Jahre 1794 vollendete, so dass er das Tentamen als Kandidat der Theologie bestehen konnte, welchem bald darauf seine Anstellung als Hülfsprediger zu Oberkassel folgte. Hier heirathete er noch in demselben Jahre die Wittwe des verstorbenen Predigers Schönenberg, geb. Fues, welche durch einiges Vermögen es ihm möglich machte, auf das Predigeramt, welches ihm wegen schweren Memorirens und aufgestiegener theologischer Zweifel lästig geworden war, zu verzichten, und einige Jahre zu privatisiren, bis er sich im Jahre 1797 entschloss, zur Medicin überzugehen, wozu ihm die damals noch bestehende benachbarte kur kölnische Universität zu Bonn Gelegenheit bot, wo er besonders Wurzer's Vorlesungen benutzte. Im Herbste 1799 ging er sodann mit Frau und Kind nach Marburg, wo er Baldinger, Michaelis, Busch, Mönch und Stein sen. hörte, und am 26. September 1801 die Doctorwürde erhielt, nachdem er eine Inaugural-Dissertation, Nonnullos aphorismos de aeris in corpus humanum effectu continens, geschrieben hatte, welcher als Kommentar bald seine ‚Darstellung einiger Resultate, die aus der Anwendung der pneumatischen Chemie auf die praktische Arzneikunde hervorgehen‘, folgte.“
Zum Zusammenhang siehe hier!
1799 schreibt man:
„4. Schwedisches Kaffeverboth.
Das neuliche schwedische Verboth der Einfuhr und des Gebrauchs des Kaffees v. 6ten April 1799 [S. 68:] wird in einer Beilage zur allgem. Zeit. vom 19ten Jun. d. J., nebst verschiedenen Bemerkungen, mitgetheilt; auch sind aus der gleich nachgefolgten Verordnung wider den Schleichhandel Bruchstükke beigefügt. Die Sache ist bekantlich öftrer namentlich in Schlözers Statsanzeigen, in Dohms Aufsaz über die Kaffegesezgebung (D. Museum 1777. VIII.), in Krüniz Encykl. Th. 31 [sic], nach ihren rechtlichen und politischen Gründen erörtert. Neuerlich äussert sich darüber Jung (statsw . Ideen I.) in einem eigenen Aufsaz: ‚Ob denn der Kaffe durch keine gesezgebende Gewalt abgeschafft werden könne? das ist, ob er das wahre Noli me tangere sei ?‘ – mit folgenden Worten: ‚Der Kaffe ist ein erbärmliches, schädliches Nahrungsmittel, aber ein herrliches Arzeneimittel; wer Heiterkeit und Thätigkeit der Lebensgeister bedarf, dem dienen täglich ein Par gute Tassen Kaffe, aber auch nicht mehrere, zu einer unvergleichlichen Stärkung, deren ihn keine gesezgebende Gewalt berauben darf und soll.‘ – König Friedrich II. *) der so vieles zwingen konte, zwang den Kaffe nicht, und Landgraf Friedrich II. von Hessen=Kassel versuchte es mit Ernst, aber es half nicht. – Jedes Gesez, jede Verordnung ist vergeblich, wo die Beobachtung, ob es auch wohl gehalten wird, unmöglich ist. Wie oder wo lässt sich aber eine Polizei denken, die da fähig wäre, alle verborgene Winkel in allen Wohnungen eines ganzen Landes jede Minute zu bewachen ? und wo das nicht gesehen kan, da trinkt man Kaffe, und noch um so viel lieber, weil er nun auch mit dem nitimur in veticum gewürzt
.
*) Vergl. Mauvillon von der preuss. Monarchie, III. S. 46-59
Nitimur in vetitum (lat.), Wir trachten (gern) nach dem Verbotenen; Ovid „Amores“, III, 4, 17.
Schlözers Statsanzeigen: Siehe Jung-Stillings Aufsatz.
Christian Wilhelm Dohm: „4. Uebe die Kaffeegesezgebung“. – In: Deutsches Museum- 8. Stück, August 1777, Bd. 2, Leipzig: Weygand, S. 123-145.
In Bd. 31 findet sich „Kaffe“ nur zweimal im Artikel „Jude“ S. 462 und 612. – Der 32. Band der Oeconomischen Encyclopädie, Berlin: Joachim Pauli 1784, umfasst 393 Artikelstichworte; darunter: Kaffe; Kaffe=Aquavit; Kaffe=Baum; Kaffe=Bohne; Kaffe=Branntwein; Kaffe=braun; Kaffe=Brenner; Kaffe=Bret; Kaffe=Brod; Kaffe=Büchse; Kaffe=Conserve; Kaffe=Erbse; Kaffe=Essenz; Kaffe=Farbe; Kaffe=Flecken; Kaffe=Gäscht; Kaffe=Gefrornes; Kaffe=Haus; Kaffe=Hochzeit; Kaffe=Kanne; Kaffe=Kessel; Kaffe=Koch; Kaffe=Kochofen; Kaffe=Lampe; Kaffe=Löffel; Kaffe=Mühle; Kaffe=Mus; Kaffe=Pauke; Kaffe=Pott; Kaffe=Schachtel; Kaffe=Schälchen; Kaffe=Schenk; Kaffe=Semmel; Kaffe=Service; Kaffe=Serviette; Kaffe=Sieb; Kaffe=Stöllchen; Kaffe=Tasse; Kaffe=Teller; Kaffe=Tisch; Kaffe=Topf; Kaffe=Trommel; Kaffe=Tuch; Kaffe=Visite; Kaffe=Waffeln; Kaffe=Wirth; Kaffe=Zeug.
Mirabeau, Honoré-Gabriel de Riquetti de (1749-1791) / Mauvillon, Jakob (1743-1794): Von der Preußischen Monarchie unter Friedrich dem Großen. Bd. 3. Enthaltend: 5tes Buch. Vom Handel. 6tes Buch. Einnahme und Ausgabe. Braunschweig und Leipzig: Dykische Buchhdlg. 1794. – De la monarchie prussienne sous Frédéric le Grand.
[S. 69:] ist. Das Kaffetrinken also geradezu durch ein absolutes Verboth verhindern oder aufheben zu wollen, ist vergebliche Arbeit und noch dazu schädlich, denn die gesezgebende Gewalt zeigt dadurch eine Schwäche oder Blösse, die hernach auch in andern Fällen böse Folgen hat.‘ – Der Verf. empfiehlt hiernächst Belehrung. Aber, unerwartet nach dem Vorhergehenden, räth er dennoch ein Gesez an: daß sich kein Hausvater, keine Hausmutter bei hoher Strafe unterstehen solle, den Kindern Kaffe zu geben. Man soll auf dieses Gesez wachen, so gut man kan, und jeden Uebertreter ohne Schonung strafen, Aber wird denn diese Wachsamkeit leichter, und wenn sie verfehlt wird, dieses Verfehlen, diese Blösse minder schädlich sein? Hr. Jung äussert noch S. 99: ‚Würde man nun auch die so schädlichen Kaffevisiten bei hoher Strafe verbiethen, so würde das ganze Geschäft sehr dadurch erleichtert.‘ Was soll man von der Willkühr erwarten, wenn Lehrer der Gesezgebung solche Mittel anrathen?“