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Eine Parabel – Jesus Christus

 

Eine Erzählung Jung-Stillings aus dem Jahr 1776

 
Eine Parabel – Jesus Christus
 
[...] Höret folgende Geschichte! –
Ein mächtiger König hatte eine sehr schöne
aber unbewohnte Insel. Um dieselbe urbar zu
machen, und Nutzen daraus zu ziehen, sandte er
viele Colonien [Kolonie] hin. Diese Leute fanden alles in
den besten Umständen, sie durften nur säen und
ernten, so fanden sie ihre Nothdurft überflüssig.
Der König verlangte auch nichts mehr, als dieses
von Ihnen, und forderte nur eine jährliche kleine
Abgabe zum Zeugen des Gehorsams. Was ge=
schah? Diese Colonisten wurden in ihrem Ueber=
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fluß übermüthig, sie bedienten sich zu ihrer Nah=
rung nur einer gewissen Baumfrucht, die reichlich
im Lande von selbsten wuchs. Die Tradition sagt,
es sey eine Art von Cocosnüssen [Kokos] gewesen, sie mach=
ten sich Kleider, Essen und Trinken von diesen Co=
kosbäumen, und versäumten darüber das Land zu
bauen. Der König sahe, daß seine Absicht, das
Land anbauen zulassen und durchgehends urbar
zu machen mislingen wollte. Ob er nun wohl
große Ursache gehabt hätte, die Colonisten aufs
härteste abzustrafen und aus dem Lande zu jagen,
so lies er doch Gnade für Recht ergehen, schickte
einen Abgesandten hin, mit der Vollmacht, Män=
ner, Weiber und Kinder in königliche Leibeigen=
schaft zu nehmen. Und da das Land ganz ver=
wildert, und so zu sagen zu einem wilden Walde
voller Cokosbäumen, Eichen, Buchen, Dornen=Disteln
und Gebüschen geworden war, so hatte der Gesand=
te den Auftrag an die beste Colonie: daß es der
König einstweilen wollte, die Cokosfruch [sic; Kokosfrucht]
zu bauen, und den Einwohnern dieselbe zur Nah=
rung zuzulassen; indessen aber sollte ein jeder jähr=
lich eine gewisse Anzahl Holz und Waaren von
Holz verfertigen und in das königliche Magazin
liefeern, und damit dieses nach aller Strenge be=
folgt werden möchte, so verfaste der königliche Ge=
sandte ein schriftliches Gesetz, worinnen alle Re=
geln enthalten waren, wornach sich die nunmehro
leibeigen gewordene Colonie zu richten hätte, es
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wurden auch Zuchtmeister verordnet, die auf die
Gesetze und deren Beobachtung die Aufsicht haben,
und die Uebertreter bestrafen sollten. Diese neue
Einrichtung wurde in einer Pflanzstadt der Insel
ins Werk gerichtet. Der König urtheilte: wenn
die übrigen Einwohner des Landes diese höchst bil=
lige Einrichtung zu ihrem eigenen Besten sehen
würden, so würden sie sich vor und nach alle eben
demselben Gesetz unterwerfen, denn er war nicht
willens, sie mit Gewalt zu zwingen, sondern sie
ihrem eigenen Gutdünken zu überlassen, um sie
hernach bei allgemeiner Untersuchung nach der Ge=
rechtigkeit behandeln zu können damit nicht Gut=
gesinnte und Uebelgesinnte einerlei Schicksale un=
terworfen seyn möchten. Der Abgesandte hinter=
ließ ihnen das Gesetz, und gab ihnen das schrift=
liche Versprechen, diese Verfügung sey nur auf ei=
ne gewisse Zeitlang getroffen worden, hernach aber
werde ihnen der König einen noch viel vortrefli=
chern Gesandten schicken, als er sey. Dieser wür=
de ihnen wieder zur ersten Glückseligkeit verhelfen,
ja derselbe würde sie noch viel glücklicher machen,
als sie jemahls gewesen seien, und als sie nur hof=
fen könnten. Darauf reiste der Gesandte wieder
zurück zum König.
Diese leibeigene königliche Colonie nun lebte
nach ihren neuen Gesetzen eine Zeitlang unter ih=
ren Zuchtmeistern fort; allein die andern Ort=
schaften kehrten sich nicht an diese Einrichtung,
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sie fielen vor und nach vom König ab, machten
sich selber kleine Fürsten, denen sie gehorchten,
und so verwilderte die ganze Insel endlich derge=
stalt, daß sie voller wilden Thiere wurde, so daß
endlich die Menschen ihres Lebens nicht mehr si=
cher waren, und da sie in so viele kleine Staaten
vertheilt war, so lagen sich die Einwohner immer
in den Haaren, so daß eitel Mord, Raub und
Blutvergiessen auf derselben herrschte. Die Men=
schen selbsten wurden ganz wild, roh und unbän=
dig. Die königliche Colonie blieb wohl am läng=
sten in Ordnung, allein die Zuchtmeister thaten
nach ihrem Eigennutz so viel ab und zu am Gesetz
als es ihnen gut däuchte, daher wurden die kö=
niglichen Einkünfte vor und nach immer kleiner,
und endlich wurde das königliche Magazin anstatt
nützlicher Waaren mit Cokosnußschalen, Dornbü=
schen, Reisern, Blumen und dergleichen nichts=
gültigen Dingen angefüllt, und die Colonisten sel=
ber blieben nicht viel gesitteter und dem König
getreuer als auch die übrigen Insulaner.
Bei diesen Umständen schickte der König end=
lich seinen eigenen Prinzen nach der Insel ab,
in die mögliche Ordnung zu bringen.
Dieser vortrefliche und weise Fürst entschloß
sich zu dieser Reise. Er überlegte bei sich selber,
wie er es am nützlichsten anfinge, damit nur die=
jenigen Einwohner der Insel, die es verdienten,
glücklich, die aber an dem Verderben Schuld hät [=]
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ten, gestraft werden könnten. Deswegen dacht
er: wenn er sich in seinem wahren Karakter als
königlicher Prinz zeigen würde, so würde ihm
zwar alles zufallen, allen davon hätten die Ein=
wohner kein Verdienst, es würde sich auf die
Weise nicht äussern, wer gut gesinnt und wer
übel gesinnt wäre; es würde also ungerecht seyn,
die schnöde Versäumung der königlichen ersten
Hauptabsichten gar nicht zu ahnden, es würde
auch wiederum unbarmherzig seyn, so viele Men=
schen, unter welchen noch sehr viele brauchbare
seyen, mit einmal zu verderben, und die Insel
wüste zu machen.
Er entschloß sich deswegen höchst weislich: Er
wolle ganz insgeheim nach der Insel reisen, und
sich in landesüblicher Kleidung zeigen, denen Ein=
wohnern alsdann eine bequeme Methode vorschla=
gen, wie das Land nach dem ersten plan [sic] des Kö=
nigs urbar gemacht, und angebauet werden könn=
te. Diejenigen alsdann, die ihm folgen würden,
seyen belohnungswürdig, die ihm aber nicht folgen
würden, strafbar.
Um diese Zeit fing man auch schon auf der
Insel an, den versprochenen großen Gesandten zu
erwarten. Man machte dewegen auf der könig=
lichen Colonie alle Anstalten, ihn würdig zu em=
pfangen, man ließ den Pallast ausbessern, die
Zimmer mit köstlichen Tapeten behängen, die Mar=
      ställe
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ställer vor alle sein Rosse, Wagen und Reuter
hübsch ausräumen, und überhaupt alles auf sei=
nen Empfang zurüsten. Man dachte anders nicht,
als er würde kommen, ihnen die ganze Insel ein=
räumen, und sie alle mit einander zu großen Her=
ren machen. So hatte man sich die Sache seit
langer Zeit vorgestellt, und unter einander weis
gemacht.
Unterdessen fand sich ein junger unbekann=
ter Bauersmann auf der Colonie ein. Dieser
Mensch ging täglich mit seiner Geräthschaft hin=
aus ins Feld, und fing an, Gebüsche und alles
auszurotten, und auf den Platz kostbare Früchte
zu säen und zu pflanzen. Das Ding ging ihm
sehr gut von statten, und man merkte gleich, daß
er etwas besonders im Schilde führen müste. Er
unterrichtete auch alle Menschen, wo er nur Ge=
legenheit dazu fand, wie sie das Land anbauen,
und dem Zweck des Königs gemäß urbar machen
müsten; er nahm auch zu dem Ende Knechte an,
die ihm theils helfen arbeiten, theils auch das
Volk unterrichten mußten. Und da die wilden
Thiere in diesem wüsten Lande sehr überhand
genommen hatten, so gab er sich ganz ungewöhn=
licher Weise ans Werk, um diese zu vertilgen.
Er kämpfte auch mit den grimmigsten Löwen nicht
lange, sondern es war nur ein Schlag, so lag ei=
ne solche Bestie zu seinen Füßen todt ausgestreckt.
      D
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Die Leute redeten allerlei wunderbare Dinge von
diesem Menschen. Dann nennete er den König
seinen Vater , dann ließ er sich so halb verlauten,
er sey der versprochene große Gesandte, doch konn=
te niemand recht klug aus ihm werden. Das
konnte aber ein jeder wohl sehen, daß sein Vor=
haben dahin ging, die ganze Insel, besonders aber
die königliche Colonie nach dem ersten königlichen
Plan anzubauen und aller Einwohner dazu anzu=
halten, um dadurch das Land sowohl dem König
nutzbar, als auch diejenigen Einwohner, die ihm
zu seiner Absicht würden behülflich seyn, vollkom=
men glücklich zu machen. Viele unter den Co=
lonisten sahen dieses ein, sie fielen ihm zu, und
denen entdeckte er sich ingeheim, daß er wirklich
der königliche Prinz selber sey. Jedermann war
indessen begierig, zu sehen, was die Scene vor ein
Ende nehmen würde. Die königliche Zuchtmeister
hörten indessen auch das Gemurmel von diesem
seltsamen Manne, sie kamen, ihn zubeobachten,
schüttelten aber die Köpfe und bedauerten die Ein=
falt des gemeinen Volks, welches sogar den ver=
sprochenen großen Gesandten as diesem armen
schlechten Männchen machen wollte. Unterdessen
sahen sie doch seine Kämpfe mit den wilden Thie=
ren, worinner er mehr, als fürstlichen Muth u.
Tapferkeit bezeigte. Sie sahen ferner, daß er und
seine Anhänger gute Progressen im Anbau des
Landes machten. Sie mußten gestehen, er sey ein
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sonderbarer Mann; allein, daß er doch sollte der
königliche Gesandte seyn, das konnten sie unmög=
lich zugeben. Endlich fing er sogar an, die Zucht=
meister zu reformiren, und ihnen ihre wahre
Pflichten vorzuhalten. Allein diese Wahrheiten
konnten sie gar nicht vertragen; sie machten so=
gar alle mögliche Anstalten, ihn bei der ersten
Gelegenheit aus dem Lande zu jagen. Der Prinz
sahe wohl ein, daß es endlich dazu kommen wür=
de.Er berief daher alle seine Anhänger zusam=
men, und trug ihnen auf, das angefangene Werk
nach seinem Abschied treulich fortzusetzen, und ihn
von nun an für ihren König und Herrn auf=
und anzunehmen. Der König, sein Vater habe
ihm die Oberherrschaft über dieses Land abgetre=
ten; er werde bald nach seiner Abreise Kriegsvöl=
ker schicken, die die ganze Colonie zerstören sollten.
Er ermahnte sie, sie sollten auf der ganzen In=
sel die Leute unterrichten, wie das Land nach sei=
ner Anweisung müsse kultivirt und verbessert wer=
den. Er wolle ihnen ein Geheimniß entdecken,
wie sie leichter Müh alle Gebüsche und Ge=
hölze ausrotten könnten. Damit aber solches de=
nenjenigen, die nicht Mühe und Fleiß anwenden
wollen, nicht in die Hände gerathen möge, so
wollte er es nur in seiner Residenz zubereiten ls=
sen, es sey ein weisses Pulver, daß man nur um
die Wurzeln der Gewächse streuen müsse, so ver=
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dorrten von dem an diese unfruchtbare Bäume.
Ein jeder, der gutes Willens wäre, brauchte nur
an ihn zu schreiben, so solle ihm sofort, so viel
er nöthig habe, zugesandt werden. Auf solche Wei=
se sey er Willens mit ihnen einen Briefwechsel
zu unterhalten, und sie immer vor seine lieben
Getreuen zu erkennen. Wann dann endlich einmal
alle Mühe an den Einwohnern sey angewendet
worden, und seinen genommenen Maßregeln nach
die Zeit der Gedult vollendet seye, so wolle er in
königlicher Herrlichkeit wiederkommen, und über alle
und jede Einwohner des Landes Gericht halten.
Diejenigen, welche alsdann seinen Rath und Be=
fehl gefolgt hätten, wollte er mit sich in sein
Reich nehmen, und sie mit aller Glückseligkeit
überhäufen; die ihn aber nicht folgen würden, die
werde er nach so vieler verachteter Langmuth ent=
setzlich heimsuchen. Diese und dergleichen An=
weisungen gab der Prinz den Seinigen insgeheim,
um sie von seinem Plan, den er sich vorgenom=
men hatte, zu unterrichten.
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sollten zu der Zeit, wann der König einmal über
dieselben Gericht halten würde, ohne alle Gnade
des Landes verwisen, und ins äußerste Elend ver=
jagt werden. Daher contrahirte der Prinz mit
seinem Vater, daß derselbe ihm das Land mit
seinen Einwohnern eigenthümlich abtreten mögte,
er wolle alsdann in eigener Person das Gesetz er=
füllen, und für die Einwohner haften. Dieses
wurde bewilliget, und dieser Vorsatz war eine
Hauptursache mit, warum der Prinz so inco-
gnito [incognito] sich im Lande aufhielte.
Der Haß der Zuchtmeister nahm indessen im=
mer mehr und mehr zu, sie konnten die täglichen
Vorwürfe, die ihnen diese Bauer, und zwar mit
völligem Recht machte, nicht länger ertragen;
sie ersahen endlich ihre Zeit, und jagten ihn durch
ihre Scharfrichter auf eine höchst schändliche Wei=
se mit Hunden aus der Insel weg. Nun war
zwar dem königlichen Gesetz eine Genüge gesche=
hen, allein der König nahm doch diese Mishand=
lung sehr ungnädig auf. Er schickte Soldaten hin,
und ließ die ganze Colonie mit Feuer verbrennen
die Rädelsführer schmälig hinrichten, und die Ein=
wohner derselben all des Ihrigen berauben, sie
wurden zum Bettelstand auf die lange Zeit ver=
dammt, und durch die ganze Insel zerstreut.
Nun fiengen die Anhänger des Prinzen an,
sich auszubreiten; sie verschrieben weises Pulver
genug, unterhielten Correspondenz mit dem Prin=
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zen, und es schien im Anfang, als wenn die Insel
in kurzer Zeit zu ihrem völligen Flor kommen würde.
Allein die verzweifelten Cokosbäume huben
wieder an, gepflanzt zu werden, die Leute befanden
sich wohl dabei, denn auf diese Weise konnten sie
ihr faules Leben fortsetzen und brauchten sich nicht
zu plagen; daher fing auch die vortrefliche An=
stalt des Prinzen an, ins Stoken zu gerathen. Es
wurde wenig weiß Pulver mehr verschrieben, und
die Verwilderung nahm wieder so sehr die Ober=
hand, als jemalen. Doch waren noch viele Leute,
die treulich fortfuhren, rund um ihre Wohnung
herum so viel anzubauen, als sie konnten, und sich
zu der Partie des Prinzen zu bekennen.
Nach langer Zeit thaten sich unter den An=
hängern des Prinzen Leute hervor, die öffentlich
ausstreuten, der König habe keinen Prinzen, der=
jenige Mensch, der sich ehemalen dafür ausgege=
ben, seye kein königlicher Prinz, sondern ein an=
derr ehrlicher Einwohner der Insel gewesen, man
habe nicht nöthig, seinen Anweisungen zu folgen.
– Die Getreuen des Prinzen hielten ihnen ih=
re Dokumente vor; allein sie lachten darüber, und
sagten: ob man sie so einfältig hielte, zu glauben,
dergleichen Zeugnisse seyen richtig. Diese Leute
behaupteten öffentlich, das ganze Land ses so nach
des Königs Willen eingerichtet, er wolle es so ver=
wildert mit allen den reißenden Thieren haben,
wie es da seye; wenn ers anders haben wollte,
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so wäre er mächtig genug, die Cultur und den Bau
derselben ins Werk zu setzen. Man stellte ihnen
ferner vor, und fragte sie, wofür sie denn da seyen?
Ei! antworteten sie, wir sind des Königs Unter=
thanen, er ist ein gnädiger Herr, er wird uns nicht
strafen, daß wir etwas unterlasen haben, wozu wir
zu schwach waren. Ihr müßt aber doch gestehen,
(versetzte einer aus den Anhängern des Prinzen)
daß das Land unendlich besser, fruchtbarer, volkrei=
cher, angenehmer und für unsere eigne Bedürfnisse
ganz unvergleichlich bequemer seyn würde, wenn es
von seiner Verwilderung befreyt, und durchgehends
zum Feld= und Gartenbau angebauet würde. Wem
liegt nun die Verbesserung ob? gewißlich denen es
vom König anvertrauet ist! – Wollt ihr nun
das Mittel nicht brauchen, das uns der Prinz hinter=
lassen hat, wolt ihr keinen Theil an ihm haben, da
er der souveraine Herr der Insel ist, so seyd ihr
doch schuldig, den Theil, der euch davon anvertrauet
ist, rein zu halten, und ihn nach denen natürlichen
vernünftigen Recht anzubauen; und wo ihr das
nicht zu Stande bringen könnt, so seyd ihr wieder=
um schuldig, das euch so verhaßte Mittel ordentlich
zu brauchen, und wo ihrs alsdann falsch findet, so
sollt ihr Recht haben.
[...]
 

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