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Da die Texte durchaus von Interesse sind, habe ich sie hier - ohne gründliche Korrektur - wiedergegeben (die Chronik enthält sie korrigiert und schlüsselt auch Empfänger usw. auf).

 


 

 

 
JUNG: Sendschreiben Nr. 1, S. 1-2:
„Zürich den 5. Januar 1782.
Lieber Wittwer!
Daß dein Verlangen nach Ewigkeit stärker werden als der Tod, und dein Eifer für die Zukunft zu leben, - wie er Eifer für die Grube; - sollte mein Wunsch an ich seyn, wenn ich würdig wäre so was Großes zu wünschen.
Leide, als ein guter Streiter Jesu Christi! Nimm jedes Tages Last getrost auf Dich, und denke: Sie sind gezählt, die Tage und die Lasten.
Daß wir alle doch weit zurück sind, ich will nicht sagen - vom Ziele, sondern - vom Wege, das lehre Gott uns erkennen; dann ist dieses Jahr ein Segens= und Lebens=jahr für uns.
Ich war im August vorigen Jahrs in Oberried, beantwortete Heere von unbeantworteten Briefen, und kam doch an kein Ziel. Da braucht's auch Geduld und Glaube der Heiligen. Ich bin eben auch von allen Seiten gedrückt, daß ich allem was beten kann zurufen möchte: Bete für mich! Gott helfe uns allen tragen, was wir uns, oder Andere uns auflegen, - oder Er nehme es uns ab.
Lienhard und Gertrud, ein Bauernbuch, empfehl' ich Dir sehr. Es wird Dir und allen, denen Du’s bekannt machst, Eingang finden. [S. 2:]
Jetzt arbeit’ ich an einem Ecce homo, ober Pontius Pilatus - ein Büchlein, das allen wohl thun soll, denen das Evangelium wohl thut.
Die allmächtige Gnade des Ewig=Treuen, Immer=Gleichen, sey mit Dir und uns. Amen
Lavater.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 2, S. 2:
„Lieber Jung!
Mein erst Geschäft an diesem sehr geschäftsreichen Pfings=Vorabend ist noch vor dem Frühstück, - damit man’s beim Familien=Frühstück lesen kann, ein Zeilchen an den lieben Bruder Jung zu schreiben. Aber, da meine Augenblicke heute belastet sind, nur dieß: Ich liebe den Wahrheit und Seegen verbreitenden, redlichen Jung brüderlich, und sehe ihn als einen Zeugen der Providenz, und als einen Zögling des Herrn an. Es würde mich nichts mehr freuen, als wenn ich je so glücklich wäre, ein Organ in der Hand des Herrn zu seyn, solchen redlichen Kinderseelen, wie er ist, eine nie vergängliche Freude zu verursachen.
Daß mein Bruder glücklich ist mit seiner Elise, deß’ freu’ ich mich von Herzen. Das größte Glück ist: Erkenntniß seines Glücks.
Von mir sag’ ich nichts weiter, bis ich sagen kann Ein Wort, das mehr werth ist, als zehntausende, das einzige Wort, um deswillen ich erschaffen zu seyn scheine, war mir Leiden ohne Maas und Freuden ohne Zahl bereiten wird: (‘(((((! *)
-
*) ‘Ich habe gefunden.’ d. H. [S. 3:]
Wäre meine liebe Frau gesunder, so wär’ ich ein ganz glücklicher Hausvater. Meine drei Kinder machen mir auf verschiedene Weise täglich Freude, ohne allen Verdruß, und sind mein unaufhörliches Labsal unter Lasten und Leiden, die Niemand als Gott kennt.
Zürich, Samstags Morgens
den 26. Mai 1792.
Lavater.
O wie nichts ist alles bis Christus in uns allein lebt!"
JUNG: Sendschreiben Nr. 3, S. 3:
„Lieber Jung!
Obgleich ich schwieg, ich war nicht undankbar gegen die Freundschaftsbezeugungen, die ich das vorige Jahr mit meiner Tochter bei dir und den Deinigen in Marburg genoß. Schon so oft sollt und wollt ich Dir schreiben, und e s kam, Du weißt, wie das geht, immer ein bedeutender oder unbedeutender Abhaltungsgrund dazwischen. Besonders regte sich bei mehrmaligem Lesen Deines Stillings=Heimweh in mir der Vorsatz, Dir zu schreiben. Dieß geistige Buch, dessen Fortsetzung so sehr gewünscht, und so dringend verlangt wird, ist die Lieblings=Lectüre so vieler schwärmerischer und unschwärmerischer Herzen, in denen das Heimwehe mit der Lust hier zu bleiben - in beständigem Kampfe liegt.
Du würdest mir eine große Gefälligkeit erweisen, wenn Du, wofern Du es darfst, so bald wie möglich (denn solche Dinge müssen, in so fern es von uns abhängt, nicht aufgeschoben werden) etwas über die Entstehung dieses Werkes sagen könntest. Es scheint sehr kühnes Wagniß, so was zu dichten, wenn nichts festes, historisches zum Grunde liegt. Ich halte es nicht für unmöglich, ja nicht für unwahrscheinlich, daß so etwas zum Grund liege?
Sehr, sehr, sehr vieles hätt’ ich Dir zu sagen. Gewiß war kaum eine Zeit meines Lebens, wo die Geisterwelt so merkbar sich regt, wie grad itzo.
Wenn nur alles geister’sche uns geistiger, alles Geistige uns liebender, alle Liebe uns Gottes empfänglicher macht!
Ich erhalte so eben die Bitte von dem wackern Herrn Conrector K. aus Sch. dir seinen nach Marburg reisenden Sohn bestens zu empfehlen. Dies thu’ ich also mit dieser Zeile. So gering und einfach sie ist, sie wird nicht umsonst seyn; der Herr liebt, auf geringe, einfache Sachen oft einen großen Seegen zu legen.
Sehr lieb wärs mir, wenn Du durch jemand der Deinigen mir ein kurz=gedrängt Promemoria unsers leztjährigen Beisammen=Seyns, zum Behufe meines Gedächtnisses, mitsenden könntest.
Adieu lieber Mit=Harrer daß’, was nur allein den Geist geistiger, das Herz herzlicher, das Leben lebendiger und unsterblicher machen kann!
Zürich, Freitags Morgens
den 29. Aug. 1794.
Lavater.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 4, S. 5:
„Ich eile, lieber Jung, Dir für deinen brüderlichen Brief vom 12. Oktbr. zu danken, und dich der Familie von E. wegen zu beruhigen. -
Was Du mir von der blosen Allegorie des Heimweh sagst, betrübt mich und viele, viele Deiner würdigsten Leser sehr. Ich lege die Hand auf den Mund -
Gegen einen reellen grauen Mann, der wirklich hie und da sich als ausdrücklich Bevollmächtigter des Königs aller Könige beweise *), hätt’ ich nicht nur nichts, sondern ich halte ihn in unsern Zeiten beinahe für unentbehrlich.
Ich gestehe aufrichtig, daß ich den Glauben für Schwach=Glauben, um nicht zu sagen für Aberglauben, halte, der alle seine Gründe blos auf Vergangenheit und Zukunft schiebt. Ich streite aber nicht darüber, lege nur mein Glaubensbekenntnis ab.
‘Das Vergangene treibt mich etwas Gegenwärtiges zu suchen, welches mich für die Zukunft sicher stellt.’ Ohne dieß seh’ ich nicht, wozu ich glauben soll, der Glaube muß freilich nie aufhören, Glaube zu seyn. Aber sollte er, wenn er nicht Schwärmerei werden soll, auf alle sinnlich entscheidende Beweise, (die es nemlich für ein demüthig=redliches Herz sind) Verzicht thun? Kann Christus, diese persönliche Vernunft und Menschenkenntniß und Humanität, dies gewollt haben?
-
*) Einem solchen idealen grauen Mann ist das Heimweh dedicirt. d. H. [S. 6:]
- - Ein jed’ altevangelischer Christ wird es sehr natürlich finden, zu wünschen, Christen zu kennen, von denen man sagen kann: ‘Hier ist Christus - nicht schwach, sondern mächtig.’ Das wäre dich eine fürchterlich schiefe Mißdeutung jener Stelle: ‘wenn man euch sagt: hier, - so glaubet es nicht’ - wenn man damit dem Immergleichen die Hände binden wollte, sein Wort nicht erfüllen zu können: ‘Wer mich liebt, dem werd’ Ich selbst mich offenbaren.’ Wo Christus sich offenbart, da ist Er, da wird der Glaube sagen dürfen: Hier ist Er. Ohne fragen zu müssen oder zu wollen: ‘Was soll die Offenbarung?’ So viel in altchristlicher Bruderliebe. Alle Freunde (Du hast viele) grüßen Dich.
Den 21. Octbr. 1794.
Lavater.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 5, S. 6:
„Zürich den 28. Januar 1800.
Auch wieder einmal, wenn ichs darf, ein Wörtchen an Dich lieber Bruder Jung.
Ich denke oft, oft mit inniger Liebe an Dich, und freue mich, Dir wenigstens dem Namen nach bekannt zu seyn, und freue mich, Dich und Dein Inneres durch so manche Aeußerung Deines edlen christlichen Herzens zu kennen. Einst werden wir uns - und Gott gebe, bald - nach unseren neuen himmlischen Namen kennen, und es wird uns wohl thun, daß wir uns hienieden nicht ganz vorbeigingen.
Wie oft dacht’ ich seit zwei Jahren: ‘Jung hat doch mehrere Freunde in der Schweiz, die Ihm [S. 7:] nahe am Herzen liegen, - oft wird ihm ihre jetzige Noth einen Seufzer auspressen.’ Kriegselend hat uns gebogen und - ausgesogen ... Doch wir kamen durch unter Angst und Jammer, unter Seufzer und Thränen bis auf diese Stunde. Wir lernten, von wem wir abhängen, und erfuhren manchmal die Erbarmung des Herrn, die Steine zur Empfindung hätte bewegen müssen, und nie genug können wir lobpreisen für so manche augenscheinliche Stärkung und eigentliche Wunder von gnädigen Rettungen. Gottes Erfahrungen sind um keinen Preiß zu theuer.
Sollten wir uns, mein Theurer, nicht freuen dürfen, daß dieß die Schmerzensanfänge sind? Und sollten wir neuer, kommender Aengste und Trübsalen uns nicht noch mehr freuen? ‘Es eilt, es eilt! Es beginnt zu kommen, wie wir wissen, daß es kommen soll! Siehe, Er hat es uns vorhergesagt!’
Hielt uns dieser Trost nicht, möchten wir nicht alle versinken? Laß uns beten, Bruder, und aufblicken! Wandelt uns die Furcht an: ‘Es sind wenige die aufblicken und beten!’ so stärkt uns wieder die Hoffnung und Spur: ‘Ich habe mir lassen 7000 übrig bleiben, die dem Baal kein Kniee gebogen, noch biegen werden.’
Unsers Lavaters Schicksal im vorigen Jahr - mit welchem Eifer, mit welcher Wehmuth hast Du’s angehört? Gott hat sich über ihn erbarmt, und nicht allein über ihn, sondern auch über uns, damit wir nicht eine Traurigkeit über die andere hätten. Seine Wunden sind noch nicht heil, aber doch ist er ihretwegen wills Gott außer aller Gefahr. Mag Revolution und Krieg mich zur Bett= [S. 8:] lerin machen - Gott lasse mir nur meinen größten Reichthum - Lavatern.
(Daß ich jetzt thöricht und Seinetwegen nur von mir spreche.)
Er will ein Zeilchen beifügen, und ich sage nur noch ein schwesterliches Adieu.
A. M. K.
-
Nro. 6.
Lieber Bruder, die gute K. läßt mir noch ein Räumchen übrig Dir zu schreiben - was? Der Herr hat mich hart gezüchtigt, aber mich nicht gethötet. Er hat mich noch zu etwas aufgespart. Mögen meine leidensreichen Tage, Tage des Segens für Tausende werden! Mög’ ich das Ziel erreichen, das er von meinen frühesten Tagen an meiner Seele vorgesteckt hat, und wovon mich kein Spott der starken und kein Seufzer der schwachen Geister zurückschrecken wird. Der Anfänger wird vollenden, und durch schreckliche Leiden mich, ich hoffe hienieden noch, zu namenlosen Freuden führen. Gott lohne Dir Alles, was Du zur Ehre unsers Herrn mit Taubeneinfalt thust. Wo ich Dir auch nicht beistimmen kann, da spür’ ich doch Dein Wohlmeinen mit der Sache des Herrn. Möge der Herr selbst in allerheiligster Menschenperson uns bald heimsuchen, und alle zerstreute Kinder Gottes in Eins sammeln. Amen.
Zürich den 29. Januar 1800.
Lavater, im Bette.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 6, S. 9:
„Zürich den 30. Januar 1800,
Abends 9 Uhr.
Lieber Bruder! Sey sicher, daß ich mit Dir zur Hauptsache, der absoluten Unentbehrlichkeit Christi stehe, und mich durch kein Anathema der Welt davon abbringen lassen werde.
Obgleich es gar nicht möglich ist, durch die vollkommenste Weise zu schreiben, einem antichristlichen Geiste beizukommen, so laßt uns doch trachten, auch denen keine Blöße zu geben, denen es nie um die uns allerheiligste Wahrheit zu thun seyn kann.
Unter den wahren Gewinnsten meiner Verwundung ist auch die klarere Vorstellung, Vergegenwärtigung, Mitempfindung der zehnmal peinlicheren Wunden und Körperschmerzen unsers Herrn.
Nun will ich mich schlafen legen, bis Husten und Schmerz mich wecken werden. Gott lasse mich Deiner vor dem Einschlafen noch brüderlich=kräftig vor Ihm gedenken.
Lavater.“
 
Hier fehlt die Nr. 7
JUNG: Sendschreiben Nr. 8, S. 9-11.
„Zürich den 12. März 1800.
Lieber Jung!
Noch immer im Bette, Beschwerdenvoll und unvermögend viel zu schreiben, meld ich Dir nur den [S. 10:] Empfang Deines lieben und liebevollen Schreibens vom 17. Februar, das mich sehr erquickte,
Ob ich gleich mich in keine einzige der apokalyptischen Zeitbestimmungen finden kann, so bin ich doch in der Hoffnung froh, daß das Reich des Herrn, und die Offenbarung desselben auf Erden näher sey, als kein Ungläubiger und kein Gläubiger denken mag; und unter diesem Reiche des Herrn versteh’ ich nicht etwa blos sichtbare Vervollkommnung, Aufklärung und Versittlichung des Menschengeschlechts, (welche ich ohne Christum für die unsinnigste Träumerei unserer, weder Gott noch Menschen kennenden Philosophen halte); ich verstehe auch unter diesem Reiche des Herrn nicht bloß - wie viele tausend fromme Christen - eine unbestimmte, allgemeine, himmlische Glückseligkeit, sondern einen eigentlichen, organisirten Staat, dessen sichtbarer König der Gottmensch, Jesus Christus, ist. Er - glaub’ ich - wird in allereigenster, sichtbarer, fühlbarer Menschengestalt und in einer völligen Leibhaftigkeit, vermuthlich auf eine ähnliche Weise wie nach seiner Auferstehung auf Erden, als König Israels und aller geistigen Israeliten regieren, und seine Auserwählten aus allen Gegenden der Welt um sich her versammeln, einen jeden mit Autorität und Würde bekleiden, ihnen bestimmte Aufträge an nahe und ferne Nationen ertheilen, und so auf einmal das allervollkommenste Ideal einer allbeglückenden republikanischen Monarchie aufstellen, und so alle Weissagungen der Propheten und Apostel, und seine eigene, theils auf die buchstäblichste, theils auf die erhabenste unerwartetste Weise, erfüllen. Mit Einem Wort: ich glaube ein eigentlich tausendjähriges Reich [S. 11:] Christ auf Erden, an welchem nur die gerechten und liebevollen Seelen, die Ihn als den göttlichsten Universalmonarchen anerkennen, Theil nehmen werden. Alle werden Unterthanen des einzigen Königs, und alle zugleich in tausend Abstufungen seine Mitregenten seyn. Jeder wir in die Organisation des Reichs eintreten, und so werden sich alle Reichsgenossen, wie Christus binnen 40 Tagen zwischen Seiner Auferstehung und Himmelfahrt, zum Uebergang in einen höhern himmlischen Zustand vorbereiten, und mit Ihm so lange regieren, bis er das Reich Gott und dem Vater übergeben, und Gott Alles in Allem seyn wird.
Mehr kann ich jetzt weder schreiben noch dictiren. Ich umarme dich herzlich.
Lavater.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 9, S. 11-12.
„Den 3. April 1800.
Nur ein Zeilchen an Dich lieber Bruder Jung. Ich leide noch - kämpfe noch, - glaube und hoffe noch. Mich hält eine unsichtbare, langmüthige Hand. Ich frage nie, warum? Ich bitte nur um die Weisheit, Gott ganz zu verstehen.
Wir sind wieder schrecklichen Auftritten sehr nahe. Seit meiner Verwundung ist es mir eine neue Quelle bitterer Leiden, etwas vom Kriege zu hören. Ach, lieber Bruder, wie stark muß man seyn im Glauben an den Herrn und Seine alles regierende Hand, wenn man beim Anblick oder naher Voraussicht der schrecklichsten und blutigsten [S. 12:] Scenen um des Herrn Willen ruhig bleiben kann. Mir ist, Lieber, wir seyen immer noch im alleräußersten Vorhofe des Glaubens. Wer sich etwas auf seine religiöse Vollkommenheit zu gut thun kann, muß sich in dem erbärmlichsten Zustande der Selbstverblendung befinden. Gruß und Bruderliebe!
Lavater.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 10, S. 12-13.
„Den 28. April 1800.
Ich halte meine Verwundung, lieber Jung, durchaus nicht für eine Plansache, sondern für einen Zufall, (wenn je etwas in der Welt Zufall heißen kann). Ungeachtet dieser, gewiß von Menschen unvorbedachte, Zufall im Rathe der heiligen Wächter weislich abgewogen, praemeditirt, und mit allen Umständen und Folgen auf Minuten und Sekunden, Grane und Halb=Grane berechnet war. Der Mann, den Gott auserwählte, unwißend mein größter Wohlthäter zuseyn, und dem ich so gerne, wenn ich nur wüßte wie, ohne seinen Namen wissen zu wollen, ein brüderliches Wort schreiben möchte, dieser Mann, der halb trunken war, ward plötzlich wie von einem Dämon besessen, und setzte mir erst das Bajonett auf die Brust, und da dieß etwas weggelenkt war, zog er sich einen Schritt zurück, und schoß. Die Kugel ging durch den linken Arm eines redlichen Mannes, der mich umschlang und zurückziehen wollte. Sie trat etwa zwei Zoll perpendiculär unter der rechten Brustwarze ein, und machte einen Schlitz, Oefnung von beinahe 1 ½ Zoll, [S. 13:] dann ging sie bei den falschen Rippen durch, und durch eine kleine, kaum ½ zöllige Oefnung linker Seite, etwa 2 Zoll diesseits der linken Brustwarze, wieder heraus. Die rechte Wunde ist bis auf einen Drittelzoll zugeheilt; dieser Drittelzoll bleibt sich seit Wochen gleich. Die linke Schußwunde ist an sich geheilt, hingegen die Schnittwunde, die man um jene zu heilen machte, will nicht heilen. Wäre die Kugel gerade durch, ich wäre gleich todt geblieben. Sie machte aber einen Bogen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 11, S. 13-14:
„Am Morgen des 9. November 1800.
Gott Lob, lieber Jung, bin ich glücklicher als ich mir vorstellen konnte, von Erlenbach, wo ich so viel genoß und so viel litt, zurückgekommen. Nach der Ankunft hatt’ ich an den linken etwas ausgewichenen Rippen solche Schmerzen, daß ich lang’ anstand, ehe man mich vom Sessel aufheben und in’s Bett bringen konnte. - Mit dankbarer Rührung sag’ ich, daß ich über alles Erwarten eine gute, beinahe schmerzlose Nacht hatte. Mich in alles zu fügen, alles, was mir geschieht, als das Beste anzusehen, und es als Heil und Beseelungsmittel dankbar und vertrauensvoll zu verehren - ist mein tägliches Bestreben, und Gott Lob nicht ohne Erfolg. Mitten in meinen Leiden hab’ ich so viele Erquickungen aller Arten, daß ich nie dankbar genug seyn kann. Die Helle meines leiblichen und geistigen Kopfes bleibt immer unbewölkt. Seelenleiden hab’ ich un= [S. 14:] aussprechliche - besonders auch - darf ich’s sagen. über den Unglauben der Glaubigsten [sic] - und den Atheismus der Frömmsten. O Lieber, wir stehen alle noch an der Schwelle des Vorhofs. O Laßt uns nicht ruhen, bis wir in’s Heiligthum eingedrungen.
Lavater.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 12, S. 14-18:
„Zürich den 8. Dezember 1800.
Gleich nach dem Empfang deines liebevollen Briefes, guter Bruder Jung, wag ich es, ein Antwörtchen, so weit es gehen mag, an Dich anzufangen, denn mich befällt bald unterm Schreiben ein peinlicher Schwindel.
Gott Lob, ich lebe noch, und Gott Lob, ich leide noch. So bitter dem Fleisch das Leiden ist - der Geist spürt doch, daß es eine preißwürdige Gnade ist. Ich weine oft im Leben um der Schmerzen willen, wie ein Kind, ‘Vater, erbarme dich deines unwürdigsten Knechtes!’ und weine zugleich vor Freuden, daß ich solcher Leiden gewürdigt werde. Ich leide als Adamsohn, und freue mich als gottvertrauender Christ. O Lieber, wie vieles erfährt der Christ, das er dem christlichsten Christen nicht vertrauen darf, bis es vorbei, bis der stumme Glaube ohne Gefühl - gekrönt ist.
Dank für die Nachrichten von Dir und deinem Vater. Auch ich fühle mich oft, seit ich so sehr leide, unsterblicher als noch nie.
Eine dienstfertige Seele kommt, der ich gleich [S. 15:] Papier und Feder abgebe, um mich mit Dir leichter und länger unterhalten zu können. Ich kann aber auch für keinen Augenblick gutstehen.
Ich will erst ein Wort von mir sagen, weil Du doch so herzlich theilnehmend wegen meiner Umstände bist. - Meine Beschwerden sind eigentlich folgende.
1) Ein oft nahe an die Ohnmacht gränzender peinlicher Schwindel, der mich sogar im Bette und in der Nacht überfällt. Dieß ist wohl das schwerste, was ich mir, wenn’s möglich wär, wegbeten möchte. Ich muß es beinahe für eine Wirkung des Satans halten - wenigstens den Anfang davon, indem ich den 26. September (eben der Tag, an dem ich vor einem Jahr geschossen wurde) in der Morgenstunde durch eine unsichtbare Gewalt meinen Kopf aus dem Bette auf eine nahestehende Bank warf, und mir ein unbeschreibliches Leiden zufügte. - Seit dieser Zeit regt sich dieser unselige Schwindel fast täglich und versetzt mich in eine ähnliche peinliche Lage - als ob ich einen Felsen zur Linken, und einen Abgrund zur Rechten hätt, und als ob ich auf einem schmalen Flecke läge, und bei der geringsten Bewegung in den Abgrund sänke.
2) Leid’ ich täglich an einer schrecklichen, fast ununterbrochenen Pressung über die Brust, wo die Kugel gerade an dem Zwerchfell durchgieng.
3) Ein äußerst beschwerlicher Husten, dem allemal ein peinlicher Krampf, der mich bis in den Hals hinaufwürgt, vorgeht.
4) Leid’ ich an etwas ausgewichenen und zusammengedrückten Rippen an der linken Seite, herrührend von der Lage, in welcher ich lange Zeit mich [S. 16:] halten mußte. Oft, sehr oft, darf ich mir nicht die allergeringste Bewegung erlauben, ohne einen schreienden Schmerz zu rufen.
5) Hat sich über der linken nun so viel als geschlossenen Wunde eine kleine Eiterwunde unter heißen, oft wiederkommenden Schmerzen selbst eröffnet - diese scheint dem Fingergefühl nach zu urtheilen, die Folge eines Rippenfraßes zu seyn.
6) Endlich, (denn das Podagra im linken Fuß will ich nicht einmal rechnen) macht mich eine auf dem Rücken ausgewichene Kralle oft entsetzlich leiden, weil ich unmöglich immer auf der Seite liegen kann.
Bei allen disen oft zusammentreffenden Uebeln, muß ich zum Preise der göttlichen Langmuth sagen:
a) Daß mir täglich manche leibliche Erquickungen zu Theil werden durch meine Freunde.
b) Daß ich von den Meinigen aufs zärtlichste und sorgfältigste verpflegt werde.
c) Daß mir bei allem, was etwa Mangel heißen möchte, Gott auf die augenscheinlichste Weise zu Hülfe kommt durch bekannte und unbekannte Menschenhände - Gotteshände. - Die übrigen leiblichen Sorgen such ich allein mit Gott in’s Reine zu bringen.
d) Mein Geist ist so heiter und lebendig, als er je in meinem Leben war. Ich könnte unaufhörlich dictiren, dichten, Aufsätze machen, worüber man wollte, ich könnte immer zwei auch drei Schreibern genug zu thun geben.
e) Obgleich ich nicht mehr den vierten Theil von dem, was ich ehemals that, thun kann, so geht doch kein einziger Tag vorbei, an dem ich nicht etwas Nützliches schreibe oder dictiren kann, freilich [S. 17:] sehr unterbrochen und mit sehr vieler Beschwerde, so schreib’ ich z. B. täglich Gedanken über die verschiedensten Materien, welche dann in meine Handschriftliche Gedanken=Handbibliothek, die wohl schon über vierzigtausend einzelne Gedanken auf einzelnen Blättchen enthält, nach alphabetischer Ordnung eingeschoben werden; auch geht kaum ein Tag vorbei, wo ich nicht an einen nahen oder fernen Freund eine Denkzeile nach meinem Tode zu übergeben niederschreibe. [Siehe 2.01.1801.] Schon über vierhundert Freunde haben ihre eigenen Adressen. Ich möchte nützen, so lang ich lebe, und leben so lang ich athme.
f) Als den letzten und doch nicht letzten Beweis der preiswürdigen göttlichen Langmuth will und soll ich auch das noch rechnen, daß der täglich sich mehrenden Schmerzen ungeachtet, meine Lebenskraft im geringsten nicht abnimmt, und mir jedermann zu meinem guten Aussehen und unkränkelnden Augen, die unter den bittersten Schmerzenszügen immer ihr Licht behalten, Glück wünscht; obgleich auch sehr wahr ist, daß die, welcher mich lange nicht sahen, anfangs mich kaum mehr erkennen. Doch genug nun von mir; sollt’ ich etwas vergessen haben, so wird es Freundin K. [Kitt] nachzuholen wissen.
In Ansehung meines Lebens den’ ich folgendermaßen:
a) Sie ersparen mir große bittere Reinigungsleiden nach dem Tode; denn Reinigung nach dem Tode ist unausweichlich.
b) Sie bringen mich, wo nicht zu einer Aehnlichkeit, doch zu einer Disposition zur Aehnlichkeit mit Jesu. [S. 18:]
e) Sie machen mir auf eine neue Weise meine, und aller Menschen Ohnmacht klar und machen mir Gott in Christo oder den Gottmensch Jesus, täglich unentbehrlicher.
d) Sie zeigen mir nicht nur die Abhängigkeit, sondern auch die Unabhängigkeit des Geistes von der Materie.
e) Sie erinnern mich (ich will es wieder wagen, da ich ausser dem Bette nun bin, selbst zu schreiben) an meine Sterblichkeit, meinen eilenden Tod, und treiben mich, auch im Aeußern noch möglichste Ordnung zu machen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 13, S. 18-21.
„Am Morgen des 10 Dezembers 1800.
Ueber Stollbergs Kirchenveränderung - ich mag nicht sagen - Religionsveränderung (denn welcher Religiöse kann seine Religion verändern - Religion ist ja das aller Innerlichste?) hab’ ich Ihm selbst vor wenigen Tagen durch Passavant, der vielleicht eine Kopie von dem Briefe genommen, in Summa dieß geschrieben: ‘Ich möchte nicht von Formen abhängen; ich respektire des Andern Ueuberzeugung wie eigene; jeder soll seinen eigenen Weg gehen; Er soll katholisch bleiben und ein Heiliger werden, wie Boromäus; Tugenden ausüben, die kein Unkatholischer ausüben kann; sich vor intoleranter Proselytenmacherei hüten; ich könnte nie katholisch werden, aus solchen und solchen Gründen’ - übrigens denke ich wie Du über diesen [S. 19:] Punkt - liebe Christum, und dann thue, was du willst. Gott will in allerlei Sprachen angebetet und auf alle mögliche Weise verhert seyn. Er will alle möglichen Editionen von Menschengesichtern, und alle mögliche Abstufungen von Empfindungen Seiner Liebenswürdigkeit. Maulwurfsaugen sind zu seinem Plan so nöthig wie Adlersaugen. - Jede Religion die gut und liebend und selig macht, ist eine wahre Religion, und ist die beste für den, der keiner bessern bedarf,. Uebrigens denk’ ich, wenn der Herr sich naht, und sein Reich offenbaren wird, so werden die Liebenden aus allen Zeiten und Weltgegenden sich in die ewige Liebe, in Jesus Christus, als um ihren Mittelpunkt versammeln, und von Ihm durchstrahlt, verschlungen, und in Millionen Abstufungen von Ihm beseeligt werden. O wie werden da die Namen reformirt, katholisch, lutherisch verschwinden, und Alle nur Ein Herz und Eine Seele in der allerseligkeitsreichsten Liebe seyn!
Mein Gebethbuch für Dich, will ich, will’s Gott, an Sch. senden, der dann sorgen wird, daß es Dir so leicht wie möglich in die Hände kommt.
Endlich gehen die Briefe von Saulus und Paulus unter die Presse - ich darf mir einigen Seegen von diesem prosaischen, poetischen Werkchen versprechen: Du wirst den Geist nicht mißkennen, der darinnen wehet.
Sobald ich mit dem zweiten Teil der Briefe über das Deportationswesen fertig bin, woran ich aber leider, meiner Umstände wegen, wenig arbeiten kann, und mir die himmlische Langmuth [S. 20:] noch einige Lebensfrist gönnt, so will ich mit Gottes Hülfe meinen prosaischen Schwanengesang ,, [sic] meine Herzens=Leerung über Jesum Christum, anzufangen wagen. Ich möchte alle christliche Seelen bitten, mir mit ihrem Gebethe beizustehen, um über ihn sagen zu können, was noch niemals gesagt ist - was auch den Allerungläubigsten stutzen machen, erschüttern, das auch dem Spötter Respekt einflößen würde; etwas das den Satan knirschen, und die Engel frohlocken machen müßte. Etwas, das jeden glaubenden und glaubensfähigen Christen seines Christenthums und Christus aufs neue froh machen soll. - Ach der Geist des Herrn verlasse mich doch keinen Augenblick, wenn ich daran arbeite, - denn ich weiß, daß ohne Den Alles eitele Eitelkeit und tönendes Erz und klingende Schelle ist.
Noch einen Punkt Deines lieben Briefs kann ich nicht unberührt lassen, den, von dem menschlichen Verderben, oder dem natürlichen Unvermögen zu ächt christlicher Tugend. Es ist eine eigene ächte Tugend und Gerechtigkeit ausser und ohne Christus möglich. Es empört alle Vernunft und Billigkeits=Liebe zu sagen, daß alle Tugenden der Heiden und Israeliten, die wahrlich kein denkender Mensch sich bloß als hinschauend auf den künftigen Messias und nur in Hinsicht auf den tugendhaft denken kann, glänzende Sünden gewesen seyen. Wie viel hundertmal handelt auch der beste Christ vollkommen gerecht und tugendhaft, ohne dabei an Christum zu denken.
Also kann mit keinem Recht behauptet werden, daß der Mensch nicht auf einen gewissen Grad [S. 21:] tugendhaft, ächttugendhaft, ohne Christus, - wenigstens ohne Erkenntniß Seiner, ohne Glauben an Ihn, - werden könne. Eine ganz andere Frage ist: Ob er es vollkommen, in allen Fällen, allen Stücken durchaus werden könne? Das Christenthum ist eine Anstalt höherer Ordnung, wodurch der Mensch, der beste Mensch selbst höher gestellt und fähig wird, reinere, Christus ähnlichere, vollkommenere Tugend auszuüben, und dem Seelenvergiftenden Egoismus zu entsterben, welchem ohne Christus kein Samariter, kein Zachäus und Kornelius entstehen kann. Aechte Christentugend ist das Werk des Geistes Christi, der uns in dem Momente, wo wir’s bedürfen, das klar macht, was ein Uebergewicht gegen den mächtigen Reiz der Sinnlichkeit und des Egoismus abgeben kann. So viel von dem.
Liebe ist des Gesetzes Erfüllung, der Himmel des Himels, der Zweck aller Zwecke. Vollkommene Liebe aber ist nur die Tochter des vollkommenen Glaubens an die vollkommenste Liebe. Nur wer an Christum glaubt, überwindet die Welt, den Egoismus und sich selbst.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 14, S. 21-23.
„Samstag Morgens 9 Uhr, denn 11 Dezember 1800 *).
Nach einer ziemlich guten Nacht hoff’ ich noch einige Zeilen an Dich diktiren zu können. Eins, das [S. 22:] ich immer vergaß: entschuldige Dich doch nie des Nichtschreibens wegen, ich begreife kaum, wie Du noch so viel antworten kannst. - Ich bin hundertfacher Schuldner aller meiner Correspondenten; deß ungeachtet muß ich Dich bitten, R. L. in Bern nicht zu vergessen, von der ich Dir, wenn ich nicht irre, ein Briefchen vor ein paar Monaten eingeschlossen habe. - Die Weiblein alle achten sich so glücklich, wenn Du ihnen ein Wörtchen schreibst, und wirklich ist keines an ihnen verloren. Sie müssen aber auf verschiedene Weise angefacht und durch verschiedene Mittel im Guten unterhalten werden. Es ist indeß sonderbar, daß unter zehen christlichen Personen immer neun Weibliche sind. Wenn Du einmal zu uns kämest, Du würdest erstaunen über den religiösen Sinn, und den hellen, klaren, beinahe philosophierenden Verstand so vieler Frauen, die mich umgeben. Was mich am meisten freut, ist nicht nur die Empfindung, sondern das wirklich helle Licht=Bedürfniß dieser denkenden Schwestern. Für diese Klasse von Menschen sollte von allen christlichen Autoren mehr gearbeitet werden. Es ist schrecklich, wie die christlichen Schriftsteller diese so ganz aus den Augen verlieren, und immer fremde, nur Philosophen verstehbare Wörter, die doch auch cultivirten Frauen unverstehbar sind, unterschieben. Ueberhaupt find’ ich bei den meisten Schriftstellern einen tadelnswerthen Mangel an Humanität, und wahrer Menschenkenntniß. Die wenigsten denken sich die Leser, für die sie eigentlich schreiben, klar und individuell genug. Die Kunst zu schreiben und zu predigen, ist eine nie auslernbare Kunst. Doch [S. 23:] der, dem es Ernst ist, zu nützen und zu erbauen, der Gott um Weisheit und Geist zu allem anfleht,, der lernt auch diese Kunst täglich vollkommener. Guter Wille und Gebeth machen das Schwerste leicht. Dieß ist meine tägliche, ja - stündliche Erfahrung. Wir sollen uns gewöhnen, in allem ohne Ausnahme, im Großen wie im Kleinen, Gott um seinen Seegen anzuflehen. Wir gehen, sag’ ich, tausendmal zu vornehm mit Gott um; - wir thun zu fremde mit Ihm - wir sagen: ‘gnädigster Papa!’ wo wir Abba - lieber Vater - sagen sollten. Soviel dießmal.
Adieu - lieber, edler, guter, christlicher Bruder. Laß mich deinem Gebethe empfohlen seyn!
Johann Kaspar Lavater.“
[Die Anm. S. 21 lautet: „*) Lavater starb den 2. Jan.1801, es ist also dieß sein letzter Brief an Jung=Stilling. Anm. d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 15, S. 23.
„Denkzeile nach meinem Tode, / an / Heinrich Jung=Stilling. [sic] / in Marburg. / -
Rechter Christus Verehrer -
Verbreite Christus Verehrung -
Aber verbinde Licht und Lieb und gewinnende Sanftmuth
Mit dem Eifer für Ihn, und strebe nur Ihm zu gefallen -
Ganz in Seinem Sinn und nach Seiner Weise zu handeln.
J. K. Lavater.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 16, S. 24:
„Colmar den 29 Jänner 1783.
Hätte ich, mein theurer Freund, dem Drange meines Herzens folgen können, so würden Sie schon vor dem Abgang Ihres unschätzbaren Briefes an mich meinen Seegen zu Ihrer glücklichen Verbindung erhalten haben. Mein guter Schwager Hoffmann berichtete sie einem meiner Freunde, von dem er weiß, daß er mir nichts vorenthält, was meinem Herzen Freude machen kann. Allein wie unendlich wichtiger und süßer klang mir diese frohe Nachricht aus Ihrem eigenen Munde! Ich werde sie verwahren als eine heilige Urkunde aus dem geheimen Cabinet des höchsten Regenten.
Das Mitgefühl Ihres Glücks, mein theurer frommer Stilling, strömt durch jede Sehne meiner Seele. Hätte ich in meinem Leben nicht auch gelitten, so würde ich mir die Freude eine gekrönten Dulders nicht so ganz zueignen, so hätte selbst Ihre Lebensbeschreibung ihren mächtigen Magnetismus an mir nicht äußern können. Lassen Sie mich alles sagen mein würdiger Freund! ohne Ihre Widerwärtigkeiten würden wir uns in dieser Welt gewiß nicht so nahe gekommen seyn, wenn wir auch in einer Ringmauer gewohnt hätten.
Trinken Sie lange, lange an dem Becher Ihrer Glückseligkeit, und versichern Sie den Engel, aus dessen Händen Sie ihn empfingen, meines wärmsten Dankes für das Wohlwollen ihres Herzens. Wie unaussprechlich wohl thut es mir, daß Stillings Gattin und die Freundin von Sophie La Roche, [S. 25:] wie Stilling und Sophie La Roche, auch meine Freundin seyn will. Geben Sie ihr für diese Erklärung in meinem Namen den besten Kuß, den Sie noch zu geben haben!
Ach! ich hatte schon eine Selma, die seit drei Jahren bei Gott ist, meiner guten Doris zweite Schwester, der meine andre Selma gewiß eine Thräne auf das kleine Monument weinen wird, das ich ihr in einer Sammlung von Fabeln zubereite, die ich Ihnen und meiner neuen Freundin gegen Ostern zuzusenden hoffe.
Meine Gattin und unser Lerse haben beide Ihre Zuschrift mit der freudigsten Theilnahme gelesen, und umarmen Sie, liebes Paar, von ganzer Seele.
Wenn es doch der Vorsicht gefiele, uns in irgend einem Gefilde des Rheinufers auch nur auf ein paar Tage zusammen zu führen! Ich trage einen Anschlag in meinem Busen herum; allein ich mag mich nicht zu fest daran hängen. Es ist noch zu frühe, bestimmen zu wollen, was hinter dem grauen Vorhange des Winters für Aussichten liegen. Ich befinde mich, wie Sie, mein Freund, am besten dabei, wenn ich den Himmel sorgen lasse. Mit den meisten Wonnestunden meines Lebens hat er mich überrascht: warum sollte ich nicht glauben, daß er’s noch mehr thun werde?
Der Lebenslauf eines jeden Menschen ist eine Epopee, wo eine unsichtbare Gottheit sichtbar einwirkt, und jeder Vorfall, den er enthält, bietet dem Helden derselben einen individuellen Beweiß von der Wahrheit der Christusreligion an.
Ich habe wohl gesehen, daß ich meinen Brief [S. 26:]nicht mit der Erzählung der Ursachen meines langen Stillschweigens anfieng. Die Hälfte meiner Zeit wäre dabei aufgegangen, und am Ende hätte ich Ihnen doch nichts gesagt, als was Sie mir jetzt auf mein Wort glauben werden, daß es mir unmöglich war, Ihnen eher zu schreiben, wenn ich mich nicht mit einigen Zeilen begnügen wollte, und dazu war mein Herz zu voll. Ich finde ohnehin, daß ich einige meiner Lieblingsstellen aus Ihrem Briefe noch nicht beantwortet habe. Allein ich will Ihnen itzt lieber vier als in drei Monaten acht Seiten zuschicken..
Nun, so leben Sie denn wohl bester Stilling, edle Selma, und empfangen Sie mit diesem Kusse und mit dieser Hand das ganze Herz Ihres ewig treuen Freunde
Pfeffel.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 17, S. 26-28:
„Ich denke, mein theurer Freund, ich schreibe Ihnen heute lieber kurz, als daß ich meine Antwort verschiebe, in der Hoffnung, mich zu einer andern Stunde länger mit Ihnen unterreden zu können. Jeder Ihrer Briefe, mein Theuerster, verstärkt den Zug, der mich an Ihren Busen reißt. Das ist natürlich, weil unsere Herzen Fragmente eines Herzens sind, zu dem noch einige andere Stücke gehören, die sich theils schon gefunden haben, theils noch finden werden. - In den letzten Wintermonaten las ich mit einem freiwilligen Ausschuß meiner Zöglinge, für diese zum ersten und für mich zum zweitenmal [S. 27:] Ihren trefflichen Fahlendorn.. Nicht nur ich, sondern viele unter den guten Jungen haben sich Ihnen im Geiste fast in jeder dieser Ergötzungsstunden um den Hals geworfen, und wenn Sie uns besuchen, Freund, so werden Sie sich in einem Kreise von lauter liebenden Bekannten finden. Ein elektrischer Schlag für meine Seele war insonderheit die Scene auf dem Schiffe zwischen Fink und dem Aktuarius. Wie wahr beobachtet, wie tief empfunden ist alles, was Sie jenen in den Mund legen! die [sic] Religion hat nicht nur Mysterien für den Verstand, sondern wahrlich auch für’s Herz, und wer das fühlt, wird, wie Ihr majestätischer Fink, wenig von ihr reden, und selbst wenn er ein Prediger der Religion ist, wird er nicht alles sagen.
Ihre Idee von einem philosophisch theologischen Roman, worin Pietismus, Enthusiasterei und Unglaube in ihrer genetischen Geschichte aufgeführt und kontrastiert werden sollen, ist vortrefflich, und kann unter Ihrer Hand zu einer unschätzbaren Beilage zur Geschichte der Menschheit werden. Gott verleihe Ihnen Kraft und Muse, diese wichtige Arbeit auszuführen!
Indeß, daß meine Fabeln gedruckt werden, sende ich Ihnen hier unsere Institutslieder für ihre Selma.
Der Versbau einiger Derselben wird Ihnen sonderbar vorkommen. Ich mußte mich nach den Melodien richten, welche meist sehr harmonische Opernarien sind.
Ihr Seegen an Sophien la Roche treibt mich an, Ihnen eine Fabel mitzutheilen, die ich ihr in Speyer zurücklies. Ihren amerikanischen Helden, [S. 28:] der nur 3 Stunden von hier in Garnison, aber jetzt auf Urlaub ist, hatte ich eher, als seine würdigen Eltern die Freude zu umarmen.
Nun leben Sie wohl, mein brüderlicher Freund! Es freut mich, daß ich mich nicht kurz fassen, und die vierte Seite erreichen konnte.
Umarmen Sie für uns Ihre Selma und versichern Sie Hrn. Professor Schmidt meiner Verehrung. Ihr Brief mußte sie mir einflößen.
Mein Freund, mein Weib, meine Kinder, alles schätz, alles liebt, alles grüßt Sie aus voller Seele. Sie verließen mich der Kirche wegen, und ich verlasse Sie um meine Runde in den Lectionen zu machen. Ich denke, Sie lassen mir’s auch für einen Kirchgang gelten. Ewig Ihr
Pfeffel.
Colmar den 20. Mai 1783.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 18, S. 28-32.
„Colmar den 24. Dezember 1807.
Verehrungswürdiger Freund!
Ich kann das Jahr nicht zu Ende gehen lassen, ohne mich mit Ihnen noch einmal schriftlich zu unterhalten. Die Freunde und aufrichtigen Verehrer Gottes und Jesu Christi sind sich auch in den weitesten Entfernungen dem Raume nach, durch den unendlich großen und guten Geist, dem sie huldigen, und angehören, und der sein Werk in Ihnen und durch Sie treibt, unaussprechlich nahe. Nur derjenige, der die Weihe von oben hat, begreift die [S. 29:] Worte Jesu Christi, die er in seinem göttlichen Gebeth aussprach, als er von der Erde Abschied nahm, und wieder zu Gott gieng, von dem er ausgegangen war. Johannes hat uns in seinem 17. Kapitel dieses, ganz eines Welt=Erlösers würdige Gebeth aufbewahrt, und es bekräftiget sich an jedem Gott ergebenen Herzen, und wirkt mit unwiderstehbarer Kraft durch alle Zeiten und Regionen, bis dahin, wo Gottes Alles in Allem seyn wird. Wie klein und geringfügig erscheint jede Erden=Angelegenheit, wenn man sich die Größe und Fülle des Allgegenwärtigen denkt, der die menschliche Seele, die für seine Einwirkungen empfänglich ist, unendlich kräftiger und fühlbarer ergreift und durchdringt, als der Sonnen=Feuerball den Luftkreis, den er erhellt und erwärmt!
Wie unaussprechlich große Dinge, verehrtester Freund! gehen gegenwärtig im Reiche Gottes vor! der Geist Dessen, der zu seinen Lieben, in den letzten Momenten seines Aufenthaltes auf der Erde, sagte: ‘Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden;’ der Geist Jesu Christi, sage ich, wird täglich und stündlich wirksamer, ergreifender, umfassender und einheimischer unter den Menschen; er tritt immer mehr aus der Tiefe der Gottheit aus dem Dunkel des Allerheiligsten hervor, und sein unbestreitbares Erscheinen ist so lichtverkündend wie die Morgendämmerung, die Glanz und Wärme verbreitend, wie die hervortretende Morgensonne.
Die Gottheit hat stets durch das Organ der Menschheit auf die Menschen gewirkt. Durch alle Jahrhunderte hindurch offenbarte sich der Geist der [S. 30:] ewigen Weisheit, und zwar immer auf eine der göttlichen Majestät würdige, und den Bedürfnissen der Menschenwelt angemessene Weise.
Die Welt ist in der Kultur, in Künsten und Wissenschaften vorwärts geschritten, und schreitet immer weiter vorwärts, und Jesus Christus, der Weltregent, in dem da verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntniß, in dem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnet, dieser alles vermögende Mann sollte jetzt, wo alle Kräfte des Erd=Planeten in gährender Bewegung sind, unthätig, gleichgültig und ein müßiger Zuschauer bleiben?!
Die stauenenerregenden Weltereignisse, die Erschütterung und Umstürzung tausendjähriger Staats=Gebäude, das Erscheinen neuer Denk= und Regierungsformen, die Reibung, der Conflikt politischer, philosophischer und religiöser Meinungen, die neuen Religion=Vereinigungs=Versuche, die kraftvollen und schnellen Entwicklungen des menschlichen Geistes, die kühnen und gewagten Angriffe alles dessen, was altes Herkommen, alte Sitte und Gebräuche heißt, die vermessenen Attentate auf das, was für den Wahrheit und Tugend liebenden Menschen das Heiligste seyn muß, auf die Göttlichkeit der Person Christi und den übermenschlichen Ursprung seiner Lehre; - Dagegen die allmächtige Regsamkeit des Geistes Jesu Christi unter seinen Freunden und Anbetern, das fruchtbare Wirken desselben zur Ausbreitung seines Reichs, des Reichs der Liebe und Wahrheit, das unerschütterliche Festhalten der Verehrer Jesu an seinen göttlichen Aussprüchen und ihr freimüthiges und unerschrockenes Bekenntniß seines [S. 31:] Namens und seiner Welterlöser=Würde vor den Menschen; - Diese Erscheinungen zusammen sind sehr merkwürdige Zeichen der Zeit, und deuten hin auf noch größere Dinge, die da kommen sollen, und nahe - nahe bevorstehen. Der Welt=Richter ist vor der Thür; der Weltregent, in der Person Jesu Christi, ist, wenn nicht sichtbar, doch fühlbar, unverkennbar in seiner siegreichen Gotteskraft auf dem Erdball aufgetreten. Er tritt die Kelter allein, hat die Wurfschaufel und den Schlüssel Davids in der Hand, und wird einem jeden vergelten, nachdem er gehandelt hat.
Als das göttliche Kind von Bethlehem geboren ward, da war die römische Monarchie - unter Augustus - in ihrem vollen Machtumfange; sie mußte zur Begründung und Ausbreitung des Reichs Jesu den Weg bahnen, und die Völker zu einem allumfassenden Staate, unter einem Scepter, vereinigen. Der Stein, den Nebucadnezar im Gesicht sah, fiel herab, zermalmte den weltbeherrschenden Colossen und wird nach und nach zum welterfüllenden Berge. Auf dieses göttliche Urgebirge ist die Kirche Jesu Christi gegründet, und die Mächte der Hölle sollen sie nicht überwältigen, vielweniger menschliche Machinationen.
Das wunderbare Kind von Bethlehem ist nun zum starken, vollendeten Manne geworden; er wird durch neuberufene Auguste und Cyrus die Völker unter seine Hirtenstab zu bringen wissen, und eine bessere Ordnung der Dinge durch die Einwirkung seines alldurchdringenden Geistes herbei führen.
Wir treten jetzt hinüber in ein neues Jahr, [S. 32:] das uns zu Zeugen wichtiger Ereignisse machen wird. Fahren Sie fort, edler Freund, in dem Weinberge des Herrn, wie bisher, mit Seegen zu arbeiten! Gott sey Ihr Schild und großer Lohn! Ich umarme Sie im Geiste, und Sie mit Ihrer Elise seyen von Herzen gegrüßt von Ihrem ewigen Freunde
Johannes Schmidt. *)
[Die Anm. lautet:] „*) Herr Schmidt war Secretair des blinden Herrn Pfeffel. d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 19, S. 32-34.
„Colmar den 30. Nov. 1808.
Verehrungswürdiger Freund!
Wer sich mit dem Geiste Jesu Christi vertraut gemacht und sich gleichsam mit demselben identifizirt hat, nur der besitzt das göttliche und ewige Prinzip der Liebe in seiner Lauterkeit, Fülle und umfassenden Kraft, und ist also auch vor jedem Andern, der nicht die Welt von Oben hat, sey er übrigens ein auch noch so vollkommener Natur=, Kunst= und Vernunft Mensch, der reinsten Freundschaft fähig. Kurz, der wahre Christ ist auch der beste Freund. Wer Gott liebet, den er nicht siehet, wie sollte der seinen Bruder nicht lieben, den er siehet, und der mit ihm einen Herrn und Gott und Vater hat?
Daß Sie, Wahrheit liebender und Wahrheit verkündigender Mann, mit dem Schreiben des Vogesischen Klausners an den Schweizerboten zufrieden sind, freut den Klausner von Herzen. **) Er spricht,
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[... Anm. *) Siehe 24.12.1807.]
**) Dieses Schreiben folgt in der Anlage A. im Auszuge. d. H.“ [S. 33:]
denkt, schreibt und handelt aufrichtig, ohne Falsch und ohne Schminke. Kindeseinfalt ist ein Grundzug seines Charakters. Da, wo es die Sache der Wahrheit und des Rechts, und besonders die Sache Jesu Christi gilt, kann und mag er nicht schweigen. Er weiß nichts von Menschenfurcht. Die Hand des Allmächtigen lag, seiner Zeit, Tag und Nacht schwer auf ihm, daß, wie bei David, sein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. Alles Furchtbare der unsichtbaren Welt - die Schrecken des Gerichts, des Todes und der Hölle - hat er in den verborgensten Tiefen seiner Seele empfunden. Lange ward er in dieser zermalmenden Schule geläutert, durchwandelte das kalte Todesthal mit stark erschüttertem Geist und Herzen, und ward in dem Feuerofen Gottes der schärfsten Probe und Prüfung ausgesetzt.
Mit der innigsten Zerknirschung fühlt er und bedenkt es vor seinem Gott, der unendlich gnädig, aber auch unendlich gerecht ist, daß, aller Prüfung ungeachtet, seiner Natur die Sünde und manches menschliche Gebrechen doch noch anklebt. Er kann, ohne Affectation, mit Paulus sagen: Wollen habe ich wohl, aber ..... Video meliora proboque, deteriora sequor. Mit einem Wort: er fühlt den Streit des Gesetzes in seinen Gliedern, mit dem Gesetz in seinem Gemüthe. Er, der aufrichtige Klausner fürchtet sich vor Gott, daß ihm die Haut schauert - aber selbst die Mächtigsten der Erde, die Gewalt über Leben und Glücksgüter der Menschen besitzen, haben nichts Furchtbares, nichts Abschreckendes für ihn. Für Manchen, der ihn viel= [S. 34:] leicht schon Jahrelang beobachtete, mag er eine räthselhafte Erscheinung seyn, aber sich selbst ist er nicht mehr fremd, seitdem sich ihm der anbetungswürdige Mann, von dem Moses, David und die Propheten Jahrhunderte vor seiner Ankunft ins Fleisch mit hoher Begeisterung sprachen, aufgeschlossen, und in seinem Innern offenbart hat. Er sagte ja ausdrücklich: Wer mich liebet, zu dem werden wir, mein Vater und ich, kommen, und Wohnung bei ihm machen.
Die Epistel des Klausners an den Schweizerboten hat gewirkt, er antwortete darauf in seiner 47. Nummer zwar nur kurz, aber er führt itzt in Hinsicht des würdigen Verfassers der Theorie der Geisterkunde eine anständigere und glimpflichere Sprache. Er läßt demselben, in Betracht des edlen Zweckes, den er bei Herausgabe dieser Schrift hatte, nun Gerechtigkeit wiederfahren, und dieß ist vor der Hand Alles, was man billiger Weise von einem solchen Scribenten erwarten kann.
Gott sey mit Ihnen und Ihrem ewigen Freund
J. Schmidt.
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Aus den Vogesen am 9. Oct. 1808.
Wohlachtbarer, aufrichtiger und wohlerfahrerer Schweizer=Bote! [Schweizer Bote, d. i.: Der aufrichtige und wohlerfahrene Schweizer Bote, Luzern 1798-1835,]
Seitdem Du deinen Botengang in der Schweitz begonnen hast und rings um dich her, in der Nähe und Ferne, dein Boten=Blatt jedem freundlich dar= [S. 35:] reichst, der mit Lust und Liebe darnach greift und Dir den Botenlohn, wie Du es gerne hast, und wie sichs gebührt, zum Voraus zusichert und willig hingiebt, - seit dieser deiner Boten=Installation bin auch ich, ein ehrlicher Klausner in einem der Vogesischen Gebirgsthäler, ein aufmerksamer Leser Deines mit allen helvetischen Cantons=Wappen stattlich gestempelten Blattes. Du giebst uns darin manche nützliche Lehre für die Land= und Haus=Wirthschaft, beschreibst manche nachahmenswürdige Handlung, und sprichst, wie ein Veteran, herzhaft und wohlerfahren, vom Krieg zu Wasser und zu Land.
Wer sich zum Herold der Zeitgeschichte, der Wahrheit und des Rechts berufen glaubt, und wer sich zum öffentlichen Sprecher unter seinen Landsleuten aufwirft, der muß allerdings Wahrheits= und Gerechtigkeits=Liebe in sich selbst reichlich besitzen, muß lautern und schlichten Sinnes, ferne seyn von jeder Partei, die nicht durchaus und aus der reinsten Absicht der guten Sache huldigt, und besonders sich keine Duplicität zu Schulden kommenlassen. Religion, Sittlichkeit, Ordnung, Kunst und Wissenschaft und deren Beförderung müssen ihm über alles am Herzen liegen. Er spricht, wie der Prediger in der Wüste, zu allen Ständen, Altern und Geschlechtern, und muß für jede Klasse von Menschen etwas Belehrendes, Warnendes, Nützliches und Angenehmes zu sagen wissen.
Du willst, als privilegirter Landesbote, kein bloßer Neuigkeits=Krämer, kein politischer Kannengieser seyn, deren Zahl ja ohnedieß schon Legion ist. Du sprichst bald im ernsten, bald im scherzhaften [S. 36:] Tone zu deinen Lesern und gibst und manche spaßhafte, lustige Geschichte zum Besten. Du, wohlbewanderter Bote, ertheilst uns manche Notiz über allerlei wissenswerthe und brauchbare Gegenstände, über Bücher und Kunstsachen, und wenn wir Geld haben und Liebhaber von so etwas sind, so können wir manches davon käuflich an uns bringen, was uns Freude macht und Nutzen gewährt. Mit jedem Botentage erscheinen in deinem Blatte Anzeigen von neuen Schriften, wovon ich auch manchmal eins und das andere, weil ich sehr wißbegierig bin, zur Hand nehme.
Ich habe mich in der Welt und in den Büchern schon ziemlich umgesehen, und bin kein Neuling und Fremdling unter den Menschen, auch hält man mich darum für keinen Sonderling, weil ich mich dermalen etwas von der Welt zurückgezogen, und - auf einige Zeit wenigstens - aus guten Gründen zum Eremiten in den Wildnissen des Vogesus geworden bin. Die freie, kräftig wirkende Natur um mich her spricht so mächtig und unwiderstehlich zu meinem Auge und zu meinem Herzen: das Unendliche wird mir gleichsam sichtbar und begreiflich in dem Anblick des gestirnten Himmels, und das Göttliche in dem Universum wird mir durch den Eindruck, den die Welt der Erscheinungen auf meine Seele macht, zur lebendigsten Thatsache, zum ewigen Axiom. [Vgl. Kant: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mit.] Die vormalige Ansicht des Ozeans, des Montblancs und seiner colossalen Umgebungen, auf denen das unbegränzte Himmelsgewölbe wie auf Pfeilern der Allmacht zu ruhen scheint, hat mein Herz für höhere Empfindungen geöffnet, und meinen [S. 37:] Geist zu größern Betrachtungen erhoben, zu unendlich wichtigen Aussichten vorbereitet.
Bücher sind jetzt, in meiner Einsamkeit und in der Abgezogenheit von dem Geräusche der Welt, ein wesentlicher Theil meiner Unterhaltung und meines Zeitvertreibs, und ich befinde mich in dieser Gesellschaft ungemein wohl. In meiner Lectüre herrscht Abwechslung; ich lese Altes und Neues, Geistliches und Weltliches, und - verwundere dich nicht! sogar die Schriften der römischen und griechischen Heiden, die man sonst auch Klassiker nennt, liegen in meiner Klause neben den Büchern des heiligen Augustins, Thomas von Kempis, Luthers und Melanchthons. Der fromme, christliche Gellert liegt neben Voltaire. - Baco [Francis Bacon, 1561-1626], Rousseau, Bayle, Loke [John Locke], Kant, Leibnitz, Haller, Bonnet, Paskal [Blaise Pascal, 1623-1662], Klopstock, Donatoa, Montagne [Michel Eyquem de Montaigne, 1533-1592] u. a. m. stehen vor mir und in einer traulichen Reihe neben einander, und sprechen durch ihre Schriften Worte des Tiefsinns, der Vernunft, des Witzes, der Empfindung, der Erkenntniß, der Wahrheit, des Rechts, der Tugend und Unsterblichkeit zu meinem Geist und Herzen. Auch die Aussichten in die Ewigkeit, die Scenen aus dem Geisterreiche von Jung, genannt Stilling, gehören nebst Vielen andern mit in den Bezirk meiner Lectüre, und gewähren mir Unterhaltung, Belehrung, Trost und frohe Aussicht in die Zukunft. Keines aber von allen Büchern ist befriedigender und herzerhebender für mich als - die Bibel, die Bücher alten und neuen Testaments, mit denen ich mich schon vom Knabenalter an bekannt gemacht habe, und täglich vertrauter damit werde. Auf je= [S. 38:] der Seite dieses uralten Buches, das uns schon wegen seines hohen Alters ehrwürdig seyn sollte, spricht das Göttliche desselben, der unendlich erhabene Geist, der das Ganze durch und durch beseelt, so hehr und gewaltig, so rein und lauter, so allliebend [sic] und allumfassend zu meiner Seele. Hast Du. aufrichtiger Schweizerbote, nicht auch manchmal bei Lesung dieses Buchs in deinen frühern oder spätern Jahren so etwas Ungewöhnliches, über die Sinnen=Welt Erhebendes, in deinem Herzen empfunden? .....
Moses, David und die Propheten, die Evangelisten und Apostel waren doch in der That Männer von Kraft, Salbung, tiefem und reinem Wahrheits=Gefühl und erhabenem Geiste, und wenn man mit Eifer, Redlichkeit und Wahrheits=Liebe auf ihre Aussprüche merkt, so wird man mächtig durch ihre Worte ergriffen, die wie Pfeile aus der Tiefe ihrer Seele hervorgehen, und wie der Blitz das Innere des heilsbegierigen Lesers durchdringen und erhellen. Dies Wort, sagt einer der Propheten, ist wie ein Feuer, und wie ein Hammer der Felsen zertrümmert. - Dieß, lieber Bote, ist mein offenherziges Geständniß von der Bibel. Ich habe mich dabei möglichst kurz gefaßt; obgleich sich noch manches Triftige hätte hinzusetzen lassen.
Nun noch einige Worte im Vertrauen über einen andern Gegenstand, der mir auch am Herzen liegt, uns worüber ich mich, wie eine gewisse neue Schule in Deutschland sagt, gerne rein, unbefangen und wahr aussprechen möchte.
In Nr. 40 Deines dießjährigen Blattes, las [S. 39:] ich, unter der Aufschrift ‘Basel:’ daß das neueste Produkt des Herrn Hofraths Jung genannt Stilling, betitelt: Theorie der Geisterkunde, das auf die Vorstellungsart des großen Haufens, und auf dessen Glauben an Gespenster - Hexen - und Geister=Erscheinungen offenbar den nachtheiligsten Einfluß haben mußte, durch ein weises Verbot von Seiten des kleinen Raths des Kantons Basel fernerhin zu verkaufen untersagt worden u. s. w.
Einige Wochen früher las ich, nebst meinen Mit=Abonnenten (worunter Männer sind, deren Geist und Herzen Du, aufrichtiger Schweizerbote, deine Achtung, wenn Du sie näher kenntest, nicht würdest versagen können) in den Miscellen für die neueste Weltkunde, die, wie Dir vielleicht nicht unbekannt ist, auch in der Schweiz herauskommen, eine seyn sollende kritische Anzeige der Theorie der Geisterkunde.
Einige meiner Freunde hatten nebst mir diese Schrift bereits gelesen, und wir bereuen es nicht, sie gelesen zu haben. Hofrath Jung hat allerdings über die Geisterwelt seine eigenthümlichen Ansichten; jedoch weicht er, als ein erklärter Freund der Bibel, von den Aussprüchen dieser göttlichen Urkunde, in Hinsicht auf diesen Punkt, keineswegs ab. Der Glaube an wirkliche Erscheinungen nach dem Tode wird durch das neue Testament nicht unzweideutig begründet, indem es Mathäi am 27. Vers 52 - 53 ausdrücklich heißt:
‘und die Erde erbebete und die Felsen zerrißen, und die Gräber thäten sich auf, und stunden auf viele Leiber der Heiligen, die da [S. 40:] schliefen, und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung, und kamen in die heilige Stadt und erschienen Vielen.’
Ich muß Dir, wohlerfahrner Schweizerbote, aufrichtig gestehen, daß weder ich noch meine im Lesen, Denken und Prüfen mehr oder minder geübten Freunde finden können, worin das gefährliche der Theorie der Geisterkunde besteht, das auf die Vorstellungsart des großen Haufens einen so nachtheiligen Einfluß äußern soll? Liest denn der große Haufen im Kanton Basel nicht nur Bücher überhaupt, sondern auch insbesondere Bücher dieser Art? Und lassen sich beglaubigte Thatsachen und Beispiele anführen, daß sowohl die Th. d. G. als auch die übrigen Schriften Stillings auf irgend einen seiner zahlreichen Leser unter allen Ständen einen nachtheiligen Einfluß geäußert haben? .... Die Mehrzahl seiner Leser wird Dir bezeugen können, wie unaussprechlich wohlthätig diese Schriften auf ihre Vorstellungsart wirken, - wie stark ihre Seele oft dadurch gerührt wurde, und wie wichtig und theuer ihnen Alles das ward, was darin über Christus und seine Lehre gesagt wird.
Beschuldigungen sind noch keine Beweise. Dir ist ja, erfahrener Schweizerbote, der Unfug der Recensenten und Journalisten nicht unbekannt. Du weißt sehr wohl, daß ihre Lobpreisungen oft eben so unzuverläßig und übertrieben sind, wie ihre tadelnden und wegwerfenden Aussprüche. Und dann ist das, was ein Recensent und Journalist von einem Buche sagt, doch immer nur ein individuelles Urtheil. Diese Herren möchten uns Nicht=Recensenten [S. 41:] und Nicht=Journalisten freilich oft gern glauben machen, ihre Stimme sey die Stimme der Majorität, sey der allgemeine Urtheils=Spruch. Mancher gutmüthige und leichtgläubige Journalist läßt sich freilich oft durch den gewagten, absprechenden, lärmenden Ausspruch eines Journalisten imponiren, und nimmt dessen Worte für gut klingende Münze an. .... Meinst Du nicht, ehrenvester Bote, daß, zum Beispiel, das herabwürdigende und wegwerfende Urtheil über die Th. d. G. in den Miscellen für die n. W. einigen Einfluß auf die Willensbestimmung des einen und andern Mitglieds vom kleinen Rath in Basel gehabt habe als derselbe den Beschluß faßte, den Verkauf jenes Buches zu verbieten? Uns ausländischen Zuschauern kommt die Sache nicht ganz unwahrscheinlich vor. Jedoch der kleine Rath in Basel mag seine subjectiven und objectiven Gründe gehabt haben, ein Inderdict gegen besagte Schrift ergehen zu lassen. Wir Nicht=Schweizer verlangen darüber keine Erläuterung und Rechenschaft. - Aber wenn dein Berichterstatter von Basel schreibt: ‘Solche Verbote seyen würdig von allen helldenkenden und für das geistige Wohl der Nation besorgten Regierungen nachgeahmt zu werden,’ dann, wohlerfahrener Schweizerbote, dann können wir Ausländer, denen Wahrheit und Humanität auch über Alles theuer ist, zu solchen Insinuationen und Kunstgriffen nicht ganz schweigen. ...... Weißt Du nicht, daß in Spanien, Rom und Wien schon manches Buch verboten und für gefährlich ausgeschrieen ward, das man in Berlin, Dresden, London, Paris und an vielen hundert [S. 42:] andern Orten, ohne Hinderniß und ohne Gefahr für Geist und Herz, lesen, kaufen und verkaufen durfte? - Wie manchem Buche, das der Sittlichkeit, Religion und öffentlichen Ordnung Hohn spricht, läßt man seinen freien Lauf; eine Schrift hingegen verbietet man, von welcher der Verfasser, in Gegenwart seines Gewissens und des obersten Richters, der jedes menschliche Herz durchschaut, laut und feierlich sagen durfte: [‘] Mein Zweck ist nur reine Wahrheit, und zwar alles in Beziehung auf unsere ewige Bestimmung, vorzutragen, und dadurch dem Herrn Seelen zu gewinnen.’
Die Denk= und Schreibfreiheit ist ein kostbares Eigenthum des Menschen, ein herrliches Palladium seiner Rechte, aber sie muß nicht in eine intrigante Wortmacherei, nicht in egoistisches, tadelsüchtiges, illiberales, anmaßendes, dem frivolen Zeitgeist huldigendes Wesen ausarten, sonst entwürdigt und brandmarkt sie sich vor dem bessern Theile der Menschheit.
Weil der große Haufen manchmal von einer an sich unschädlichen, ja sogar guten Sache, aus Mißverstand und Verkehrtheit, einen zweckwidrigen, schlimmen Gebrauch macht, soll es darum auch dem bessern Häuflein nicht vergönnt seyn, einen guten, heilsamen Gebrauch von derselben Sache zu machen? Dalberg im Pericles sagt: ‘Wurde wohl je eine gute Sache nicht vom Irrthume der Menschen mißbraucht? Ist es nicht Reinheit oder Verkehrtheit der Absicht, welche, ein vernünftiges Wesen leitend, aus dem nemlichen Mittel Segen oder Verderben entwickelt?’ - Abusus non tollit usum. [S. 43:] Mit Feuer kann man, unvorsichtig und mordbrennerisch gebraucht, ganze Städte einäschern; mit demselben Feuer kann man aber auch, vernünftig und wohlthätig angewendet, Städte voll Einweohner erwärmen und erleuchten &.
Lieber Schweizerbote! lies einmal, wenn Dir die gute Sache am Herzen liegt, mit Unbefangenheit und Aufmerksamkeit die Uebersicht der Theorie der Geisterkunde und die Folgerungen aus derselben im 5. oder letzten Hauptstück [Siehe MERK: Hades.] dieses interessanten Buchs, das trotz allen Verbots, allenthalben wo es gelesen wird, sehr viel Sensation macht, und Du wirst, wenn ich mich nicht so sehr in Dir irre - wenigstens Dir selbst gestehen müssen, daß diese Schrift nicht verboten, sondern zur Beförderung des Menschenwohls empfohlen zu werden verdient.
Prüfende, und es mit der Sache des Christenthums und mit dem geistigen Wohl der Nationen gutmeinende Männer, welche die Th. d. G. gelesen haben, finden, aufrichtig gesprochen, nichts in diesem Buche, was den Glauben an Zaubereien, Kobolde und Schetzgräbereien befördern, somit den lächerlichsten Unsinn unter dem Volke verbreiten könnte.
Herr Jung eifert sogar genen diesen unter dem Volke herrschenden Unfug und Glauben an Gespenster, und sagtausdrücklichin seinerSchrift: Daßunter hundert sogenannten Gespenstergeschichten vielleicht 99 Selbsttäuschung und Trug, und der Beachtung nicht werth seyen. Wenn ich von meinen Knaben=Jahren her noch einen Ueberrest vonGespensterfurcht in mir gehabt hätte, so würde ich in der Th. d. G. das Mittel und die Waffen gefun= [S. 44:] den haben, diese Furcht und diese Phantome gänzlich in mir zu vertilgen.
Diese merkwürdige Schrift empfiehlt uns einen tugendhaften Wandel und Vertrauen, Ehrfucht und Liebe gegen die Gottheit; und wer Gott fürchtet, bei dem findet keine Furcht weder vor Menschen noch vor bösen, tückischen Geisern, Gespenstern, Hexen und Kobolden statt &.
Blos Liebe zur Wahrheit und keine andere Rücksicht hat mich bewogen, Gegenwärtiges niederzuschreiben. Ich bin innigst von der Göttlichkeit der evangelischen Lehre überzeugt, und wünsche, wie Hr. Jung, diese Ueberzeugung recht vielen meiner Mitmenschen mittheilen zu können.Es ist traun! kein undankbares Geschäft, der Sache des anbetunsgwürdigen göttlichen Mannes von Nazareth recht viel Anhänger und Verehrer zu verschaffen, und zur Verbreitung seines Reichs bestmöglichst mitzuwirken. Locke, Baco, Montesquieu, Haller, Leibnitz, Pascal und andere großherzigen Freunde der Wahrheit halten dafür, und zwar mit Recht, daß der Christianism das beste, wirksamste Institut sey, die Völker zu humanisieren, und sie zu einem brüderlichen Bunde untereinander zu vereinigen &.
An dem Kämmerlien meines Herzens hat einst der Engel des Todes mächtig angeklopft, und seit dieser Erscheinung, die kein Hirngespinst war, ist mir Leben, Tod, Christus=Religion und Zukunft unendlich wichtig geworden.
Gehab Dich wohl! und sey freundlich gegrüßt von dem Vertrauten des Todes
dem Klausner in den Vogesen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 20, S. 45-46.
„Colmar den 1. Dezember 1808.
Ich hätte Ihnen, mein verehrter, theurer Freund, meine Danksagung für die Geisterkunde schon lange wiederholt, enn ich sie nicht mit dem 9. Theile meiner poetischen Versuche hätte begleiten wollen. Nun hat er endlich die Presse verlassen. Nehmen Sie ihn als ein Winterblümchen an, das ich dem Freunde an den Busen stecke. Meine Geschenke können die Ihrigen an Schrot und Korn ohnedieß nicht aufwiegen. Auchwiederfährt meinen Büchern nicht, wie den Ihrigen die Ehre, verboten zu werden. Ich wußte nicht, daß O..s [Peter Ochs; siehe MERK: Hades S. 51.] der Urheber des Basler Anathems gegen die Geisterkunde war. Nachdem der Mann sein Vaterland unglücklich gemacht hat, wollte er es auch noch lächerlich machen. Ichbegreife es, daß diese Schrift nicht allen Lesern, selbst nicht allen Gutgesinnten, einleuchtet. Mehrere Ursachen können dazu mitwirken. Allein der unbefangene, rechtliche Mann hält nicht für unmöglich, was er nicht beweisen kann, und schiebt lieber sein Urtheil auf, als daß er sich erlaubensollte, den Kopf oder das Herz eines rechtschaffenen Mannes verdächtig zu machen, weil dieser Dinge erzählt, die Jenem unglaublich vorkommen. Mir selbst ist in dem Buche nicht Alles klar, und nicht alle erzählte Fakta haben für mich gleichen Werth; allein demungeachtet habe ich es mit großem Interesse, und besonders den theoretischen Theil mit wahrem Nutzen gelesen. Es ist mir nur leid, daß ein Haufen un= [S. 46:] beantworteter Briefe mir nicht erlaubt, mich in ein näheres Detail einzulassen, und daß mein Respekt für ihre Seite mir verbietet, über einen und den andern Punkt Aufschlüsse von Ihnen zu begehren. Daß ich an der Verbindung des Menschen mit der Geisterwelt nicht zweifle, darf ich Ihnen nicht erst wiederholen. Die Natur dieser Verbindung und ihre Aeußerungsweise kann ich freilich, wie manches Andere, nicht einsehen, das dennochexistirt.
Nun noch ein Wörtchen von meiner Gesundheit. Ich habe mich ziemlich gut durch den Sommer durchgeschlagen. Desto beschwerlicher aber war mir der Uebergang vom Herbste zum Winter, und noch wirklich bin ich sehr mit rheumatischen Schmerzen geplagt. Möchten diese Zeilen Sie, mein unschätzbarer Freund, und ihre würdige Gattin gesund und vergnügt finden!
Meine Frau und Familie versichern Sie beiderseits mit ir der innigsten Verehrung und Liebe.
Ganz und auf immer
Ihr Pfeffel.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 21, S. 46-47.
„Colmar den 24. April 1809.
Verehrungswürdiger Freund!
Herr Pfeffel, Ihr vieljähriger Freund, liegt seit sechs Wochen sehr krank - ja sogar gefährlich krank - darnieder. Er ist zwar jetzt Gottlob! von allen Schmerzen befreit. Allein die abwechelnden Krankheitserscheinungen mußten natürlicher Weise seine [S. 47:] Kräfte immer mehr erschöpfen, und nun liegt er da, der blinde Dulder, in dem Gefühl der Schwäche und des kraftlosen Alters. Er hat mit einige Worte der Freundschaft für Sie und Ihre theure Elise in die Feder diktirt, die man Ihnen, im Fall seines Ablebens mittheilen soll. Ich halte dafür, daß einige Worte des Trostes und der Liebe, von Ihnen zu ihm gesprochen, stärkender Balsam für seine Seele seyn werden. Er hat sich der Gnade und dem Erbarmen Jesu Christi, in Gegenwart meiner und mehrerer Personen von der Familie, auf eine herzdurchdringende Weise vertrauensvoll übergeben, und ist ungemein empfänglich für alles Christlich=religiöse, was man ihm sagt und vorliest. Die Lehre Jesu zeigt sich auch hier bei dem Krankenlager eines in mancher Hinsicht merkwürdigen Mannes, in ihrer siegreichen, seelerehebenden und beruhigenden Kraft. Unter andern christlichen Schriften wirken auch die Predigten des Oberhofpredigers Reinhard in Dresden sehr kräftig auf sein Gemüth.
Ihre Apologie ließ er sich vor einigen Tagen ganz und fast unausgesetzt vorlesen. Wollen Sie ihm einige Worte des christlichen Zuspruchs schriftlich zukommen lassen, so belieben Sie das Blättchen unter meiner Adresse an ihn zu übersenden.
Leben Sie wohl, verherter Freund! ich grüße Sie und Ihre theure Elise von Herzen, und empfehle Sie Beide, mich und alle unsere Mitmenschen, so wie die gute Sache überhaupt der Gnade und dem Schutz Gottes und Jesu Christi! Von ganzer Seele nenne ich mich Ihren brüderlichen Freund
J. Schmidt.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 22, S. 48.
„Colmar den 1. Mai 1809.
Heute Morgen um 2 Uhr ist Ihr Freund, mein Schwiegervater Hr. Pfeffel, nach einer sehr schmerzhaften, acht Wochen lang dauernden Krankheit und einem sechsstündigen Todeskampfe verschieden. Er duldete, mit meisterhafter Standhaftigkeit, segnete seine Gattin und Kinder, und sagte - dieß sind seine eigenen Worte:
Meinem lieben Freunde, Jung Stilling bitte ich wissen zu lassen, daß ich meine Liebe zu ihm mit ins Grab nehme, und ihn und seine würdige Gattin für ihre mir erwiesene Freundschaft segne.
Er bat hieruaf mit aufgehobenen Händen Gott und Jesum um seine Auflösung. Ich sage Ihnen Nichts von dem Verluste, den wir Alle erlitten haben. Sie kennen den Werth des Verstorbenen. Sein Genie wird noch lange in Deutschland geschätzt werden; was aber über alle seine Verdienste erhaben ist, was ihn seinen Verwandten und Freunden unvergeßlich macht, ist sein christlich tugendhafter Charakter. - Aber so unersezlich uns auch sein Tod ist, so danken wir doch Gott, daß er diesen frommen Dulder aus dieser Welt abgerufen hat. Er litt wie ein Märtyrer, und durch ihn litten alle Mitglieder seiner Familie. Doch - er lebet, er umschwebt uns selbst, nicht mehr seine Hülle, wenn es einem Seeligen vergönnt ist, der Schuzengel seiner Freunde zu seyn &. Leben Sie wohl!
E.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 23, S. 49-51.
„Colmar den 18. Jänner 1811.
Verehrungswürdiger Freund!
Es ist ein Bedürfniß für mich geworden, von Zeit zu Zeit einige Worte der Freundschaft und des Vertrauens auf dem Wege schriftlicher Unterhaltung mit Ihnen zu sprechen, und Ihnen das, wa mir in Hinsicht der unendlich großen und wichtigen Saches des Reiches Gottes auf dem Herzen liegt, brüderlich, unbefangen und freimüthig mitzutheilen. Es giebt doch wohl kein größeres Interesse, keinen höhern Gegenstand, mit dem sich der Freund Gottes und der Menschen beschäftigen kann, als die Wahrheit, so wie sie uns in der Lehre des Evangeliums vorgehalten und kund gethan wird. Der anbetungswürdige und hocherhabene Mann, der sich als die selbstständige, personifizirte Wahrheit ausdrücklich vorstellte und zu erkennen gab, und in Dem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntniß, kannte keine größere Angelegenheit während seines Aufenthaltes auf dem Erdball, als den Menschen das, was wahr, gut und beseeligend ist, kund zu thun, und kund thun zu lassen. Er betrachtete den Himmel und die Erde, die sichtbare und unsichtbare Welt, als ein zusammenhängendes Ganze. In dem unbegrenzten Welt= und Himmelsraum, überall wo ein geistiges und vernünftiges Wesen ist, hat sich die Gottes=Tochter Wahrheit zum herrschenden Prinzip constituirt und aufgestellt, und [S. 50:] macht ihre Majestätsrechte auf die siegreichste Weise geltend. - Nachdem der Hochgelobte von dem sichtbaren Schauplatze abgetreten war, so versprach, hinterließ und sandte er seinen Schülern und Freunden den Geist, der sie in alle Wahrheit leiten sollte. Er hat Wort gehalten. Achtzehn Jahrhunderte haben bereits die Zuverläßigkeit und Untrüglichkeit seines Versprechens und seiner Zusage bestätigt und beurkundet. Das Himmelreich (oder Reich Gottes) sagte er, ist wie ein Senfkorn; es keimt, grünt und blüht, und wird zum großen beschattenden Baume werden. Von Generation zu Generation wird er beschattender, umfassender, bis er endlich über alle Meere und Länder seine heil= und segenbringenden Aeste und Zweige verbreitet, die allen Völkern die Frucht des Lebens, des Lichts und der Wahrheit darbieten und zu genießen geben werden.
Er, der Gesalbte des Herrn ist sichs durch und durch bewußt, daß ihm gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden, und daß ihm die Leitung und Lenkung aller Angelegenheiten der Welt und der Menschheit von seinem göttlichen Vater anvertraut und übergeben worden ist. Er wirkt auf dem Erdplaneten, der sein königliches Erbgut und sein erworbenes Eigenthum ist, nicht in sichtbarer Gestalt, allein sein alles erfüllender und alles durchdringender Geist hat mit unwiderstehlicher Kraft sich vieler menschlicher Gemüther bemächtigt, sie mit Gewalt ergriffen; und in diesem auserkorenen Werkzeug seiner Huld und Gnade, seiner Weisheit und Stärke lebt und webt er auf die wohlthätigste und wirksamste Weise. Jede durch seine Anordnung statt= [S. 51:] findende Geistes=Aeußerung, jedes individuelle Wirken und Thun, das nach seiner Absicht und unter seiner Leitung und Aufsicht geschieht, ist zusammenstimmend mit der Wirksamkeit Tausend Anderer, die zerstreut! von einander entfernt, nichts von einander oft wissend, ohne Verabredung auf denselben großen Gotteszweck hinarbeiten. Es ist der Alles ordnende und überschauende Geist des Ewigen, der diesen einzelnen Bestrebungen zum Behufe, zur Verbreitung und Verherrlichung der Wahrheit, Einheit und Zusammenstimmung giebt, und jedem zur Errichtung des großen Gebäudes, zur Bearbeitung des Weinbergs Berufenen, seinen Posten und sein Tagewerk angewiesen hat.
Das zwölfte Kapitel des Propheten Jesaia, das ich so eben aufgeschlagen vor mir liegen habe, ist ein starkes festes Wort des Herrn, das im Geiste der Weissagung auch für unsere Zeiten und unsere Zeitgenossen uns allen denen, welche die Erscheinung und das Zeugniß Jesu Chriti lieb haben, zum Troste gesprochen ist.
Der Schutz und Segen Gottes walte über Ihnen und über alle Verehrer Jesu Christi besonders, wozu auch gehört Ihr wahrer Freund
J. Schmidt.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 24, S. 51-54:
„Dillingen in der Frühe am 8. Aug. 1785.
Unter den gottgekannten Wünschen meines Innersten war längst auch dieser, doch auch einmal den [S. 52:] Heinrich Stilling kennen zu lernen, dessen Schriften meinem Herzen deswegen so unaussprechlich Wohl thun, weil sie auf allen Wegen
den Glauben an die allordnende Mutter=Vorsehung,
das herzliche Hinwallen des Pilgers zum Herzen Christus,
die Nothwendigkeit der Selbstverläugnung,
die Kraft des Gebethes &.
diese, wie ich denke, vier Cardinalpunkte des Christenthums so nachdrucksam, so menschlich empfehlen. Nun, wie denn die Freudenerfinderische Fürsehung uns unsre geheimsten Wünsche zu erfüllen weiß, und mit Segnungen ohne Unterlaß überraschet: so kam mir eine Zeile von ihrer Hand,
Theuerster Freund meines Herzens!
wie dank ich Ihrer Liebe dafür! Derins Verborgene sieht und öffentlich vergilt, vergelte es Ihnen an dem Tage, den kein Unglaube wegzweifeln, und freilich auch kein Sehnen beschleunigen kann, den aber der frohe Christenglaube mit Wandel und Lehre und weisem Sichselbstgefaßthalten verkündet, bis er da ist.
Ja, Verehrungswürdiger, zu denen will ich mit ganzer Seele gehöre, die an der schönen Statue, Religion, nicht schnitzeln mit frecher Hand, sonder das Geschenk respektiren, und sich nicht schämen, Den öffentlich zu bekennen, deß Name, ach! wie sehr, Aergerniß und Thorheit ist.
Der Zug zu Ihnen, den meine Seele längst empfand, ward dadurch noch mehr gestärkt, als ich in ihren Schriften Spuren fand, daß Sie Lavaters [S. 53:] Freund sind, dem wissentlich keiner Feind seyn kann, der Christus lieb hat, und als sich neulich in den neuesten gereimten Gedichten, die Lavater herausgab, las, was Lavater 1779 an Sie schrieb
Voll Einfalt, Treu und ohne Schwung
Geistflügelnder Begeisterung
Schreibst du dein Leben, lieber Jung.
Nun ists mir noch einmal so lieb,
Daß ich dir einmal Bruder schrieb -
Dein Büchlein machte Brudertreu
Im Innern meines Herzens neu.
So schweben unsichtbar und ohne Verabredung Seelen zusammen in großen und kleinen Entfernungen: Der Vater, der Sie schu, führe sie immer näher zusammen, und lasse sie nimmer getrennt werden ewig!
Um Ihnen etwas von mir zu sagen, so bin ich dieses Jahr nach Dillingen verpflanzt worden, und lehre Moralphilosophie, wovon Sie einige Sätze statt der gewöhnlich geistlosen Thesen, gelesen haben, und Volkstheologie, das heißt, ich sage den werdenden Pfarrern kurz und einfältig, was und wie dieselben das Christenthum dem Volke in den Verstand und ans Herz legen sollen.
Damit Sie mich ganz kennen, so bin ich so frei, Ihnen meine Vernunftlehre [Vernunftlehre für Menschen, wie sie sind. Nach den Bedürfnissen unserer Zeit; Bd. 1-2, 1785; 3 Bde in 3. Aufl 1803.], die kein ander Ziel hat, als vor Aberglauben und Unglauben zu warnen, meine Abhandlung über den Selbstmord [Ueber den Selbstmord. Für Menschen, die nicht fühlen den Werth, ein Mensch zu sein, 1785] und Wasserfluth [Ueber die Wasserfluthin unserem Deutschland, 1784] &. sammt noch einigen Sätzen aus der Moralphilosophie [Einleitung zur gemeinnützigen Moralphilosophie. Zunächst für meine Schüler, und denn auch für jeden denkenden Tugendfreund, 1786; Idee einer gemeinnützigen Moralphilosophie. Zum Gebrauche für meine Schüler, 1786.] zu senden.
Von meinem hiesigen Freunde W. [= Joseph Weber, geb. Rhain in Altbayern 23.09.1753, gest. Augsburg 14.02.1831; erfand den Luftelektrophor, für den er die Münchener Preismedaille erhielt und zum Ehrenmitglied der Kurfürstlichen Akademie der Wissenschaft ernannt wurde. 1781 ff. Prof. der philos. Wissenschaften in Dillingen, dann 1800 ff. Lehrer der Naturwissenschaft und Naturgeschichte in Ingolstadt.] der auch ein [S. 54:] Sohn der Wahrheit ist, lege ich sein neuestes Werklein von der Luft bei.
Nehmen Sie diese Papiere an, weil ich nichts anders geben kann.
Freund Schmidt wird Sie in Heidelberg besuchen, dessen unbestechliche Wahrheits= und Gerechtigkeitsliebe Ihn zum Liebhaber alles Guten, und aller Guten, und des Besten, J. Christus, machen.
Nun noch ein Freundes=Kuß auf Ihre Lippe, und dann in Gottes Schutz Sie und die Ihrigen und mich ganz den Ihrigen, mit Glaube und in Liebe empfohlen, Amen.
An die Ihrigen, nach Ihres Herzens Maasgebung alles Aufrichtige, Verehrende von
Ihrem J. M. Sailer.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 25, S. 54 f.
„Theuerster!
Ungeachtet aller Entfernung von Marburg, muß ich Ihnen dennoch mit Einer Zeile sagen, daß ich Sie in diesem, wie im vorigen Jahre, liebe, verehre, und mich Ihres Sinnes freue. Denn, was Liebe ist, bleibt.
Ich habe die Blicke in die Geheimnisse der Naturweißheit *) gelesen: ein Freund von
-
*) Diese Schrift wird Stilling zugeschrieben; ob mit Recht? - ist mir unbekannt. d. H.
[S. 55:] mir sandte mir das Büchlein mit einigen Randglossen, und sagte es soll von Stilling verfaßt seyn.
Ich las es mit Freude, und manchmal mit Stillstand des Geistes.
Wüßte ich eine Gelegenheit, so würde ich Ihnen das Exemplar, um der Randglossen und um des jungen, überaus gottesfürchtig, und edlen Mannes, der sie gemacht und auch um meinetwillen übersenden.
Theurer, hast du die socratischen Unterhaltungen bei Reich in Leipzig gelesen? Es weht ein sanfter Geist darin. Ließ Sie doch,
Mich aber liebe - wie ich Dich
Sailer.
Den 6. Jenner1788. Dillingen am Dreikönigstage.
Der die Magier durch Stern und Herodes &. zu sich leitete: der leite uns durch alle Auftritte des Jahrhunderts zu sich!“
JUNG: Sendschreiben Nr. 26, S. 55-57
„Dillingen, Donnerstag 3. April 1788.
Theuerster!
Gleich oben an und vor Allem berichte ich Dir, daß ich gestern Abend um neun Uhr Deinen werthen Brief, nachdem ichihn dreimal gelesen, fyerlich am Rande meines eisernen Ofens verbrannt, und - nicht ohne Wehmuth über mein Jahrhundert - in die Flamme scharf hineingesehen habe, bis Deine Hand [S. 56:] zur Asche ward, wie Alles, was an uns Hülle ist, zu Asche werden muß.
Es that mir leid, daß der kiindischtolle Anekdotengeist der Zeit einen Edlen nöthigen muß, seinen Freund zu beschwören, den unschuldigsten und vor Gott und Satanuntadelhaftesten Ausguß der Freundschaft, auf der Stelle zu zernichten. - Doch änderte sich dieses Weh in einen Jubel des Herzens, der entstand aus dem lebendigen Vertrauen auf Unschuld und Wahrheit, die der Gott der Wahrheit und Unschuld nicht vergessen wird (freilich, und das muß einem Redlichen des Bitterste mitunter seyn, nicht ohne Zahnblöcken und verzweifelnden Grisgamen der Lüge und der unter der Larve der Vernunft versteckten Unvernunft) herrlich hervor ans Licht zu ziehen - - -
Und darnach muß immer ein Unterschied zwischen Erde und Himmel bleiben, und der besteht darin, daß dort die Guten, alle Ein Herz, Eine Seele, stets einander genießen können; da aber auf dem Flecken unseer jetzigen Existenz auch die harmonisirendsten Geister durch Schicksal getrennt werden, sich zu sehen.
Diese Wahrheit drückt mich jetzt sehr: denn wie mich in Oettingen die fatale Unwissenheit des Glückes Dich zu sehen beraubte, so hindert mich jetzt die fatale Unmöglichkeit, selbes mir zu verschaffen.
Da ich Dich nun persönlich nicht genießen kann, so will ich mir dennoch die Wohlthat Deiner Nähe zu Nutze machen, und ein paar Fragen thun - - - - - - - - - - - [S. 57:]
Ich lege Dir ein Büchlein für Kinder bei (das ich unlängst zu einem Privatgebrauch verfertiget, und nun an mehreren Orten nachgedruckt worden) weil ich gerade nichts anderes habe. [Das Gebet unsers Herrn für Kinder. In ihrer Sprache und aus ihren Gefühlen und Begriffen, 1787; Die erste Kommunion für Kinder. Ein Fest für Kinder, Aeltern und die ganze Pfarrgemeinde. Eine Predigt, gehalten am Ostermontage in der kath. Pfarrkirche zu Oettingen, 1787.]
Erst diesen Monat bekam ich Deine Schleuder *) zu lesen. Dank Dir, es schaut der Wahrheitsgeist und der weltverachtende Sinn auf allen Blättern heraus.
Gott gebe Dir eine frohe Heimreise und der Gelegenheiten viel, immer mehr Gutes zu genießen und zu wirken.
Dein aufrichtiger Freund.
- - -
[Die Anm. lautet:] *) ‘Die Schleuder eines Hirtenknaben gegen den Hohnsprechenden Philister, den Verfasser des Sebaldus Nothanker.’ d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 27, S. 57-60.
„Dillingen 1. Juli 1789.
Lnge spart’ ich’s, Dir für Deinen letzten Brief zu danken, worin Du mir Deine Ueberzeugung von dem Werthe der Kantischen Werke so brüderlich mittheiltest, und mich zum Studium derselben so freundlich ermuntertest.
Ich kann Dir für Deine Güte nicht genug danken: aber angenehm wird es Dir seyn, von mir zu vernehmen, daß ich schon mehrere Jahre über Kants Hauptideen brüte, und durch dein Beispiel [S. 58:] in diesem Brütsinn nur noch mehr bin gestärkt worden.
Ich halte mich viel, viel zu geringe über diese Gedankenformen eines so großen Mannes zu urtheilen; aber wie mir die Sache einleuchte, kann ich Dir nicht verhehlen.
Ich meyne: aus der Kritik der reinen Vernunft, könne man Nüchternheit der Vernunft, und aus der Kritik der praktischen Vernunft - Reinheit des Willens lernen und auf eine eigene Art lernen, wie man es aus andern Büchern nicht so leicht lernen wird.
Diese zwei Gaben: Nüchternheit der Vernunft und Reinheit des Willens, schätze ich mehr als alle Philosophie, und ungleich mehr als alle einzelne Meinungen &. &.
Und dieß erfüllt mich wahrhaftig mit einer Hochachtung gegen den Geist, der in den Kantischen neueren Schriften wehet.
Bei aller dieser Hochachtung für die Resultate der Kantischen Denkart, kann ich mich in die Prinzipien, woraus diese Resultate hergeleitet werden, un din den Gang des Schriftstellers noch nicht finden.
Ruhig seh’ ich indeß dem Streite zu, und lasse mich von der Nüchternheit der Vernunft und Reinheit des Willens am allerwenigsten durch eine ausschließende Annahme der Kantischen Ideen (selbst gegen den Willen des Buches und seines Verfassers) abbringen. - -
Du siehest aus diesem Wenigen mehr, als ich mit Wenigem und Vielem sagen kann. [S. 59:]
Eine Idee, die mich öfters besuchet und tröstet, kann ich Dir nicht verschweigen. Es fällt mir nämlich gar oft ein:
Jede Meinung irgend eines großen Mannes, die tief eingreift, hat die drei Epochen zu durchwandern, die Kant die Epochen der Vernunft nennt. Zuerst ist unsere Vernunft dogmatisch - weiß alles, hernach wird sie skeptisch - weiß nichts, zuletzt wird sie kritisch - verwirft einiges, behält anderes. So, denke ich, wird es mit Kants Systeme gehen. Einige werden es als ganz gut annehmen, ander als ganz irrig verwerfen, einige werden die Körner ewiger Wahrheit herausheben, und das übrige liegen lassen. So scheint es mir, werden die Zeiten der Anbetung und die Zeiten der Schmach, die die Kantische Philosophie bereits erfahren, eine Epoche der Sonderung gebähren.
Dieser Epoche der Sonderung, der Läuterung, deren ja alles menschliche (und wär es das Beste) bedürftig ist, seh’ ich in Demuth und mit Geduld entgegen.
Außer diesem Geist der Läuterung, kommt mir alles Für und Wider des Kantischen Systems, zweideutig vor, auch streckt der unreine Partheygeist seine Klauen hie und da nackt genug hervor.
Dir Freund, kann ich keinen anderen als einen solchen lauteren Sinn für das offenbar wahre, das die Kantischen Ideen an sich haben, zutrauen. Denn das Omnia probate, et quae bona sunt tenete, geht bei Dir, wie ich überall aus Deinen Schriften sehe, über alles, wird also auch bei der [S. 60:] allzermalmenden Philosophie seine Stelle finden, wie bei der alles demonstriren wollenden.
Am Ende erquickte ich mich an der Idee von Gott, die wir in uns haben und die wahr ist und wahr bleibt, man mag übrigens das Daseyn Gottes mit Leibnitz demonstriren, oder mit Kant postiliren, oder lieber mit Jakobi und Hemsterhuis durch ein göttlich Leben inne werden.
Dieß ist wahre Geschichte meines Nachdenkens: möchtest Du wissen, was mir an den Prinzipien des Kants und an seinem Gange ungenießbar scheine, so wollt ich Dirs ein andermal ausführlich schreiben. Vale et ama me!
J. M. Sailer.“
Sailer verfaßte nach Auseinandersetzung mit Kant 1807 „Ueber Erziehung für Erzieher“ und 1817 sein dreibändiges „Handbuch der christlichen Moral“.
JUNG: Sendschreiben Nr. 28, S. 60-61:
„Theuerster Freund!
Es kam im Jahr 1794 das Stündchen, das mich von allem öffentlichen Einflusse auf das Lehramt entfernte - da fehlte es nicht an Leiden; indeß lernte ich schweigen und nahm, was geschah durch Menschen, von Gotteshand an.
Er segnet mein Stilleseyn . - - Wie oft dachte ich an Dich, Du lieber Freund!
Ich las erst vor kurzem einen Brief, den Du schriebst an die Dorothea in Schaffhausen, und las ihn im Hause der Gottesgabe.
Was können wir anders als schweigen, leiden und dem Guten, dem Besten, in und wo möglich auch außer uns Bahn bereiten? [S. 61:]
Ich las Dein Heimweh mit vielen Herzens=Regungen. -
Lebe wohl und liebe mich!
Sailer.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 29, S. 61.
„Wernigerode am 3. May 1802.
Dem Sohn des trefflichen B.... kann ich nicht umhin, ein Zeilchen der Liebe mitzugeben an Dich! Innig Theurer!
Ich kam im vorigen Herbst nach der Schweiz und sah noch deine Fußstapfen; eine gute Hand führte mich in den Osterferien nach Wernigerode, und ich fand auch da noch Deine Fußtritte - Dich aber nicht.
- Ich bin wieder an der Universität (ehemals Ingolstadt, jetzt Landshut) angestellt.
Deine Scenen *) lese ich mit Rührung meines Innersten, - wenn ich Dich hienieden nicht sehe, wir sehen uns doch noch.
Gott schenke Dir Seine Weisheit und Muth von Ihr zu zeugen.
Er sieht das Herz, und reinigt es, und macht es dann zum Herold seiner Gnade.
Gottes Huld mit uns allen in Christo ewig.
Dein Mitpilger, J. M. Sailer.
-
*) Scenen aus dem Geisterreich. d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 30, S. 62-63.
„Mannheim den 10. Februar 1786.
Ich trage, theurer Mann, nun schon mehrere Monate einen Stein auf meinem Herzen herum, den Sie allein heben können. Zweimal war mir von Ihnen die Wohlthat Ihres Besuchs zugedacht und beidemal war ich buchstäblich, in der Unmöglichkeit ihn anzunehmen. Ich lag nicht nur in körperlichen Schmerzen, sondern mein Himmel hing schwarz über mir. Im Heiligthum des Geistes tönte es zwar:
Deines Glaubens Licht,
Laß verlöschen nicht &.
ich war aber eingesperrt und schlechterdings nur solus cum solo & sola. Nun hörte ich indessen, daß Sie, lieber freundlicher Mann, manchmal zu Ihren deutschen Gesellen ‘) hieher kommen, und mich hungerte zuweilen nach Ihnen, um Ihnen abzubitten, daß ich Sie nicht angenommen, und Ihnen zu sagen, daß und wie sehr ich Sie liebe und ehre. Auch hat mir Ihr tiefgedachter, tiefblickender, wahrheit= und verdienstvoler Theobald, die schönste Blume in Ihrem Autorskranz, Wünsche übrig gelassen, die sich besser sagen dann schreiben lassen.
Ich hüte zwar an den Nachwehen eines im Januar erhaltenen podagrischen Besuchs schon seit
-
*) Stilling war Mitglied der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft und fuhr von Zeit zu Zeit zu ihren Sitzungen von Heidelberg nach Mannheim. d. H. [S. 63:]
mehreren Wochen abermals Haus und Zimmer, wann Sie aber einmal wieder herkommen und ich nur weiß, wo ich Sie finde, werde ich mich hinschleppen lassen. Dieß nun zu wissen, ist Wunsch und Bitte Ihres wahren Verehrers und Freundes
F. K. v. Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 21 (recte: 31), S. 63-64.
„Mannheim den 13. Februar 1786.
Der Freundschaftskuß des wärmsten Herzens, womit SIe bei unserm ersten Beisammenseyn mich erquickt haben, ist mir Bundes=Siegel, heilig und unverletzlich. Es war mir Himmelsgabe, daß Ihr Herz zu mir gelenkt wurde, daß Sie mich lieben und besuchen mögen und können und dürfen, ich mußte mich aber auch selbst prüfen: ob und wie viel ich davon fassen, genießen und erwiedern könnte? um weder anzubrennen, noch zu verbrennen. Ihr Geist und Bild war mir aber seitdem immer gegenwärtig und der Gegenstand der Unterredungen mit meiner einzig geliebten. Auch ist wahr, grammatisch wahr, daß Schmerz mich Ihrer zweimaligen Besuch verbitten machte; das erstemal war ich wie ein gebrühter Mesnch, unanrührbar; das zweitemal lag ich nicht an einem Seelengeschwür, aber im ersten Verband, wo man ganz stille liegen muß. Und wer kann bei Ihrem elektrischen Geist stille seyn? die Funken treffen überall. Nun Gottlob! kann ich sagen, ist die Cur vorbei, ich bin gesund und das siebenfache Feuer des Schmelzes [S. 64:] hat gute Arbeit gemacht, auch will Er immer mehr reinigen, und
Der Schultern Vermögen bedenkt er,
Nicht aufzulegen, was allzuschwer,
Und das Andenken vergangener Proben
Gibt uns Gelegenheit ihn zu loben,
Den guten Herrn.
Unsere Freundschaft hat unterm Kreuz angefangen, unter diesem Zeichen soll sie fortwachsen, blühen und gedeihen, mein Herz sagt mirs: Er wird sie segnen.
So viel für heute. Ihr zu erwartendes Kind sey dem Herrn seines Lebens geweiht und von Ihm gesegnet. Seyen Sie ein eben so glücklicher Vater, als Sie ein glücklicher Gatte und würdiger Freund sind. Meine Luise grüßet Sie, und, unbekannt, Ihre Liebe herzlich, so ganz mit einem evangelisch=deutschen Herzen; und eben so bin und nenne ich mich mit Herz und Hand den Ihrigen
F. K. v. Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 32, S. 64-65.
„Mannheim den 5. May 1786.
Weil Sie dann, theurer Freund, morgen nicht in die deutsche Gesellschaft kommen, so soll ein Fragment derselben zu Ihnen kommen., in die Arme wahrer christlicher Freundschaft, der die herrliche Verheißung gibt: Wo zwei oder drei beisammen sind in meinem NAmen, da bin ich A und O mitten unter ihnen. Und hier wärens dann gar vier, Selma und Luise, der Alte und der Junge. [S. 65:]
Morgen zwischen 10 und 11 bin ich im Ochsen, und Mittags, weil sie es mein Lieber, so wollen, bei Ihnen, dann besehen wir das Haus, *) und dann geben Sie uns Ihren Segen auf den Weg und des Abends sind wir wieder hier. Der Beschreibung nach muß dies Haus ein Vorgebirg vom Berg Zion seyn. Es ist so was schönes ums Uebersehen. Ich bin gerne klein, weill gerne es immer mehr werden, wenn’s aber seyn kann, wohne ich gerne hoch, frei, und das wäre dann hier alles beisammen und zugleich in der bescheidenen Standesmäßigkeit eines Exulanten, nichts übrig, aber genug. Ich wünsche, daß es sich mache; hier hält mich nichts, gar nichts; vielmehr ist manches, das mich Luft=Veränderung mehrerer Art wünschen macht; und wie meine Luise mein Kleinod ist, so wäre Freundschaft die Einfassung und Ring, so alles zusammenhält. Ruhe und Freundschaft! ich weiß für dieses Leben nichts größeres und es ist mir so: es würde sich unter uns herzen. Morgen um diese Zeit habe ich mit Freundschafts=Kuß und deutschem Händedruck versiegelt, wie ganz und mit wie vieler Erkenntlichkeit ich seye der Ihrige
Moser.
-
*) v. Moser war damals Willens in Heidelberg seinen einstweiligen Wohnsitz zu nehmen, und hatte Stillingen Auftrag gegeben, für Ihn eine Wohnung auszusuchen. D. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 33, S. 66-68:
„Mannheim den 22. May 1786.
Sie sind, mein Theuerster, ein Mann der Vorsehung in gar vielem Betracht, auch darinnen, daß Sie nicht nur der Welt, sondern auch dem Himmel junge Bürger ziehen. *) Es scheint mir ein sehr hoher Beruf, Vater von Engeln zu seyn. Freilich sahe ich in Ihrem lieben, schönen, geistvollen Karlchen nur den künftigen Lehrer; nun ja! so ist’s gewiß besser, sonst wär’s ja nicht geschehen. Sie weinen als Vater und als Kind unsers Vaters zugleich, so ists schön! Ihre gute Selma dauert uns herzlich. Gotte rhalte sie Ihnen und stärke und beruhige Sie, Sie beide, Ein Herz und Seele.
Ja wohl sind die Jünger aus Satans Schule,
Die Jesum Christum, Gottes Sohn,
Stürzen wollen von seinem Thron,
greuliche Menschen. Ihre Unterredung mit einem solchen Antichristen war mir belehrend und wichtig. Wer böse ist, der sey immerhin böse! scheint das Schild unserer Zeit zu seyn; und niemand kann Jesum einen Herrn heißen, ohne durch den heiligen Geist. Uns aber sey er unsers Lebens Licht und Geistes Kraft, bis wir Ihn sehen, und seine Gnadenwahl über uns, die wir nichts um ihn - Er alles um und für uns gethan, anbeten. Ihr Beruf, mein Theurer, Ihr Platz, Ihr Markt, Ihre [S. 67:] Erwählung, als Menschenfischer ist mir unendlich wichtig und ehrwürdig, und ich, ich armer Netzeflicker, gehe in Gedanken viel mit ihnen um und erbitte für Sie Weisheit und Kraft, reiches Maas von Wahrheit und Liebe.
Ja, ich bin der Dr. Leidemit! *) rite promotus, wenigstens cum licentia patiendi et practicandi. Es ist ein Schmerzenskind meines Wiener Aufenthalts, als ich da im Zahnen lage, mithin bei den Convulsionen der Staatsjustiz nur zu fragmentarischen Stoßseufzern fähig war. Die Buchhändlers=Politik hat aber meinen Namen gleich bekannt gemacht. Wenn’s nur frommt!
Der Stiefbruder von Leidemit, oder vielmehr Zweilling, ist der sogenannte Schutt; beide zugleich empfangen und geboren, obgleich wegen der Verschiedenheit des Geschlechts anders benannt und gekleidet. Beide haben aber die Englische Krankheit, abgesetzte Glieder. Sie Doctor Doctorum! werden am besten wissen, woher dies kommt.
Von Kassel habe ich in der bewußten Sache eine auf dem Schnitt vergoldete, eigenhändige Antwort vom Landgrafen bekommen, worin aber das Ja und Nein auf den Schluß des Ordenskapitels ausgesetzt wird. Wann solches gehalten wird, weiß ich nicht, wohl aber so viel, daß ich nun auf dem Stein, worauf ich sitze, noch länger warten muß. Täglich harre ich Sein!
-
*) Unter diesem Titel gab v. Moser bekanntlich eine Druckschrift heraus, die Beziehung auf seine Schicksale hat. D. H. [Doctor Leidemit. Fragmente von seiner Reise durch die Welt, seinen Gedanken, Wünschen und Erfahrungen. Frankfurt: Garbe 1783.] [S. 68:]
Mein Bruder hat nun, nach langen, schweren, harten Prüfungen, und wie ich zu dem Freund und Arzt Seiner Kranken hoffe, heilsamen Demüthigungen, bei dem Fürsten v. T. und T. wieder Brod gefunden. [Wilhelm Gottfried von Moser geb. Tübingen 27.11.1729, gest. Ulm 31.01.1790; 1786 ff. in fürstlich Thurn- und Taxischen Diensten; Forstmann, Hrsg. 1788-1793 des „Forstarchivs“.] Wie viel Salz und Pfeffer dabei sey? weiß ich selbst nicht und kann diesen ganzen Gang nicht beurtheilen.
Mein Bruder denkt in hundert Sachen anders als ich. Indessen bin ich überzeugt, daß ihn der Heiland nicht lassen wird, und der letzte Schritt ist’s doch, um den’s gilt.
Es ist ein kleiner Ehrgeiz, daß ich wünsche, daß eins von meinen Kindern neben Ihren Kindern schlafe, drum schicke ich Ihnen hier eins, auch anonym, im ersten Schmerzens=Gedicht nach meiner D.....schen Ehescheidung [Darmstadt, wo er auf eigenen Antrag entlassen und dann mit Prozessen verfolgt wurde?] hingeworden; und Bruder Leidemit müssen Sie auch von mir selbst haben; es ist just noch, von beiden, mein einziges übriges Exemplar.
Ich weiß, daß Sie keine Zeit haben,dergleichen zu lesen, Sie selbst reicher, wohlhabender Mann, aber wie gesagt in tesseram fraternitatis & amicitiae.
Meine Leidemitin grüßt Sie herzlich, und ich bin von Herzen der Ihrige
F. K. v. Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 34, S. 68-70.
„Mannheim den 29. May 1786.
Ihr und Ihrer guten Selma Besuch, mein Theuerster, war uns Labung auf unserm Dornenweg, so [S. 69:] wie man beim frischen Trunk aus einer kühlen Quelle, das - Ach! ausruft und dem dankt, der Quellen schuf und sie finden läßt. Aber Ihr heutiges war Engels=Stimme, schönes herrliches Siegel unsers Freundschaftsbundes! Ich erhielte es heute früh zugleich mit der mir von D... [Darmstadt, wo er auf eigenen Antrag entlassen und dann mit Prozessen verfolgt wurde?] aus zugekommenen Ankündigung; daß meine unversöhnlichen Feinde auf den Kaufschilling meines voe 14 Tagen verkauften Hauses einen neuen Arrest gelegt haben, mithin nun Haus und Geld miteinander fort ist. Es that weh und schmerzte so sehr, daß ich nicht einmal weinen konnte, sondern nur verstummte und anbetete! nicht schmerzte mich so sehr der Verlust, (dann wie wärs gewesen, wenn mir das Haus abgebrannt wäre) als ide greuliche Bosheit. Da kam mir nun Ihr brüderlicher Zuruf, und hieß mich einen neuen Kampf mit neuem Muth auf die Krone der Ueberwinder zu blicken; Ihm, der durch Leiden des Todes zur Herrlichkeit gegangen, auch dieß pappendeckelne Kreuz nachzutragen, und von allen bösen Buben weg auf den zu blicke, der die Mühseligen und Beladenen so gerneerquickt. Die Wunde blutet noch, da ich dieß schreibe, man sagt ja aber: Man müsse es nur recht ausdrücken, so schwärts nicht. Der HERR vergelte Ihnen, Lieber, mit Sich Selbst und Seinem Trost und Gottesfriedn die, auf Seinen Wink, mir bewiesene Wohlthat. So tröstet ein Lazarethbruder den andern. Unser eigenes Interesse, Trieb und Hang des herzens wird uns wieder zu Ihnen treiben, und uns bei und mit Ihnen und durch Sie belehren, erbauen, stärken, erquicken. In dem jetzigen Moment ist Stilling ein Theil von Cur. [S. 70:]
Sie thun mir eine Ehre, wenn Sie meine Bücher in Ihrem Haus, unter Ihrem Seegen, der mir gewiß nichts geringes und gleichgültiges ist, haben mögen. Sie geben zuweilen durch ihren Anblick Erinnerung ab, zum Andenken, zum Flehen für den armen Pilger. Ihre Werke, mein Lieber, sind mir so lieb, wie Ihr Herz und werden mir auch eben diesen Dienst thun, wovon ich so eben sagte.
Da schicke ich Ihnen, theuerster Freund, auch noch den sogenannten Schutt und habe eine Stelle gezeichnet, die in das Thema vom Geist des Jahrhunderts eingreift; vielleicht erweckt sie in Ihnen analoge Gedanken und Beherzigungen. Es ist mein einiges Hand=Exemplar, sonst würde Ihnen die Bitte thun, es den übrigen Stiftungs=Büchern beizugesellen.
Mit Hand und Herz, mit Wahrheit und Liebe bekenne mich
Ihren treu verbundenen Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 35, S. 70-72.
„Mannheim den 18. September 1786.
Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich durch die fortdauernde D....sche [Darmstadt] Tyranneyen und Lästerungen gedrungen und gezwungen worden, vonneuem in Wien zu klagen. Meine Schrift ist auch bereits übergeben, und der Referent hat schon vor drey Wochen dem D....schen Agenten mit vieler Indignation Eröffnung davon gethan. Es wird aber so [S. 71:] ein Conclusum darauf kommen, als wenn man einen Wolf mit einem Blasrohr und Erbsen todtschießen wollte. Das ist Justiz - aber immer doch so viel werth, als eine Leichenrede des zerrissenen Lammes. Ehrlich zu bekennen bin ich mürbe, müde, lechzend, wie ein gehezter Hirsch nach frischem Wasser, schmachtend nach Ruhe, und oft buchstäblich in dem Fall Psalm 56, 9. das macht mich allmählich Menschenscheu, Lichtscheu und sehnend nach des Leibes Erlösung.
Ich hange in Ansehung meiner äußern Umstände zwischen Himmel und Erde, bin nun, da auch mein Haus fort ist, wie ein vogelfreier Mensch, wie ein Ulrich von Hutten, im kleinen, geplündert, verjagt, verlästert und überall Felsenherzen und petrificirte Menschen, und über dem Stolz ihrer Gewalt triumphirende Straßenräuber; in statu confessionis, passionis et criminationis. Ob’s noch weiter aus einer Noth in die andere, oder aus Noth in Tod und durch Tod ins Leben sich durchbringen wird, weiß ich selbst nicht, brauchs auch nicht zu wissen, es gehe wie es gehe, mein Vater in der Höhe versteht alleine Rath und That. Dieser Stand der Ungewißheit und äußerster Verlassung macht aber, daß ich nicht Muthhabe, mir nur ein paar neue Schuhe zu bestellen, geschweige an Ziehen zu denken. - - - -
Nun der große Mann in der Ewigkeit! *) Möchte er doch den Jesum von Nazareth, der ihm so sehr Fels des Aergernisses war, noch in seinen
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*) Preußens großer König. [Friedrich II., der Große, geb. Berlin 24.01.1712, gest. Potsdam 17.08.1786, König seit 1740.] [S. 72:]
letzten Augenblicken als Fels des Heils erblickt und in seinen Wundenmalen seine Gnadenwahl gefunden haben.
Gott segne Sie mein Lieber und Theurer, Ihr Amt, Ihre Stimme, Ihren Gesang und Flug. Ich bin mit herzlicher vertrauensvoller Lieben.
Ihr treu zu eigener
Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 36, S. 72-73.
„Mannheim den 4. October 1786.
Mein Letztes, Theuerster, vom 18. September werden Sie zu seiner Zeit richtig erhalten haben. Ich danke nochmalen für alle Beweise Iher Sorgfalt wegen der vakanten Wohnung. Nun seit 24 Stunden weiß ich gewiß, daß ich diesen Winter, wenn ich ihn anders überleben soll, nicht von hier weg kann; es bleibt also nichts übrig, als warten und harren und unter allem, wie’s kommt und nicht kommt, den Herrn seinen Gott loben, allweil ich hier bin, bis man das Evolemus singen darf.
Fängt Friedrich Wilhelm seinen Lauf nicht schön an? [Friedrich Wilhelm II., geb. Berlin 25.09.1744, gest. Potsdam 16.11.1797, König seit 1786. Vgl. MERTENS: Huldigung.] Welche herrliche Bekenntnisse, Zeugnisse, seelenvolle Christus= und Menschenliebe? Ach, daß ihm doch reine Werkzeuge zu Theil und er vor Heuchlern und Schwärmern bewahrt werde! denn gut ist er, aber - schwach.
Werden Sie nochzu des Herr v. Bibra Preisschrift über die geistlichen Regierungen concurriren? Ich wünsche es sehr. [S. 73:]
Das ist ein Fragmenten=Brief, aber das ist kein Fragment, sondern Fels: Er kann erretten, alle die zu ihm treten. Von Herzen, ganz, nicht halb der Ihrige.
Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 37, S. 73.
„Mannheim den 23. Oktober 1786.
Mit geschwollnem Auge und Kopf bescheinige nur mit ein paar Worten den heutigen Empfang der Preiss= und Kampfschrift. Ich habe sie mit Erbauung gelesen; sie umfaßt zwar nicht das ganze Thema, enthält aber wichtige Winke, elektrische Funken und Schläge, und scheint mir so in ihrer Intensität just recht und zweckmäßig zu seyn. ‘S ist eine kleine Goldstange, woraus sich etliche tausend Ellen Draht ziehen lassen. Ich lasse sie also heute an Bibra abgehen, und bemerke dabei das übrige Verlangen.
Der Seiner Mesnchen Vater und Erbauer und Hüter auf seiner erlößten, versöhnten Erde ist, schenke Ihnen würdiger Freund, eineneigenen Jubelseegen, *) dem Namen gleich, den nur der kennt, so ihn empfahet. Von Herzen der Ihrige.
Moser.
-
*) Dieser Jubelsegen blieb nicht aus. Stilling erzählt hievon in seinem häuslichen Leben folgendes:
‘Im Jahr 1786 im Herbst feierte die Universität Heidelberg ihr viertes hundertjähriges Jubiläum [... = GAB S. 428-429; Fortsetzung der Anm. S. 74 und 75. ...] das mehrste. Gott allein die Ehre.’“
JUNG: Sendschreiben Nr. 38, S. 74-76.
„Manheim den 7. Januar 1787.
Der Geist des Herrn und der Friede Gottes, der aus Jesu Wunden fließt, seye mit Ihrem Geist und Herzen und Kopf und dem ganzen Doctor und dem [S. 75:] Lehramt, dazu Er Sue berufen und eingeweihet hat. Ich bin im Geist und liebevollem Andenken oft und viel um Sie, und wünsche Ihnen in reichem Maas das, was Sie sich gewiß slebsten wünschen: bei so vieler Thätigkeit kindliches Aufblicken auf Ihn, Niedersinken vor Ihm, und keusche Weisheit durch Salbung und Zucht Seines Geistes.
Ihr Abendsternlied gellt mir immer in den Ohren, es war mir unaussprechliche Erquickung, als Sie es uns so von Herzen zu Herzen vorlasen. Mein! haben Sie doch, lieber Liebender! für den müden Pilger, (müd aber doch nicht verzagt) die Liebe, wenn Sie einmal wieder herkommen, es mitzubringen, damit ichs abschreiben kann. *)
-
[... Noch Anm. zum Brief v. 23.10.1786.]
*) Ich theile es hier meinen Lesern mit:
Es wankte ein Wanderer alt und müde
Das stille Felsenthal hinan,
Wo selten ein Röschen, ein Blümchen erblhte, -
Der Weg war schmal und steinigt die Bahn.
Und droben ragte die felsigste Spitze
Noch viele Meilen weit hinauf,
Bald brauste der Sturmwind, bald drückte die Hitze,
Bald hielt ihn ein Abgrund im Wandeln auf. [S. 76:]
Es geht mir dergleichen wie mit manchen Arzneien, und mit der Idiosyncrasia überhaupt. Mit Herz und Hand der Ihrige.
Moser.
-
Er setzte sich endlich im Abendroth nieder
Und schauete traurig den Abendstern an:
‘Ach funkelnder Stern! nun schimmerst du wieder
‘Und meine Reise ist noch nicht gethan.’
‘Wie ist mir die Reise so schwer und so bitter,
‘Wie wenig Freude hab’ ich gehabt!
‘Mehr Sonnenstiche, mehr schwer Gewitter,
‘Als mich des Lebens Wonne gelabt.’
Ein Jüngling trat in des Abendsterns Glänzen
Dem armen Wanderer vor das Gesicht:
‘Ich komm’ um Dich mit Palmen zu kränzen,
‘Verlier nur Muth und Glauben nicht!’
Er führte den Wandrer durch etliche Spalten
Im Schimmer des dämmernden Abendlichts;
Des schönsten Frühlings jubelndes Walten
Ist gegen diesen Anblick nichts.
Ein unaussprechlich weites Gefilde
Begränzte ein ewiges Morgenlicht,
Es glänzte durchdringend, erwärmend und milde,
Erfrischend für Herz, - für Geist und Gesicht.
Es lagen zehn Städte im weitesten Kreise
Mit grünenden Auen von Bächen getränkt,
Nun sagte der Jüngling: ‘Dies Ende der Reise
‘Ist Dir - o Wanderer vom König geschenkt.’
‘Du frommer Getreuer! Dein Leben voll Leiden
‘War bloßes Geburtsweh zu ewigem Glück;
‘Geh über zu nie empfundenen Freuden,
‘Und lasse Dein trauriges Reiskleid zurück!’“
JUNG: Sendschreiben Nr. 39, S. 77.
„Mannheim den 25. März 1787.
Meine Liebe, meine Hochachtung,mein Dank, und brüderlicher Seegen werden Sie, theurer Freund, auf Ihrem neuen Weg begleiten. *) Oft werde ich an Sie denken und mit Ihnen beten, daß Sie viele Frucht bringen, und ihr Licht, von der reinen Flamme des Herrn genährt, leuchten möge, zum Nutzen Vieler und zum Gnadenlohn am Tage der Vergeltung. Nie, nie, werde ich vergessen, daß Sie mir in trüben Stunden zu drei verschiedenen Malen Engel waren, zum Trost, Aufrichtung, Ermannung und Ausharren in Glauben und Geduld; diesen Labetrunk wird Ihnen der Großmüthigste und Großmächtigste Herr vergelten, und auch Sie stärken, wann und wo sie es nöthig haben. Um meinem liebenden, aber allzu weichen Herzen den Schmerz der Scheidung zu ersparen, muß ich Ihnen, Lieber, dieß schriftlich sagen, denn ich vermags nicht, Sie hier mehr zu sehen; wohl aber freue ich mich aufs Wiedersehen, es sey nun in Europa, oder in einer von den vielen Wohnungen des Vaters. Meine Luise ist ein Sinn und Herz mit mir für Sie und Ihre Liebe. Behalten Sie uns lieb. Ich umarme Sie mit treuer und dankbarer Liebe und bin ewig und ganz
Ihr Moser.
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*) Stilling zig damals als Professor nach Marburg. d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 40, S. 78-80.
„Mannheim den 14. Mai 1787.
Ihr Schreiben, mein Theuerster, vom 3. dieses habe ich unter den Liebes=Schlägen eines wohlthätigen, aber schmerzhaften Podagra erhalten, worin sich, Gottlob! die gichtische Krämpfe, unter denen ich einige Wochen gekeucht, verwandelt haben. So hilft Gott immer aus einem Leiden ins andere, und allmählig wird man si abgeschält, daß nur der für die neue Erde taugliche Kern übrig bleibt. Ist das nicht schön? frageich Sie, lieber Lehrer der Haushaltungs=Kunst.
Am Oster=Montag früh um 6 Uhr rief ich meiner Luise zu: Nun sind unsere lieben Freunde JUngs auf dem Wege.. Wir beteten für Sie und segneten ihren neuen Weg. Ich sagte: Mit Mutterhänden leitet Er die Seinen,s tetig hin und her, gebt unserm Gott die Ehre! Er seye Ihnen stets Licht, Weisheit, Rath, Schuz und Stärke, und heilige den in ihre Seele gelangten Reichthum mannichfaltiger Gaben zu seiner Ehre und Dienst, er segne alle Vehicula, wodurch Sie sich Weg zu den Herzen der Menschen bahnen, und wenn sie, wie Paulus, Teppiche machen, Stall=Fütterung lehren, Virgilisiren, *) statistisiren, oeconomisiren, so wird immer eine schöne Stunde übrig bleiben, ihren Lieblingen zu sagen: Kinder, nun will ich euch mein größtes
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*) Bezieht sich auf Stillings freie Uebersetzung der Georgica von Virgil, womit er damals beschäftigt gewesen. d. H. [S. 79:]
Geheimniß anvertrauen: Christum liebhaben, ist besser, denn alles Wissen. So, wie Sie es schon waren und sind, müssen Sie stets bleiben und immer werden: Bekenner, und dieß wird das Gold seyn am Tage der Sichtung, wann unsere manchfaltige Strohschneidereien, im Dienst menschlicher Bedürfnisse und Elends diees Erdenlebens, im Rauch aufgehen werden, die dann aber dich durch den Zimemrmannsdienst unsers Herrn in den Tagen seines irdischen Wandels geheiligt und gleichsam ehrlich gemacht werden. Der selige Hochburg sagte: Im Tempel waren nicht nur die Leuchter von Gold, sondern auch die Lichtpuzen. Und eine solche güldene Lichtpuze müssen Sie, lieber Theurer, seyn, wo sie der Herr hinstellt.
Der pfälzische Egoismus erlaubt überhaupt nicht, das Licht zu puzen, weil sich die Leute lauter Wachskerzen zu seyn dünken; in Hessen ist man bescheidener, und Ihr thätiger Fürst ist selbst einer der größten Puzer in Deutschland. Ihre Erwerbung wird Ihm mehr Ehre und Segen bringen, als wenns Ihm mit der Eroberung des Bückeburger Ländchens gelungen wäre, denn Sie hat er mit Recht und mit beederseitigem [sic] guten Willen.
Nun, Lieber, für alle den guten Anfang, den Sie mir melden, insbesondere auch für die unmittelbare Verbindung mit Ihrem Fürsten, lobe und danke ich Gott, mit Ihnen. Er macht keine halbe Sachen; Er wird auch mit Ihnen seyn ferner, und so lange Sie da seyn sollen. Ichsage: Da, denn wir beide sind doch so eine Art Zugvögel, und es ist mir eben nicht so, daß sie als Professor in Marburg [S. 80:] sterben werden. Von Frankfurt nach Kassel ist Marburg just der halbe Weg. *) Indessen sezen Sie sich da einstweilen im Abendstern nieder und singen:
Und meine Reise ist noch nicht gethan.
Dann kommen die Missionarii der zehen Städte u. s. w. Mit mir alten Fuhrmann, dem das Rad über die Beine gegangen, ists was anders; ich bin Spitalmäßig, und darf den großen Hausvater um Invaliden=Gnade bitten, und auch ums Brod dazu, da meine Räuber mir das meinige nun schon ins viertes Jahr vorenthalten, ohne zu sagen: warum? da heißt es dann: Täglich harre ich Dein!
Nun, des vortrefflichen Dalbergs Wahl - ist das nicht auch Gottes Wunder? zumalen wer den geheimen und wahren Gang der Sache weiß. Die Narren sagen als: Gott thut keine Wunder mehr. Hier ist eins. Er wird gewiß Segen für seine Kirche, für Deutschland und die Sache der Wahrheit seyn.
Ich schreibe dieses im Bett, und weil ich nicht singen kann, so quikse ich manchmal dazwischen, und schaue mein trauriges Reise=Kleid an, das so herrliche Verwandlungs=Verheißungen hat.
Sie, Lieber und Ihre treue Selma werden von mir und meiner trauten Luise herzlich gegrüßt und geküßt.
Behalten Sie uns lieb und beten für uns. Mit Herz und Hand Ihr treuverbundener
Moser.
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*) Es war im Project Stilling von Marburg nach Kassel zu versetzen. d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 41, S. 81-82.
„Mannheim den 18. Juli 1787.
Aus dem Geduldgarten zu Wien habe dann vor einigen Tagen wieder ein neues Pflaster auf meine Wunde bekommen. Es ist, wie ich’s erbeten, weil ich den irrgeleitten Fürsten erausfordern mußte, um mir Gerechtigkeit angedeihen zu lassen. Was es helfenwird? muß ich nun in weiterer Wartens=Geduld von der alles zu rechter Zeit wohlmachenden Hand unsers Herrn gewärtigen. Täglich harre ich Sein, und wie alle Leiden nur immer Leiden Eines Tages sind, so tröstet, stärket er auch täglich; Seine Verheißungen aber sind ewig.
O ja! er blickt manchmal den müden Pilger an, und macht es dem Herzen theuer und lieb, seinen Kreuzes=Sinn immer bessere verstehen zu lernen, und seinem Bilde ähnlich zu werden. Wie wenig ist ohnehin alle unser Leiden gegen das Seinige! Von mir will ich nichts sagen; wenn ich an meines sel. Vaters sechsjährigen Mauer=Arrest und an’s Schiffziehen unter einem Pharao denke, so habe ich mich kaum nur einmal zu beklagen; gewiß geht mir’s noch tausendmal besser als ich verdiene. Dieß ist nicht Capuciner=Grimasse, sondern tiefste Empfindung des Herzens. Im höhern Sinne ist mein Feind nur Ruthe und Besen, und verdient als Ruthe des Vaters Respekt; der Besen aber soll sich nicht Balsam nennen.
Meine gute Luise empfiehlt sich Ihnen beiden herzlich, wir denken und reden oft an Sie beide, [S. 82:] und von Ihnen. Sonderbar, kaum lernte man sich kennen, kaum herzte sich’s wärmer, so war wieder der Faden durchschntten, dessen beide Enden aber doch fest, fest am Bande ewiger Liebe gebunden sind.
Ich bin mit Hand und Herzen Ihr treu zi eigenen
Moser.
Vergessen Sie doch ja den alten Mann nicht (ich habe seinen Namen verloren) dem die Abendsonne so freundlich durch die alte Fensterscheibe scheint. So Sonnenschein machen ist eine Ihnen eigene Gabe, Sohn des Lichts, und nicht der Finsterniß, weder der Nicolai’schen noch Jesuitischen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 42, S. 82-84.
„Mannheim den 18. Sept. 1787.
Ihre Briefe, mein Theuerster, sind wie Sie, immer Original und eigenes Gewächs, kein zusammengetrödelter Zehend=Wein. Sie sind in ihrem ganzen Gang und Stempel eine eigene Kreatur Gottes, und werden einmal in des Vaters Wohnungen einen eigenen Erker bewohnen, zum Um=sich=her= und Ueberschauen, und dann nehmen Sie dochnoch von eine durchs Holz des Lebens gesund gewordenen Invaliden einen Freundschaftsbesuch an?
Mein Flederwisch von R. H. R. Conclusum hat noch nichts gefruchtet. Diese mit Dinten=Pulver geladene Kanone verbrennt und benutzt nur den Rock, trifft aber nicht das Herz. Gott siehts! das ist [S. 83:] genug und wenn er auch thät, als säh’ ers nicht, so bin ich doch unter seinem Dach und Hut; Er ist mein Hirt und Vater und Schutz und Fels, mein Gott, auf den ich traue; Er wird mich durchbringen zum Ziele meiner Hoffnung, und auch vonmeinen Augenalle Thränen abtrocknen. Indessen gräme ichmich eben nicht sonderlich; durch Tragen lernt man tragen, und ich hab’s noch immer besser, als tausend andere; auch läßt Er, der Allgütige, manchen erwärmenden Sonneblick seiner Lieb durch mein Dach scheinen und macht mich ruhen in seiner Führung.
Im Schlangenbad habe ich ausgeruht von ermüdender Arbeit, Bergluft genossen, einige gute Menschen kennengelernt, - das mag so ziemlich mein Profit gewesen seyn, denn sonst hat der alte Reise=Rock das viele Flicken nicht vertragen wollen; es riß nten wenn man oben flickte. Meiner liebsten Luise ist das Bad aber vortrefflich bekommen, und das ist mir noch mehr werth; denn nun hält sie mich um so gewisser aus.
Nun liegt auch hier bei mir der Ihnen, mein Geliebter, bestimmte 7te Band vom Patriotischen Archiv. Ich weiß, daß Sie keine Zeit haben, es zu lesen, Sie müssen aber doch die Fortsetzung haben, so lang’ ich Archivarius bleibe.
Bei Ihnen möchte ich wohl noch ein paar Collegia hören, wenn ich nicht zu alt wäre; und dann wollte ich die Noten zum Text machen, aber nicht so, wie unsere Theologen es oft mit der Schrift machen, sondern nur sagen: So sagt Professor Jung und so stehts in Praxi; könnte doch wohl [S. 84:] eine Commende auf einer Bergfestung damit verdienen.
Luise und ich umarmen euch Liebe beide und ich bin ganz der Ihrige
Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 43, S. 84-86.
„Mannheim den 30. Nov. 1787.
Immer ist mir, was von Ihnen kommt, Balsam vom Berg Hermon, oder wie der Berg heißt, er liegt hinter Marburg, überm Wasser drüben; es fließt so ganz aus der reinen, offenen Quelle des Herzens, wirft auch, wie alles Quellwasser, schöne Perlen, und geht dann, wie ein Labetrank dem Durstigen in ein Herz über, das Sie innig und zärtlich liebt und so einen Haus=Doctor, wie Sie, just nöthig hat. Ich leide, Gottlob! weder an der Schwind= noch Wassersucht, aber zuweilen wird mir das bewußte Bergsteigen schwer, und da ist mir dann so ein Poeta divinus, mit dem Zuruf:
Verlier nur Muth und Glauben nicht!
ein stärkender Mann.
Gottes Segen über Ihr liebes Mädchen und seine gute, Ihnen wieder geschenkte Mutter! Ich zitterte, wie ich in ihrem Briefe Friesel las, bis das Wort Besserung hinten nach kam, denn diese Erfahrung habe ich auch gemacht, wie’s preßt, wenn man das Geliebte leiden sieht, oder zu verlieren fürchten muß; wenn mir gleichsam das Dach überm Kopf abgehoben wird, und man unter Regen, [S. 85:] Sturm und Nacht wie festgemauert steht; wenns immer dunkler über einem ist und man nicht mehr weiß, wo Sonnen=Sauf= oder Untergang ist; ja Lieber! so war mirs, da ich meine vor Alteration ihres Verstandes beraubte, gute Luise (ohne Hoffnung: ob? und wann? sie wieder zu sich kommen werde,) 14 Stunden weit von mir in der Cur hatte, und in eben der Zeit von einem harten Fürsten des Landes entboten wurde. Nun Gottlob! es ist überstanden, und ich will auch über das noch currente immerdar harren, wir werden Ihm noch danken, Sie, lieber Trsot=Rath, mit mir danken, daß der Herr freundlich ist, seine Güte ewiglich währet und daß er keinen verläßt, der Ihm traut.
Ihre Ahndung, daß die Morgenröthe der Hülfe bald anbrechen werde, ist mir wichtig, denn so was gibt und macht man sich nicht selbst, und wenn sie stimmet, will ichs Ihnen gleich melden. Nochist’s um die Hahnenschrei=Stunde, da wirds ja bald Tag; denn Leider! wankt mein unversöhnlicher Fürst mit immer schnelleren Schritten dem Grabe zu, und der Erbprinz hat wenigstens oft genug gesagt: Er wolle es sein erstes seyn lassen, dieser Ungerechtigkeit ein Ende zu machen. Gott gäbs!
Ihre Erzählung von der Umarmung des alten Patriarchen ist nicht Wort, sondern Gemählde. Ich meinte, ich sehe die ganze Scene. *) Auch Jakob beugte sich vor seinem Sohn Joseph. Es ist darin was eigenes mit den Vätern; ich konnte meinen alten Vater wohl 15 Jahre vor seinem Ende nicht [S. 86:] mehr dahin bringen, so sehr ich bat, mich Du zu heißen; er sprach und schrieb immer in persona tertia, und berief sich auf die Kornähren, wovon Joseph geträumt.
Ihr Beifall, mein Lieber, ihr Amts=Segen und die Volksliebe gegen Sie rühren und freuen mich. Auch das ist Gnade, wie alles, was Er uns thut. Wir leben ja aus Gnaden und Seine Geduld ist unsere Seligkeit; wo? und was wären wir ohne Jesu?
Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 44, S. 86-88.
„Mannheim den 13. April 1788.
Nun das war ein Galla= und Freudentag, da ich wieder ihre Hand, mein Theuerster und zärtlich Geliebter, und ein Tröpflein ihres liebenden Herzens zu kosten bekommen. Der besondere Segen ihrer Franken= und Schwaben=Reise hat mich - ohne die Specialia zu wissen - gefreut, weil ich gerne mich mit Ihnen freue, so wie Sie mit mir getrauert und Trost in mein verwundetes Herz gepredigt und gesungen haben. Wenn als wieder so ein neuer Sturm von Lügen, Lästerungen, Bosheiten, Löwenwuth &. über mich losbricht, so bete ich erst im Staub liegend: O Lamm Gottes unschuldig - wiewohl Du warest verachtet &. und dann, wenn die Thränen trocken werden, sing ich hinten drein im Baß: Verlier den Muth und Glauben nicht! [S. 87:]
Meine Lage ist noch immer die nemliche, mit dem einzigen Unterschied, daß die Bosheiten meiner Feinde, anstatt sich zu mindern, immer mehren; das wird denn so fortdauern, bis der irrgeleitete Fürst, der nun schon Monate lang am Rande des Grabes hinwankt, vollends abgerufen wird. Von seinem Regierungs=Nachfolger habe Ursache, das bessere zu hoffen. Alle diese Stürme und Kämpfe stärken und stählen das Herz williger zum Leiden, machen mürb, klein und rein, schmelzen Schlaken ab und läutern das Gold. Es gibt ja Ofen, die man Kühlofen nennt, worin es doch so warm ist, daß man nach Luft schnapt; in so einem sitze ich. Ich bin seit 5 Monaten nicht vor meine Hausthüre gekommen, habe an Podagra, Ischiatic und arthritischen Krämpfen bei 8 Wochen gelegen, und fang nun wieder an herum zu hinken. Daß ich aber doch nicht wie ein Bärenhäuter im Bette gelegen, werden die zwei Bände des patriotischen Archives, die ich gestern gleich mit dem Postwagen abschickte, beweisen. Nehmen Sie solche in Liebe auf, es sind freilich wenige Blätter vom Baum des Lebens drin, aber doch auch nicht lauter Stroh. Jeder gibt was er hat, und niemand hat, es werde ihm dann von oben herab gegeben. Man kann, wie Sie als Lehrer der Staats= und Landwirthschaft am besten wissen, nicht immer lauter Korn zu Markte führen, man bringt zuweilen auch weiße und gelbe Rüben, Heu und Stroh, nach der Manchfaltigkeit häuslicher Bedürfnisse.
Im 2. Band hab’ ich mich mit meinem lahmen Fuß mit dem Herrn Pabst und seinen Nuntien [S. 88:] herum getummelt. Doch was geht sie der Pabst an? Drum will ich auch nichts weiters davon gedenken.
Was mir unter einigen bisherigen Orcanmäßigen Stürmen und vesuvischen Teufeleien die theure, liebe, sanfte Seele Luise zum Trost, Seegen, Ermannung, Hingebung auf allen Willen Gottes und unsers durch Leiden des Todes zur Herrlichkeit gegangenen Herrn und Bruders Jesu Christi, hochgelobt in Ewigkeit! gewesen ist, kann ich Ihnennicht genugsam sagen und rühmen. Es ist doch was köstliches um ein solches Weib! Ihre Selma wird Ihnen gewiß auch alles seyn, was Sie nach ihrem jetzigen Beruf und neuen Schule zu seyn aufgefordert ist. Wir zwo Eremiten grüßen und küßen Euch zwo Lieben herzlich, mit brüder= und schwesterlicher Liebe. Behalten Sie uns lieb, und wenn Sie können (Jung kann aber viel) so schreiben Sie mir manchmal nur 2 - 3 Worte und bedenken, daß es ein Almosen an einen armen Mann ist, der auf einem heißen Stein in Mannheim sitz, wo ein großes Schloß, breite Gassen, schlecht Wasser aber kein Jung ist, mit dem er so ganz sympathisiren könnte. Mit ewiger Liebe und treuen Widmung Ihr
Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 45, S. 88-91.
„Mannheim den 29. Sept. 1788.
Ich freue mich, mein Theuerster, Ihrer Thätigkeit, ihrer Fruchtbarkeit, ihres Segens, der Heiterkeit [S. 89:] und Kraft ihrer Seele, Ihrer gestählten Brust und dragonermäßigen Wahrheitsliebe, so wie Sie Sich meiner Thränen und Leiden, meines Sschmelz=Tiegels und Goldwäsche freuen. Alles hat seine Zeit, alles kommt von Gott undich sitze noch immer auf dem A. B. C. Bänkchen, um das herrliche Lied: Was Gott htut, das ist wohl gethan &. So lang zu buchstabiren bis ich’s fertig lesen und ganz auswendig kann.
Es ging dies Jahr hart wieder, und statt der gehofften Hilfe und Rettung wards immer ärger, wenigstens sahe es so aus; aber aus Tod, durch Tod kommt Leben und Auferstehug, indessen liegts Gold auf der Capelle, der Schmelzer ist mein Freund, mein Herr, hochgelobt in Ewigkeit! Er wird alles wohl machen.
Ich lasse, um nicht als ein Missethäter zu leiden, den Proceß gegen den Serenissimum an den Lirum-Larums-Rath in Wien fortgehen, oder vielmehr fortkriechen, übrigens aber war bisher und bleibt mein innerer Beruf: Leiden und Schweigen, und das habe ich treulich gehalten, so sehr ich von vielen Orten und von meinem eigenen Geist gestupft worden, gegen die Ihnen nicht unbekannt gebliebene unfürstliche und unchristliche Zeitungs Scarteque mich zu wehren.
Doch habe ich nicht verhindern können noch wollen, daß ein braver Landsmann von mir, Herr R. R. Reuß in Stuttgard ein Wort darüber ins Publikum gelangen lassen, das ich Ihnen, mein Lieber, hier beilege. Der 9. Band meines patriotischen Archivs liegt auch für Sie bereit. [S. 90:]
Herzlich hat mich die Nachricht von dem zu hoffenden 4. Band von Stilling erfreut; er wird vermehrte Frucht bringen, und ist ein lebendiges Noth und Hülfsbüchlein, wie Becker ein erdichtetes geschrieben hat. [Wahrscheinlich: Rudolph Zacharias Becker, 1751-1822; 1778: anonym: Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute, 2 Bde. Gotha 1778-1788.]
Ihre Polizey, mein Theuerster, hab’ ich mit Aufmerksamkeit, Nachdenkenund Empfindung gelesen. Der Titel ist bescheiden, es könnte eher Regierungs=Kunst heißen. Der Herr war mit und bei Ihnen, da Sie’s dachten und schrieben; es sind wichtige, herrliche, dringende Zeugnisse und Bekenntnisse der Wahrheit drinnen, theils Strebpfeiler gegen Umsturz heilsamer Lehren, theils Grundlagen und Bollwerke gegen den leichtsinnigen und leichtfertigen, freß= und habsüchtigen Geist unserer Zeit. In einigen wenigen Artikeln z. B. wegen der Publicität, wegen der Gränzen des Gehorsams von Dienern und Unterthanen, bin ich zwar nicht ihres Glaubens und finde darin die Seile zu eng gespannt. Ich weiß aber, daß es nicht nur der Fürsten=Glaube, sondern hie und da Landes=Dogma ist, und man davon so wenig als von dem Kirchen=Symbol abgehen kann; ich glaub sogar, daß wenn Sie, Lieber, nicht just Hessischer Diener und Professor in Marburg, sondern nur Volkslehrer wären, etwas mehr Wasser unter diesen Essig gekommen wäre; ich weiß es aber an seinen Ort zu legen, und es heißt auch in dergleichen Fällen: der Glaube ist nicht jedermanns Ding; der Gerechte lebt aber seines Glaubens. Auch bin ich’s dagegen wohl zufieden, daß man in meinen Büchern und Büchlein allerhand Ketzereien findet, und danke Gott täg= [S. 91:] lich kniend, daß Er mich von der Gewissens=Noth, Minister eines Fürsten zu seyn, erlöset hat.
Gottes Friede und Segen, in unserm Herrn J. C. umschließe und heilige ihr Herz und Sinnen. Behalten Sie, beide, uns beide lieb und beten zuweilen mit und für uns, ich seye nun mit leidend oder mit lobend, denn wir dürfen Ihm ja für alles danken.
Von Herzen der Ihrige
Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 46, S. 91-95.
„Mannheim den 13. Juli 1789.
So ists Ihnen dann gegangen, wie mir; meinen Brief vom 27. Septbr. [Siehe 1788.09.29!] mit Beilagen hatte ich denene von ihrer Schweizer=Reise hier durchkommenden Professoren Meiners und Spittler von Göttingen mitgegeben und den 30sten sollte er in Ihren Händen seyn; und Ihr geliebtes vom 2. April habe ich erst gestern bekommen. Im Geist war ich aber Ihnen, Theuerster, oft nahe, mit innigen theilnehmenden Wünschen und Flehen vor dem Herrn, um den vollen und reichen Seegen Ihres höchst wichtigen Berufs. Unter tausend (ja ich sage nicht zuviel 1000) Thränen lehnte ich mich an Ihr gefühlvolles Herz, als ich vor einigen Wochen den 1. Theil Ihrer Lebens= und Leidensgeschichte las, oder vielmehr Tropfenweis in mich sog, und Ihr festes, liebevolles, wohlpunktirtes Bild küßte, und im Geist umarmte. Nur allein hier sind gewiß so [S. 92:] viele Thränen weichgeschaffener Seelen darüber vergossen worden, als Buchstaben drinnen, und selbst Eisenharts Stockeisen mußte bei dieser Gluth schmelzen. Es hat mich in dem kindlichen Ergeben und Unterwerfen in alle Wege Gottes, in dem festen Glauben an die Allmacht und Allgüte seiner Vaterhuld, im Glauben an die Wahrheit und Treue seiner Verheißungen, im Anbeten seiner aus Fisnterniß immer wieder Licht hervorbringenden Führung, in dem Glauben an die Treue und das Gutmeinen seiner Läuterungen und Schmelzens u. s. w. mächtig gestärkt, und ich habe auch für mein geringes Theil dem Herrn dafür gedankt, der Sie willig und tüchtig gemacht, diese Monument, diesen Dank= und Brandaltar zu errichten. Mit ganzer weicher Seele habe ich Sie dafür gesegnet, und so wird’s gewiß noch vielen mit mir ergangen seyn.
Dieses Bäumlein wird noch grünen und Früchte tragen, wenn alles, was Sie aus Noth und Bedürfniß der Zeit, aus Pflicht Ihres Berufs, und als Zmmermannsarbeit, wie unser Herr in seinem Erdenleben gethan - verrichten, lehren und schreiben, längst vergessen, in dem großen, allgemeinen Humaniorum zu Asche gebrannt seyn, und nur das Gold durch Gluth übrig bleiben wird. Doch auch von Ihrer Berufsarbeit kann und wird manch’ edler Saamen Früchte tragen, wenn Sie, und so viel und oft Sie dem satanischen Geist unserer Zeit, dem umbarmherzigen Herrsch= und Habsuchtsteufel als Mann und Christ, als Patriot und Weiser entgegenarbeiten, und die Rechte der Menschheit, so [S. 93:] viel ein Lehrer thun kann, schützen, vertreten und vertheidigen, en künftigen Geh. Räthen, Regierungs= und Kammer=Räthen Grundsätze der Billigkeit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit instilliren, und ohne just die Fürsten, die uns nähren und besolden, ans schwarze Brett zu mahlen, doch die, die Welt immer ärmer und unglücklicher machenden Prinzipien entlarven und mit Licht und Recht verscheuchen. Die wahren Giftmischer und Menschenwürger sind zwar eigentlich die Professoren und Doctoren des Staatsrechts, und Ein solcher Mensch verbreitet über Deutschland mehr Unglück, als ein ganzes Heer Türken und Franzosen niemals thun könnte oder würde, sie würden aber ihr Aqua Tofana umsonst kochen, wenn nicht die Finanzministers und Cameralisten ihre Theorie in Praxin brächten, und es darauf anlegten, daß das Seufzen der Kreatur nicht eine blose poetische Blume bliebe. Ich begreife wohl, daß viel Weisheit und eben so viel Heroismus dazu gehört, um wenigstens die Mittelstraße zu halten, weil es eben so leicht ist, ein staatswirthschaftlicher als politischer Märtyrer zu werden; diesen Geist der Weisheit und Wahrheit erbitte und wünsche ich Ihnen, theurer Mann, um so angelegener, weil Bejahen und Verneinen eines als Christen sich bekennenden und dafür erkannten Mannes von ganz andern Folgen, als das Gewäsche eines blosen Broddieners ist.
Dach genug davon; Gott sey bei und über Ihnen und rüste Sie aus zum Zeugen der Wahrhheit.
Ich habe einen harten Winter und eben so hartes Frühjahr gehabt, an gichtischen Leiden von Au= [S. 93:] ßen und andern Leiden von Innen. Ich lebe aber noch, leide, schweige, dulde, hoffe und glaube noch, das Ende wird doch selig, wenigstens so seyn, daß ichs werder ertragen können. Durch Leiden lernt man ja leiden, durch Tragen lernt man tragen, und so kommt man allsachte dem Ziele der Hoffnung immer näher, das Warten des Gerechten abr wird Freude seyn, hier oder dort. Ihr unvergleichlich Pilger=Liedchen: ‘Es wankt ein Wanderer &.’ Habe ich mit meiner trauten Luise indessen viele 100mal gesungen. Wenn ich trüb und müde da saß, intonirte sie mit dem sanften weiblichen Discant, und ich weinte den männlichen Baß dazu. Nun die Zeit des Abwischens aller Thränen kommt immer näher, im 66sten Jahr darf man so was schon mit Zuversicht hoffen. Indessen müßt eich undankbar seyn, wenn ich die vielen Proben göttlicher Bewahrung, Tröstung und Treue zu preißen unterließe. Er hütet und wacht, Er sorgt für uns &., seit fünf Jahren ist nun mein bischen Habe mit Arrest bestrickt, ohne zu sagen warum? Und mit allem Bitten, Flehen, Prozessiren &. Habe es noch nicht einmal zur Eröffnung der von mir errungenen Untersuchungscommission bringen können; statt dessen werde von dienstfertigen Buben mit Koth beworfen. Mir war bisher theure Pflicht, zu leiden und zu schweigen, indessen kommt als einmal wieder Einer querfeldein, der sich aus guter Meinung zum Vorfechter aufwirft, und mir dadurch fast mehr Noth macht, als die Schmähschriften selbst. Von dieser Art ist auch die Anlage, die noch überdieß mehrere Un- Facta enthält, so gut es auch gemeint ist.
Wird dann nicht bald die Schrift von Ihnen ercheinen, wo der strebende Mann mit der Abend= [S. 95:] sonne vorkommt? Lassen Sie ja Ihren Geist unter Fabriken und Finanzen nicht mit Moos überwachsen.
Ihre theure Selma ist mir, oder vielmerh uns, durch die Geschichte Ihres Bundes noch theurer und ehrwürdiger worden. Sie ist doch auch schön durch ein Examen rigorosum zur Doctorin promovirt. Gott segne Euch liebe Seelen beide mit Seinem Frieden!
Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 47, S. 95-97.
„Mannheim den 28. Aug. 1789.
Eine eigene Sympathie, die man sich nicht geben kann, und eben deßwegen noch weniger nehmen soll, bindet mich mit sanftem Zug an Sie, mein Theurer, und wenn ich so darüber nachdenke,m ag wohl eine gewisse Aehnlichkeit von Schicksalen, eine treue, freimüthige Wahrheitsliebe und Reben=Gemeinschaft an unserm Weinstock, der sich für uns so milde zu todt geblutet hat, der Grund davon seyn, und an diesem Anker soll auch unser Freundschaftschifflein halten, bis wir allsachte hinüber gefördert werden ins gesunde Reich.
Weil man zur Abwechslung mit unverschleierter Wahrhheit als einmahl auch in Gleichnissen reden darf, so ist aus diesem Privilegio anliegenes Fabel=Büchlein [Neue Fabeln. Mannheim: Schwan und Götz 1790. Zuvor: Fabeln. M. 1 Kupfer. Mannheim: Schwan und Götz 1786.] entstanden, das ich Ihnen, mein Theuerster, zur liebenden und toleranten Aufnahme empfehle, weils denn doch ein Kind Ihres alten, invaliden Freundes ist.
Welche fürchterliche Erinnerungen, Warnungen und Winke liefern die jetzigen französischen Unruhen [S. 96:] und National=Theses, auch für unmsere deutsche Potentaten! - Furcht vor ähnlichen Auftritten fängt schon wirklich am Rhein, Main und Nekar mächtig und heilsam an zu wirken; wiewohl nach meiner Logik und Ahnung alles bisherige erst weit größerer Noth und Auftritte Anfang ist.
Gottlob ist Tag in und über mir wenn auch nicht immer Sonnenschein.Ihre Weissagung für mich wird eintreffen, es kommt die Zeit, wo öffentlich erscheint, wie treu Ers mit uns meint. Es gilt nur gläubiges Harren und das gibt er ja und hilft aus einer Noth in die andere, und aus allen siebenen selig hindurch, sperando et ferendo.
Ihr Licht, mein Bester, ist ein schönes, stät brennendes und hell leuchtendes Licht, der Leuchter dazu ist von edlem Metall, und der Scheffel, worauf es steht, ein gesunder, braver Scheffel; das aliis inserviendo consumor, ist aller Lichter Bestallung und Beruf; wenn man’s dann aber fleißig putzt, als einmal nach Wernigerode, Franken am Rhein reist, so hält der Docht wieder vonneuem und giebt schöne Flämmlein. Wie freue ich mich auf den Herbst, um bei ihrem Licht mein Wachskerzchen wieder anzuzünden.
Meine gute Luise ist wahrhaft erfreut, daß Sie beide, Theuerste, ein Andenken von ihrer Hand (denn vom Herzen ists ohnehin eine ausgemachte Sache) annehmenwollen. Weil sie aber das Sticken schon seit zwei Jahren ganz auf die Seite gelegt, und den Unterricht imLandschafts=Zeichnen, worin sie, ohne Ruhm zu melden, schöne Fortschritte gemacht, angefangen hat, so fürchtet sie, daß es mit dem Sticken hinken möchte, und ist daher, da sich die Weiber in [S. 97:] allem zu helfen wissen, auf den Gedanken gekommen, Ihnen ein bereits fertiges Stück zu übersenden, welches mit nächstem Postwagen abgehenwird. Es ist der alte Jakob, wie er seines Sohnes Joseph Kinder segnet, und unser Wunsch dabei ist, daß Sie das Original aus dem neuen Testament dazu werden mögen.
Ja, mein Lieber, ich will gern Elliot *) seyn, wenn der Herr meinFels und meine Burg und mein Schuz bleiben will, und statt glühender Kugeln will ichmeinen unversöhnlichen Feinden gern feurige Kohlen aufs Haupt sammeln, sollten sie auch nur in aschwarmen Fabeln bestehen.
Unter freundschafts=treuem Gruß und Kuß an Eich beide, lieben Theuren, bekenne ich mich mit Herz und Hand als Ihren treu verbundenen
Moser.
Damit Mann und Frau mitein=
ander kommen, lege ich meine Fa=
beln zum Fegen Jakobs, welche
Morgen Mittag von hier abgehen.
*) Der damals vielbesprochene Vertheidiger von Gibraltar. D. H. [George Augustus Eliot, Lord Heathfield; geb. 25.12.1717, gest. 6.07.1790, seit 1775 Gouverneur von Gibraltar, leistete Spaniern und Franzosen bis zum Frieden von Versailles 1783 Widerstand; 1787 zum Lord Heathfield von Gibraltar ernannt.]“
JUNG: Sendschreiben Nr. 48, S. 97-98.
„Mannheim den 18. Sept. 1789.
Mein Lieber und Theurer.
Da kommt dann, weil Sie es so haben wollen, der 10. Band meines Archivs, der gegen Ihre ge= [S. 98:] sunde, nahrhafte und erquickende Schriften, ich meine die Kinder erster Ehe von Vater Stilling, just wie ungeschmelzte Wasser=Suppe aussiehet. Doch auch Eines Vaters Kinder gleichen sichnicht Alle; um der Liebe willen, womit Sie die Vorigen aufgenommen, nehmen Sie auch diesen Spätling auf. Er gehört doch zur Familie.
Wie oft habe ich diese Tage über an Sie, mein Theuerster, gedacht, da allgemeines Gerücht sagt: daß es auch in Hessen spuckt! Kein Wunder, denn ein Schwindelgeist scheint in alle Lande ausgegangen, mit und ohne Antecendia [.] Es giebt halt unter den Göttern der Erde und seyn sollenden Pflegern der Menschheit allerhand Väter, Stief= und rechte Väter, gute und wunderliche herren &. Und ich Eremit sage: Beatus ille, qui procul negotiis etc. Es ist dermalen ein schwerer Heldenberuf, zwischen Fürsten und Volk mitten inne zu stehen, wo jeder Recht haben will und der Fehler auf beiden Seiten ist.
Gott segne Ihnen Licht, Schuz, Schirm, Weisheit und sein Friede umschließe ihr Herz und Sinnen. Ich bin in treuer Liebe von Herzen der Ihrige
Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 49, S. 98-100.
„Ludwigsburg den 16. Dec. 1790.
Ja, mein Theuerster, nur zwei Worte, weil Sie es so wollen und weil ich in diesem Augenblick des Gewühls und Unruhe nicht mehrere kann. [S. 99:]
Im Geist war ich oft, ich möchte wohl sagen, unzähligemal um und bei Ihnen. Der Hingang ihrer Selma hat uns beide heftig erschüttert, meine Luise und Ich haben mit Ihnen und über Sie geweint und Ihnen und Ihren guten Kinderchen Trost und Hülfe erflehen kann. Ihr Pilgerliedchen: Es wankte ein Wanderer, alt und müde &. Ist indessen, in Geistesgemeinschaft mit Ihnen im Schmelz=Ofen geglühter und gekühlter, viel hudnertmal und unter tausend warmen Thränen gesungen, und bei den Worten: Verlier nur Muth und glauben nicht! Oft laut gen Himmel angeheult, geschrieen worden.
Nun Gott Lob! Ihre Leidensthränen sind in Freudenthränen verwandelt worden. Jene sind deßwegen nicht verloren. Die Perlen werden in der Tiefe des Meers erzeugt.
Auch ich bin errettet, in dem Augenblick errettet, da mir das Wasser an die Seele ging, da ich schon unterzusinken schien und mich gefaßt gemacht hatte, mich durch dieß Erdenleben vollends zu taglähnern und zu betteln. Gott lenkte das Herz des Fürsten, das weich und gut ist, aber verhezt und vermauert war; Er hörte nur noch die Stimme seines Herzens und Gewissens; da giengs. Es ist alles buchstäblich wahr, wies in den Zeitungen steht. So bald ich im Reinen und Trocknen war, vollzog ich menen schon seit etlichen Jahren gefaßten Vorsaz, in meinem Würtembergischen Vaterlande meine Augen zu schließen, kaufte hier ein geräumiges Haus und schönen Garten und zog den 3. dieses von Mannheim ab. Nun sizen wir in diesem Carlsruhe, um [S. 100:] nach langem Weinen, Dulden, Seufzen und Hoffen uns allsachte vollends in die selige Ewigkeit hinüber zu loben und zu danken; ferne von Glanz und Täuschung der rauhen und glatten Welt.
Gottes bester Segen über Sie, mein Trauter, über ihre Elise , Haus, Kinder und wichtigen Beruf: Lehrer eines künftigen Regenten zu seyn *) Gott gebe ihnen Exorcisten Kraft gegen alle schwarze und weiße Teufel, die einst seinen Hof= und Staats=Kalender werden ausfüllen helfen. Pax domini nobiscum! Mit Hand und Herzen der Ihrige.
K. v. Moser.
*) Der Herr Erbprinz zu Hessen=Kassel studirte auf der Universität Marburg, und Stilling hielt Ihm Privat=Vorlseungen über Staats= und Kameral=Wissenschaften. d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 50, S. 100-102:
„Gottorf den 10 Decbr. 1795.
Ich erhielt, mein lieber Hr. Hofrath, kurz vor meiner Abreise von Kopenhagen Ihr geehrtes Schreiben vom 31. Octbr. Ich erwarte mit desto mehrerer Sehnsucht den 4. Theil Ihres so interessanten Heimwehes und dessen Schlüssel, damit ich Ihnen desto passender und ausführlicher auf Ihre Fragen antworten kann. Mir kann keine größere Freude widerfahren, als wenn ich Freunde antreffe, die, von Liebe zum Herrn angefeuert, mit mir zu Ihm wandeln wollen, - schon behauene Steine finde, die [S. 101:] vom Baumeister gewählt und zu Eck= und Grundsteinen auserkohren worden.
Alchymie und Geister=Umgang, wovon Sie in Ihrem Briefe so vollkommen übereinstimmend mit meinen Meinungen und Erfahrungen reden, sind die gefährlichsten Wege, die ein Mensch einschlagen kann. Die Absicht, Gott dadurch zu dienen, seinen Nebenmenschen zu helfen, und durch die unterten Stufen der Natur= und Geister=Leiter bis zur höchsten Stufe - zum Schöpfer - zu gelangen, diese Absicht! - sage ich - mag noch so rein scheinen, ja wirklich seyn, so wird sie doch schwerlich, ohne eine ganz besondere Gnade Gottes, so rein bleiben können, da bald die Leidenschaft von Habsucht und Ungeduld in die Alchymie, von Stolz und Neugierde in die Geister=Seherei sich mischen werden. Die Versuchungen werden den Menschen leicht überwältigen, wenn nicht derjenige, der alle Versuchungen überwand, stets durch seinen Beistand und hauptsächlich durch Eingießung der wahren Liebe zu Ihm, der die Urquelle aller Liebe ist, disen Forschenden, von dem Abwege auf den wahren Weg selbst leitet und führt.
Blos und allein auf diesem Weg bin ich geleitet worden. Meine verschiedene und manchfaltige Lehrer waren nicht auf demselben. Ich bin aber nie von dem Gedanken abgewichen, daß es keinen andern wahren Weg zum Leben geben könne, als allein durch Denjenigen, der da sagt: Ich bin der Weg, die Wahrhheit und das Leben. Mein Entschluß blieb, mich stets fest am Herrn zu halten, und nichts, als Jesum Christum zu suchen. Wer [S. 102:] Ihn sucht, der findet Ihn. Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit; alles übrige wird euch zufallen. Aber wer kann etwas anders als Ihn wünschen, wenn man sich Ihm einmal aufrichtig hingegeben hat?
Mit wahrer Achtung Ihr wohlgeneigter
Carl Pr. Z. Hessen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 51, S. 102-103.
„Louisenlund den 25 Octbr. 1804.
Sie sind gewiß,mein lieber Hr. Hofrath, ein treuer und fleißiger Arbeiter im Weinberg des Herrn und auch ein gesegneter. Ihre Schriften thun viel Gutes unter den Frommen, und bessern manchen Fehlenden und Irrenden unter diesen, wo die Sünde weit wichtiger, wie unter andern Menschen anzusehen ist. - Stolz und Zuversicht, durch Frömmigkeit besser wie Andere zu seyn, verdirbt schon Alles, und worin besteht gewöhnlich die Frömmigkeit der Meisten? In der Hoffnung, einen Lehn=Stuhl im Himmel zu erreichen. Aber für Christum durch Kreuz und Leiden, durch Feuer und Wasser zu wandern - davon ist gar selten die Rede; es soll nur gleich, so wie man die Augen zumacht, zum Triumphiren gehen, und doch mußte der Herr selbst - nach den Glaubensartikeln - erst herunterfahren zu Hölle, freilich damals um sie zu besiegen. Seine Knechte und Nachfolger müssen dagegn wojl erst vors Gericht, und da rathe ich jedem, nur zur [S. 103:] Gnade Jesu zu appelliren, und alles Ihm zu übergeben. Wohl dann Dem, über wlechen keiner Wehe rufen wird, denn das würde er selbst bezahlen müssen, und von Rechtswegen. Was meinen Sie hievon, m. l. Hr. Hofrath?
Leben Sie recht wohl , und seyen Sie von meiner Freundschaft und Achtung stets versichert.
Carl Pr. z. Hessen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 52, S. 103-105.
„Gottdorff den 9. Decbr. 1804.
Den 5. Theil ihrer Lebensgeschichte habe ich mit wahrem Vergnügen, mein lieber Hr. Hofrath, gelesen. Ich habe Ihnen schon vor einigen Wochen hier erhalten, Ihnen aber wegen einer Unpäßlichkeit nochnichts davon schreiben können. Gewiß hat Sie der Herr besonders geführt und geholfen. Wer kennt das besser wie ich! Welchen Prüfungen aller Art bin ich nicht unterworfen gewesen! Welche Versuchungen durchgegangen! Wie hat mir nicht der Herr selbst immer geholfen, und mich aus allem wunderbarlich gerettet!
Mir schrieb neulich ein würdiger Freund der ihre Lehrjahre gelesen: man müßte gestehen, daß Sie ganz besonders von der Vorsehung geführt worden wären. Ich antwortete Ihm: Ein Jeder der genau auf sich selbst und seine Lebensweise acht habe, werde gewiß Winke und Beweise der Führung Gottes bemerken. Wer aber nicht darauf achte, oder Acht haben wolle, der würde dennoch wohl [S. 104:] nach göttlichem Willen geführt worden, aber nicht vom Herrn selbst. Wer an Ihn öfters denkt, oder auch nur Gott alles zuschreibt und Ihm gänzlich vertraut, der wird gewiß nicht von Ihm verlassen, sondern von Ihm selbst im Großen und im Kleinsten geführt. - Es giebt eine Kette von Wesen zwischen dem Menschen und Gott. Diese Kette, so vom Mittelpunkt aus auf alle Menschenin Millionen Strahlen (Radiis) bis an die Zirkellinie (peripherie - die Menschen) geht, führt - wenn ich so sagen darf, alles nach dem Willen Gottes aus und bekämpft das Böse. Wenn der Mensch sein Herz zu Gott im Gebet, oder uach nur mit einen Seufzer erhebt, so berührt er durch die ganze Kette hinauf den göttliche Geist, und dann kömmt der Herr zu Hülfe dem Rufenden.
Sie haben mir den größten Ruhm in ihrem 5. Theil gegeben, den mein Herz sich wünschen kann: ich sey ein wahrer Christ. Es ist der einzige Ruhm, den ich zwar nie öffentlich zu verdienen mir habe schmeicheln dürfen, nach welchem ich aber immer als das Höchste, was ein Mensch erhalten könne, getrachtet habe. Den Titel eines wahren Christen habe ich über allen weltlichen Ruhm uneendlich weit erhaben angesehen: aber leider nur durch Liebe, und vielleicht Treue, für Jesum nahe ichmich es zu seyn. Sonst fehlt wohl noch Vieles, nicht aber fester Glauben und vollkommenes Zutrauen in Seine unendliche Gnade, Güte, Liebe und Barmherzigkeit.
Geben Sie mir öfters, mein lieber Herr Hofrath Nachricht von Ihnen, und seyen Sie stets [S. 105:] von meiner wahren Achtung und vorzüglichen Freundschaft versichert.
Carl Prinz zu Hessen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 53, S. 105-107:
„München den 12. Jänner 1796.
Theurer verehrungswürdiger Mann.
Grenzenlos ist meine Verehrung gegen jeden, dessen Geist nach Orient wandelt. Ich las Ihr Buch ‘das Heimweh,’ und ähnliche Gesinnungen, ähnliche Gefühle, vielleicht auch ähnliche Erfahrungen, machten den Wunsch in mir rege, mit Ihnen näher bekannt zu werden. Wenn Ihnen ein kleines Bändchen von mir: ‘Kostis Reise von Morgen gegen Mittag’ [Kostis Reise gegen Mittag. Mit Kupfern. Donauwörth 1795.] nicht unbekannt ist, so werden Sie in selbigem so viel entdecken, als ich in ihrem Buche entdeckte - Harmonie gleicher Gesinnungen und Wege.
Seit meiner ersten Jugend an suchte ich Wahrheit auf reinen Wegen, und da ich sie unter wenigen Menschen fand, so leitete mich die Vorsehung zu besseren Lehrmeistern; ich wurde mit einer innern Schule bekannt, die wenige Menschen kennen, und die doch unserm Herzen so nahe ist. - Auf diesem Wege eines höheren Unterrichts wurde ich auf eine, Ihnen gewiß sehr interessante Entdeckung geführt, nemlich: daß über dem Vernunftvermögen im Menschen noch eine höhere Potenz liege, die ihre Formen, [S. 106:] Medien und Methoden hat. Diese Potenz ist im innersten Menschen, und die Medien, wodurch Sie erkennt, sind ewige unveränderliche Urformen, verbunden in harmonischer Analogie mit den Urideen der Gottheit.
Wie die Sinnenstoffe durch reperception zu Begriffstoffen der Vernunft werden, wodurch wir sinnlich erkennen; - so werden diese Urformen die Stoffe der höchsten Intelligenz, wodurch der Mensch hienieden schon geistige Dinge anschauen und begreifen kann, - zu welchen die blose Vernunft (Ratio) nicht hinlänglich ist; das Exemplar dieser Urideen existirt wesentlich - es ist göttlich, und durch selbes - werden einst alle Irrthümer der menschlichen Vernunft zernichtet werden. - -
Sollten Sie, theurer Mann! Das was ichIhnen hier schrieb - Ihrer Aufmerksamkeit würdig halten, - so will ich Ihnen einst mehr von dieser Sache schreiben. Der heilige Hyroglyphick oder heilige Zeichenkunde zieht aus ihr - ihren Ursprung.
Für eine bessere Welt die einst im Orient beginnen wird, müssen auch bessere Wissenschaften seyn. -
Unser Auge sieht alle Gegenstände des physischen Welt mittelst Zeit und Raum im Licht der Sonne. -
So sieht unser inneres Aug oder die höchste Potenz über der Vernunft mittelst Progression und Verhältniß im Licht der Gottheit die Gegenstände der geistigen Welt. -
Und dieses Licht ist was wesentliches. [S. 107.] Freilich sind diese große Wahrheiten nicht für Alle, können nicht für Alle seyn, -aber denen die sich der Einheitn ahen - werden sie einst durch einen Geist allgemein bekannt werden. Hievon etwas mehreres, wenn es Sie interessiren sollte.
Leben Sie wohl - der Herr stärke Sie in Ihren Arbeiten - und gebe Ihnen seinen heiligen Segen - Sie mein Freund bitte ich um Nachsicht und Liebe.
Ergebenster Diener und Verehrer.
Karl v. Eckartshausen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 54, S. 107-108:
„München den 1. August 1797.
Im Namen Jesu Christi unsers Königs, dem Regierer unserer Vernunft und unsers Willens sey Du gesegnet und gegrüßet innigst geliebter Bruder!
Dein Eifer für das Reich des Herrn, und Deine tiefe Einsicht, die sein Licht Dir gab, und Dein liebevolles wohlwollendes Herz, worin nur der Geist des Herrn webt, ziehen mich an Dich - um Deiner Einsicht und Deinem Urtheil meine besondere Führung vorzulegen.
Die Papiere, die ich Dir unter der Adresse, die Du mir gabst, durch den Postwagen übersende, bezeigen Dir mein Zutrauen [.] Urtheile aber ganz unbefangen darüber. Ich habe durch diesen Weg besondere und sehr hohe Aufschlüsse erhalten; - ich weiß, daß dem Herrn alles möglich ist, und seine Liebe gegen die Menschen ohne Grenzen; bei dem [S. 108:] allem untersuchte ich doch oft mit aller Strengigkeit, nicht aus Mißtrauen gegen den Herrn, - sondern aus Mißtrauen gegen mich selbst, weil die meisten Gegenstände bis in mein 45/9stes Jahr blos theoretisch und spreculativ waren.
Erstaunungswürdig war mir aber, als ich in diesem Jahr geheißen wurde, die Theorie in Praktik zu setzen, und durc Erfahrung und Erfahrung alles bestätigt fand. Täglich mache ich neue Entdeckungen und der Herr macht es mir im Innern zur Pflicht denjenigen es anzuvertrauen, die Ihn suchen - damit Sie im Guten bestärkt werden, und die kurze Zeit ausharren.
Nur der einfältigste Glaube, den ich von Jugend auf gegen den Herrn - In und auf Ihn hatte, muß mir diese besondere Leitung eröffner haben. Innigst war ich immer überzeugt, daß das Gute blos Seine, und das Böse blos meine Sache war. Ichliebte die Menschen und mein Herz hat sich nie an die Welt gehangen. - Ich hatte unzähliche Fehler und Mängel, bestrebte mich aber immer aufrichtig sie abzulegen, und überließ mich auch in Rücksicht meiner Reinigung ganz dem Herrn.
Ich mache Dir dieses Bekenntniß, mit der Aufrichtigkeit eines Bruders, der jede Zurechtführung, wann er irrig ist, jeden neuen Unterricht, jede Belehrung, mit Kindlichkeit aufnimmt.
Lebe wohl! Liebe mich Bruder! Erinnere Dich meiner in Deinem Gebet, - und theile mir Almosen des Geistes mit, dann mich dürstet und hungert nach Christus Reich - Er sey mit Uns -
v. Eckartshausen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 55, S. 109:
„München den 13. August 1797.
Lieber Bruder in Christo unserm Herrn und König!
Du wirst meinen Brief erhalten haben, auch das Paquet, das ich nach Frankfurt unter der gegebenen Adresse absendete; ich erwarte ruhig Deine Antwort. Der Geist des Herrn, der Dich auf allen Deinen Wegen wunderbar leitete, wird auch hier Deine Beurtheilung leiten wie mir nothwendig ist, damit ich in Demuth wandle - und das - was des Herrn Wille ist - im Gehorsam ausführe.
Meine Frau war dem Tode sehr nahe. Ich habe Kinder; bete Bruder, daß sie mir der Herr noch schenke! Er wird’s auf Deine Bitte thun. - Leb wohl - und seine Gnade sey mit Dir!
Dein ewig in Christo vereinter Bruder
Eckartshausen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 56, S. 109-111:
„München den 2. Septbr. 1797.
Geliebter im Kreuz des Herrn!
Die Gefährtin meines Lebens ist entschlafen. - Sie ist nicht mehr für mich da in ihrer sterblichen Hülle - Der Wille des Herrn sey angebetet - jede Thräne, die menschliches Gefühl aus meinen Augen drängt - Ihm geopfert! - [S. 110:]
Sie starb ruhig. Ihre letzte Worte an mich waren diese: Gott ist das einfachste Wesen! Wir begreifen ihn nicht, weil wir vielfältig sind, wenn wir gegen Ihnuns ganz entfalten, so drückt Er sich ganz in uns ab, wie er ist. - Er ruft mich. Leb wohl - ich werde ewig für Dich bitten!....
Sprechen wir nun von andern Dingen, denn ich fühle zu sehr, daß ich Mensch bin - und ich leide sehr - - -
Lieber - alle Deine Worte hab ich gelesen und alles was Du sagst ist so schön, so wahr - allen meinen Freunden hab ich Deine Bücher empfohlen.
Hast Du meinen letzten Brief erhalten? Hab ich mich genug - ich will sagen so ausgedrückt, - daß Du mich hast verstehen können? Ich weiß wohl Lieber! Daß das Reich Christi nicht so zu verwstehen ist - daß einer sagen kann: es ist hie oder dort. Es besteht auch nicht im Essen und Trinken, sindern in der Gerechtigkeitund Liebe; nicht in Worten, sondern in der Kraft des Worts, 1 Cor. 4, 10. Ich weiß auch, Theuerster, daß alles Wissen nie Zweck - sondern blos das Mittel zur Heiligung seyn soll; Heiligung, Christus vollkommener Besitz in unserm Herzen ist allein Zweck. Aber eben um diesen Zweck zu erreichen, hat Christus selbst Mittel bestimmt und das höchste Mittel, das vor der Ankunft des Herrn bekannt werden wird, - ist die Kenntniß des Baums des Lebens und seiner Licht=Speise &. [S. 111:]
Verstehst Du mich? Lebe wohl! Unter Christi Kreuz und Tod.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 57, S. 111-113:
„München den 23. Dezbr. 1797.
In Christo unserm Herrn geliebter Freund!
Dein Brief freute mich sehr - ich liebe Dich innigst, und unsers Herz und Gesinnungen harmoniren. Weil die Vorsehung uns verkettete, unsere Geister verband, so wollen wir verbunden bleiben und arbeiten nach einem Ziel.
Da der ganze Zweck der Religion bloß darin besteht, den Menschen in seine verlorne Würde wieder einzusetzen - damit er durch Christum alles wieder erlange, was er durch die Sünde verloren hat; da der alte und neue Bund durch bestimmte Perioden, durch die heiligsten Bündnisse (die Gott mit den Lichtfähigen jeder Zeit errichtet hat) uns diese Wiedervereinigung durch Christum zusichert; da wir die gewisseste Verheißungen haben, durch Seinen Geist, den Er der Herr, über die Seinen ausgießen wird, lebendige Tempel Gottes zu werden; so ist es unzweifelbar, das diese für die Menschheit so wichtige Periode des Reich=Gottes gewiß erscheinen wird, und zur Zeit erscheinen wird, - wenn alles das erfolgen wird - was der Erscheinung dieser Periode vorausgehen muß. [S. 112:]
Die wichtigsten Kennzeichen dieser Periode - sind in den heiligen Büchern bestimmt. - - - - - - - - - - - - - -
Lieber! - da es uns zur Pflicht wird, nirgends dem Herrn vorzugreifen, aber auch nicht zurückzublicken, sondern sanft der Leitung seiner Liebe zu folgen, und mit ihm Schritt vor Schritt zu wandeln, so wirst Du nach der Kenntniß der Umstände und Lage der Gemeinde des Herrn, die Die (wie ich sicher weiß) besser, als mir bekannt worden, so wirst Du, sage ich, im Licht des Herrn einsehen - ob die rechte Zeit ist.
Mir deucht, daß, so oft die Posaune schallt, der Ruf des Herrn soll kun dgemacht werden; aber ich erwarte auch Deine Meinung - denn unter 2 und 3 die in seinem Namen versammelt sind - ist Wahrheit - dann der Herr, die Wahrheit selbst, ist unter Ihnen - - -
Herrlichkeit, Friede und Erlösung rückt an für die, die dem Herrn getreu sind. Ich glaube mich also nicht zu betrügen, wenn ich ahnde, daß der Herr den Seinen, denen er bisher Weisheit und Liebe gab, auch die Macht ertheilen wird, Weisheit und Liebe auszuüben, und so wird Er das Reich seines Geistes zu gründen anfangen. Weisheit, Liebe und Macht wird die äussere Völker an ihn ziehen, dann sie werden in diesem Reich finden, was Ihnen kein anderes geben kann, der Arme wird auskommen, der Dürftige Unterstützung, der Leidende Erbarmen, der Unterdrückte Gerechtigkeit, und der Verfolgte Liebe finden. - -
Schreib mir auch etwas vom Reich des Herrn zur Ermunterung. Täglich werden der guten we= [S. 113:] niger, der Bösenmehr. Mir wurde neulich erklärt, was der Sinn des Textes ist.
Virga mea et baculus meus consolabuntur te.
Der Herr mit Dir!
v. Eckartshausen.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 58, S. 113-118:
„Verehrungswürdiger Herr Hofrath!
Es sind nicht Seiner Wohlgeboren der Herr Hofrath und der Herr Professor, an welche dieses Schreiben gerichtet ist, sondern der Verfasser des Heimweh ist es, der mir unter dem Namen Stilling längst bekannt ist, an den ich diee geringen Zeilen richte. Der Zweck des Briefs erfordert es nicht, daß ich meinen Namen unterschreibe, vielmehr erreiche ich denselben eher mit Verschweigung desselben. Es wurde mir von mehreren meiner Landsleute, die das Geheimnis der christlichen Lehre in reinem Gewissen bewahren, aufgetragen, daß ich in ihrem und in vieler anderer Namen dem Stilling ‘für dieses liebliche Zeugniß der Wahrhheit auch von Seiten Würtembergs danke, und auch etwas von dem Segen modeste berichte, den dieses Buch stiftet.’ Schon Ihr Lebenslauf erfüllte mich mit Liebe zu Ihnen, und erfrischte in mir die Pflanze des Glaubens an die spezielle Vorsehung Gottes. Aber das Heimweh hat die - sehr tief in mich gelegte Hoffnungsknospe von dieser und jener Seite entfaltet. Fast hätte ich vergessen, daß Sie mir auch durch [S. 114:] Theobald bekannt und lieb geworden sind. Ich weiß aber nicht, warum ich damals die seltsame Idee von Ihnen hatte, daß Sie in Sachen des Reichs Gottes mehr kalt philosophirten, wie Erasmus, zur Zeit der Reformation in Vergleichung mit Luther gethan hat. Mein Herz war, kurz zu sgen, nicht erwärmt, aber mit Achtung gegen Ihren Scharfsinn erfüllt. Zu der Beschreibung der Schärmerei hätte ich freilich viele Belege damals mittheilen können. Die Lage, darin ich mich befand, brachte es mit sich, daß mir viele solcher Seelengestalten vorkamen, und bei der geistlichen Lazarethpflege, für die ich die Erbauungsstunden (die ich zu halten berufshalber und aus Achtung vor dem schwachen Christus, wie sich Luther ausdrückt, mich verpflichtet achte) ansehe, war mir der Theobald eine erwünschte Handreichung, für mein eigen Herz aber und für mein ganzes Wahrheitsgefühl nichts so interessant im ganzen Buch, als das 5te Hauptstück im zweiten und letzten Band, besonders nach seinem Anfang. Aber mein Herz blieb doch gegen Sie kalt.
Nur noch eine einzige Digression vergönnen Sie mir! Wenn ich sie gemacht habe, will ich Ihnen erst die Ursache davon melden. Sie betrifft den sel. Dr. Bengel.
Im Jahr 1748 hielte der Herzog Carl ein einem ausnehmend festlichen Tag, den er begieng, offene Tafel. Ich war damals ein Knabe von sieben Jahren und wurde unter der Aufsicht meines Vaters neben andern Schülern, auchin den Saal gelassen, wo diese Tafel gehalten wurde. Die Pracht war unbeschreiblich. Ich gaffte als ein sinnliches Ge= [S. 115:] schöpfe alles um mich herum mit offenem Munde an, bis der sel. Probst und Konsistorialrath Bengel (der als Landstand auch zur Tafel gezogen ward) mir unter die Augen kam. Daß es Bengel war, wußte ich nicht, habe damals diesen Namen noch nicht nennen gehört, denn ichwar, wie gesagt, ein Knabe von 7 Jahren. Von dem Augenblick an, als dieser Mann mit und ich ihm wechselweise mit unsern Augen begegneten, verschwand vor meinen Augen alle Herrlichkeit, die ich ergaffte, wie ein Nebel, den die Sonne mit ihrer Kraft verscheucht. Nicht als ob mein Gewissen, wie durch den grauen Mann beunruhigt worden wäre, denn ich hatte von Kindheit an einen bewahrten Gang, sondern ich ward wie von ddem kräftigsten Magnet durch die Augen, die voll Licht und Leben waren, und durch die Stirne, auf der ich das Wort ‘Ewigkeit’ zu lesen meinte, in eine andere Sphäre hingezogen. Damals konnte ich freilich meine Empfindungen nicht erklären, aber von dem Augenblick an bat ich Gott mit kindischen Seufzern, er möchte mich in der Welt auch zu einem Manne machen, der so ein schwarzes Kleid und Kräglein trage, weil ich damals meinte, solche Männer allein dürften wohl zu Gott hintreten. Bloß dieser Anblick, dessen sich Gott damals als eine Vehikels der tröstlichsten Herablassung in meine Seele bediente, erregte eine große Veränderung in meinem ganzen Herzen. Ich betete, ohne eine Noth von Aussenoder Innen zu haben, die verborgene Majestät Gottes in meinem Geist an; Bengel wurde, wo ich ihn von ferne wandeln sahe, ein Trost meiner Augen. Ich lief, [S. 116:] wenn ich ihn auf der Straße wandeln sahe, auf denen nämlichen Steinen, die sein Fuß betrat, und diese Tritte waren mir, wie der Schatten Petri, der vielen zur Genesung half. Bis in das 18te Jahr aber wurde ich weder mit seinen Schriften noch mit seinen Anhängern bekannt, wie ich überhaupt bis auf diese Stunde keine andere Leitung als das Wort Gottes hatte, auch von keiner besondern Partie [sic] abhängig wurde. Vom 18ten Jahr an aber las ich die Reden Bengels über die Offenbarung und wurde von den Kräften der zuküftigen Welt, die in diesen Reden walten, mächtig angezogen. Was ich dem Lesen dieser Reden zu danken habe, beruht auf folgendem:
Vors erste glaubeich, daß die Offenbarung Johannes noch itzo das seye, was sie dem Apostel Johannes war, nemlich eine - uns in denGeist erhebende Kraft, durch die der Vorhang weggezogen - und alles in der unsichtbaren Welt, als geenwärtig und lebendig, gezeiget wird, was zur gesammten Offenbarung in der Herrlichkeit Jesu gehört, indem wir, statt des Wesens nicht blos den Buchstaben haben, sondenr diesen als Vehikel der nemlichen Gnade, die dem Apostel wiederfuhr.
Für’s andere glaube ich, daß keiner wesentlich mehr von der Offenbarung erfahre, als ihm für seinen besondern Prüfungsstand nöthig ist.
Ich glaube aber, daß man das Buch ganz zu lesen und zu behalten verbunden seye, aus dem Grund, der in den Worten des Sohnes Gottes stehet: [S. 117:]
‘solches sage ich, ehe es geschiehet, damit, wenn es einst geschehen wird, Ihr danran gedenket, daß ich es gesagt habe.’
Diese Mäßigung habe ich denen gesalbten Bengelischen Reden zu danken. So wie mir Bengel im 19ten Jahr meines Lebens zu meiner großen Hoffnung den Grund mit seinen Reden gelegt hat, so habe ich hingegen den Schriften des Arnd’s die Ermunterung zu danken, das Herz von der Creaturliebe reinigen zu lassen, damit die Knospe meiner großen Christenhoffnung unter sich wurzeln und über sich Früchte tragen könne.
Wenn Ihre Schrift vom Heimweh solchen Grund des Herzens antrifft, so hat sie den Nutzen, wie des Apollo Begießen auf Pauli Pflanzen.
Aber die Welt wird Ihre Schrift wenig fassen, denn es gefiel ,Gott durch thörichte Predigt selig zu machen, weil die Welt in ihrer Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkennen lernt.
Aber wieder auf Bengel zu kommen. Meine Gehülfin, die eine Enkelin des sel. Probstes ist (denn ich wählte mir eine Gattin aus seiner Familie aus obigem Grund) erzählt mir, aus dem Munde ihrer sel. Mutter oft, wie ungemein leutselig, langmüthig, verschonend und gelinde des sel. Bengels Sitten gewesen, und wie er allen Angefochtenen zum Troste geworden, wenn Niemand sie mehr trösten konnte.
Meine Frau, die ganz in Thränen schwamm, als ich ihr die Geschichte des sterbenden Pfarrers *)
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*) Im Heimwehe. Bd. 1. [S. 118:]
vorlas, sagte: es sey doch Schade, daß Stilling den Bengel nicht von Person gekannt habe, er würde ihn keinen Mann von so stregnen Sitten genannt haben, wie im Heimweh stehe, doch solle ich dazu setzen, wenn ich schreibe: wenn der theure Mann, der das Heimweh geschrieben, einmal in das Würtemberger Land reisen würde, und unter dem Schatten unserer Hütte ausruhte, so wollte sie Martha= und Maria=Dienste ihm dafür erzeigen und seine Kameele sollten auch Stroh und Futter haben.
Ich bin mit herzlicher ehrerbietiger Liebe Ihr durch die Urania mit Ihnen verbundene H. in B.
Den 7. März 1796.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 59, S. 118.
„Ludwigsburg den 18. Dec. 1797.
Ich alter invalide grüße Sie, rüstiger Kreuzknappe, an meinem heutigen 75sten Geburtstage, herzlich, brüderlich, innig. Meinen Respekt an denlieben grauen Mann, und wenn er entbehrliche Lappenn für mein lustig zusammenreißendes Reisekleid übrig hätte, so bäte ich ihn ganz demüthig darum. Gott seegne Ihre Waffen und Ihr Schwert und lasse sein Oel auf Ihren Essig träufeln.
Ihr alter (olim Pfälzischer) Freund.
Moser.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 61, S. 119-120.
„Kann man sich nicht alsdann am besten trösten, mein lieber Herr Hofrath, wenn man in einerlei Gemüthslage ist, und dieselben Trostgründe auf Beide wirken? *) Ja, die Ueberlassung in den Willen Gottes kann uns allein wahrhaft beruhigen und trösten. Ueber den Verlust, den Sie erlitten haben, kann Ich ihnen nichts sagen, was Sie sich nicht schon selbst, und zwar besser, als ich es thun könnte, gesagt haben; aber wahren Antheil kann ich nehmen, und das thue ich von Herzen.
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*) Diese WortedesmenschenfreundlichenFürsten beziehen sich auf deninSchweden im December 1801 erfolgten unglücklichen Tod desallgemein verehrten Erbprinzen Karl Ludwig von Baden, - und den sonst zu gleicher Zeit für Stilling schmerzhaften Verlust seiner geliebten Tochter.
Anm. d. H. [S. 120:]
Was Sie mir über meinen schweren Verlust gesagt haben, ist mir sehr tröstlich gewesen, und wird mir es immer seyn. Unser Trost liegt in der Religion unseres Heilandes, besonders in der Leitung der göttlichen Vorsehung, die alles zu unserer wahren Glückseligkeit führt, wofür wir nie genug danken, ihr uns nie genug überlassen können. Der Herr hat mich gesegnet, und hat mir auch Kreuz aufgelegt; Er wird es mir tragen helfen, und dereinst in Freunde verwandeln, - nach Seiner großen Barmherzigkeit und Güte, die uns Christus erworben hat. Nur bei Ihm kann ich Ruhe für meine Seele finden. Ach helfen Sie mir doch einen rechten starken Glauben erbeten! Ich muß oft Gott bitten, daß Er in mir Schwachen mächtig seyn wolle &. - Ich verbleibe mit wahrer Werthachtung Ihr Freund
Karl Friedrich, Markgraf z. Baaden.
Karlsruhe den 29. Jenner 1802.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 62, S. 120-123:
„Mannheim den 20. April 1803.
Enthielte Ihr Schreibennicht selbst den besten Trostgrund bei allen Widerwärtigkeiten dieses Lebens, so würde ich vielleicht gewagt haben Sie und mich zu trösten, da ich gar wohl überzeugt bin, daß auch mich ein Theil dessen angehe, wovon Sie schreiben, und gegen das Sie so herzlich eifern. Was ist aber zu thun, mein Ehrwürdiger! Anders übrig, als alles das dem Herrn, so wie viele andere Dinge, [S. 121:] anheim zu stellen? Er wird gewiß einst der Wahrheit und Gerechtigkeit Zeugniß geben, und manches Auge wird sich öffnen, das jetzt durch allerlei Kunstwerk zugekleistert wird. Ich möchte Jedem neuen Regenten das Sendschreiben Konstantins des Großen an dieProvinzen im Jahr Christi 324 vorlesen; er würde da mehr lernen, als Ihm alle seine Minister und Geheim=Räthe vorsagen können, und sie verzeihen, wenn ich Ihnen einen Auszug hievon abschreibe. Er schreibt:
Ich rufe dich, den höchsten Gott an, sey gnädig gegen deine Völker Orients, sey gnädig gegen deine Provinzialen, die den Druck eines langwierigen Krieges erfahren haben, und laß ihnen durch mich, deinen Diener, Heilung werden! Deßhalb hab ich Dir meine Seele geweihet, die mit Liebe und Ehrfurcht erfüllet ist; denn ich liebe deinen Namen aufrichtig, und fürchte Deine Macht, welche Du durch viele Beweise kund, und dadurch meinen Glauben stärker gemacht hast. Ich eile demnach, meine Schultern fest zu unterlegen, im dein Haus neu zu bauen, welches die Gottlosen durch ihre Verwüstung beschädigt haben. Ich wünsche, daß dein Volk Frieden haben, und ohne Zwiespalt leben möge. Ich wünsche, daß die Irrenden gleich den Gläubigen Ruhe und Frieden genießen möchten; keiner müsse dem andern bschwerlich fallen. Die Wohlgesinnten müssen überzeugt werden, daß nur allein die heilig leben werden, daß nur allein die heilig leben werden, welche Du berufst bei deinem heiligen Gesetze Ruhe zu [S. 122:] finden; diejenigen aber, welche sich selbst davon losreisen, mögen, weil sie es so wollen, die Tempel der Unwahrheit behalten. Wir bleiben bei dem glänzenden Haus deiner Wahrheit, in das Du uns schon längst aufgenommen hast. Dieß wünschenwir auch jenen, damit sie in der Uebereinstimmung mit uns Uebrigen Heil und Freude finden; denn unsere Religion ist nicht neu, sondern sie ist so alt als der Bau der Welt, so alt als das Gebot, deinen heiligen Namen zu verehren. Das menschliche Geschlecht aber von mancherlei Irrthum bin und her gestoßen, wich aus der Bahn; da hast Du uns, um dem überhandnehmenden Uebel zu wehren, durch Deinen Sohn reines Licht nagezündet, und Allen von Dir Unterricht ertheilt. Indessen wer sich nicht heilenlassen will, der lege die Schuld auf keinen andern, als sich selbst, denn die Heilkunde, die allen öffentlich vorgelegt ist, beut allen ihre Hülfsmittel dar. Nur daß keiner der guten Sache, die, wie sie es selbst bezeugt, unbefleckt ist, Schaden zufüge. So soll keiner mit dem, was er nach seiner Ueberzeugung angenommen hat, dem andern Nachtheil verursachen; was einer erkannt hat, damit mag er dem Andern, wann es angehen will, so mag er ihn gehen lassen, denn ein anderes ist, den Kampf der Unsterblichkeit willig übernehmen, ein anders mit Strafen dazu zwingen. [S. 123:]
Sie verzeihen, mein Lieber! Wenn ich Sie mit diesem Auszug belästige, aber sie werden wenigstens daraus sehen, daß unser aufgeklärtes Jahrhundert wohl noch manches aus den düstern Zeiten lernen möchte, was es aus Ueberfluß der sogenannten Aufklärung vergessen zu haben scheint. Wer so, wie Konstantin, auf einen Hauptpunkt hinsehen kann, der braucht des Beistandes der Menschen und der Einflüsterungen so vieler Rathgeber nicht mehr, der hat sein eigenes Augenglas und bedarf fremder Brillennicht. Das ist sicher daas Unglück der meisten Großen, daß sie nicht durch eigene Augen sehen, auch oft nicht sehen wollen.
Ich freue mich auf die Stunde einer herzlichen Unterredung, die sie mir ankündigen. Der Gott der Güte, der uns allenthalben leitet, bleibebei Ihnen und den Ihrigen, worunter sich auch zählt Ihr treuer Diener
Lamezan.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 63, S. 123-125; 125-127:
„W.... den 31. Juli 1803.
(dictirend)
So sonderbar es scheinen mag, liebster Freund und Bruder, so glaube ich doch von Ihnennicht mißverstanden zu werden, wenn ich Ihnen geradezu sage: unser lieber Herr fordert mich auf, Ihnen 100 Reichsthaler zu übermachen. Ob es für Sie selbst, oder auf eine andere Weise, die Er Ihnen schon näher bestimmen wird, anzuwenden ist? - [S. 124:] weiß ich nicht, ahabe aber schon so unzähligemale erfahren, wie mein kindliches Gebet: mein lieber Herr möge mir mit einer Art von Bstätigung in den Sinn kommen lassen, wann, wo und wie ich mit meiner anvertrauten Haabe Ihm zu Gebot stehen soll, - gnädig erhört worden ist, daß ich gewiß glaube eine Vernachlässigung dieser Art von Ueberzeugung würde mir zur Sünde der Unterlassung angerechnet werden.
Meine liebe Schreiberin befiehlt mir nachdrücklich, Ihrer freundschaftlichen Theilnahme etwas von meinem Befinden zu sagen. Dieses ist eigentlich immer dasselbe, manchmal sehr beängstigt, dann wieder erträglich, und ist letzthin einige Tage so leidlich gewesen, daß ich während dem Aufenthalte von U. in T. einen Nachmittagsbesuch auf meinem kleinen Wägelchen daselbst abstatten konnte und recht tapfer war, die Folgen davon aber wie gewöhnlich wieder einige Tage mit vermehrter Engigkeit und wiederholten Ohnmachten büßen mußte. Dennoch kann ich nicht klagen; es geht mir ja immer noch viel tausendmal besser als ich es verdiene, und wird auch manchmal, in sehr beängstigenden Stunden, Muth und Glaube schwach, so bewahrt mich doch die treue, obgleich alsdann unsichtbare und unfühlbare Jesushand vor dem gänzlichen Versinken.
Aber, liebster Freund, mit der Ueberwinder=Zahl, unter die Sie mich setzen, kann ich noch nicht fort, denn meine Ungeduld und Heftigkeit überwindet mich noch gar zu oft, besonders im starken Angstgedränge, obgleich mein Heiland auch in [S. 125:[ diesem Punct oft den Sieg über meine Schwachheit davon trägt, und gewiß dies immer geschehen würde, wenn Er mich nicht manchmal, zu einer heilsamen Demüthigung, mir selber überließe, und dann geht’s freilich darnach. So innig übrigens mein Sehnen und Verlangen dahin geht, daß Er immer mehr, ganz und ungetört, Seinen seeligen Zweck an mir ausführen möge, si wird mir doch das entfernteste Plätzchen in Seinem Reich, vielleicht eine A B C Schülerclasse, schon unverdiente Gnade seyn. Ja, ich muß noch dazu sagen, daß mir Ihre Hypothese vom Hades, s#die so vielen guten Seelen unbeschreiblich ängstlich scheint, von Anfang an ein sehr tröstlicher Gedanke gewesen, da sie mir just in einem außerordentlich schweren Kampfe, wo mir die dereinstige Möglichkeit meines Seeligwerdens schon ein Trost ohne Gleichen war, zuerst bekannt wurde.
Hier folgt mit innigem Vergnügen mein versprochenes Scherflein zur Verbreitung guter Schriften, für dieses Jahr. Gern gäbe ich mehr, wenn ichs vermöchte, hoffe aber, daß der liebe Heiland auch dieses geringe Scherflein seegnen werde.
Es folgt noch ein herzlicher Gruß von meiner lieben Schreiberin, und ein Gleicher von mir an Sie und Ihre liebe Frau. Ihre in Jesu innig verbundene Freundin und Schwester
Henriette Gräfin von H.... *
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*) In diesen Briefen der Frau Gräfin v. H. offenbart sich das stille, innere Leben eines Christen auf dem Siechbette. Ihren Werth wird derjenige mei= [S. 126:] ner christlichen Leser am richtigsten schätzen, der unter gleichem Gefühl von Körper Leiden und Verlassenheit nach Erlösung seufzet.
Die Frau Gräfin v. H. war den 31. August 1772 geboren. Ihre Eltern ließen sich das Heil ihres Kindes von seiner ersten Entwicklung an sehr angelegen seyn; besonders gedenkt die Gräfin in einer von ihr nachgelassenen Skizze ihres Lebens sehr dankbar ihres Vaters, der sie in den kkindlichen Unterredungen mit ihr stets auf den Erlöser hinwies.
Dieser in das zarte Herz des Kindes gelegte Keim wuchs herrlich heran, als der Gräfin Eltern im Jahr 1779 in Verbindung mit der Brüdergemeine kamen, und sie eine Schwester aus dieser Gemeine, deren seegensreicher Einfluß stets in dem Herzen der Gräfin bewahrt blieb, zur Leitung und Aufsicht erhielt.
Im Jahr 1785 trat sie als wirkliches Mitglied in die Brüdergemeine mit der Losung ein: ‘fürchte dich nicht, denn ichhabe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.’ Nicht lange nach diesem Schritt fing sie an zu kränkeln. Nach einer im April 1796 überstandenen schweren Krankheit wurde sie nie wieder gesund. Wiederholte schlagartige Zufälle hinterließen immer stärkere Lähmungen, von Jahr zu Jahr zunehmende Beängstigungen, die sie nie-wachendoferschlafend- verließen, und oft den Gemüthszustand in eine verzweifelnde Stim= [S. 127:] mung brachten. Während dieser langjährigen Krankheit standen der Gräfin ihre vortrefflichen Nichten, von denen sich hie und da ein Brief eingeschoben findet, hülfreich zur Seite. Die Frau Gräfin v. W. [Gräfin von Werthern geb. v. Globig, Gräfin von Beichlingen; gest. 21.08.1829, begr. Ichtershausen; siehe 2.04.1804..] kommt als Freundin der Gräfin von H. vor.
Der christliche Leser wird sich aus diesen Briefen die ernsten Betrachtungen eines zarten Gewissens, die dankbaren Empfindungen eines demüthigen Herzens zueignen; er wird die vomKrankenlager sich ergießende Milde und Liebe einer gottergebenen Dulderin bewundern, und sichan dem Strahl des kindlichen Glaubens erwärmen, der aus der innersten Tiefe der Seele die Nacht ihres Daseyns erhellte.
d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 64, S. 126-29.
„W. dem 2. April 1804.
Theuerster Freund!
Seit dem Empfang Ihres letzten werthen Schreibens, welches meiner geliebten Tante dahier zum [S. 127:] wahren Trost und Ermunterung gereichte, schob sie dessen Beantwortung immer von einer Zeit zur andern auf; theils wegen Kenntniß Ihrer überhäuften Geschäfte, theils aus eignem, schweren Krankheits=Gefühl. Jetzt hätte sie gern wenigstens etwas dictirt, gern Ihnen selbst ihren Dank für Ihrenlieben Brief gesagt, und zu gleicher Zeit, Sie mit den ganz eignen Leiden und Prüfungen diees Winters bekannt gemacht; sie fühlt sich aber nach Gemüth und Hütte für diesmal zu schwach dazu, und trägt mir daher auf, es in ihrem Namen zu thun.
Ihre körperlichen Leiden, nehmen leider mehr zu als ab, und wurden diesen Winter durch viele äußere, ihr Gemüth unbeschreiblich angreifende Umstände, als Krankheiten und seelige Vollendungen ihrer nächsten Freundinnen, noch vermehrt.
So beweint sie jetzt wieder den Verlust einer vertrauten Herzensfreundin, welche durch treue [S. 128:] Vorsorge und zärtliche Pflege - oft ihr manche Erleichterung verschafft, und wirklich unentbehrlich schien; doch aber bleibt ihr auch bei diesem sinst so schmerzlichen Fall, so viel Stoff des Dankes übrig, daß dies wieder aufs neue ihr Herz beschämt zu den Füßen unsers Herrn niederlegt. Sie überzeugte isch von neuem: daß Ihm nichts unmöglich ist; denn bei der ersten Bekanntschaft mit oberwähnter Freundin, mußte sie bekümmert denken: diese Seele wird wohl der Heiland nie ganz bekommen! - Aber eben diese ward ein Wunder der Gnade, ein lautredender Beweis Seine Barmherzigkeit; sie konnte mit Wahrheit sagen: Du bist mir zu stark gewesen, und hast gewonnen. Und als einmal das Herz, welches ehedem durch leidenschaftliche Freundschaften ihre Existenz zu einem wahren Marterleben machte, Sein ganzes Eigenthum ward durch Gnade, führte er sie auf den Weg des Friedens recht sichtbar weiter, und vollendete sie so schön, so sanft, so herrlich, daß auch meine geliebte Tante, bei allem tiefen Schmerzgefühl über den erlittenen Verlust, doch nichts übrig blieb, als Dank und Lob Dem zu bringen, der ihre Freundin so schön zubereitet, so lieblich heimberufen hat. - Scheint es gleich bei solchen Fällen oft, als wolle der Heiland meine immer leidende Tante, gar zu tief in den Ofen des Elends führen, als wäre manchmal die Last zu schwer die er auflegt, so ist es doch Seine mächtige Hand,, die auf den dunkeln, dornigten Pfad führt, und nie verläßt. Zum Preis unsers Herrn macht auch davon meine theure Tante immer wie= [S. 129:] der neue Erfahrungen, macht sie oft in Stunden, wo aller Muth, aller Glaube fehlen will, und fühlt sich dann wieder aufs neue ermuntert, zur Fortsetzung ihrer mühseligen Pilgrimschaft durch dieses Thränenthal.
Dieser Brief sollte eben auf die Post gesendet werden, als wir die frohe Botschaft vernahmen, daß Sie, theuerster Freund, auf dem Weg hierher sich befänden. Die Hoffnung Ihnen bald alles mündlich sagen zu können, scheint nun zwar diese Zeilen überflüßig zu machen; da ich aber nach D.... reise, wo ich vielleicht nicht so glücklich seyn werde Sie zu sehen, so wünsche ich doch daß sie in Ihre Hände kommen. Ihre Freundin
Wilhelmine, Gräfin v. H.
Von Seiner Liebe, diesem Elemente der Ewigkeit, am Kreuz geboren, im Kreuze wachsend, und durchs Kreuz bewährt, - mein ganzes Herz erfüllt und überfließend zu haben, das ist der eigentliche Innbegriff alles meines Sehnens und Verlangens.
Henriette v. H.
Ich freue mich herzlich, daß es von Ihnen noch immer heißt: ‘Er begehrt Mein, so will ich ihm aushelfen; er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen.’ Ja, Gott ist getreu, Hallelujah!
Gräfin v. W.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 65, S. 130-131.
„T... den 14. Juli 1814.
Bei allem äussern Druck des Körpers, der wohl manchmal auch auf den Geist wirkt, und trübe Stundenmacht, ist meine Tante doch meistes vergnügt im Herrn, weil sie als Seine Kranke gläubend, hoffend, betend Seiner fernern Wunderhülfe traut, und bei der Zuversicht: daß Er alles wohl machen wird, bei der unbedingten kindlichen Ergebung in seinen Willen sich immer am besten befindet. Das 18. Lied im 3. Buch von Tersteegens Blumengärtlein, und besonders dessen beide letzten Verse, drücken jetzt, wenigstens oft, ihre Herzensstimmung aus, und diese zeigt sie Ihnen zum Nachlesen an. *). [sic]
Uebrigens scheint der Heiland meine geliebte Tante ganz besonders zu dem gewiß segensvollen, obgleich ihr Herz oft schmerzlich angreifenden Geschäft bestimmt zu haben. Bekümmerte und Traurige
-
*) ‘Ich geb mich völlig Dir,
Und meine Seel verlier -
Sich - Gott! In Deinen Willen,
Dein Anblick kann mich stillen:
Verlasse nicht mich Armen,
Ich fordre nur Erbarmen.’
‘Doch einst liegt mir an,
Das ich nicht bergen kann:
Im Leiden und Betrüben,
Möchte ich doch gern Dich lieben;
Laß Leib und Seel verzehren,
Wenn ich nur Dich mag ehren.’ D. H. [S. 131:]
aller Art, mit Liebe anzufassen und mit dem Trost zu trösten, womit sie selbst bei so manchen schweren Erfahrungen ihres Lebens getröstet worden.
Wilhelmine, Gräfin v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 66, S. 131-132:
„W... den 2. Sept. 1804.
So hart auch die jetzige Leidensperiode war, so meint doch die liebe Kranke, sie müsse es dem Heiland zum Ruhm und Preis nachsagen, daß, wenn es ihm gleich gefallen habe, sie ohngefähr seit einem Monat, ganz im dunkeln Glauben zu leiten, ohne das geringste Innewerden seiner besondern Tröstungen, ohne fühlbare göttliche Unterstützung, Er doch seine Hand immer so über sie gehalten habe, daß sie jetzt wohl einsehe, sie wäre, nur durch sein Aufsehen bewahrt, dennoch bei allem Druck von außen und innen, so von Augenblick zu Augenblick durchgekommen, mit der, ihr auch in den heißestens Leidensstunden, tief fühlbaren Ueberzeugung: daß des Herrn Weg, wenn er auch rauh und dunkel scheint, doch der beste und seligste ist. Oft - sagt sie - hätte ihr wohl jetzt ein Uebermaaß von Leiden, wenn zu der peinlichen Angst, die empfindlichsten Schmerzen sich gesellten, den Seufzer ausgepreßt: ‘Laß ab von mir, ich kann nicht mehr!’ dann aber sey sie oft, durch eine darauf folgende erträgliche Stunde, der Erhörung ihres Gebets versichert und aufs neue im Glauben gestärkt worden. Lieblicher aber noch, als jene Erfahrungen der ob= [S. 132:] gleich unabläßig über ihr waltenden, ihr nur nicht fühlbaren Gnade des Herrn, sey ihrem nach neuen Tröstungen lechzenden Herzen, in diesen Tage ein ganz besonders freundlicher Gnadenanblick ihres Erbarmers bei einem Abendmahl gewesen, mit welchem sie ein neues Lebensjahr angetreten habe, nachdem ihr Geburtstag, Tages vorher am 31. August, ein ganz genußloser, höchst schwerer Tag nach Seel und Körper, für sie gewesen sey.
Wilhelmine, Gräfin v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 67, S. 132-135.
„W... den 3. Sept. 1804.
Eben als ich diesen Brief geschlossen, trete ich bei Tantchen ein, finde sie leidlich und so verlangend, Ihnen auch noch durch meine Hand etwas zu sagen, daß ich geschwind noch einmal Feder und Tinte herzuholen und schreibe:
‘Ohngeachtet des schon langen, und uns beiden immer noch nicht genügenden Schreibens, muß ich doch noch ein Wörtchen selbst mit Euch theuern Ewigkeitsfreunden sprechen. Meine Angst ist seit gestern um ein großes erleichtert, obgleich mit ohnmächtiger Schwäche vertauscht. Jedoch die Liebe gibt Kraft, und der Drang meines Herzens fordert mich auf, Euch selbst zu bezeugen: daß ich dem wunderbaren Gott, über dessen sonderbare Führung meines Ganges Sie schon dieses Frühjahr so liebliche Betrachtungen anstellten, immer noch nachrühmen muß: Er hat alles wohl gemacht! Und ist - und war [S. 133:] auch jetzt - sein Goldschmidt’s Feuer noch so glühend, und seine Seife noch so beißend, so diente es abermals doch nur zur Vernichtung des eigenen Lebens, des elenden Ichs, nebst allem seinem unseligen Gefolge; und meine Seele - so wenig sie sich in dergleichen Situationen oft selbst davon überzeugen kann - wird doch immer mehr und vollkommener mit meinem Heiland vereinigt, wenn so alles immer mehr hinfällt, was neben der freien Gnade im Blute Jesu, ihr von eigenem Gut zur Stütze noch übrig ist. O selige Leiden! So ungeschickt ich mich auch oft noch dazu anstelle. Eben diese Ungeschicklichkeit dient aber dennoch zu einer gesegneten Demüthigung, und auch dies ist Gewinn. - Ohne eigentliche Ahnungen eines baldigen Heimrufs zu haben, ist mein Geist seit einigen Monaten in allen möglichen freien Augenblicken in einer ganz besondern Gemeinschaft mit der obern Gemeinde - und ich kann nicht läugnen, daß mir bei den ungewöhnlichen Zusätzen zu meinen körperlichen Leiden, oft der frohe Gedanke überaus lebhaft einfällt: vielleicht ist die glücklichste aller Stunden nicht mehr so gar entfernt für mich! Und es ist sonderbar, daß - außer einem augenblicklichen Sehnsuchtsseufzer nach Erlösung in den heißesten Angststunden - eigentlich nicht die Erlösung aus dem Jammerleben (wie sonst gewöhnlich, ehe ich noch in dem Grab litt) mir den Wunsch, oder vielmehr die selige Meditation, rege macht: wie wärs, wenn es bald einmal dem Bräutigam gefiele, dich unerwartet zu sich heim zu nehmen? Sondern das Verlangen nach Ihm. O dieser Gedanke, mit der un= [S. 134:] aussprechlich süßen, obgleich tief beugenden Ueberzeugung: ‘aus Gnaden selig werden,’ läßt mich oft schon im Vorschmack Blicke thun, die unaussprechlich sind. - Wir werden bei dem Herrn seyn allezeit! - Wir werden Ihn sehen, wie er ist! - Wir werden Den, der schon hier das ganze Verlangen und Sehnen unsers Herzens erfüllte, - ohne Sünde loben können - und für seinen Tod, Blut, Wunden und Auferstehung, anbeten, und in einer Sprache preisen dürfen, welche dergleichen Empfindungen gegenüber ausdrücken wird, als alles Stammeln in unsrer gegenwärtigen.
wie ganz fühle ich, daß alsdann das geringste Plätzchen in jenen seligen Gefilden noch übergroße und völlig unverdiente Gnade für mich seyn wird! Indessen sollte es auch noch lange währen und das seit meinem dritten Jahr schon unverrückt mich so deutlich begleitende Heimweh nach jenem Vaterland, noch Jahre lang nicht gestillt werden, so weiß ich dennoch gewiß, mein Heiland wird die rechte Stunde dazu nicht versäumen, und jeder Augenblick der Wartezeit hienieden ist, in seiner Art, mir auch unschätzbar.
Sollte ich Sie beide, theure und mir ewig unvergeßliche Freunde! In diesem Leben nicht mehr sehen, so wird dieß, glaube ich, auf unsere Herzens= und Geistesgemeinschaft, keinen andern Einfluß haben, als daß wir uns noch näher kommen werden; denn ist sie nicht von Anfang auf die Ewigkeit gegründet? Mir wenigstens scheint die Gemeinschaft mit wahren Herzensfreunden, die schon vollendet sind, weit inniger, ja selbst genußreicher zu [S. 134:] seyn, als irgend eine noch so liebliche Verbindung auf Erden. Indeß wir mögen nun hier oder droben uns wieder sehe, so wird’s gewiß mit Freuden und im Herren geschehen.
Henriette, Gräfin v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 68, S. 135-136:
„W. den 16. Jan. 1805.
Theurer ewig geliebter Bruder!
Endlich einmal findet sich eine leidliche Stunde, um Dir für dein unzähligemal schon im Geist beantwortetes, mir so innig wohlthuendes Schreiben vom 28. Dezbr. auch schriftlich zu danken. Ich erhielt dasselbe just in einer über alle maßen ängstlichen Stunde, und war so wenig Freude empfänglich, daß ich es lange ungeöffnet neben mir liegen ließ, indem mein Zustand während der ersten Tage dieses neuen Jahres so schwarz melancholisch war, daß auch kein Sternlein Trostes mir möglich war. Ja wohl hat Du recht, daß, obgleich ein solcher Zustand in der leidenden physischen Natur gegründet ist, doch der Versucher eine solche Gelegenheit nicht vorbeigehen läßt, um feurige Pfeile auf das geängstete Herz zu schießen. Kann ich nur in solchen Stunden sein Machwerk deutlich erkennen, dann ist mir schon wie geholfen; aber offt fängt er es so listig an, daß ein so gepreßter Kopf, Herz und Verstand, ihn als die eigentliche Ursache der Plage gar [S. 136:] nicht ahndet. Aber Gottlob auch dann waltet eine unsichtbare Hand dennoch über der scheinbar verlassenen Seele und bewahrt vor jedem wahren Schaden; ja sie macht, daß in dem Nichts, in dem scheinbaren Erliegen, dennoch etwas unaussprechlich seliges ausgeboren wird. Freilich hält mich mein lieber Heiland, aus gewiß sehr seligen Absichten, des Genusses Seiner Liebe und des süßen Gefühls Seiner Nähe jetzt im ganzen ziemlich knapp, dennoch habe ich mich nicht zu beschweren; mein Stückchen trocken Brod fehlt mir ja nie zur Seelennahrung, und Gottlob daß ich weiß, und auch jetzt wieder mit völliger Ergebenheit damit zufrieden seyn kann: daß es just so wie es mein himmlischer Führer mit mir macht, gut und selig für mich ist, und daß mein tiefster Herzenswille es auch nicht besser haben will &.
Henriette, v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 69, S. 136-138:
„W.. den 8. Sept. 1805.
Kanns nicht lassen, die zärtlichste Liebe überwindet einmal alle Schwäche, Schmerz und Krankheitsgefühl, theuer innig geliebte, ewige Freunde! Meine Seele fühlt sich doch gar zu nahe mit Euch verbunden. Es ist mir als wäre der Engel des heiligen Kreuzes bei Euch, sie [sic] wie bei mir, ziemlich häuslich eingekehrt; doch macht mich dieses weder Euret= noch meinetwegen muthlos; es wird nur auf desto mehr Erfahrung der treuen Durchhülfe des Herrn [S. 137:] abgesehen seyn, und fast möchte man dergleichen Erfahrungen mißgönnen, weil sie doch immer sie selige Folgen bringen. Tausend Dank für dein letztes, liebes Schreiben, theurer Bruder! Es that mir innig wohl, wieder einmal etwas von Deiner geliebten Hand zu erblicken. Der Heiland habe doch ewig Dank für unsere Bekanntschaft und innige Liebesverbindung in ihm; sie wird fest bleiben bis vor seinem Thron. - Mir wird es seit einiger Zeit immer gewisser, daß mein Lauf hienieden nicht mehr lang dauern wird. Nicht nur die erstaunliche Abnahme meiner Kräfte, und Zunahme aller übrigen Schmerzen und Beschwerden, besonders von Engigkeit und Schwindel, sondern hauptsächlich das innere Gefühl meiner Seele ruft mir immer vernehmlicher zu: Amen! Es wird geschehen, bald wirst du Jesum sehen! wobei ich aber kein ungeduldiges Treiben fühle, sondern nur von Herzen wünsche, mir die noch übrige Wartezeit recht zu Nutze machen zu können. Ach, mein ganzes zurückgelegtes Leben, ist ein Commentar über die Worte: Er hat sich meiner Seele herzlich angenommen, daß sie nicht verdürbe, denn Er handelt nicht nach meinen Sünden, und vergilt mir nicht nach meiner Missethat. Ich habe alles schlecht, Er hat alles wohl gemacht!
Er mag uns immer verborgen bleiben, wir wissen doch gewiß, daß Er alles herrlich hinausführen wird, der ewig Geliebte! Was wird das seyn, wenn wir bei ihm vereint, ewig alles im Klaren erblicken werden! Ich hätte noch viel zu sagen, aber ich kann nicht mehr.
Henriette, Gräfin v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 70, S. 138-141.
„Den 12. Februar 1806.
Mit Freude und Dank erfuhr ich bei unsrer geliebten Henriette, daß unser theurer Bruder Jung so freundlich meiner gedacht, und so theilnehmend über meine Wiedergenesung geschrieben hatte. Aufrichtig erwiedert mein Herz diese Theilnahme, und auch mein armes Gebet flehet für unsre lieben Geschwister Jung um Stärkung, Hülfe, Segen und Bewahrung. Da es für Bruder Jung interessant seyn könnte, noch mehr von dem berühmten und doch so oft verkannten Saint=Martin zu erfahren, so will ich noch einiges von ihm hersetzen. *) Ao. 1785 war ich mit der letztverstorbene Herzogin von Würtemberg und ihrem Sohn, dem Prinzen Eugen, zugleich in Paris. Letzterer, der damals aufrichtig dem Heiland gehörte, machte mich mit Saint Mar=
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*) Louis Claude von Saint=Martin geboren zu Amboise 1743, gab im J. 1775 die Schrift: des Erreurs et de la vérite [sic] heraus, übersetzte Jakob Böhms Schriften, und schrieb ferner: Tableau Naturel des rapports qui existentre Dieu, l’homme et l’univers. 1782. Considérations polit. Philos. Et religieuses sur la révolt: franc. Paris 1795. - Oeuvres posthumes de St. Martin. Tours 1807. Er starb zu Paris im J. 1803. A. d. H. [S. 139:]
tin bekannt. Ich fand in ihm einen Mann von etlichen 30 Jahren, ein freundlich, offenes, angenehmes Gesicht, blühend gesund, munter, thätig, aber sanft und bescheiden. In seinen Jünglingsjahren hatte ihn sein Vater, ein alter strenger Landedelmann, zum Militär geben wollen; der junge Mensch aber war durch einen Zufall mit einem alten Mann bekannt worden - den er mir weiter nicht nannte, - welcher ihn in vielen Dingen unterrichtet, ihm, da er starb, wichtige Schriften hinterließ, und die Ursache zu seiner gründlichen Erwekung [sic] wurde. Er glaubte sich von da an bestimmt dem Heiland Seelen zuzuführen, schlug den Militärdienst aus, und brachte dadurch seinen Vater so heftig gegen sich auf, daß er sich ganz von ihm lossagte. So zog er lange, von einem Ort zum andern und schrieb seine Bücher des Erreurs et de la vérite, und Dieu, l’homme et la nature, welche er mich bat nie zu lesen, weil sie nur für solche geschrieben seyen, die auf einem besondern Wege von der Wahrheit abgekommen, also auch auf einem mystisch und wenig bekannten Wege wieder zur Wahrheit gebracht werden müßten. Er lebte von wenigem Gelde, - denn er glaubte sich reich, sagte er, wenn er einen Louisdor in der Tasche habe. Er bat den Heiland herzlich, ihm doch seinen Vater zu schenken. Dieser wurde tödtlich krank. Saint Martin eilte zu ihm, pflegte und tröstete ihn, predigt ihm das Evangelium und er stirbt als ein versöhnter Sünder dankbar in seinen Armen. Oft baten ihn seine Freunde bei ihnen zu leben: Er schlug immer ab, um seinem Beruf nachzugehen. In der Revolution gab er [S. 140:] endlich doch der Herzogin von Bourbon nach und nahm ein Zimmer in ihrem Hotel an. Nachher übersetzte er Jacob Böhms Schriften. Die Herzogin schrieb mir aus Spanien: sie sey in steter Korrespondenz mit ihm, er wäre dem Heiland stets treu. Vor 2 Jahren schrieb sie mir, er sey gestorben.
Saint Martin war lauter Liebe, Toleranz und Freundlichkeit. Accumulons les prières, sagte er oft, on ne sauroit assèz priér. Er war (wenigstens äußerlich) ganz katholisch. Die Mutter des Heilands, glaubte er, sey so innig dort mit ihm verbunden, daß, wer zu ihr bete, zugleich ihren Sohn anbete. Vom Schutzengel redete er viel; dieser war ihm sehr wichtig. Uebrigens schien es nicht, als ob ihm etwas daran gelegen sey, daß ich nicht im Schooße der katholischen Kirche war. Er ermahnte mich nur den Heiland zu lieben, ihm treu zu seyn, und zu beten - auch für ihn, sagte er. - Er hatte viel Verstand, war, wenn er mußte in der Welt seyn, ein artiger und völlig gebildeter Gesellschafter, aber immer sanft, ernsthaft, und mehr stille, als redend. Vom Umgang mit Geistern hielt er nichts; was will ich von ihnen lernen, sagte er, was die Schrift mir nicht schon gesagt hat? Und Geheimnisse, die ich nicht wissen soll, mag ich nicht wissen. Doch schien es mir, als ob er die Möglichkeit und Wirklichkeit eines solchen Umgangs gelten ließe. Ueber Politik, große Herren, künftige Schicksale der Kirche, habe wenigstens ich, ihn nie ein Wort reden hören. Ich vermuthe, daß er wegen seine genauen Ver= [S. 141:] bindung mit der Herzogin sich wie sie, in nichts mischte, und nie viel darüber sprach, was in Frankreich geschah.
Gräfin v. W.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 71, S. 141-142.
„W... den 23ten Mai 1806.
- - - - Es scheint die Lähmung des Rückgrades noch immer zuzunehmen, indem ich mich jetzt auf dem Tragbettchen, worauf Ihr Lieben mich doch noch Stunden lang sitzend gefunden, keinen Augenblick mehr ohne fest gehalten zu werden, erhalten kann, und gleich auf der linken Seite das Uebergewicht nehme. Die alte Hütte ist baufällig, auf allen Ecken, doch e ist noch immer sehr erträglich, und könnte noch viel schlimmer seyn. Dabei vergnügt mich die Besorgung meiner kleinen Bauernwirthschaft, welche ich eigentlich zu wohlfeilerer und bequemerer Bestreitung meiner Haushaltung, und besonders zum Unterricht meiner Nichten, welche Aufsicht und detaillirte Rechnung darüber führen müssen, habe, und beschäftigt manche böse Angststunde &.
Mir geht es mit dem lieben Kreuz ganz sonderbar.. Je mehr ich die seligen Folgen und Wirkungen davon erfahre, je köstlicher wird es mir; ja mein Geist kann sich oft recht freuen, wenn von allen Seiten Kummer um andre, Kummer übe eigne Angelegenheiten, körperliche Schmerzen und Angst, und wohl noch dazu innere Verlassung und [S. 142:] Entziehung alles Trostes, Hütte und Gemüth so ganz darnieder schlagen, daß kein Fünklein Licht in diese Finsterniß bringen kann; da sehe ich manchmal ordentlich mit Vergnügen zu, wie der alte Mensch so von außen und innen gekränkt, gedehmütigt und gequält wird, und gebe meine völlige Zustimmung dazu: Ja, Vater! Denn es ist also wohlgefällig vor dir! - dann kommt aber auch wieder, um mir zu zeigen, daß das vorige nur Gnadengeschenk war, eine solche Kleinmüthigkeit und Kreuzesflucht über mich, daß ich nicht das geringste Leiden ertragen kann, und der Ungeduld kein Ende ist. Dies ist ein unaussprechlich demüthigendes - aber wohl heilsames - Gefühl. Das ganze Wort Gottes, und besonders das neue Testament ist doch voll von Beweisen und Belehrungen, wie nützlich nicht nur, sondern auch selbst nothwendig das liebe Kreuz zum Selig werden ist &.
Henriette v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 72, S. 142-145.
„Den 10ten März 1807.
- - - - Es wird oft in der Gemeine öffentlich und privatim sehr ernstlich gegen die Verläumdungen und lieblosen Urtheile gesprochen, und mit vielem Schmerz gezeigt, wie unanständig dies für Kinder Gottes - Glieder am Leibe Jesu Christi, - ist, aber noch nie habe ich dabei die Bemerkung gehört: daß, wenn nun etwas dergleichen vorkommt, und: daß Missverständnisse unter Kindern Gottes in [S. 143:] diesem unvollkommenen Leben unvermeidlich sind, finden wir ja schon in der Apostelgeschichte: der beleidigte Theil alsdann eine köstliche Gelegenheit habe, in der Demuth und Liebe Fortschritte zu machen; - daß man sich ja in einer solchen Lage, wenn man ganz unschuldig leidet, in der möglichsten Aehnlichkeit mit unserm Heiland befinde, von dem gesagt wurde, daß er ein Freßer und Weinsäufer, - der Zöllner und Sünder Geselle, - mit dem Obersten der Teufel im Bündniß sey. Aber - wie oft wird das vorkommen, daß man sich vor den Augen des Heilands ganz rein fühlt? Hat man nicht diese Nachrede verdient, so verdient man deren hundert andere, und welche Bitte erhört der Heiland wohl lieber und geschwinder, als die, wenn man bei einer der Natur recht weh thuenden Beschuldigung sogleich, ohne erst die Einwendungen von Fleisch und Blut zu hören, desto angelegentlicher um vermehrte Liebe zu demjenigen bitte, der uns - unter 10mal doch gewiß 9mal ohne es über zu meinen - beleidigt hat? Wenn man erst das hierunter verborgene Manna einmal gekostet, so ist es wahrlich keine so schwere Sache, dergleichen Kränkungen des alten Menschen mit dem größten Geiz zu benutzen. - Würde der beleidigte Theil angewiesen, nach der heiligen Schrift falsche und lieblose Beschuldigungen mit Freude und vermehrter Liebe zu tragen, so würde - meine ich - das Vergnügen am Lieblosurtheilen, entweder von selbst wegfallen, oder doch aus diesem Gift der lieblichste Honig gezogen werden können. Eine Quelle jenes Uebels sind die vielen Zusammenkünfte müßiger [S. 144:] Gesellschaften, wo unmöglich lauter nützliche Gespräche geführt werden können, weil es ein ordentlicher Zeitvertreib für manche ist, ihr Leben mit Besuchen zu verbringen, und weil sie, nach dem für Kinder Gottes so unschicklichen Ausdruck - nicht nöthig haben sich zu beschäftigen. Besonders ist das bei unserm Geschlecht der Fall. Schon in der Erziehung liegt der Fehler, daß nicht genug auf häusliche Thätigkeiten und zweckmäßige Ausbildung des Geistes gesehen wird; hauptsächlich aber, daß der Jugend nicht als eigentlicher Zweck des Lebens für Kinder Gottes vorgestellt wird: Andern nützlich zu seyn. Ich besinne mich, daß in früheren Jahren ein alter, blinder, aber sehr frommer Schulmeister auf einem Gut meines Vaters einen sehr tiefen, respectablen Eindruck auf mich machte. Er ertheilte mit großem Seegen immer noch den Unterricht im Christenthum, hielt auch mit vieler Salbung Examina, und spielte die Orgel, und dies, ohngeachtet der großen Schmerzen, welche er dabei empfand, immer mit der größten Herzlichkeit und Freundlichkeit, wobei er sich von einem kleinen Knaben leiten ließ. Täglich besuchte er meinen seligen Vater auf ein Stündchen, wo sich beide gegenseitig ihr Herz ausschütteten. Er kam in der Dämmerung allein bis ins Schloß, da ich dann das mir sehr wichtige Aemtchen hatte, den lieben, alten Mann bis in Vaters Stube, und hernach auch wieder die Treppe hinunter zu führen. Von diesem lieben Mann nun war es mit sehr eindrücklich, daß, da er eine sehr böse Frau hatte welche ihm nicht die geringste Erquickung zu= [S. 145:] kommen ließ, selbst aber aufs beste lebte, bei seiner Blindheit unmögliche Dienste von ihm begehrte, und ihn ordentlich mißhandelte, wenn er dieselben nicht zu ihrer Zufriedenheit leisten konnte, kurz ihn auf alle Weise, auch durch böse Nacherben quälte, daß er dennoch immer auf gleiche Weise freundlich, herzlich und liebreich gegen sie blieb, alles bei uns bestens zu entschuldigen suchte, ja wohl gar noch das größte Mitleiden mit der armen kranken Frau - wie er sagte - hatte, die wegen seiner Blindheit oft ungeschickt von ihm bedient werde, und welcher der Friede Gottes im Herzen noch fehle, daher er sie nur bedauern, aber ihr nichts übel nehmen könne. - Endlich siegte diese seltene Liebem dieses beinahe 50 Jahre getragene Kreuz, sie starb mit tiefer Erkenntniß ihrer schlechten Aufführung, als eine reuige Sünderin, und ihr respectabler Mann folgte ihr sehr bald an einem Schaden, den er sich bei ihrer Pflege geholt hatte, nach.
Henriette von H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 73, S. 145-148.
„Den 14ten Merz 1807.
Die Demuth, theurer Bruder, nennst du wohl mit Recht die Bürgertugend des Reiches Gottes. - Weil durch Gottes Macht ein Kameel durch ein Nadelöhr gehen kann, so darf ichs meinem lieben Herrn kindlich zutrauen, daß Er dieselbe auch bei mir noch wird zu Stande bringen, sonst schiene [S. 146:] mir dies unmöglich; aber - o was hat Seine Barmherzigkeit schon an mir gethan! Besonders wird mir dieser Winter ewig unvergeßlich bleiben. Du weißt, lieber Bruder, wie oft ich über Lieblosigkeit geklagt habe; freilich ists noch immer damit lange nicht so, wie es seyn sollte, aber dennoch kann ich mit Wahrheit sagen: Die Liebe Gottes ward ausgegossen in mein Herz durch den heiligen Geist, und hat dasselbe mächtig von Gottes und Menschenliebe entzündet, mein ganzes Ich, und besonders meinen ganzen Willen so hingenommen, daß ich wirklich sagen kann: ich habe nur einen lebhaften Wunsch, und der ist, die immer wesentlichere Vereinigung mit Jesu, wie ein Rebe am Weinstock; und eine einzige Frucht, und die ist, vor der Sünde. Doch, wenn ich armes, gebrechliches Kind auch von der Sünde übereilt werde, macht mich das nicht schüchtern, sondern ich bringe nur desto mehr in Ihn ein. Dies ist freilich ein großer Schatz in einem irdenen, höchst zerbrechlichen Gefäße, aber ich bitte den Herrn ihn mir zu bewahren, - das ist Seine Sache. In der ganzen weiten Welt ist nichts mehr was mich freuen, oder auch nur amusiren könnte; zwar besorge ich meine Geschäfte so viel es unumgänglich nöthig ist, aber weder kleine Wirtschaft noch sonst etwas bedarf ich mehr zum Amusement,; es scheint auch der liebe Heiland will es nicht, da er bei allen solchen Dingen mir nur immer die Last der Pflicht gelassen, das annehmliche aber auf alle Weise verbittert hat. Ihm sey ewig Lob auch dafür! Wenn Er uns alles nimmt, so will Er [S. 147:] uns auch selbst alles seyn, und dies ist ein seliger Tausch! Schon lange war wohl mein Wille dem Herrn ganz aufgeopfert; aber diese Freiheit von allem Wünschen, Begehren, und Fürchten, diese himmlische Seelenruhe - selbst bei Abwechselungen von Dürre, Dunkelheit, und Anfechtungen mancher Art - davon hatte ich noch keinen Begriff. Auch wenn ich daran denke, daß meine Lage noch so 10 bis 20 Jahre dauern kan, so bin ichs ganz zufrieden, und begehre nicht mehr Heimzugehen als in der Hütte zu bleiben; wenn ich nur mit Ihm immer näher vereinigt werde, es sey im Himmel oder auf Erden, so ist mir jenes ganz einerlei. Ich bat mir zum Eintritt in dieses Jahr besonders die zwei Stücke aus: mehr Kraft zum besondern Gebet, und mehr Trieb sein theures Wort zu lesen, denn beides wenn ichs thun wollte, kostete mich geraume Zeit lang einen recht heftigen Kampf. Der Herr hat mich aber in beiden Stücken gnädig erhört, ob ich Ihm gleich meistentheils ausser dem Vaterunser wenig oder gar nichts sagen kann; sobald ich mich aber in seine göttliche Gegenwart stelle, so merke ich, daß ohne Worte etwas wichtiges in mir vorgeht, manchmal bei großer Dunkelheit und Dürre, so ich aber durch seine Gnade jedesmal nicht anders begehre als es gerade ist; ich folge hierin dem geheimen Zug im Herzen ohne darüber zu spekuliren; kann ich wörtlich beten, so thue ichs auch einfältig, gewöhnlich brauche ich aber selbst zur Fürbitte die Hülfe vom Vaterunser. Dabei nimmt mich mein lieber Herr und sein guter [S. 148:] Geist sehr genau, und wenn ich sonst an keine Wunder glauben könnte, so erführe ich schon darin an mir selber ein unbeschreiblich großes, daß ich bei dem Gesicht, welches ich täglich lebhafter von meinen unzähligen Fehlern und Sünden in den vergangenen Tagen, Wochen, Monaten und vollends Jahren meines Lebens, bekommen, nicht nur nicht in Verzweiflung gerathe, sondern nur desto fester auf sein Verdienst und Gnade mich verlassen kann. Je unglaublicher es mir scheint, desto gewisser wird mir seine Barmherzigkeit darin, und je genauer mich der Heiland nimmt - was mir am merkwürdigsten ist, - desto weniger finde ich bei andern einigen Anstoß, sondern kann vielmehr alles entschuldigen und zurechtlegen, hingegen bei mir bleibt mirs unbegreiflich, wie nach allem was der Heiland an mir thut, ich Ihm noch immer nicht mehr zur Freude bin, ich möchte mich immer vor Ihm vernichtigen und von Schaam und Beugung vergehn zu seinen Füßen. Aber muthlos werden über mein Elend, das schiene mir die größte Sünde die ich begehen könnte, nach allem dem was ich von des Heilands Kraft erfahren habe. Ich kann mich nicht so ausdrücken wie ich gern wollte, und überhaupt gibts in der menschlichen Sprache für dergleichen Erfahrungen keine zureichenden Worte; so viel mußte ich dir aber doch, du theurer Freund, der mich immer so vollkommen verstanden, vertraulich eröffnen Hilf mir beten, daß Christus immer mehr eine Gestalt in mir gewinne, so daß von mir und meinem Ich, endlich durch seine Liebe noch alles verzehrt werde.
Henriette v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 74, S. 149-150:
„W.. den 11. Okt. 1807.
Heute vor acht Tagen, theurer Vater, erhielt ich deinen herzlichen und wohlthuenden Brief vom 22. Sept. Nun höre: die Woche vorher war meine Schwermuth, und mancherlei Bekümmernisse die mich von allen Seiten in die Enge trieben, aufs höchste gestiegen; endlich Sonnabend Vormittag, da ich in einer besonders großen Verlegenheit gar keinen Rath mehr wußte, konnte ich doch wenigstens mächtig zum Herrn um Hilfe schreien, hatte auch die gewisse Zuversicht, daß Er mich dießmal erhören und mir noch vor Abend Hülfe senden würde, ja ich sagte Ihm gerade zu: mein Glaube habe diese Stärkung nöthig, und wie dringend mein Bedürfniß sey, sehe er ja selbst. Indessen, dieser Tag verging - freilich trat auch die gewiß erwartete, dringende Noth noch nicht ein, da ich sie aber dennoch jeden Augenblick erwarten müßte, so brachte mich das Ausbleiben der Erhörung meines zu zuversichtlichen Gebets, in einer solchen Gemüthslage und unter solchen Umständen, fast zur Verzweiflung, und es waren Stunden, die ich nicht beschreiben kann. In der nacht darauf vermehrten sich meine Schmerzen die bis Mittag anhielten. Da fiel mir freilich ein: Also das ist die Glaubensstärkung um die ich gestern so zuversichtlich bat? Doch konnte ich diesen Tag mehr stille seyn in meiner Seele. Gegen Mittag gab sich die Heftigkeit der Zufälle und Schmerzen, und nach einigem Schlummer war ich nur noch sehr matt, so daß Mina die mich be= [S. 150:] suchte, mir, weil ich nicht viel sprechen konnte, aus dem Heimwehe vorlesen wollte, als dein lieber Brief in meine Hände gebracht wurde, welchen sie mit zweimal nach einander vorlesen mußte. O, wie mußte ich mich schämen! War das nicht die größte Glaubensstärke die mir der Herr hätte geben können, da sein ganzer Inhalt zu unserer jetzigen Kreuzesperiode so vollkommen paßte, und mir insbesondere so vorzüglich wichtig und merkwürdig war. Nun gings an ein Abbitten, an ein Versprechen nicht wieder ungläubig und mißtrauisch zu seyn; und wirklich half auch der Herr seit dem fast jeden Tag aus einer Verlegenheit nach der andern, so daß unser aller Glaubensmuth aufs neue hoffen darf: der Herr werde auch fernerhin die Versuchung so ein Ende gewinnen lassen, daß wirs ertragen können, Mittwochs wurde nicht uur [recte: nur] jener großen Verlegenheit, von der ich eben sprach, abgeholfen, sondern ich erfuhr auch zu meiner nicht geringen Beschämung, daß der Herr mein dringendes und zuversichtliches Gebet schon am Sonnabend, also an demselben Tag erhört hatte, nur daß ich die erhaltene Hülfe erst jetzt erfuhr. O, wie anbetungswürdig sind solche Beweise der aller speciellesten Aufsicht unsers lieben Herrn auf diejenigen, die sich Ihm einmal ganz mit allem was sie sind und haben, hingegeben! Ja, lieber Bruder, zu disem Hingeben, wovon Du so erfahrungsmäßig in Deinem lieben Briefe sprichst, wollen wir uns alle recht feierlich mit einander verbinden; es unaufhörlich, täglich, stündlich und momentlich und immer wieder thun, dann folgt ja das wichtige In - Ihm - Bleiben von selbst daraus. [S. 151:]
Vorgestern hatte ich einen überaus merkwürdigen Besuch von der Baroneß Krüdner [Krüdener], Verfasserin der Valérie, welche aber seitdem von Herzen, auf eine sehr merkwürdige Weise, erwekt worden, und nun so recht im Brand der ersten Liebe steht. Sie fühlt einen unwiederstehlichen Trieb dem Herrn auf alle Weise zu dienen. Ihr ganzes Wesen hat bei einer ungemeinen Lebhaftigkeit, heißen Liebe gegen Gott und die Menschen, im Anfang etwas Auffallendes, so einem schwärmerisch und überstiegen vorkommen möchte; ich dächte aber doch, daß alsdann nicht eine so große Furcht vor Selbstbetrug, eine solche Willenlosheit, ein solcher Durst in groß und kleinen Dingen nur den göttlichen Willen zu erfüllen, sich bei ihr zeigen würde. Ich glaube, sie kann ein auserwähltes Rüstzeug in Gottes Hand werden, und ist es zum Theil gewiß schon.
Hohe Offenbarung, Wunderglaube, frappirt sie, sie läßt sich aber bald zur Einfalt herabstimmen, und fürchtet sich sehr vor der Schwärmerei. Dabei ist sie eine äußerst kluge und talentvolle Frau, die, wo es geht, sich gern ganz und ohne Rückhalt hingibt.
Henriette v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 75, S. 151-153.
„W.. den 23, Dec. 1807.
Wir haben Frau von Krüdener mit ihrer gleichgesinnten sanften Tochter bis in die 3te Woche hier [S. 152:] bei uns gehabt, indem eine Aufforderung, einer armen russischen Dame beizustehen - welche über den plötzlichen Tod ihres Gemahls, der im Gasthaus zu Bauzen an einem Blutsturz starb, in Verzweiflung gerathen, und fast nicht vom Selbstmord abzubringen war, - unsere liebende Freundin gleich willig fand, sich dieser ihr persönlich unbekannten Landsmännin liebevoll anzunehmen. Gott segnete dies so sichtbar, daß die arme 17jährige Wittwe schon am dritten Tag völlig ruhig wurde, und nur immer bat, mit ihr zu beten.
Bei dieser Gelegenheit hatten wir die schönste Veranlassung, Frau von Krüdener in ihrem Wirken zu beobachten. Dieß geschieht mit wahrer Salbung, im starren Blick auf den Herrn, mit dem einigen Gedanken erfüllt nur seinen Willen zu thun, ohne Rücksicht auf ihre schwachen physischen Kräfte, mit Vergessen Essens, Trinkens und Schlafens, in einer Demuth, welche für die Sache nie als ihr Werk, sondern immer als des Herrn Werk ansehen läßt, mit einem wahren apostolischen Geiste, wobei ihr eine besondere Gabe die Geister zu prüfen und den rechten Zeitpunkt zu treffen, gegeben zu seyn scheint. Sie bat auch hier, Gott gebe! bleibend, gesegnete Eindrücke hinterlassen.
Der innere Schmuck ihrer dem Herrn so ganz hingegebenen, liebenden Seele läßt über ihr Aeußeres wegsehen. Ihr ungemeiner Verstand, Talente und seltene Menschen= und Weltenkenntniß macht sie, glaube ich, um so tüchtiger in der gegenwärtigen argen Zeit auf eine Klasse von Menschen gesegnet zu wirken, [S. 153:] in welcher nicht leicht jemand anders mehr etwas thun kann.
Henriette v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 76, S. 153-154.
„T... den 8. Mai 1808.
Unsere liebe, interessante junge Wittwe, Gräfin Oe.... betrauert noch tief den verlorenen Gemahl, der ihr Abgott war; fühlt es aber daß Er’s war, und daß der Herr selbst diesen Platz in ihrem Herzen begehrt, auch allein das Recht darauf hat. Sie will Ihm nun gern ihren Willen hingeben, ganz ohne Rückhalt; aber es geht ihr wie uns Allen, die, gleich nachdem wir das Opfer auf den Altar gelegt, die Hände wieder darnach ausstrecken und der verzehrenden Flamme gern wehren möchten. Ihre Seele ist aber gewiß so werth geachtet vor dem Herrn, und er führt sie so sichtbar auf dem Kreuzeswege, daß es Ihm auch noch mit Ihr gelingen wird. Ein kindlicher, fast ununterbrochener Umgang mit dem Heiland im Gebet ist ihr Trost, und darin war Frau von Krüdner [Krüdener] ihr besonders zum Segen. Auch sagt sie jetzt leicht bei jeder vorkommenden Gelegenheit die ihr Sorge macht: ‘Ich will dem Beispiel meiner rettenden Freundin folgen, und auch um Alles kindlich beten, wie sie.’
Seit drei Tagen ist Gräfin Oe .... hier in T.... in unserer Mitte, heiterer als ich sie noch [S. 154:] je gesehen habe. Der Herr segne unser Beisammenseyn.
Wilhelmine, Gräfin v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 77, S. 154 f.:
„W.. den 25. Dec. 1808.
Theurer Vater!
Das Loos ist ihr gefallen aufs lieblichste; ihr - unserer theuern Dulderin - ist ein schönes, ein herrliches Erbtheil worden! Danket mit uns, ihr Geliebten, für ihre herrliche Vollendung! Am 23. des Morgens um 9 Uhr entfloh ihr Geist, uns fast unbemerkt, seiner Hülle. Eine halbe Stunde voher sagte sie dreimal vernehmlich: Einsegnen, - welches dann durch unsere fromme Freundin O. geschah. Als diese ihr die Hand auf die Stirne legte, blickte sie dieselbe mit himmlisch frohem Lächeln an, war stille, und entschl e f [sic; entschlief] wenige Minuten darauf ganz sanft.
Aber wie war uns? Ganz hingerissen waren wir von dem mächtigen Gefühl der nahen Gegenwart Gottes! Wir konnten nur danken, nur feyern! Stundenweise sitzen wir bei der geliebten Leiche, und freuen uns ihrer Seligkeit! An unsern Verlust - ach da haben wir noch wenig denken können; das wird erst noch kommen, denn was war sie uns nicht alles! - Ihre Leiden in den letzten 14 Tagen, wo wir (Friederike und ich) immer bei ihr waren, waren unbeschreiblich groß, und die [S. 155:] Verängstigungen erreichten den höchsten Grad; wir schrieen oft alle um Hülfe zum Herrn, allein er ließ uns lange vergeblich flehen. Endlich kam sie, die Stunde der Hülfe, des Sieges, nach einem so harten Kampf, gelobt sey sein Name! Ach daß wir nie diese Erfahrungen vergessen möchten! - -
Henriette z. L.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 78, S. 155-157.
„D.... Jenner 1809.
Ich erwähne noch der letzten Lebensmomente unserer geliebten Verklärten. Jedes Zeichen einer nahen Auflösung bemerkte die liebe Kranke mit Freuden, und in den heftigsten Beängstigungen verließ sie die musterhafte Geduld, welche sie immer auszeichnete, nie. Immer besorgt um Andere, liebend und dankbar für jede Pflege, kämpfte der Engel unter Körper= und Seelenleiden dem endlichen Erlösungstag entgegen. Manchmal schien bei der langen Geduldsschule derselbe gar zu lange auszubleiben und der Heiland ferne von ihr zu seyn; aber er ließ sich denn doch immer wieder fühlen, und so solang sie noch einmal in den letzten Tagen, nach einem unbeschreiblich schweren und angstvollen Tag, als es wieder lichter in ihrer Seele ward, mit freudiger und lauter Stimme: ‘Bitte nur so viel, setze dem Danken kein Ziel, er wird das Helfen vermehren!’ und als sie darauf sich auch körperlich etwas gestärkt fühlte, stimmte sie lieblich und freundlich den Vers an: Ich zieh mich auf den Sabbath an, so [S. 156:] eilig als ich immer kann! &. - In der Nacht vom 22. Zum 23. Dec. Fühlte sie selbst daß nun sie letzte Stunde sich nahe. Gegen Morgen sagte sie noch sehr vernehmlich: einsegnen, singen; und als darauf ihre zärtliche Freundin O. gekommen war, um sie nach Sitte der Brüdergemeine zum Uebergang in Jesu Arme und Schoos einzusegnen, Henriette, Friederike und einige andere aber unter einem himmlischen Gefühl der Gegenwart Gottes sangen, und die theure Kranke sie noch alle freundlich angesehen hatte, verschied sie mit seligem, gen Himmel gerichtetem Blick. - Gottlob! Nun hatte sie überwunden! -
Meine Eltern, Schwester Auguste, und ich, eilten nach Empfang dieser Nachricht nach W. Sechs Tage lang thaten wir unsern Herzen in der Nähe der lieben Leiche, die so recht ausruhete, wohl. Es umgab sie ein Gottesfriede der über allen Ausdruck geht. Alle Abende sangen wir bei sanfter Musik in ihrem Zimmer, und tönten oft: Glück zu! Glück zu! Zu deiner Ruh &. Dann säeten wir am 27. Dec. Vormittags, das köstliche Saamenkorn in den Aker [sic; Acker] Gottes, mit Empfindungen die ihr Lieben uns wohl nachfühlen werdet, und über die ich schweige. Bis über den Jahreswechsel blieben wir in W., arbeiteten an Erfüllung des letzten Willens unsrer Verklärten, und kehrten dann hierher zurück. Henriette, Friederike und ich fühlen nun täglich mehr unsern wahren Verlust, und betrauern eine zweite Mutter, die uns alles war. Die beiden Ersten kommen sich in W.. in dem verödeten Hause ganz verwaiset vor und ich theile [S. 157:] hier, wie ich die Möglichkeit, mir wie ehemals schriftlich Rath und Trost bei ihr zu holen, vermisse, ganz dieß Gefühl. Unser Hauptgebet geht dahin: daß der Heiland uns Stille im innern Seelengrunde erhalte, und der Liebesgeist unserer Vollendeten, den ihre immer mehr nur Liebe werdende Seele uns so oft anprieß, uns je länger je mehr unter einander und mit dem Herrn verbinden möge. Bete dieß auch mit uns und für uns! O wie wird die Verklärte jetzt unsrer vor Jesu Thron gedenken! - Sie versprach es uns so oft, so gewiß; und wir glauben schon häufig die wohlthuende Wirkung davon zu spüren. Es ist mir ein ganz besonders liebliches Gefühl, denken zu können, daß die treu Liebende nun alles im Licht erkennt, was ihr bei dem schweren Glaubenslauf hienieden noch dunkel war; und daß sie in dem Element der Erfüllung des Willens Gottes, auch wohl im Vortragen der Anliegen ihrer hinterlassenen Lieben zu den Füßen des Erbarmers, ihre Seligkeit genießt.
Wilhelmine, Gräfin v. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 79, S. 157-158.
„W.. den 14. August 1809.
Hier sitze ich, theurer Vater, in unser verklärten Tante Stube, ohnweit der Leidensecke, aus der uns sonst mit lieblichem Blick von den Lippen der besten Mutter Ermahnung, Trost und Rath zufloß, und in welcher jetzt blos eine Lilie als Bild der Vol= [S. 158:] lendeten hängt, da wir gar kein Portrait von ihr besitzen. Jedes schmerzliche, bange Gefühl erneuert sich, wenn man so nach einiger Zeit wieder an die geliebten Orte kommt, und es ist sehr schwer das Organ zu vermißen, welches uns Alle gewissermaßen belebte und durch das innigste Liebesband vereinigte. Doch dieses ist auch durch den Tod nicht getrennt; nein! Es gehört zu dem was wir in des Herrn Hand stets unverlezt finden werden, denn es gründet sich darauf, daß wir Alle als Glieder seines Leibes in Ihm vereinigt bleiben &.
Friederike.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 80, S. 158-162.
„Hagers=Town den 17. Sept. 1804.
Theuerster Herr Professor!
Ohne Zweifel muß es Sie befremden, hier einen Brief aus dem fernen Nordamerika von einem Unbekannten zu erhalten, der Sie mit Recht den Freund seines Herzens nennt. Allein ich folge darin ganz der aufrichtigen Liebe, welche meine Seele zu Ihnen trägt, wegen des großen Nutzens, den Ihre theure Schriften an meinem Herzen und bei vielen andern in diesem Welttheil und in meinen Gemeinden gestiftet haben. Wäre mir das Glück vergönnt, Sie persönlich kennen zu lernen, ohne das Weltmeer passiren zu müssen, so würde mich ein Weg von einigen hundert Meilen nicht aufhalten. Indessen bin ich auch mit der Verordnung meines [S. 159:] ewigen Erbarmers zufrieden, daß wir uns erst vor dem Thron des Lammes antreffen, wenn mir mein Heiland die Gnade schenkt, treu zu seyn, welches ich täglich zu erflehen suche. Der Wunsch, an Sie zu schreiben, ist bei mir alt geworden - seitdem ich aber ihre Siegesgeschichte gelesen habe, ward es mein Vorsatz, weil ich der Stärkung und der näheren Aufmunterung in diesen Tagen so sehr bedarf; nur hielt mich immer die Furcht auf, es möchte etwas verwegen seyn, Sie mit einem Brief zu beschweren, und das hat sicher auch manche andere Prediger bei der protestantischen Kirche hier zurück gehalten, welche Sie sonst von Herzen lieben und hochschätzen, und sich das Glück Ihrer persönlichen Bekanntschaft in meiner Gegenwart oft wünschten.
Ich glaube mit Ihnen, theurer Mann! Nach biblischen Gründen und mit völliger Ueberzeugung, daß wir jetzt in wichtigen Zeiten leben, und daß diejenigen, welche der Ewige würdigt noch einige Jahre in seinem Weinberge zu arbeiten, des Tages Last und Hitze tragen werden.
Obgleich die Tage des Abfalls auch in Amerika (besonders in den größern Städten) eingetreten sind, so macht doch der Geist Jesu Christi mächtige Fortschritte. Die lutherisch reformirte Methodistenprediger halten jährliche Synoden, worin sie die Angelegenheiten des Reichs Gottes besorgen, und viele andere Parteien, deren das Land voll ist, folgen ihnen nach. Hier leuchtet das Licht des Evangeliums sehr helle, und namentlich haben die Herrn Helmuth [Justus Heinrich Christian Helmuth, aus Halle; wirkte in Philadelphia] und Otterbein [Philipp Wilhelm Otterbein geb. Frohnhausen bei Dillenburg 1726, gest. 1813, ursprgl. Lehrer in Dillenburg, seit 1752 in Pennsylvanien, gründete 1789 eine besondere Gemeinde, die missionierte (auch in Thüringen); Otterbeinleute = „Vereinigte Brüder in Christo“; weitere Informationen und Literatur: MEL alt, Bd. 15, S. 251.] ausserordentlichen [S. 160:] Segen gestiftet, sowohl durch ihre kraftvolle und rührende Vorträge, als durch die Erziehung junger Prediger für’s Reich Jesu.
Fast in allen Staaten der Union gibt es seit etlichen Jahren große Erweckungen. Die Methodisten und Presbyterianer &. Halten große Volksversammlungen unter freiem Himmel, wobei sich die Zuhörer bis zu sieben und achttausend versammeln. Da predigen oft 8 und 9 Prediger zugleich auf verschiedenen Posten umher von 3 bis 7 und 8 Tagen fort. Man sieht erstaunende Bewegungen, alles ist durchdrungen und belebt, viele werden erweckt und kommen zum wahren Leben.
Dieses neue Aufleben der Religion ist sogar unter unsern Indianern sichtbar. Sie bezeigen ein sonderliches Verlangen zur Civilisation und eine ganz neue Lernbegierde zum Unterricht in der Lehre Jesu. Die Missionen der Brüdergemeinen machen die größten Fortschritte, und auch die Mission von Neujork [New York] ist mit sichtbarem Segen begnadigt. Ja, das Wehen und Regen des Geistes ist sogar da verspürt worden, wo noch keine Missionen hingekommen sind, so daß sich die alten Krieger selbst mit Erstaunen erklärten, was der große Geist (wie sie sich ausdrücken) thue. Vor einigen Monaten kam eine Anzahl Krieger mit ihrem König hier bei unserm Gouvernement an, die zu einer Nation gehören, wovon wir den Namen nicht wußten, und die bei 2000 Meilen jenseits unsern Grenzen wohnen, gegen Westen. Sie sind alle um einen Fuß größer, als wir Europäer, verwundern sich über nichts, das sie sehen, und betragen sich sehr ordent= [S. 161:] lich und manierlich, als ob sie mit allen unsern Sitten bekannt wären. Sie besuchten unsere großen Städte und in Neujork hat ihnen die Missionsgesellschaft eine Bibel, als das Wort des ewigen großen Geistes, verehrt, welches sie dankbar und mit tiefer Beugung angenommen, und um einen Missionär gebeten haben, der es ihnen erklären möchte, weil sie es nicht lesen könnten. Kurz, Gott hat hier eine Thür unter den Heiden aufgethan, dabei man seine Hand nicht verkennen kann.
Es ist hier eine große Anzahl Deutscher während dem Sommer aus Schwaben angekommen, und sollen, wie ich vernehme, noch viele das nächste Jahr nachkommen. Ein Theil davon ist schon an dem Ort ihrer Bestimmung, nämlich am Ohiofluß, bei der Stadt Jorpitt, wo sie Weinberge anlegen wollen, angelangt. Nur Schade daß diese lieben Leute sich ganz von der lutherischen Kirche losgerissen, und eine eigene Secte errichtet haben, wo jeder ein Recht haben soll, seine Kinder zu taufen und das heilige Abendmahl zu halten; das ist Schwärmerei! Mit der Zeit werden sie es wohl zu spät einsehen - einige, sogar Vorgänger, sind jetzt schon zu den Taufgesinnten übergegangen, und adere [sic; andere] haben sich grobe Dinge zu Schulden kommen lassen, aber doch im Ganzen sehen wir den Geist Jesu bei ihnen und freuen uns ihrer.
Noch eins, theurer Mann! Ich habe mich, wie viele meiner Brüder, oft gewundert, warum Sie doch so viel von der Wiederbringung handeln [S. 162:] - warum sich alles in den Scenen *) und den letzten Heften des grauen Mannes darin zu concentriren scheint. Sehen Sie! Ich will von Herzen froh seyn, wenn diese Lehre in ihrem ganzen Umfang mehr als Hypothese, wenn sie wahr ist; aber ich möchte sie doch nicht predigen, weil ich mich oft unter diesem Baum nach Frucht umgesehen, aber nie welche gefunden habe. Wer einen Wurm an der Wurzel hat, dem thut sie großen Schaden, und die Freunde Jesu lassen sie an ihren Ort gestellt seyn, und schaffen ihr Heil im Glauben, der durch die Liebe thätig ist. Es kommt uns hier vor, theurer Mann, Sie müßten eine gewisse Absicht dabei haben.
Nun wundern Sie sich nicht, daß ich so frei und zutraulich mit Ihnen spreche, - so haben Sie mein Herz durch Ihre Schriften gegen Sich gemacht. Wären Sie in Amerika, so würde ich Sie umarmen, wie ich jetzt im Geiste thue. Ich verharre Ihr auf Jesus Tod treu verbundener Sch.
Luth. Pfr. In Hag=Town,
unweit Washington Canety. [Country ?]
*) Scenen aus dem Geisterreich. D. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 81, S. 162-164:
„Waldbach im Steinthal im Vogesischen Gebirge
den 8. April (18. Germinali) 1805.
An den lieben Stilling.
Empfange meinen herzlichen Dank für den lieben, kräftigen Brief vom 27. Hornung. [S. 163:]
Ich schrieb einst unserm lieben Lavater: ‘So lieb und theuer und höchsterwünscht und willkommen mir auch seine Zuschrift wäre, so bäte ich ihn doch sehr, die dazu nöthigen Augenblicke ja lieber zu der ihm so nöthigen Ruhe anzuwenden, ich wollte statt der Briefe mich mit seinen Büchern begnügen, bis er einst auch das Ruhekleid, den Talar, wie sein lieber Herr J. Ch. werde angezogen haben.’
Nun eben dieß schreibe ich jetzt meinem eben so herzlich geliebten Stilling. Ja, Lieber, ich bin auch einer von denen, die dem lieben Gott für Deine gesegneten Schriften innig danken; aber auch für jede Ruhe, Erquickung und Freude, die er Dir schenket. Ich liebe Dich sehr.
Gott verkläre und verherrliche Sich immer mehr in Dir, Du lieber Kreuzträger, und an Dir und durch Dich.
Es macht mir immer eine sehr angenehme Empfindung, wann ich mich erinnere, daß ich mit den beiden lieben Männer, Lavater und Stilling, das nämliche Geburtsjahr habe. Wann ich eigentlich geboren bin, weiß ich nicht; aber daß ich den 1. September 1740 getauft worden, das weiß ich. Adieu! Lieber, herzlich geliebter Stilling, Dein
Oberlin,
evangelisch=katholischer Pfarrer.
P. S. Das Steinthal, le Ban de la roche, ist französisch und fast auf allen Seiten mit römisch=katholischen Franzosen umgeben. Da ich nun schon 38 Jahre hier im Amte stehe, so bin ich sehr unter ihnen bekannt, und Gottlob von einer großen An= [S. 164:] zahl sehr geliebt. Aber - Katholik und Protestant, das ist ein gewaltiger Stein des Anstoßes; denn Katholik heißt bei ihnen rechtgläubig, d. i. nach der Lehre Jesu und der Apostel, - also Protestant ist nicht nur unkatholisch, sondern sogar gegen jene protestirend. So sehen es die Römischen an, so legens ihnen ihre Geistlichen aus, und diesen Einwurf haben mir einige herzlich mich liebende Römische mitgetheilt. Darüber war ich sehr froh; ich erklärte es ihnen nach der Wahrheit, und zeigte ihnen, daß eigentlich nur die wahren Jünger, Schüler und Nachfolger Jesu, wahre Katholiken sind, folglich ich auch &. Da erhellte sich ihr Gesicht; sie holten freier Athem, und sahen mich mit ganz anderen Augen an - denn die Scheidewand war gebrochen.
Seitdem unterschreibe ich meine Briefe an selbige gemeiniglich: Ministre de Culte Catholique - evangelique. Und meine Steinthäler nennen sich meist auch: Evangelisch=Katholische, um die Annäherung zu begünstigen, und den bittern Haß, der den römischen Franzosen eingepflanzt worden, zu mildern. *)
-
[Die Anm. setzt sich bis S. 166 fort:] *) Für die wenigen meiner Leser, denen Oberlin unbekannt ist, nur diese paar Worte: J. F. Oberlin, am 31. August 1740 zu Straßburg geboren, zog am 30. März 1767 als Pfarrer zu Waldbach im Steinthal ein. Das Steinthal war wenig Menschenalter zuvor noch ein unfruchtbares, unkultivirtes Land, von Einwohnern, in ihrer sittlichen und moralischen Bildung vernachläßigt, bewohnt. [S. 165:]
Pfarrer Stuber hatte dort einen guten Grund zu Verbesserungen gelegt, auf welchem Oberlin, von der göttlichen Gnade gebildet und unterstüzt, mit unermüdetem Eifer und Fleiß fortbaute. Nach einem unter seinen Papieren gefundenen Aufsatz vom 1. Jan. 1760 hatte er sein ganzes Wesen und alle seine Lebenskräfte dem Herrn seinem Gott gelobt. Dieses seltenen Mannes ganzes Streben, Sehnen und Wirken ging nun auch darauf hinaus, die ihm anvertrauten Seelen, Jung und Alt, für den Heiland zu werben, zu gewinnen und zu erhalten; ihre Kenntnisse durch Unterricht über Gegenstände der Naturwissenschaft, Pflanzenkunde, Land= und Hauswirthschaft zu erweitern u. s. w.
Aber auch für die äußere Noth und das äußere Bedürfniß der armen Steinthaler hatte Oberlin ein aufmerksames und verständiges Herz. Er ruhte nicht bis er sie zu dem Zustand von gemüthlichem Wohlseyn erhoben hatte, in dem sie sich jetzt befinden. Er verbesserte die Landwirthschaft, führte Stallfütterung, Obstbau und neue Nahrungsquellen z. B. Wollspinnen ein; beförderte den Straßenbau, die Handwerker, eine nützliche Thätigkeit auf allen Wegen, wobei er selbst mit dem Beispiel voranging. Er gründete eine Leih= und Tilgungskasse für seine arme Gemeindsglieder, und jeder eigene Erwerb des Vaters Oberlin war Gemeingut. [S. 166:]
Durch stete Arbeitsamkeit und weise Sparsamkeit wurde viel zu edlen Zwecken gewonnen. Die Bettelei verschwand. Gastfreiheit und Freigebigkeit herrschte im ganzen Steinthal. Wie Oberlin selbst, so wurden die meisten Gemeindsglieder - Väter und Waisen, Beförderer und Unterstützer der Bibel= und Missionsgesellschaften. Oberlin suchte seine Gemeindsglieder immer zu bewegen, den zehnten Theil ihres Einkommens zu wohlthätigen Zwecken dem Herrn zu opfern. Liebe war der Boden, auf welchem diese und andere christlichen Tugenden kräftig gedeihten, und Oberlins Name wurde im ganzen Steinthal und seiner Umgegend, unter Katholiken und Protestanten, mit liebender Begeisterung genannt.
Auf zeitlichen Lohn hatte Oberlin verzichtet; er wies die vortheilhaftesten Anträge für andere Pfarreien zurück. Nur von Gott selber wollte er sich von seiner geliebten Gemeinde abrufen lassen. Er starb den 1. Juni 1826. Eine unermeßliche Volksschaar aus der Nähe und Ferne begleitete in heiliger Ehrfurcht seine irdische Hülle zu ihrer Ruhestätte. Siehe Schuberts Züge aus dem Leben J. F. Oberlins, Pfarrer im Steinthal. D. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 82, S. 165-168:
„Waldbach im Steinthal d. 26. Juni 1811.
Mein herzlich und innigst geliebter Freund und Bruder!
Es ist unsers lieben Herrn Wille nicht, daß ich dießmal die Freude haben soll Sie zu sehen und [S. 166:] zu sprechen. Ein Zusammenfluß von vielen hindernden Umständen machen mir eine jede Reise moralisch und physisch fast unmöglich, und ich müßte gegen meine Ueberzeugung handeln, wenn ich’s doch erzwingen wollte. In mehrern Wochen kann ich kann ich oft kaum ein oder zweimal gegen das kleine Wäldchen spazieren, frische Luft einathmen und eine gesunde Bewegung machen. Ich sehe und weiß, daß kein Mensch, Keiner, nur meine Schuzengel wissen, welch’ ungeheure Mannchfaltigkeit von dringender Arbeit auf mir liegt, und das - bei [S. 167:] sehr kranken Augen und Früchten ausgestandener Strapatzen.
Hab ich doch das nie zu hoffende Vergnügen gehabt, Sie zu Markirch an mein Herz zu drücken, eine Freude, die mir mit dem lieben Lavater nie zu Theil geworden, ob wir uns schon sehr liebten. Aber alles dieß und wie noch unzählig viel anderes wird uns einst eingebracht werden und Wünsche erfüllt, die wir kaum leise zu denken wagten.
Vielleicht thue ich wohl, wenn ich Ihnen beifolgende, mich betreffende Anekdote mittheile, die ich, wenn ich mich recht besinne, der Predigerkonferenz überschrieben habe, und Beziehung auf einen merkwürdigen, mir vor mehrern Jahren gegebenen Traum hat, den ich damals in mein Tagebuch schrieb, worin ich die vielen gehabten Erscheinungen meiner seligen Frau seit ihrem Tode, und meine mit ihr gehabten Unterredungen aufzuschreiben pflegte......
Wir haben hier von den meisten unserer Sterbenden baldige Nachrichten, über die sich so viele, auch gute Christen, bei sich einbilden ohne vollendete Reinigung und Heiligung sogleich Nachahmer Tode zum Anschauen Gottes gelangen zu können, sehr wundern und erschrecken würden.
In der französischen Bibel heißt es Proverbes XXIX, 18: ‘Lorsqu’il n’y point de vision, le peuple est abandonnée; mais bienheureux est celui, qui garde la loi.’
Ein vortrefflicher Spruch, aus dem erhellte, daß es eben keine Ehre und kein gutes Zeichen für [S. 168:] eine Gemeinde ist, wann in derselben keine Communication zwischen der Geisterwelt und den hier Lebenden stattfindet. Aber der, durch welchen die Kommunikation geschieht, darf sich nichts darauf einbilden, es ist sein Theil Gabe, welches ihn in Gottes Augen weder werther noch unwerther macht. Nur der ist Ihm der Liebste, dem es am herzlichsten anliegt, allen Willen und Wunsch Gottes in der heiligen Schrift alten und neuen Testaments aufzusuchen und zu erfüllen, nach dem Worte des Herrn: daß er nicht gekommen ist, uns zu dispensiren, und daß kein Jota, kein Düpflein auf dem i fehlen soll. - Doch - wo gerathe ich hin?
Adieu, mein lieber Lieber! Gott sey mit Ihnen und den lieben Ihrigen. Einst genießen wird einander neben allen Anderen uns Lieben.
Joh. Friedr. Oberlin, Pf.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 82, S. 168-172:
„M. den 3. Juli 1808.
Innigstgeliebter, in Christo unserm Herrn theurer Bruder! Sie waren seit lange des Herrn großes Werkzeug an meiner Seele: Er segne Sie dafür! Schön war das Loos, das Ihnen fiel, für Ihn zu leben, zu wirken, zu sammeln und Seelen zu führen, durch seine Gnade, zu den Brunnen des Lebens. Fürwahr es ist ein hoher Beruf, ein unnennbares Glück, zu seinen Reichsgenossen zu gehören, zu den Erwählten, die unter seiner Fahne zum Leben rufen! [S. 169:]
Auch mir brannte das Herz - auch ich fühlte den Drang nach dieser hohen Seeligkeit. Eine hohe Ahndung, von seinem Geist erzeugt, durchflog mich. Er, der Allliebende [sic], ergriff mich mit gewaltiger Liebe, und alles schwand vor meinen Augen, alle Erdenlust, alle Ehre, aller Ruhm der Menschen - alle Sinneslust. - so erlöschen die zitternden, schwachen Kerzen der Nacht beim allmächtigen, strahlenden Feuer der Sonne, die alles verdunkelt, und, - Schöpferin des Lebens, Agentin dessen, auf dessen Werde alles ward, - ihre Uebermacht mit Kraft beglaubigt. Im Staube der Demuth hüllte ich meine Augen, sahe auf mich, auf mein Leben, auf meine Unwürdigkeit; aber die Stimme der Liebe durchbebte stets mein Innerstes. Sie rief zum Leben, sie ließ nicht von mir, richtete mich stets auf, und der hohe Geopferte stand vor mir. Sein allmächtiges Werde rief Trost - rief Muth in meine Seele. Beraubt jedes Anspruchs, entadelt durch die Sünde, arm, und doch meines Elends froh, sank ich aufs neue zu seinen Füßen. Ich umschlang sie mit Liebe, die Er mir gab; ich warf von mir jeden Schmuck der Weltweisheit, jedes Gefühl eigener Kraft, und mit einer unnennbaren Seeligkeit durchdrang mich der Gedanke: Werde ein Kind. Er ließ die Kinder gerne zu sich kommen. - Da betete der Hohepriester selber in mir; betete stets um den Geist Gottes, um Kindereinfalt, Kindersinn und hohen Glauben. Theurer Freund, wann war Er je weniger, als die kühnste Hoffnung hoffen darf?! Ach, mir war Er, was ich in Aeonen nicht hätte träumen dürfen, [S. 170:] wenn Er sich nicht so unendlich, so unbegreiflich herabgelassen hätte zu der unwürdigen, doch so kühnen Sünderin, die ohne Ihn nichts wollte, die zu Ihm sagte: Dich, Dich selber will ich. Du großes, Du allmächtiges Bedürfniß meines Lebens, siehe, hier stehe ich, in deine Welten gerufen durch dein Wort, geliebt von Dir. O du fühlst es, was diese Flammenzeugnisse mir seyn müssen! zwar nur Staub ist das schwache Geschöpf, aber der Hauch der Allmacht und Liebe, der mich durchglühte, lebt in mir; er trägt mich auf den nemlichen Flügeln, mit denen der Seraph sich vor deinem Glanz bedeckt, zu Dir, zu Dir - Allmächtiger! Ueber die Erde hinaus, über die Straße der Orionen hinaus, trägt er mich mit Gottes Kraft; denn Du zündetest ihn an, den Funken, der nun glüht! nur mich! und Du, o Du dessen Tiefen der Liebe kein Menschenherz, kein Seraph ahndet - gabst Du den Durst ohne den Trank zu geben? Nein Du überflügelst mit jedem Gedanken die Sterblichen. Wo sind die Gränzen, wo der Mensch stehen bleiben würde und zu Dir sagen: Unendlicher siehe ich liebe Dich mit unbeschreiblicher Liebe, unbeschreiblicher Wonne, und Du bannst meinen Fuß hierher? Und wäre es Edens glänzende Gefilde, ich muß weiter, ich muß Dir nach, alles ist mir wüste ohne Dich! Siehe dieß Herz, Du schufst es so; Du bist seine Sonne, sein Magnet, Du hast es getaucht in deine Liebe, und Du allein bist sein Element geworden.
Sehen Sie, Theurer, mit wenigen Worten mein ganzes Ich geschildert, mein Leben, mein Dichten und Trachten, meine Seligkeit, die ich keinem Menschen sagen könnte. Liebe, Liebe zu ihm, und imerwährendes Gebet um Liebe. Er betet in mir, er lehrt mich lieben und beten, hoffen, fragen, beten und immer beten, wünschen, und sehnen nach seiner Liebe. Er betet in mir um den Geist der Demuth, der Sanftmuth, des Friedens. Und meine Thränen in der gänzlichen Vernichtung meines eigenen Ichs sind auch Seligkeit.
Ich kann nichts wünschen als: Herr dein Wille geschehe, den Reich komme, und laß mich, Unwürdige, leben, wirken für dein Reich; für dein Reich arbeiten, leben und sterben für Dich - ist es nöthig! Du mußt alles machen Ewiger, denn ich kann nichts! Laß mich wie ein Krystallstrom hell, rein und ruhig werden, und scheine, Herr, in diesen reinen Krystall, daß ich Dich wirken lasse, ungetrübt vom eigenen Ich, - Dein hohes Bild in mir geprägt und ganz nach deinem Sinn geformt werde!
So geht mein Leben hin und die schonen Formen der Vogesischen Natur, so erhaben, so groß, umfangen mit heiliger Stille die Brust der Beterin. Mein Ohr lauscht auf seine Stimme, und ich höre, sehe, fühle Ihn in den hohen Scenen der Natur. In der tiefen Einsamkeit des Gebirgs wandle ich zu Ihm, und seine Flammentritte leuchten mir vor. Doch, Theurer, ich würde Jahre schreiben und Ewigkeiten reden und nicht genug haben, um von einer Gnade zu erzählen.
Noch einige Worte von dem Erdenleben. Morgens steh' ich ziemlich früh auf und gehe in diesen paradiesischen Gefilden umher, schreibe hernach an meinen religiösen Werken, und in heisem Gebete bitte ich um seinen Geist. Ich glühe oft, und mein Herz könnte Welten umfassen mit Liebe, wenigstens mit dem heisen Wunsche, alle, alle zu Ihm zu führen. Wir speisen frühe. Nach Tisch lesen - dann arbeiten wir. Abends gehen wir bis acht Uhr spazieren, - ein Fest, wo das hohe Glück meiner Seele fast ein beständiges Gebet mit einmischt. Nach dem Abendtisch wird ein Kapitel aus der Bibel gelesen, und erläutert von unserm würdigen Herrn Pfarrer. Leben Sie wohl! B. Krüdener.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 84, S. 172 -173:
„M. den 1. Dezember 1808.
Theurer, in Christo inniggeliebter Bruder!
Vorgestern erhielt ich ihren lieben Brief und eile, ihn zu beantworten. Ach wie liebend und wie treu ist ihr Herz! Nehmen Sie doch dafür meinen besten Dank an. Beruhigen Sie sich auch, lieber Jung, denn ihr Gewissen kann ihnen nichts vorwerfen; Sie haben genug gewarnt, gebeten, abgehalten, und ihre Pflicht nach der Meinung die sie hegen, gethan. Ich kann ihnen, lieber Freund, nichts als Gerechtigkeit wiederfahren lassen - und kann nichts anders sagen, als der Herr, dem ich mich ganz willenlos ergeben, wünschte mehr noch, als ich selbst, mein Glück und meine Ruhe. Was soll ich fürchten, wenn ich mich Ihm ganz hingebe? Wenn ich zu Ihm sage; nur Dich will ich - ich muß Dir in jeder Lage alles heimstellen! Will ich Christus angehören, so muß mir alles gleichgültig werden, Ehre, Ruhm Vermögen, Menschen, Liebe der Meinigen - alles, alles. Dieß muß mein Wunsch und mein Besteeben [sic; Bestreben] seyn: ganz aus mir auszugehen und in reiner Liebe für Gott allein zu leben, ohne die Nebenabsichten meines eigenen Ichs. Das ist, was ich besonders seit fünf Wochen recht gefühlt habe. In der tiefen Einsamkeit, worin ich lebe, habe ich in fast beständigem, stillen Gebet einen so tiefen Frieden empfunden, wie ein ruhiges Wasser; ich fühlte nur Christum und Christum. Bringt er mich an den Bettelstab und ich habe Ihn, gut; will er mich im Wirken, gut; das sind Nebensachen, nur sehr wichtig, wenn Christus es will, mir aber sonst ganz gleich, denn mein Beruf ist: ihn lieben. Nur wenn ich Ihn denn so zu lieben suche, mich beständig an Ihn halte, so weiß ich auch mit Ueberzeugung, daß seine Gnade mich hält, führt, leitet wie ein Kind. Was soll ich fürchten?! &. Gottes Friede umwehe Sie! B. Krüdner.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 85, S. 174-175:
„Baden, 11. Jan. 1815.
Theurer und verehrter Freund im Herrn!
Ihr lieber Brief hat mich sehr gerührt, und die Wünsche die aus Ihrem liebenden Herzen uns zukamen, erwiedern wir mit warmer Zuneigung und inniger Liebe. Leben Sie doch beide, Sie und ihre theure Frau, so glücklich, so zufrieden, als unsere Herzen es so gerne erflehn würden. Doch Sie wurden ja beide unter dem Kreuze erzogen, unter welchem sich liebende Kinder und ächte Streiter bilden, und giebt es herbe Stunden, so ist ja keiner uns so nahe, keiner so begierig unsere Thränen zu trocknen, als der, der den bittern Kelch der Leiden für uns leerte; Er reift die Perle in den Stürmen des Oceans; Er ruft den für die Ewigkeit geborenen, durch schwerscheinende Kämpfe, zuweilen auch durch schwere und bittere Proben. Doch ist Wahrheit das Ziel, und Christus selber der Gewinn. Doch wissen wir ja, und o! wie oft müssen wir uns an die kleine dreijährige Theodore Zinzendorf erinnern, die einen von Natur aus eigenen und unzufriedenen Magister sich bitter über Leiden beklagen hörte; sie trat vor ihn, hob den kleinen Finger auf und sprach:
Gott macht uns keine Schmerzen, er will ihn stillen, wo aber kommt er her? vom Eigenwillen -;
und der Magister ging in sich.
Ach, wie oft ist das der Fall bei den Christen! wir müssen Kinder werden, und wie oft muß ich mich schämen, noch nicht den Kindersinn, der immer nur bei jedem Leiden zur Mutter lauft und am Herzen ausruht, zu haben; es kommt ja alles von der lieben Liebe.
Aber wie schwer sind Schmerzen, wie unsere Freundin sie hat, zu tragen!*) o, es gabe der Ihr Kraft, der Worte des ewigen Lebens hat, und auch ihre Stimme in freudiges Hallelujah verwandeln will! Doch, sie klagt nie. Wie wird es ihr einst wohl thun, die Früchte der Leiden zu sehen!
Theurer Mann! Lieben, Lieben ist die Luft die ich mit Ihnen einathme. Mein Herz ist Ihnen so ergeben, kennt Sie so wohl; wenn ich Sie nur umarmen könnte - Sie alle - ich thue es in Gedanken, dankend für ihre Liebe. Es schlug er in merkwürdiges Jahr, wir werden bald über vieles ganz einig seyn. Wir sinds schon jetzt in der Liebe zu Christo. Nun noch einmal tausend Grüße und Seegen von ihrer Sie innigliebenden Freundin Br. Krüdner.
Wir haben Ihr schönes Weihnachtslied gesungen, mit den armen Kindern, die bei uns waren.
Hier aber schicke ich Ihnen ein Lied, daß ich ausserordentlich schön finde und drucken ließ: Christus und Christus allein &
*) Stillings Gattin litt viele Jahre an einem schmerzhaften Halsübel. d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 86, S. 176-178 (mit Anlage A, S. 179-183, und Anlage B, S. 183-185.
„Paris den 21. August 1815.
Theurer, im Herrn geliebter Freund!
Mitten unter dem Drang der Begebenheiten vergeß' ich Sie nicht, und mitten unter vielen Geschäften kann ich nur wenige Zeilen schreiben. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr ich Sie alle liebe und wie glücklich ich seyn würde, Ihnen täglich Beweise dieser Liebe zu geben. Ich lebe unter lauter Wundern. Noch letzthin erlebte ich ein solches Wunder.
Sie wissen wohl die unglückliche Geschichte des jungen Obersten la Bédoyéres, der vorgestern hier füsilirt wurde? Er war der Erste, der mit einem Regiment überging, als das Verhältniß im Monat März eintrat, das noch jetzt Frankreich so heftig beunruhigt. Ich kann ihn nicht entschuldigen, meine Pflicht war nur, als Christin seine Seele vom Herrn mit so vielen Anderen, die ihn bedauerten, zu erflehen.
Ich kannte ihn als einen Menschen, der mir unter den schrecklichsten Farben geschildert war, als Verräther und eingeflochten in eine allgemeine Verrätherey. Ich hatte sonst noch schreckliche Sachen von ihm gehört. Dennoch wurde ich eines Abends spät sehr aufgefordert, für ihn zu beten. Ich rief meinen Schwiegersohn B. und wir beteten zusammen.
Tags darauf kam eine junge sehr hübsche 25jährige Frau und warf sich in meine Arme. Meine Lage, als Christin, oder vielmehr als Jüngerin des Heilandes, die nichts Anders in Erwägung zieht als den großen Beruf des Evangeliums, macht, daß ich über Alles erhaben bin, was Erdenverhältnisse hindern würden, und die Gnade des Herrn, der Einfluß, den er mir giebt, bewirkt, daß ich ungehindert meinen Weg gehe. Ich nahm sie also auf, sahe sie täglich, schickte ihrem Manne Bücher, schrieb ihr einen Brief, der eigentlich für ihn war, und kam so in Verhältnisse mit den Unglücklichen; sagte ihr aber, daß ich mich in seine politische Lage nicht einmischen dürfe.
Ich litte viel. Die traurige Lage dieser Frau, die unermüdet alles anwandte, wozu ihre Liebe sie antrieb, das Gefängniß besuchte, und Abends in Schmerz versunken zu mir kam, griff meine Seele an. Ich betete mit ihr; so wurde sie wieder gestärkt. Ich bat sie flehentlich, ihren Mann von seiner wahrscheinlich nahen Verurtheilung vorzubereiten, seine Seele zur Buße und Hingabe an Christum zu bewegen. Ich schrieb ihr daher einen Brief, ihm vorzulesen, weil sie selbst nicht Muth hatte von seinem Tode zu sprechen. Nachhero, als ich erfuhr, daß la Bédoyére gar nicht so sey, als man ihn geschildert hatte, fand ich meinen Brief mit etwas starken Farben gezeichnet. Doch wollte vielleicht der Herr es so. Wer ist der Mensch, der nicht schrecklich gesündigt hätte?! Er war erschüttert und dankbar; ich aber bat es meinem Heiland ab, daß ich den Gerüchten geglaubt hatte. Seine That war strafbar; er hatte dem König mit Undank gelohnt, war - erst 29 Jahre alt - hingerissen worden; aber von den anderen Verräthereyen war er frei und sein Herz liebend; er hatte nicht die Schuld, die man ihm gab. Sie sehen das übrige aus dem Briefe, den ich Jemandem schrieb, und welcher die eigenen Worte des Beichtvaters enthält. *)
Vorgestern in der Nacht, da meine Seele schon so ermattet war, wurde heftig geklopft, und die unglückliche Frau stürzte in mein Zimmer. Sie sagte mir, er würde den andern Tag verurtheilt und vermuthlich füsilirt werden. Sie können denken, was ich empfand! Gott gab mir Stärke und Kraft. Ich konnte aber nicht ihren Bitten Gehör geben und Schritte thun, die ich nach meinem Gewissen nicht thun durfte. Ich schlief gegen Morgen etwas ein, und sahe deutlich den unglücklichen la Bédoyére. Er stand vor mir, nahm meine beiden Hände, drückte sie, als dankte er mir und sagte: die Leute wollen, es soll heute geschehen. Denselben Tag wurde er füsilirt.
Ich füge hier die Copie meines Briefs, den ich seiner Frau schrieb, bei **). Es wird das Evangelium darin lauter und rein gepredigt, und diese Sprache wird von vielen aufgenommen.
Nun, theure Seelen, umarme ich Sie alle. Mein Herz ist oft bei Ihnen! ganz Ihre ergebene B. Krüdner.
*) Siehe Anlage B.
**) S. die Anlage A.
Anlage A.
Möchte ich Sie, theure unglückliche Fr. v. B. trösten können! Aber dieses Werk kommt den Menschen nicht zu. Ich habe Sie hingewiesen auf das einzige Mittel, welches Sie aus diesem tiefen Schmerze zu reißen vermag, und das heilsam für Ihre Seele werden kann. Suchen Sie es bei Gott und allein bei Gott, bei Christus, dem Erlöser, dem Mittler, dem Versöhner, bei Christus der unendlichen Liebe, dem Abgrunde der Barmherzigkeit! die Ruhe, den Frieden, das Heil finden wird nur zu seinen Füßen, das Kreuz umfassend, welches die Zuflucht der Sünder, der Vereinigungspunkt alles dessen ist, was die Sünde zerstört hat. - Die Thronen sind erschüttert, die Völker verschwinden von der Erde, weil sie aus trägem Undanke dieses Kreuz verlassen haben.
Fr. v. B., die Sie unter den alten Trümmern der Monarchie erzogen worden sind - einer Monarchie, die sonst auf die ersten christlichen Könige stolz war, und Namen aufzählt, an deren Andenken sich der einzige Ruhm knüpft, der unvergänglich ist, - seyen auch Sie eine Christin, flehen Sie zu dem lebendigen Gott, werfen Sie sich in seine Arme! nicht, indem Sie Hülfe bei den Menschen suchen, - die sein heiliges Gesetz verbietet, wenn er sagt: "verflucht sey, der sich auf den Arm eines Menschen stützet; - sondern indem Sie ihn, den Herrn selbst suchen. Er ist zärtlicher, als die Mutter, die ihr Kind mit Thränen nährt, die auch Hülfe bei ihm suchet. Er ist besser, als die Könige der Welt; aber er ist der Ewige, und daher sind seine Wege nicht unsere Wege! die unermeßliche Ewigkeit ist das Erbtheil der Menschen, der so tief gefallen ist, daß er nicht einmal das Leben zu durchwallen, einige Jahre darin zuzubringen weiß, ohne sich durch seine Vergehungen zu verunreinigen, ohne sich durch immerwährendes Sündigen zu erniedrigen.
Wenn dieser Gott schlägt, so wollen wir ihn anbeten; es geschieht, um uns zu bessern. Wir wollen uns ergeben, weinen, beten, aber bedenken, daß wir seinen Arm nicht inne halten dürfen; - daß nur er allein in seinem ewigen Erbarmen die Zügel zu halten vermag, welche seine ungehorsamen Geschöpfe leiten, und die in den Abgrund fallen würden, wenn die Liebe eines Gottes sich nicht erbarmte um fortwährend die zu führen, ja zurückzuhalten, - die er immer bereit ist, zu erretten.
O, Fr. v. B.! Sie haben meine Thräne gesehen, und wissen ob mein Herz kalt ist! - Ehe ich ihren Namen gekant habe, war ich zu den Füßen des Kreuzes und betete für den unglücklichen la Bédoyére. Als ich Sie sah, zerriß es mir das Herz; aber die Religion, welche die Thränen des Mitleids hat, hat auch ihre großen Lehren, und ihr erhabenes Amt ist es, mit jener Kraft, die man nur zu den Füßen desjenigen findet, dessen unveränderliche Rathschlüsse man anbetet, liebend die Fehler vorzuhalten.
Ich habe Sie auf Ihre großen Pflichten hingewiesen. Die Frau, die der Erde angehört, hat nur Thränen; die Frau, welche im ganzen Sinne des Wortes Gattin ist, hat die Ewigkeit, wo ihre Banden geheiliget werden. Dieses ist die Ehe, welche die Kirche Ihnen darbot; jede andere ist Ehebruch. Alles was nicht in Christo begründet ist, ist nur eines jener Ereignisse des Lebens, auf welche sich, wie auf alles, was der vergängliche Mensch beginnt, Leidenschaft, Geldgier oder Ehrgeiz stützet, die man Convenienzen nennt, aber Thorheiten sind, die die Menschen mögen veredlen wollen, aber dem Reich der Sünden angehören und mit dem Fluche bezeichnet sind.
Seyen Sie eine Christin! Haben Sie den Muth, ihrem Gatten seine großen Sünden vorzuhalten; aber zeigen Sie ihm den Gott, den Erlöser, welcher Mensch wurde, um durch sein Blut auch seine Sünden zu sühnen; entschuldigen Sie ihn nicht,; scheuen Sie sich nicht, wenn Sie ihn ruhig finden; zeigen Sie ihm, daß er schrecklich gerichtet werden wird, wenn er Christum nicht anflehet; schmeicheln Sie ihm nicht mit Hoffnung! Wo ist der Herrscher, welcher den Aram Gottes aufzuhalten vermag!? Beten sie, beten Sie mit ihm und für ihn! - Dieses sind Ihre großen Pflichten, meine junge Freundin, und ich verspreche Ihnen im Namen dieses Erlösers, der auch mich seiner Barmherzigkeit würdigte, indem er mich einer Welt entriß, wo ich mitten im Genusse alles dessen, was sie beneidet, nicht glücklich war, - ich verspreche Ihnen, sage ich, den Frieden, der allein von ihm kommt, und ein Glück, das die Menschen nicht begreifen können. Sie werden vor der Welt durch Tugenden, welchen sie Weihrauch streuet, groß seyn; wenn Sie weinen, wenn Sie sich ihrer Art und Weise hingeben, vielleicht sogar, wenn Sie vor Schmerz sterben. Alles, was in die Augen fällt, macht lebhaften Eindruck auf sie. Aber seyen Sie wahrhaft groß, indem Sie zu den Füßen des Kreuzes beten, indem Sie ihr ganzes Herz Gott hingeben, indem Sie sich sagen: meine hohe Aufgabe ist es, meinen Mann zu erleuchten, nicht ihn zu täuschen, und ihm die traurigen Früchte eines Lebens zu zeigen, das sich der Welt hingab, wo, weil er kein Christ war, er in diesen Abgrund fiel, woraus allein die unerschöpfliche Barmherzigkeit ihn noch ziehen kann und noch ziehen will, wann die Menschen ihn verlassen.
Oh, er weine, daß er diesen so großen, so unermeßlichen Gott beleidigt hat, welcher, indem er Mensch wurde, unsern Fluch trug, und an dem Kreuze der Schmach starb. Er schlage an seine Brust, - dann wird er groß seyn, wann er sich aufrichtet, denn Gott allein, die Gnade allein vermag ihn aufzurichten, und die Menschen werden es nicht wagen, ihn zu richten, wenn Gott verzeihet! Er wird weinen, sich gegen den großmüthigen König, der sein Wohlthäter war, versündiget zu haben. Dieses sind die Thränen, welche der Mensch vergießet, wenn er zu seiner ersten Würde zurückkehrt. Es gibt keinen großen Mann, der nicht über sich selbst geweint, es gibt keinen Sterblichen, der sich nicht vor Gottes Augen und den seinigen schuldig gefunden hätte. Dann wird er sehen, wie nichtig die eitle Größe ist, dann wird er über seine Verirrungen klagen. Wenn er sich entschuldigt, ist er verloren! Ich habe die Sprache der Wahrheit mit Ihnen geredet. Ich kenne keine andere. Die christliche Liebe ist meine Pflicht, sie ist abwechselnd milde und strenge. Ich bin eine Christin, und indem ich mich in meinem Nichts zu den Füßen des Erlösers demüthige, erkühne ich mich der größesten Hoffnungen, denn ich kenne sein ewiges Erbarmen, und hoffe, ihr Gatte wird sein Heil finden, wenn er sich in die Arme des Heilandes, der niemanden zurückweiset, werfen will.
(Aus dem Französischen.)
Anlage B.
Nach den Schmerzen, die ich für den unglücklichen Labedoyére empfunden, nach den Stunden tiefer, dunkler Seelentrauer, war es für mich eine große Wohlthat, in der Messe den heiligen Gesang und die Worte zu hören: "Herr erbarme dich mein!" Ich habe geweint und wieder die nöthige Kraft gefunden, die ich bedurfte, um die arme Madame Labedoyére zu sehen, die heute abreisen sollte. Ich war bei ihr, und fand sie zu Bette. Zuerst erhöhte mein Anblick ihren Schmerz, dann aber half mir Gott sie auf das Glück hinzuweisen, welches sie in dem Heile ihres Mannes finden muß. Ich traf den Beichtvater, der ihn begleitete, bei ihr, er ist ein heiliger Mann, und hat uns genau die tröstlichsten Umstände seines Todes mitgetheilt. Dieser war so schön, so erhebend, daß der ehrwürdige Mann sagte: es sey sein einziger Wunsch, einst so zu sterben. Unterwegs im Wagen las er ihm zuerst die Psalmen vor. Während der ganzen Fahrt war seine Seele vorbereitet; sie war der Erde enthoben. Vor seinem Tode sammelte er sich, verlangte die Absolution und den Seegen, bekannte laut den Herrn Jesus Christus, ließ sich durch keine feige Menschenfurcht rühren, küßte mehremal das Kreuz, verzieh allen seinen Feinden, und gab willig sein Leben hin, indem er auf seinen Kopf und sein Herz deutend, sagte; man solle feuern! So sank er mit zum Himmel gerichteten Blicke, mit kreuzweis emporgehobenen Armen zur Erde. Ein sanftes Lächeln blieb lange auf seinen Lippen. O mein Gott, wie erfreulich ist es, solchen Ereignissen zu begegnen, die den Ruhm unsers göttlichen und anbetungswürdigen Heilandes erhöhen.*)
Ich habe bei dieser Gelegenheit, mitten in unserm traurigen Jahrhundert, heilige Frauen kennen lernen, welche alle für ihn gebetet haben. Die vertraute Freundin der Madame Labedoyére, welche Zeuge ihres ehelichen Glückes gewesen, war auch zugegen. Er hatte einer jeden geschrieben, und seine Reue und seine Ergebung ausgedrückt; alle liebten ihn innig. Lasset uns den Herrn anbeten, der sich seines Fehlers bediente, um ihn zur Reue und durch die Gnade zum Heile zu führen; - der die Frau Labedoyére bekehren, das heißt, ihr den lebendigen Glauben und die Liebe geben wird, ohne die man nichts ist; - und der sich jeden Tag durch die Werke seiner Gnade verherrlichet. Sein Beichtvater sagte mir, daß er bis zum 16 Jahre sehr fromm gewesen. Die Welt hat ihn mit sich fortgerissen, aber er hatte einen sanften, edlen Charakter, war ein vortrefflicher Sohn, ein zärtlicher Gatte und Vater.
Ich weiß, daß Ihr, von christlicher Liebe durchdrungenes Herz sich über den heiligen Tod dieses Mannes freuen wird.
(aus dem Französischen).“
JUNG: Sendschreiben Nr. 87, S. 185-188:
„Zürich den 25. Hornung 1810.
In unserm Herrn hochgeschätzter Freund!
Jedes Andenken von Ihnen erfreut mich; Ihr Letztes vom 7. dieses um so mehr, weil es sich auf einen Ihnen und mir gleich wichtigen Gegenstand beziehet. Es ist wahr, schon seit ein paar Jahren hatte ich mich auch mit dem Buche des N. T. vertrauter gemacht, auf dessen Studium ich mich nicht eher mit Sicherheit einlassen zu können glaubte, als bis ich alles frühere im Lichte der Theokratie durchstudirt, und dadurch einen festern Standpunkt gewonnen hätte, aus welchem diese, in ihrer Art so ganz originelle, aber doch mit allen frühern in der genauesten Verbindung stehende Schlußprophezeyung betrachtet seyn will.
Das Resultat dieser Forschungen bestätigte jenen Gedanken, den ich vor vielen Jahren schon mit unserm seligen Lavater gemein hatte: daß diese ganze Prophezyung wich auf den Welt= und Kirchenzustand des letzten Zeitraums, auf das, was der Wiederkunft unsers Herrn nächst vorhergehen soll, auf diese Wiederkunft selbst, und auf ihre nähern und entfernteren Folgen beziehe; - daß also nicht, wie die meisten Ausleger glaubten, die Kirchengeschichte (von der Apostel Zeiten an durch alle Jahrhunderte hinab), sondern nur die große Endepoche es sey, über welche das vom Herrn entsiegelte Buch Aufschluß geben sollte. Die Einrichtung sowohl, als der Inhalt der Apokalypse setzen, meines Bedünkens, diesen Zweck derselben außer allen Zweifel.
Den Beweis für diese Behauptung bleibe ich Ihnen jetzt noch schuldig: doch hoffe ich denselben bald mittheilen zu können, wenn ich Muse finde, etwas nur erst flüchtig Niedergeschriebenes in einige Ordnung zu bringen.
Was mich von der Richtigkeit dieser Ansicht, verehrtester Freund, immer noch mehr überzeugt, ist die gegenwärtige Lage der Welt= und Kirchenangelegenheiten, welche theils jetzt schon so ist, wie die Apokalypse unter treffenden Bildern sie darstellt, theils nur allzu kenntlich mit allem dem schwanger geht, was eben diese Prophezeyung, von einem gewissen Zeitpunkt an, Schritt vor Schritt erwarten heißt. Dieß läßt sich hier nicht entwickeln; aber befremden wird diese Aeußerung Sie um so weniger, da sie selbst auf das Beispielloswichtige der Zeit, in der wir leben, schon oft die Leser Ihrer Schriften aufmerksam machten.
Mir liegt die Annäherung zu den letzten entscheidenden Auftritten hauptsächlich in dem Zeichen, daß ich den gegenwärtigen Weltzustand und was sich aus demselben bereits entwickelte, gänzlich conform finde dem Gemälde, das in der Apocalypse von dem letzten, d. h. dem Zeitalter, in welches die Widerkunft des Herrn fällt, aufgestellt wird.
Nicht hab ich im Sinn, irgend eine andere Erklärungsart zu bestreiten; ob ich gleich einzig an die mich halten muß, für welche sich ein entscheidendes Uebergewicht von Gründen findet. Und diese wird mit der Ihrigen - nicht zwar schon in den ersten Theilen Ihres mir sehr schätzbaren Buches, wohl aber von einem gewissen Punkte an, in allem wesentlichen coincidiren; nur daß ich kein Jahr bestimme. Gerade hierüber scheint mir die Bengelische Theorie so unzuverläßig, wie jede frühere, die auf Jahr und Tag hinausrechnen wollte.
Eigentlich zu reden läßt sich nicht wohl eine mehrfache Erfüllung der Weissagungen annehmen. Erfüllt können sie nur durch das werden, was ihren Sinn wirklich erschöpft. Es kann freilich geschehen, daß irgend etwas Anderes, dem, was die Weissagung erwarten heißt, mehr oder weniger ähnliches (auf welches also die Weissagung sich einigermassen accomodiren läßt,) ein= oder mehreremals sich ereignet: aber Erfüllung möchte ich dieß nicht nennen, um nicht etwas gar zu Schwankendes in die Auslegung zu bringen. Diese muß doch immer so beschaffen seyn, daß man sieht, es habe im ganzen nichts anderes dem erweislich wahren Sinne des Orakels so treffend zugesagt. Weicht man hievon ab, so bekommen die Prophezyeungen eine mit ihrem göttlichen Ansehen unvereinbare Vieldeutigkeit. Sie verlieren das, was ihnen das ächteste Wahrheitsgepräge giebt, die Simplicität: Simplex & perenne simul, sigillum veritatis.
Mit herzlicher Hochachtung Sie dem Schuze und der Liebe unsers gemeinschaftlichen Herrn - dessen, der war, der ist, und der kommt, empfehlend, bleibe ich Ihr ergebenster Freund J. J. Heß, Antistes.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 88, S. 188-189.
„Frankfurt den 3. Mai 1812.
Hochgeschätzter vielgeliebter Bruder!
Den Zustand der Verlassenheit und Dunkelheit und den Schmerz über das natürliche Verderben und über seine Ausbrüche, kenne ich aus Erfahrung. Mein Leiden ist leiblich= seelisch=geistlich, dauert fast ununterbrochen, ist aus unzähligen Elementen zusammengesetzt, und erst künftig werde ich mir und Andern das ganze Gemälde davon zur Uebersicht vorlegen können. Wenn meine Bußtrauer und die Sehnsucht nach Heiligung nicht immer der deutlich vorherrschende Theil davon ist, so rührt dieß eben von der mannchfaltigen Zusammensetzung desselben und von den Qualen des äußern Menschen her, die mich selten recht zur Besinnung kommen lassen, zugleich aber dem ungleich schwereren geistlichen Leiden zum wohlthätigen Ableiter dienen und doch ungefähr dieselbe Läuterung bewirken, welche aus reingeistlichen Anfechtungen entsteht. Natürlich fliehe ich in meinen vielen täglichen Nöthen zum Freund der Sünder, zu der persönlichen Liebe, aber hier begegnet mir eben manchmal das, wovon Sie schreiben, und mein Glaube wird oft auf sehr schwere Proben gestellt. Alles, was dem äußern Menschen das schmerzhafteste ist, fühle ich mehr oder weniger, dazu gesellen sich immer neue Aengstigungen, und zuweilen liegt wirklich die ganze unglückselige Welt auf mir. Doch hiervon genug, ich preise den, der mich züchtigt, und küsse die Ruthe, die mich schlägt. v. Meyer.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 89, S. 189.
„Den 16. Mai am Abend vor Pfingsten.
Ich habe es jetzt so weit durch Gottes Gnade gebracht, daß ich wenigstens den Vorsatz gefaßt habe, mich jedesmal über neue Plagen und Neckereien zu freuen, sie mit Freundlichkeit als neue Aufgaben anzunehmen, die mein himmlischer Meister mir machen läßt, um mich in der Duldungskunst, im Glauben, in der Liebe und in der Klugheit zu bewähren. v. M.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 90, S. 190-191.
„Dem 12. Juni 1812.
Ihr lieber Brief vom 23. Mai ist mir inmittelst zugekommen. Dem, was Sie von dem mystischen Tod und der Ertödtung des eigenen Willens durch Kreuz und Trübsal sagen, stimme ich völlig bei. Hingegen muß man darin nicht so weit gehen, wie ich es irgendwo in einer Anmerkung der Berlenburger Bibel (aus einem Mystiker gezogen) gefunden habe: das man in seinen Schmerzen auch nicht einmal zu Gott schreien soll. Diese Forderung ist bibelwidrig, zweckwidrig und unmenschlich. Wenn Hiob sich auch einigermaßen in der Hitze seines Leidens vergeht, so nimmt doch der in seine Gebeten unsträfliche David den Mund recht voll bei seinen Klagen, und unser Heiland schreit in der Angst seiner Seele laut zu seinem himmlischen Vater. Es heißt wohl bei Jesajas: Wehe dem, der mit seinem Schöpfer hadert; aber es heißt auch bei Mose: Er rang mit ihm, bis die Morgenröthe anbrach; und Jakob spricht daselbst: Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn. Auch ihm wurde die Hüfte, das ist die Sinnlichkeit, der Eigenwille, gelähmt, aber er erreichte seinen Zweck und ward ein Kämpfer Gottes genannt. Das Leiden hat meiner Einsicht nach zwei ganz entgegengesetzte und dennoch harmonische Zwecke: Demüthigung und Erhebung, Beugung des natürlichen Menschen, und Kräftigung des geistlichen Menschen; indem Gott uns schlägt, so zernichtet er unser eitles, selbstsüchtige, äußerliches Wesen, reizt uns aber zugleich zum Muth, dem Himmelreich und seinen Gütern, wozu auch gottselige Ruhe gehört, Gewalt anzuthun; und von diesen Gewaltthätern oder Himmelsstürmern heißt es: sie reißen es zu sich. Mich dünkt, ohne diese andere Hälfte, ist die Mystik unvollständig. Darum ist das wahre Verhalten des Gottseligen in zwei Worten beschlossen: Glaube und Geduld. Diese beiden müssen einander das Gegengewicht halten; wenn aber Geduld, d. i. gänzliche Ergebung in den Willen und die Wirkung des heiligen Geistes nicht hinzukommt, so ist der Glaube kein Israel, sondern ein natürlicher Jakob. - Ihre vieljährigen Erfahrungen über den Kampf zwischen Geist und Fleisch sind auch bereits die meinigen. Ewiger Ihr treuverbundener in Ihm. v. Meyer.
JUNG: Sendschreiben Nr. 91, S. 191-192
„Frankfurt den 4. Juli 1812.
Es freut mich, was Sie vom mystischen Stoicismus schreiben, und was Sie anstatt dessen auf das: Vater, ist's möglich & hinzuweisen, und auf das [...; grch: Kyrie eleison]. Ja, das ewige Andringen und Eindringen ins Centrum ist das rechte Gebet und dessen Zweck und Folge. Manchmal gibts Zwischenräume der Trägheit und Dumpfheit; aber in der Regel betet das gottselige Herz immerfort, ohne jedoch die ausdrücklicheren Unterhaltungen mit Gott zu vernachläßigen. Ich darf Ihnen eröffnen, daß ich seither in meinen Leiden zu denjenigen gehörte, welche Tag und Nacht zu Gott schrien; diese Stelle hat mich die Erfahrung verstehen gelehrt.
v. M..“
JUNG: Sendschreiben Nr. 92, S. 192-194.
„Frankfurt den 20. August 1812.
Die Lehre der Brüdergemeine von der Uebergabe in die Bearbeitung des Heilandes und seines Geistes ist die einzig ächt biblische, die einzige ächt mystische, und das einzige Moralsystem, das nicht untergehen kann. Auch ist es ein Kennzeichen der wahren und besten Mystiker. Denn alles wahre Christenthum ist Mystik; aber nicht alle Mystik ist wahres Christenthum. Manchmal verdirbt es aber auch blos der Leser, und hält sich an den Autor, der seine Phantasie gefördert hat, anstatt an die Quelle zu gehen, wohin der Autor weist. Das Unwesen, das mit den Schriften der Mystiker getrieben wird, ist eben das, welches man in gewissen Kirchenperioden mit den Patribus trieb. Man könnte dieses Hängenbleiben am Secundären für Demuth halten, wenn es nicht Früchte des Irrthums und der Verblendung trüge. Der Grund ist, wie Sie wohl bemerken, daß man sein und aller Menschen Elend und nichts nicht unbedingt er= und bekennen will; nur so kann etwas Rechtes aus uns werden. Aber halberweckt und ohne ein armer Sünder geworden zu seyn; wie kann man das Licht des Reinsten ertragen? wie von ihm unmittelbar zubereitet werden? Man bleibt in der Sinnlichkeit und Blindheit des alten Menschen und wechselt blos den Namen. Indessen hat auch der gründlich Erweckte überall die äußerste Wachsamkeit nöthig, um nicht auf dem Kissen der Einbildung und Sicherheit wieder einzuschlummern. Ich fühle das gar oft.
Meine Meinung, wie das Evangelium ein Geruch des Todes zum Tode werden kann, ist die: Gerüche machen einen sehr verschiedenen Eindruck; es gibt Leute, denen vom Rosengeruch wehe wird. Gerüche tödten das Ungeziefer, und alles Gute, alle balsamischen Ausflüsse des Lichtreichs, sind ein tödtendes und quälendes Gift für das Reich der Finsterniß. Die göttliche Gnade des Evangeliums erbittert den verstockten Sünder; seine hochmüthige Vernunft, sein sinnlicher Mensch, ärgert sich daran; er wird Hasser, Schmäher, Verfolger der Wahrheit und ihrer Bekenner: aus einem gemeinen ruhigen Sünder wird er ein boshafter Teufel und stirbt völlig den geistlichen und den andern Tod. Dadurch wird eben (ohne Gottes und nur durch des Menschen Schuld) die göttliche Ordnung, nämlich das Gericht der Scheidung und Entscheidung befördert. So heißt es auch von Christo selbst: er sey gesetzt zu einem Fall und Auferstehung &. Wem das Evangelium gepredigt ist, und er nimmt es nicht an, dieses einzige Mittel des Heils, der spricht sich selbst das Urtheil, und sein Widerstreben gegen den heiligen Geist sürzt ihn ohne mögliche Rechtfertigung und Entschuldigung in die Verdammniß. Es wäre manchem besser, er wäre nie als Christ geboren worden, so hätte er nie an Christo den ewigen Tod verdient.
Der Herr sey gelobt, der uns aus unverdienter Gnade berufen hat zum Erbtheil der Heiligen im Licht. Er erhalte es uns um seines Namens willen. Ewig der Ihre
v. Meyer.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 93, S. 194-195
„Frankfurt den 10. Febr. 1813.
Ich zähle mich billig zu den Hioben und nenne Sie meinen Elihu, der mir das Geheimniß des Kreuzes deutlich macht; denn ich habe auch leidige Tröster. So sehr ich nun Ihren Elihureden beistimme, so muß ich Ihnen doch von einer Seite widersprechen. Wenn die Ichheit getödtet ist, so leiden wir allerdings weniger; aber 1) eine absolute Tödtung der Ichheit ist eine Unmöglichkeit, weil sie gänzliche Unempfindlichkeit werden müßte. 2) Wir werden, wie ich deutlich empfinde, in den Banden der Ichheit gehalten, bis die Zeit gekommen ist, uns davon zu erlösen. 3) Wenn die Tödtung der Ichheit uns auch gegen innere Leiden schützt und uns den Frieden Gottes verschafft, so steigen doch die äußern Bedrängnisse gewöhnlich um so höher; alle fromme und heilige Seelen werden von dem Teufel und der Welt eben deßwegen geplagt, weil sie des Fleisches Willen nicht thun wollen. So wie es aber eine Auferstehung des innern Menschen hienieden giebt [sic], so gibt es auch für viele Christen einen Sabbath äußerer Ruhe, wenigstens einen abwechselnden. An ihm offenbart sich dann vollständig die Verheißung dieses Lebens, welche die Gottseligkeit auch hat. 4) Gibt es besonders gewisse Zeitläufe und Privatzustände, wo der Christ so gedrängt und getrieben wird, daß er kaum zur Besinnung kommt, und es ihm äußerst schwer wird in die Gelassenheit einzugehen. Der Mönch in der Clausur und der Bruder im Chorhaus gelangen leicht zu einer innern Stille, Demuth und Selbstentäusserung, die für den Geschäftsmann fast unmöglich ist. Je mehr sich dieser seines Selbst entäussern will, desto ärger wird seine Pein.
v. M.
JUNG: Sendschreiben Nr. 94, S. 195.
„Fr. d. 26. Febr. 1813.
Wegen der Nothwendigkeit, daß der alte böse Mensch, der Eigenwille, in uns getödtet werden muß, und daß das Kreuz uns hierin unterstützt, bin ich völlig Ihrer Meinung. Ersteres leidet ohnehin keinen Zweifel, und von letzterm hat mich meine Erfahrung handgreiflich und buchstäblich überzeugt.
v. M.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 95, S. 195-196
„Frankfurt den 1. März [sic] 1813.
- Die Quelle alles Zank's über geistliche Dinge ist die Einseitigkeit. Ich meine des Zanks unter gutgesinnten Gläubigen. Wenn der heilige Geist uns zur Allgemeinheit des Standpunktes erhebt, von dem aus er die Schrift diktirt hat, so haben wir auch den durchreichenden Schlüssel der Auslegung, nur daß wir all denjenigen Sinn nicht finden können, welchen uns die Schranke des Sinnenlebens oder der Mangel an höherer Erfahrung und die individuelle Beschränktheit unserer Erleuchtung für den Augenblick vorenthält. Je weiter wir gefördert werden, desto mehr Kammern der Wahrheit schließt uns der Schlüssel auf. Ganz verschieden ist die positive Allgemeinheit des Worts, die ich predige, von der leeren Gleichgültigkeit, welche die neologischen Vernunftschwärmer annehmen, denen Gottes Wort nur Menschenwort ist, und welche den Geist der Wahrheit weder sehen noch kennen. - Theuerster Bruder! ich glaube über 1. Ptr. 2, 9 ein Licht erhalten zu haben, das in die Ewigkeit reicht und wunderbar tröstlich und weit aussehend ist. Es bezieht sich auf die Wiederbringung des Alls. Bedenken Sie, wenn Alles wiedergebracht ist: wo wird die Menschheit ihre Stätte nehmen?
Ach, welche Seligkeit wär' es, wenn man sich gemeinschaftlich, mündlich, ohne Neid, Hochmuth oder Eitelkeit, sondern einfältig wie Gott giebt, seine, oder auch Andrer Einsichten mittheilen, so einander erbauen und fördern könnte in der wahren Weisheit und dabei Gutes thun könnte ohne zu ermüden! das wäre eine rechte Loge, oder vielmehr ein Himmel auf Erden. Der Herr vereinige bald seine Gläubigen und sey selbst ihr Meister, ob's hier oder dort uns bevorsteht, das weiß er.
v. M.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 96, S. 197-198.
„Frankfurt den 4. Juni 1813.
- Ueber 1 Petr. 2, 9: 'Ihr aber seyd das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigenthums; das ihr verkündigen sollt die Tugenden deß, der auch berufen hat von der Finsterniß zu seinem wunderbaren Licht' - will ich Ihnen mit Freuden einen Aufschluß mittheilen (auf den ich jedoch nicht allzuviel baue.) Ich halte nämlich für ausgemacht, daß nach den Ewigkeiten der Ewigkeiten endlich alle Geschöpfe, auch Lucifer und seine Engel, wieder zu ihrem anerschaffenen Licht und Erbe gelangen. Daß Jakob Böhm erklärt, er sehe davon nichts, rührt mich nicht, denn er sollte es nicht sehen, und es kann doch wahr seyn. Lucifers Lichtwelt war an dem Ort unsers Sonnensystems. Wenn nun die Erde nicht nur äußerlich verklärt, sondern auch (durch das Blut Jesus Christus) endlich die Hölle in ihr wird ausgelöscht und unser Sonnensystem wieder in Lucifers Lichtreich noch hellscheinender als vorhin, verwandelt seyn, und die Teufel als Engel des Lichts ihr erstes Reich wieder eingenommen haben werden: wo bleibt dann Adam, nämlich der Mensch? Hier leuchtet uns die israelitische Stammeintheilung als ein hohes Sinnbild der Ewigkeit vor. Lucifer war der Erstgeborne, der Ruben der Schöpfung; aber er wurde verstoßen; nicht er, sondern Juda (d. i. der Schilo Jesus Christus) und die durch sein Blut erlöseten Christenmenschen, die in so fern der Königsstamm sind, so lang die Erde steht, hat die Erstgeburt bekommen. Dagegen gibt es einen Stamm Israels, der keine bestimmte Stätte hat, keinen Landestheil, sondern Gott selbst wollte sein Erbtheil seyn, daß ist der Stamm Levi, und der lagerte dicht bei der Stiftshütte, und war Gott dem Herrn am nächsten. Da wird nun nach der Verheißung der Schrift selbst über die Engel erhöht werden sollen, so sind wir künftig die Leviten des Weltalls oder der Ewigkeit, und unter uns unser Stammesverwandter Jesus Christus der Aaron. Also nun wissen wir was (NB. ausser dem nächsten Zusammenhang) die Worte definitiv sagen wollen: 'Ihr seyd das auserwählte Geschlecht, das heilige Volk, das königliche Priesterthum u. s. w. Die Ausdrücke sind alt=testamentlich, und dadurch ist schon geweissagt, daß die geistlichen Israeliten einst alle Leviten seyn sollen.
v. M.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 97, S. 198-199.
„Frankfurt den 18. März 1815.
Ihre Bemerkungen über die innere Ascetik unterschreibe ich unbedingt.
Wir müssen immer wachen und im Gebete ringen mit großer Aufrichtigkeit. Bei dem allen ist nicht zu läugnen, daß viele auf dem Bußweg versäumen, sich den Trost der göttlichen Liebe und der künftigen Herrlichkeit, den freudigen Geist und den Reichthum seiner Geheimnisse zuzueignen, was uns ja doch alles in Jesu Christo geschenkt ist. Hierüber werden sie als Selbstwirker finster und streng, und da die menschliche Natur so eingerichtet ist, daß sie (wie auch der treffliche Joh. Arnd im wahren Christenthum sagt) immer etwas lieben muß, ja sich an etwas erfreuen und damit spielen: so bricht sich oft die Natur bei diesen frommen Seelen recht plumpe Wege und fällt unversehens in Lüste, weil ihr kein geistlicher Ersatz gegeben ist. Zinzendorf hat das wohl gemerkt, aber seine und nach mehr seiner Nachahmer Manier war tändelnd und gefährlich; die Brüdergemeine wollte nicht viel von Mysterien wissen, und gerieth darüber in eine Schwelgerey des Gefühls, welche nicht Stand halten konnte. Daher findet sich jetzt in ihren Arbeiten eine gewisse Leere und Eintönigkeit, die nicht jedem zusagt, am wenigsten den Gelehrten und Gebildeten, die zwar empfinden, aber auch denken und wissen wollen, und Manchfaltigkeit des geistlichen Genusses begehren. Zu dem allem aber gibt die Schrift unendliche Anleitung, besonders wenn der Spiegel der Natur mit zu Hülfe genommen wird, in den sie uns blicken heißt. Wer die Sache wohl verstanden hat, war eben Joh. Arnd, der neben der Abscheulichkeit des alten Menschen die Reize der neuen Geburt und der mit ihr verbundenen Weisheit herrlich zu zeichnen gewußt hat. Wer seinem Leitfaden folgt, kann wahrlich weder zur Rechten noch zur Linken abschwärmen.
v. M.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 60, S. 199.
„Zürich den 20. April 1801.
Unter so vielen Dankrufungen, unter so vielen seegnenden Blicken nehm’ auch ich einen stillen - Abschied von Ihnen im Erdenthale! Dankend und segnend wird mein Herz Sie überall begleiten. Trennung kennt die Himmelstrebende - keine! Nur die reisenden Pilger rufen einander ihr Lebewohl zu.
Auf ewiges Wiedersehen Ihre
Nanette R....
née F........“
JUNG: Sendschreiben Nr. 98, S. 200.
„Frankfurt den 4. Februar 1816.
Bei Veränderungen von Liedern ist's offenbar ein Unterschied, ob sie den wesentlichen Sinn, oder blos die Form betreffen. Es ist ein herrliches Psalmodiren in den alten Gesangbüchern, und ich hoffe auf ihre Wiedergeburt, wozu glaubige Dichter gehören: denn das Vernunftgepiepe der Neuern ist gar eine klägliche Nachtmusik und wenn sie Kernlieder reformiren, so wird es einem Christengemüth weh um den Magen. Einige Lieder habe ich schon selbst mir Vorsicht gereinigt, z. B. Mein Salomo, dein freundliches regieren &. Hier ließen sich leise Verbesserungen anbringen, wobei der Gedanke nichts verliert. Sie erstrecken sich aber blos auf das ästhetische und technische: denn da thuts noth, weil zu Dr. Richters Zeit der alte Meistergesang (der sich gar nicht reformiren läßt, z. B. Luthers Lieder) untergegangen und die neue Kunst noch in der Wiege war. Doch gibts auch aus dieser spätern Zeit Lieder, die keine Aenderung vertragen, z. B. Befiehl du deine Wege & von Paul Gerhard.
Naturpoesien wie Luthers, vertragen gar keine Aenderung; Dr. Richters Lieder aber sind künstlich, ihnen kann also die Kunst zu Hülfe kommen, sie von Prosaismen und Incorrectheiten befreien. Dem Geist der Gnade, der in Luthers wie in Richters Liedern weht, darf dabei Niemand zu nahe treten. Von Entkräftung der Metaphern ist auch kein Mensch ferner als ich; umgekehrt suche ich das Matte zu stärken.
M.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 99, S. 201
„Frankfurt am 2. Ostertag 1816.
Ein frohes Fest wünsche ich Ihnen von dem der todt war und und lebet von Ewigkeit zu Ewigkeit. Er hat es auch mir an innerem Segen nicht fehlen lassen in diesen Festtagen, sondern ist mir mit Gnade nahe gewesen, hat zu meinem Herzen gesprochen und gesagt: Fürchte Dich nicht! Er hat mir versichert von der Tilgung meiner Sünden, hat von Erwählung und Kindschaft, von Weisheit und Erkenntniß, von Amt und Reich mit mir gehandelt, mein Auge mit klaren Aussichten erquickt, und meine Seele mit dunkeln aber süßen Ahnungen. Lob sey ihm dafür! Ich habe das Meer der Trübsal noch nicht verlassen; aber ich tauche in die Höhe. Mein Gemüth wird stille, voll Zuversicht, glaubensselig. Er bewahre mir seinen Frieden und sein Friede mich. An Kämpfen und Betrübnissen fehlt es dennoch nicht, aber ich weiß sie nun zu schätzen und darf auf Entledigung hoffen.
Von meinem Salomo, dem leise Veränderten, setze ich Ihnen hier V. 6 hin:
Der Gnadenquell der in der Seele fließet,
Muß ihr ein ew'ger Brunn des Lebens seyn;
In's Meer des Lebens gießt er sich hinein,
Das Lebensströme wieder von sich gießet.
Von dieses Wasser regem Wechsellauf
Geht hundertfache Frucht des Geistes auf.
Ewig der Ihrige
J. F. v. Meyer.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 100, S. 202-204.
„Vienne le 4. Ianvier 1814.
Mon cher et respectable ami!
Quand je vous écris, je me donne une véritable jouissance, je m’arrache à l’ennui d’une vie oisive et inutile pour rentrer dans une Sphêre de paix et d’amour, je n’ai donc aucun mérite à vous écrire souvent. Quant à vous dont tous les instants sous consacrés à Dieu, ou au prochain, vous me prouvez réellement votre amitié par vos lettres, et vous devez sentir combien elles me sont précieuses. Nous sommes toujours ici sans savoir quand cela finira, et de quelle Manière? Oui, sans doute, il faut prier, plus que jamais. Ce n’est que de Dieu que les Nations doivent attendre leur salut. Je suis bien decidée à m’attacher de plus à la croix, pour suivre le sentier qui me sera tracé et que j’ignore encore. Telle est ma volonté, mais aurai-je la force de ne pas devier? Priez pour que je l’obtienne et que votre bénédiction ne m’abandonne jamais. Je suis ici dans le sein de ma famille, & cette situation m'aurait rendue heureuse, se je n'avais point le coeur navré de l'état de mon père. Au sein de sa Famille, entouré de soins et d'affectation rien n'adoucit sa mélancolie, et toute les consolations qu'on lui prodigue sont sans effet. Ma mère est un ange de patience et d'amour pour lui, nous souffraons tous avec elle. Les Misères de l'homme surpasseroient elles quelques fois la bonté de Dieu? je crains de pécher en le pensant, et je me prosterne avec soumission devant cette profonde sagesse qu'il ne nous est pas toujours donné de comprendre.
Je dois aussi vous parler du phénomène religieux wui aoccupe Vienne dan ce moment. C'est Werner *) que j'ai été entendre comme tout le monde. Vous ne vous faites point une idée, mon excellent ami, de l'immense foule il prêche. Ou y va ordinairement par curiosité, et j'avoue que c'est le même motif qui m'y a conduit; mais j'en suis sortie avec des sentiments bien différens. On accuse Werner d'être vulgaire et bizarre dans ses sermons. Ce reproche est fondé peut-être; mais il m'a été impossible d'en juger par l'emotion douce et profonde qu'il m'a fait éprouver. Je ne pourrois pas rendre compte de ce qu'il a dit, je sais seulement qu'il m'a fait pleurer, et qu'en sortant j'étois pénétrée de l'amour divin. Marquez moi, mon ami, ce que vous savez et ce que vous pensez de cet homme extraordinaire. Je le crois éxageré, je ne puis admirer son changement de religion qui suppose des idées fausses, sans doute une foi positive, qui parle également à l'imagination et au coeur, est prèférable; mais le Christ n'est-il pas le même pour tous le chrétiens, et peut-on croire que les catholiques seuls ont droit à ses miséricordes? Voilà ce qui me peine dans la conduite de Werner, mais je n'en trouve pas moins, qu'il mérite l'attention & l'affection de tous les amis de la religion. - -
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*) Hofrath (Friedr. Ludw. Zacharias) Werner, geboren zu Königsberg 1767, bekannt durch seine 'Söhne des Thales,' 'Weihe der Kraft,' und andere Schriften, ging im J. 1811 zur katholischen Kirche über, studirte die Theologie für sich und wurde im Januar 1814 zum Priester geweihet. Er predigte mit großer Kraft und starb 1823. d. H.
JUNG: Sendschreiben Nr. 101, S. 204-207.
„Vienne le 28. Janvier 1815.
Se suis bien triste, mon excellent ami, es plus que jamais je sens le besoin de m'entretenir ave vous, pour trouver dans cet entretien la force qui m'est necessaire. Un malheureux hasard a appris à ma mère la mort de ses deutx frères que nous lui tenions cachée depuis deux ans. Les circonstances affreuses qui accompagnent cette perte, car vous savez qu'ils on été tous deux victimes de la barbarie des turcs, ajoutent extr°emement à sa douleur. Son courage d'alleurs est affaibli par une suite de malheurs et de peines que la providence lui envoie depuis plus dix ans. Nous ne pouvons cependant qu'admirer sa douceur, soa patience, sa religion, mais elle souffre profondément et sa santé même en est alterée. Je suis toujours auprès d'elle, et je partage ses douleurs, mais ein bénissant celui qui nous les envoie. O mon ami, les croix ne doivent point nous abattre, et je fais tous mes efforts pour résister à la foiblesse humaine, qui me port dans cette occasion à la tristesse et à l'abattement. Priez pour moi, priez aussi pour ma pauvre mère, Dieu exaucera, car vous avez soutenu courageusement les épreuves qui vous étoient destinées. Ah! qu'il faut de force d'âme pour ne point se laisser décourager dans cette vie si traversée d'orages. Il me semble quelques fois que je supporterois plus facilement mes propres peines que celles des personnes qui me sont chères. Je ne sais peut-être ce que je dis, mon âme est comm un roseau balotté par les vents. J'étois bien plus heureuse lorsque j'étois auprès de vous, mais le bonheur n'est point le but de mon existence, Dieu le sait: l'aimer & faire sa volonté je n'aspire plus qu'à cela.
Pour me fortifier pendant ce temps d'epreuves je lis un de vos ouvrages qui me fait beaucoup de bien: Scenen aus dem Geisterreiche. Si je ne dois plus vous revoir vous dépeignez si bien que nous nous retrouverons. Quelques années d'epreuves encore, et tout sera fini pour nous dans ce monde. O comment peut-on le regretter!
Nous ignorons toujours le moment de notre départ, et je crois que vous pouvez encore me donner de vos nouvelles à Vienne. Si la santé de ma mère ne se rétablit point entièrement, et si elle paroit desirer le moins du monde que je reste avec elle, je suis decidée à ne pas suivre, et à rester ici. Jes sacrifierai par la une certaine liberté à laquelle je suis fort attachée, mais c'est justement pour cela que je dois le faire, et je pense que vous serez de mon avis. Le cour au fond ne me convient pas. Il m'est impossible de prendre aucune part à la disipation qui y règne, on finit alors par y faire une triste figure, on déplait, on n'est plus bonne à rien. Mais tout cela, comme vous pensez, n'est rien du tout, si l'on s'y soumet pour remplir la volonté de notre Père célèste. - -
Ma lettre devient bien longue, mais je ne veux point la terminer sans vous demander votre opinion sur une des choses les plus extraordinaires de notre siècle. Je veux parler du magnetisme, dont j'ai vu de mes propres yeux des effets qui passent pour ainsi dire - l'intelligence humaine. Tout en les admirant, j'ai senti un doute violent s'élever dans mon âme, et je vous conjure de l'ecclircir. Le Magnetisme qui paroit établir d'une manière si évident la spiritualité de l'âme, et la puissance de la volonté de l'homme devroit du bon principe, c'est à dire de Dieu; mais les abus qu'on peut en faire, et la puissance qu'il donne à l'homme sur son semblable, ne prouvent-ils pas le contraire, & ne seroit-ce point un des piéges de l'esprit des ténèbres pour ajouter aux maux, dont cette génération va probablement être inondée?
***“
JUNG: Sendschreiben Nr. 102, S. 207-208.
„Mon cher et respectable ami!
C'est de *** que je vous écris. J'ai quitté Vienne et ma famille avec de grands regrèts, mais c'est surtout ici que je les sens dans tout leur force. La route m'avoit distraite, l'isolement dans lequel je me trouve au milieu de cette cour m’a rendu toute ma tristesse. Ajoutez à cette disposition particulière l’effet que doivent produire les nouvelles du jour. Je vous avoue que mon coer ne me dit rien de bon, je crains de voir l’Europe embrasée par une nouvelle guerre. L’Empereur, que j’ai vû la veille de mon départ craint la même chose, il s’est rapellé à cette occasion tout ce que vous lui avez dit à Brouchsal; votre opinion est las sienne. J’ai été bien touchée en lui disant adieu, & je l’ai béni au nom du Seigneur. Oui, le Seigneur ne l’abandonnera pas. Je ne vous en dirai pas d’avantage dans l’espoir où je suis de vous revoir bientot.
Nous avons quitté deux jours après l'arrivée de la nouvelle du départ de Napoléon. Si nous y étions restées encore quelque temps, on auroit pu prendre un parti, et nous nous trouvons. Les fêtes ont été interreompues à vienne, mais ici on ne nous fait pas grace d'un seul spectacle. Je vous avioue, que je suis excédée d'ennui, de fatigue et de dégoût. Il est difficile de n'être pas revoltée d'une semblable légèretè. O mon ami, vous avez bien raison de dire que le monde a encore besoin d'être chatié.
Je pressens déja que je ne respirerai que lorsque je me retrouverai auprès de vous au milieu des vôtres, dans ce cercle où repose la paix du Seigneur et où mon âme se trouvoit toujours si fortr à l'aise. Que les Princes sond malheureux de ne pas connaitre des emblables jouissances. Elles sont si faciles et si vraies. Il faut que je finisse ma lettre, ce ne sera point sans vous avoir demandé votre bénédiction. O conservez moi une affectation qui m'est si necessaire et dont je sens bien tout le prix. Adieu, je vous embrasse vous et les vôtres.
***
JUNG: Sendschreiben Nr. 103, S. 208-210.
„Petersbourg le 7 Avril 1816.
- - - Notre cher Empereur continue à marcher dans la voie du Seigneur. Il mène une vie très retirée et très exempülaire, et supporte avec patience les èpins dont so couronne est doublée. J'espère que Dieu le bénira et l'éclairera dans sa Carriere dont vous ne pouvez vous figurer toutes les difficultés.
Mon frère travaille beaucoup pour le servce de l'Empereur, mais il travaille aussi pour celui de Dieu. Le malheureuse circonstances qui ont troublé tant d'âmes ici par le moyen des J'ésuites, l'ont engagé à écrire un livre sur notre église d'orient, qui prouvera, j'espère, d'une manière triomphante, que nous sommes restés attachés aussi scrupuleusement que possible à l'eglise primitive, tandis que les catholiques s'en sont bien éloignbés. Vous aurez cet écrit dès qu'il sera imprimé.
J'ai fait depuis que je ne vous ai écrit des connoissances fort intéressantes; entre autres celle d'une Religieuse qui revient de Jérusalem, ou elle a été il n'y a pas trois ans. Cette femme a été d'une manière bien extraordinaire. Elle étoit aveugle depuis un an, & une vision lui rendit tout à coup la vue. Ce fait est certain, et je vous en donnerai les details lorsque nous nous rapprocherons. Elle nous a fait une peinture admirable des saint lieux et des maux qu'endurent les Chretiens. Le Patriarche de Jérusalem, qui est une saint homme, l'a prié avec larmes de rapporter en Russie ce qu'elle avoit vu. Il est remarquable que le nombre des Pélerins, qui vont visiter le saint sépulcre, augmente tout les ans dans ce pays. Les catholiques se sont emparés depuis peu de la chapelle principale, qui repose sur le tombeau du Christ, et qui appartenoit autrefois aus Grecs, et par un esprit d'intolerance, qu'ils montrent en tout occasion, ils ont imaginé de dérober aux autres chapelles la vue de ce Monument si précieux à tout les Chretiens, en l'entourant de rideaux qui le cachent; cependant les Turcs on éxigé que ce fut le Patriarche des Grecs, qui le jour de Paques officiât sur le saint sepulcre, et cela se fait ainsi tous les ans.
Un Missionaire Russe vient de porter la lumière de l'Evangile chez les peuples du Caucase, neuf-mille ames sont devenues chrétiennes depuis 1815 seulement, et au mois d'août de cette année le jour de la St. Alexandre il baptisa douze cent personnes dans une rivière. On va peupler ces montagnes sauvages de temples du Seigneur, et l'Empereur à assigné des fonds pour entretenir douze églises, et les prêtres chargés de les desservir. Je vous donne ces details sachant le plaisir qu'ils vous causeront.
A Dieu! rappelez vous quelques fois de moi devant le Seigneur.
***“
JUNG: Sendschreiben Nr. 104, S. 211-216.
„Sarepta den 21. Decbr. 1814.
Theuerster Herr Hofrath!
Als ich im Jahr 1804 von C. aus einen Besuch bei meinem Vater in K. machte, hatte ich das Glück, Ihre persönliche Bekanntschaft daselbst zu machen. Seitdem habe ich alles, was ich von Ihren mir so lieben Schriften in die Hände bekommen konnte, mit doppeltem Interesse gelesen, und dem Herrn, unserm Heiland, gar oft mit fröhlichem Herzen und Munde gedankt, daß er Ihnen in diesen letzten betrübten Zeiten des Abfalls und Unglaubens, aus Gnaden fortwährend Muth und Freudigkeit erhält, laut von ihm zu zeugen, und sein Heil den Menschen anzupreisen. Er erhalte Sie, theuerster Freund und Bruder, noch recht lange als einen Pfeiler in seinem heiligen Tempel, stärke Sie bei Ihrem hohen Alter mit reichem Trost und Kraft aus der Höhe, und erwecke noch große Schaaren seiner Erlößten durch Ihren gesegneten Dienst und Arbeit, sich Ihm, dem für uns geschlachteten Lamm, mit Leib und Seele hinzugeben, zu einer Beute seiner sauern Todesmühe. -
Nach langer Unterbrechung habe ich endlich, da die Communication mit dem Vaterland wieder hergestellt ist, die letzten Hefte Ihres, auch im fernen Asien gar sehr beliebten, grauen Mannes in die Hände bekommen. Wir alle haben uns herzlich gefreut, im 26. Heft desselben eine Aufforderung von Ihnen an alle Freunde unsers Heilands und seiner Kinder zu lesen, die arme Gemeine in Sarepta, die durch den schrecklichen Brand im Jahre 1812 und durch die bald darauf erfolgte grausame Plünderung und gänzliche Einäscherung unser Moskovitischen Etablissements einen fast unersetzlichen Verlust erlitten hat, liebevoll und werkthätig zu unterstützen. Wir hoffen und wünschen von Herzen, daß diese ihre gütige Fürsprache seiner Zeit den beabsichtigten Nutzen hervorbringen werde, und ich sage Ihnen hiermit im Namen unserer Aeltesten=Conferenz, und der ganzen Gemeine unsern wärmsten und innigsten Dank für Ihre christliche Theilnahme an der Last, die uns tief zu Boden drückt, und bei der uns nichts als ein kindlicher Glaube und festes Anhalten an den gnädigen und barmherzigen Herrn aufrecht erhalten und vor Kleinglauben und Verzagen bewahren kann. Unsere äußere Lage ist in der That ungemein drückend, indem ausser den erwähnten großen Verlusten auch mehrerer andere, nicht wenig empfindliche, unserm innern Wohlstand eine fast unheilbare Winde geschlagen haben. Der Herr allein weiß, wie uns aus diesem Labyrinth geholfen werden kann. Seine Hand schlägt wohl, aber noch ist sie nicht verkürzt, daß sie nicht helfen könne. Noch sitzt er auch unter uns aus Gnaden im Regimente, und bekennt sich bei allem Gedränge von Außen huld und liebevoll zu seiner hiesigen armen Gemeine; das erfahren wir oft und viel, ja täglich zu unserer innigen Beschämung und Ermunterung.
So angenehm und erfreulich es uns war, daß Sie, theuerster Freund und Bruder, unsrer bedrängten äußern Lage, mit wahrer Bruderliebe eingedenk sind, eben so wohlthuend und befremdend schien es uns auch, in dem nemlichen Heft pag. 270 eine Rüge gegen die Brüdergemeine zu finden, die wir bei der genauesten und gründlichsten Prüfung unsrer selbst nicht wohl für gegründet ansehen können. Meines Erachtens gehört es ja gerade zu dem entschiedeneren Charakter der Brüdergemeine: Einigkeit des Geistes unter allen Religionspartheyen zu befördern; dahin zwecken unsere Diaspora=Posten, die Predigerkonferenz, und andere, gegen allen Sectirergeist geradezu angehende Einrichtungen der Brüder=Unität. Und wie wenig dahin gearbeitet wird, bloß unsern Gemeindsschriftstellern Publicität unter uns zu verschaffen, beweist ja schon zur Genüge der einzige Umstand, daß gerade Ihre Schriften, in allen unsern Gemeinen, besonders aber auch hier in Sarepta, fast durchgängig mit dem entschiedensten Beifall gelesen werden; ja ich behaupte gewiß nicht zu viel, wenn ich Sie versichere, daß Ihr grauer Mann, Ihr Heimweh, Ihre Siegesgeschichte, Ihre Lebensbeschreibung und mehrere andere Ihrer lehrreichen und erwecklichen Schriften, gewiß durchgängiger und allgemeiner gelesen werden, als die meisten Schriften des sel. Grafen Zinzendorf. Daß wir uns gewiß nicht für besser halten, als andere, bedarf wohl keines Beweises; wenigstens würde ein solcher nur mit Unrecht den schönen Brudertitel sich anmaßen, und dadurch offenbar an den Tag legen, daß er sich noch nie wahrhaftig im Lichte des Geistes Gottes habe kennen lernen. Alle wahren Brüder und Schwestern unsrer Gemeine freuen sich vielmehr von ganzem Herzen, wenn sie Einen finden, der mit uns auf einen Grund des Glaubens und der Hofnung gesunken ist, ja wir beten alle Sonntage in unsrer Kirchenlitaney, daß der Herr alle Kinder Gottes zu Einem Geist vereinigen wolle. Und gewiß würden Sie mit Freuden Ihr, uns ein wenig hart dünkendes, Urtheil zurücknehmen, wenn Sie in unsrer hiesigen Gemeine die ungeheuchelte Liebe und Herzlichkeit wahrnehmen sollten, mit der jeder uns besuchende Prediger und andere Freunde von den deutschen Colonien aufgenommen werden. Ohne Zweifel würden auch Sie zu herzlichem Lob und Dank sich aufgeregt fühlen, wenn Sie dieß Band ungefärbter Bruderliebe bemerkten, welches uns mit diesen lieben Leuten fest verbindet, ohne darauf zu sehen, ob sie in Nebensachen anders als wir denken. Das Anliegen und innige Herzensgebet eines jeden wahren Mitglieds der Brüdergemeine ist und bleibt, daß doch die ganze Erde voll von der Erkenntniß des Herrn werde; ja, daß der ganze Menschenstand sich Jesu ergeben möge. Wer dazu von Herzen Ja und Amen sagt, der ist unser Bruder, unsere Schwester, er heiße übrigens Lutheraner, Reformirter, Grieche, Katholik oder Quäcker und Menonit. Hierin sind wir mit Ihnen, theuerster Freund und Bruder, völlig eines Sinnes und Glaubens.
Unsere hiesige Gemeine, bei deren Anlegung vornehmlich auch der Plan obwaltete, das Evangelium unter unsere heidnische Nachbarn zu bringen, hat sich bisher noch nicht des Glückes zu erfreuen gehabt, mit der seligmachenden Erkenntniß Jesu Christi Eingang bei diesen Völkern zu finden. Ein großes Hinderniß, welches sich der Belehrung der Kalmuken entgegen stellt, ist die große Menge der lamaischen Priester, die fast den 3. Theil des Volks ausmachen. Diese würden sich schon aus dem Grunde der Ausbreitung des Evangeliums widersetzen, weil die Erkenntniß der Wahrheit sie um den großen Einfluß, welchen Aberglaube und Pfaffenlist ihnen verschafft, bringen würde. Auch ist der Fürst der Derbutischen Horde, welche zunächst bei uns steht, ihnen allzusehr ergeben, und ein wahrer Sclave ihres Willens. Vor mehrern Jahren haben sich ettliche Brüder bei dieser Horde aufgehalten, leider aber keine Früchte ihrer Arbeit gesehen; und da auch große Schwierigkeiten wegen ihres äußern Bestehens in den Weg traten, so wurde die Sache für die Zeit aufgegeben! Jetzt scheint wieder einige Hoffnung zu dämmern, daß etwas gethan werden könnte. Seit Errichtung der großen Petersburger Bibelgesellschaft hat nemlich die englische Missionssocietät unsre Brüder aufgefordert, wiederum einen Versuch zu machen, das Evangelium unter diese verfinsterte Heiden zu bringen, und dabei werkthätige Unterstützung angeboten. Die Sache ist in reifliche Ueberlegung genommen worden, und mehrere unsrer ledigen Brüder haben sich willig bezeugt, sich für’s erste auf Erlernung der kalmukischen Sprache zu legen, wozu ihnen ein hier wohnender Bruder, der ehedem als Missionarius unter der Nation lebte, behülflich ist. Noch ist nichts Näheres deßhalb festgesetzt, allein es steht zu hoffen, daß dieser Plan zur Ausführung kommen werde. An einer Uebersetzung des Evangelii Mathäi ins Kalmikische hat unser Br. J. S. Sareptaischer Commissair in Petersburg, der der Sprache vollkommen mächtig ist, gearbeitet, dieselbe wird jetzt auf Kosten der Petersburger Bibelgesellschaft gedruckt. Möchte es doch dem Herrn gefallen, bald ein Licht unter dieser in tiefen Aberglauben versunkenen Nation anzuzünden!
Von unsrer gesammten Aelt. Conferenz und allen Ihren vielen hiesigen Freunde und Verehrern die herzlichsten Grüße.
Mit wahrer und inniger Bruderliebe umarme ich Sie im Geist als Ihr auf Jesu Tod und Wunden treu verbundener Freund und geringer Bruder.
S.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 105, S. 216-224.
„Sarepta den 27. Mai u. 8. Juni 1815 als am Himmelfahrtstage nach altem Styl.
Geliebter Bruder in dem Herrn!
Der 3te Juni n. St. war für mich der glücklichste Tag, an welchem mir die zwar ersehnte, aber kaum gehoffte Freude zu Theil wurde, Ihr schätzbares Schreiben vom 17. Febr. zu erhalten. Der lehrreiche und erweckliche Inhalt desselben hat mich und alle die zahlreichen Stillingsfreunde in hiesiger Gemeine, denen ich Ihren Brief mitgetheilt habe, innig erbaut, und das Band der herzlichsten Bruderliebe, durch welches wir uns mit Ihnen verbunden fühlen, wo möglich noch fester geknüpft. Ganz aufs neue wurden unsere Herzen aufgefordert, unseren guten Herrn zu loben und ihm zu danken für den reichen Segen, der durch Ihren rastlosen Eifer das Gnadenreich Jesu ausbreiten zu helfen, in allen Theilen der Erde gestiftet wurden, und ihn anzuflehen, daß er Ihnen Muth und Freudigkeit erhalten wolle, sein Heil laut zu verkünden in diesen betrübten Zeiten des Abfalls und Unglaubens. Wehthuend ist es, daß auch Mitglieder der Brüdergemeine ihnen Anlaß zu gegründeten Klagen geben, daß mehrere derselben den Geist der Liebe nicht vorwalten lassen, und sich durch unbrüderliche Urtheile versündigen. Um so erfreulicher aber war es mir, zu sehen, daß Sie von diesen, wie ich hoffe und wünsche, wenigen Individuen keinen Schluß auf Alle machen, sonderen fortwährend die Brüderkirche für das halten, was sie unstreitig nach der Gnadenabsicht unseres Heilandes seyn soll, der sich bei allen unzähligen Mängeln und Abweichungen, die uns vor ihm in den Staub beugen, bisher doch noch huldvoll zu ihr bekannt hat. Vollkommen stimme ich Ihnen bei, daß unsern Gemeinen große Läuterungsproben bevorstehen. Ein neues Feuer muß vom Herrn angezündet werden, wenn wir nicht nach und nach lau, oder wohl gar völlig kalt werden, und zum bloßen Formenwesen herabsinken sollen. Tröstlich ist es gewiß für jeden, den des Herrn Sache am Herzen liegt, daß unerachtet des verstockten Sinnes eines großen Theiles der Christenheit, die sich den Geist Gottes nicht will strafen lassen, und die Zeit der Heimsuchung leider nicht wahrgenommen hat, doch, auch die verborgene und zerstreute Gemeine des Herrn in den meisten Ländern im Zunehmen ist. - Mit dem lebhaftesten Interesse haben wir gelesen, was Sie von unserm geliebten Kaiser [Zar Alexander I.] schreiben. Gewiß ist es, daß sein Beispiel hier im Lande auf einen großen Theil der Einwohner, bei denen überhaupt die Religion ungleich mehr, als in den sogenannte aufgeklärten Ländern, in Achtung steht, ungemein vortheilhaft wirkt. Mit wahrer Herzensinbrunst flehen wir zu dem Herrn, daß er seine Gnade, die er bisher so groß an ihm verherrlichet hat, ferner mächtig über ihn walten lassen, in diesen gefahrvollen Zeiten eine feurige Mauer um ihn her seyn, und alle seine Friedensabsichten mit und durch ihn ausführen wolle.
Wir leben hier in unserer asiatischen Steppe in ungestörter Ruhe und Frieden von Außen, wiewohl es an mancherlei Noth und Bekümmernissen nicht fehlt. Uebrigens ist unsere äußere bedrängte Lage noch ganz die nämliche, wie ich sie Ihnen in meinem letzten Brief schilderte. An eine Unterstützung von Seiten der hohen Krone ist jetzt um so weniger zu denken, da der wahrscheinlich wiederausgebrochene Krieg derselben ungeheure Kosten verursachen wird. So drückend aber auch die ökonomische Noth unserer Gemeine nach so vielen und ansehnlichen Verlusten immer ist, so hat uns doch der Herr bisher jederzeit gnädig durchgeholfen, und wir trauen es ihm kindlich zu, daß er uns auch fernerhin nicht verlassen werde. Im Innern bekennt sich der Heiland fortwährend zu seiner armen Sareptischen Gemeinde; bei aller Mangelhaftigkeit und vielseitigem Zurückbleiben, müssen wir doch zu seinem Preise bekennen, daß e selbst in unserer Mitte wandelt. Ein ganz besonderer Gegenstand unseres inbrünstigen Flehens ist jetzt die Missionssache unter den Kalmuken. Zwei unserer ledigen Brüder, die sich vergangenen Winter mit Erlernung der Sprache eifrig beschäftigt haben, sind von unserm lieben Herrn bestimmt worden, einen Versuch zu machen, ob jetzt vielleicht mit dem Evangelio bei dieser Nation beizukommen seyn möchte. In voriger Woche sind sie, nachdem sie in einer feierlichen Versammlung abgefertigt, und bei dieser Gelegenheit zur Acoluthie [Akoluth = Altardiener; Begleiter des Bischofs; vierte der unteren Weihen] angenommen worden, in Begleitung noch eines Bruders,, der die Sprache versteht, von uns abgereist, und zwar in die am weitesten von hier entfernte Torgutische Horde, die in der Gegend von Astrachan und weiter südlich nomadisirt. Nach dem Rath eine vieljährgen treuen Freundes von Sarepta, der in dieser Horde wohl bekannt ist, werden sie sich für’s erste zur bessern und gründlichen Erlernung der Sprache an dem Hoflager des Fürsten Tumen aufhalten, der ein edler und ziemlich gebildeter Mann seyn soll, und sich noch so sclavisch von den Gellungs oder Geistlichen leiten läßt, wie der Fürst der näher bei uns befindlichen Derbutischen Horde. Sie sind ihm von uns bloß als Leute empfohlen worden, die sich in der Sprache zu vervollkommnen wünschen, da wir der vielen Geistlichen wegen äußerst vorsichtig zu Werke gehen und überhaupt so geräuschlos wie möglich dabei verfahren müssen. Dieser Fürst ist schon in etwas civilisirt, und hat, gegen die Sitte der Nation, einen bestimmten Wohnplatz. Wenn unsere Brüder die Sprache inne haben, werden sie mit den verschiedenen Abtheilungen der Horde herumziehen und sehen, ob und wie ihnen der Herr eine Thür öffnen wird. Noch ist es bloße Glaubenssache, und vor Menschenaugen noch nicht abzusehen, wie diesen verfinsterten und von der Vorzüglichkeit ihrer Religion gar sehr eingenommenen Heiden beizukommen seyn wird. Schwierigkeiten und Hindernisse aller Art werden sich unfehlbar in den Weg stellen. Allein der Herr kann und wird, wenn einmal seine Stunde geschlagen hat, mit Macht hervorbrechen, denn das, was uns oft unmöglich scheint, ist ja das geringste seiner Werke. Merkwürdig ist es, daß die Kalmücken die Tradition haben, daß ihre jetzige Religion, über deren Verfall sie klagen, große Veränderungen erleiden werde; alsdann werde alles besser werden. Wie schön wäre es doch, wenn wir endlich nach fünfzigjährigem Harren und mehrmaligen vergeblichen Versuchen die Freude erlebten, daß dem Herrn auch aus dieser heidnischen Nation ein Lohn seiner bittern Schmerzen gesammelt würde. Unsere Gemeine, die heuer - am 15. September a. St. -- ihr fünfzigjähriges Jubelfest feiert, würde dadurch gleichsam neuen Leben erhalten, wenn jetzt der Zweck, weßhalb sie in öder Steppe und in der Nachbarschaft von verfinsterten Heiden angelegt wurde, erreicht werden könnte. Wir empfehlen diese wichtige Sache auch Ihrem treuen Gebet und Fürbitte vor dem Herrn unserm Heiland. In Asien ist noch ein gar großes Feld, welches vor der Ankunft des Herrn bebaut werden muß. Es durchgehen mich ganz eigene Gefühle, wenn ich hier Menschen aus so verschiedenen Nationen sehe, die alle noch in Finsterniß und im Schatten des Todes sitzen; Schaaren von Kalmücken, muhamedanischen Tartaren, auch Persern und Türken. Seit etlichen Wochen halten sich einige Perser hier auf, die man alle Abende mit großer Andacht ihre Gebete verrichten hört. Sie beschämen durch ihre Frömmigkeit in der That viele sogenannte Christen. O daß auch sie zur Erkenntniß der Wahrheit gelangen möchten!
Auf den sechs ansehnlichen deutschen Colonien an beiden Ufern der Wolga in der Nähe von Saratov, wirken mehrere vorzüglich begabte und begnadigte Prediger, denen die Ausbreitung des Reiches Jesu gar sehr am Herzen liegt. Unter ihnen zeichnen sich vor andern die drei lieben und achtungswerthen Männer, Graf, Huber und Kohlreiff aus, mit denen wir in nahe rund inniger Herzensgemeinschaft stehen. Ein anderer treuer und bewährter Knecht des Herrn, der in seinem ansehnlichen Kirchspiel in großem Segen stand, und von seinen Kirchkindern durchgängig geliebt und geschätzt wurde, der liebe Pastor Hiemer, ist von seinem Herrn zu Anfang dieses Jahres nach manchen schweren Leiden heimgerufen worden. Kohlreiff, der von Kind an in der Brüdergemeine erzogen und mit mir in unserm Pädagogio und Seminario studirt hat, ist mehrere Jahre ein vorzüglich geschätzter Lehrer an unserm Pädagogio in Barby gewesen, bis er den Ruf als Prediger auf die Colonien erhielt. Hier hat er in einer Ausdehnung von etlichen 40 Wersten ein sehr beträchtliches Kirchspiel von 12 Kolonien und eben so viel Kirchen, jenseits der Wolga, etwa 500 Werste von Sarepta stromaufwärts, zu bedienen, dessen er sich mit wahrer Herzensangelegenheit und ächt apostolischer Treue und Eifer annimmt. Als er vor 12 Jahren dahin kam, fand er seine zahlreiche Gemeine in der allertraurigsten Lage und äußerster Verwilderung. Eine lange Reihe von Jahren war dieselbe ohne einen Seelsorger gewesen, indem sein Vorgänger, der sein lalsterhaften Lebenswandels wegen, förmlich abgesetzt werden sollte, sich aus dem Staube gemacht hatte. Das böse Beispiel dieses verworfenen Mannes hatte auf das verderblichste auf das Volk gewirkt; jung und alt lebten in der schrecklichsten Gottvergessenheit und in einer über alle Vorstellungen gehende Unwissenheit. Er hatte viel Noth und Drangsale auszustehen, und wurde, da er mit Ernst und Eifer gegen die im Schwang gehenden Laster sich erklärte von einem großen Theil seiner Kirchkinder auf das bitterste angefeindet, ließ sich aber dadurch nicht irre machen, und hat jetzt die Freude, daß besonders unter der zahlreichen Jugend, die seinen gesalbten Confirmationsunterricht genossen hat, die Predigt des Evangelii guten Eingang findet; auch der größte Theil der Alten ist durch seine ausharrende Geduld gewonnen worden. Als er daher vor einiger Zeit eine Vocation an des seligen Pfarrers Hiemers Stelle erhielt, gab ihm seine Gemeine so unzweideutige Beweise ihrer Liebe und Anhänglichkeit, daß er aller zu erwartenden äußern Vortheile und größeren Bequemlichkeit ungeachtet, die sich ihm bei der vacanten Stelle zeigten, dennoch den einstimmigen Bitten seiner bisherigen Kirchkinder nachgab, und in dem ihm vom Herrn angewiesenen Posten verharrte. Vor ein paar Jahren wurde der hiesige Schullehrer, ein ehemaliger Schüler von Kohlreiff, Namens Dietrich - ein sehr begabter junger Mann - an die Stelle des verstorbenen Pfarrers Günther in Wodenoy - Bujerak, welcher das Unglück hatte, bei einem heftigen Stöberwetter zu erfrieren, als Prediger vocirt. Kohlreiff erhielt den Auftrag, die Ordination zu verrichten. Dieß gschah vor einem Auditorium von mehrern tausend Zuhörern, und im Beiseyn von vielen andern Predigern der Colonien, unter einem so herzschmelzenden Gefühl der nahen Gegenwart Gottes, daß auch die gefühllosesten und rohesten Menschen mächtig davon ergriffen wurden; und noch jetzt sprechen diejenigen, die dabei zugegen waren, mit Rührung von der dabei waltenden Gnade.
Der Herr lasse Ihre Wünsche für unsere hiesige Gemeine in Erfüllung gehen, sein Geist sey mit Ihnen und uns, und erhalte uns bis vor des Lammes Thron in inniger Herzens= und Geistesgemeinschaft. In dem Gefühl der Nähe unseres ungesehenen Freundes umarme ich Sie, theuerster Freund und geliebter Bruder, im Geist, und verbleibe nebst dem herzlichsten Gruß von unserer gesammten Aeltesten Conferenz und allen Ihren hiesigen Freunden und Verehrern Ihr auf Jesu Tod und Blut treu verbundener geringer Freund und Bruder.
S.
Ortsvorsteher der Gemeine
zu Sarepta.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 106, S. 224-228.
„Sarepta den 1. Junius 1816.
Mein theuerster und innigstgeliebter Bruder im Herrn!
Ihre dermaligen Ansichten der großen Weltbegebenheiten unserer Zeit, die Sie die Güte gehabt, mir mitzutheilen, scheinen mir im Wesentlichen mit denjenigen übereinzustimmen, was ich früher in Ihren erbaulichen Schriften gelesen. Daß der Herr große und wichtige Dinge vorhabe in unseren Tagen, das sieht gewiß jeder, der nicht gefließentlich Auge und Ohr verschließt. Wie und auf was Art er aber dieß große Werk der gänzlichen Scheidung der Finsterniß von dem Licht zu bewerkstelligen willens sey, und wie bald dieser Zeitpunkt eintreten werde, dieß deucht mich eben nicht nöthig, zu wissen. Die Hauptsache bleibt doch wohl das unermüdete Wachen und Beten, und daß jeder täglich auf’s neue seinen Beruf und seine Erwählung fest machen lasse durch Jesu Gnade; der Bräutigam erscheine dann, wann es ihm gefällt, er wird uns finden als kluge Jungfrauen, bereit, dem Freund ihrer Seele entgegen zu gehen. Und alsdann wird er uns auch durch alles Schwere, durch jede noch so harte Leidensprobe unverletzt hindurch zu führen wissen. Möchte er uns nun, alle ohne Ausnahme, immer mehr an die völlige Abhängigkeit von sich gewöhnen!
Unsere Brüder unter den Kalmücken sehen bis jetzt noch keine Frucht ihrer Bemühungen, geben aber den Muth nicht auf, daß der Herr auch unter dieser verfinsterten Nation sich verherrlichen werde. Fürst A. Gallyzin hat dem Fürsten Tumen, bei dem unsere beiden Brüder Schill und Huber sich aufhalten, prächtige Exemplare des in Petersburg auf Kosten der Bibelgesellschaft gedruckten Evangeliums Mathäi geschickt, ihm in einem ausführlichen Schreiben das fleißige Lesen des göttlichsten Wortes dringend empfohlen und auch unsere Missionäre ihm mit vieler Wärme recommandirt. Natürlich fühlte Tumen sich durch dieß Schreiben hoch geehrt. Er bezeugte seine Freude über das erhaltene Geschenk, und versicherte, daß sobald die Witterung es erlaube, er sein Volk versammeln, und ihm diese heilige Schrift vorlesen lassen werde. Die Brüder, denen er einige Zeit vorher mit Kälte begegnete, und die er als eifriger Götzendiener laut und öffentlich für Betrüger erklärte, behandelt er seitdem, vielleicht nur aus Politik, wieder mit vieler Zuvorkommenheit und äußeren Freundschaft. Im Mathäus lieset er oft, aber nicht um sich zu belehren, sondern um den Russen, die zu ihm kommen, gelegentlich vorhalten zu können, wie wenig sie nach den Lehrsätzen ihrer Religion lebten und wandelten. - Auch den Brüdern ist eine ziemliche Anzahl des Evangelii Mathäus geschickt worden, die sie an solche, die darnach verlangen, vertheilt haben. Bis jetzt lesen die Leute dieß Buch aus Neugierde, finden alles gut und vortrefflich, und bezeugen wohl gar ihre Freude darüber, daß ihre und unsere Religion im Wesentlichen miteinander übereinstimmend sey. Ihr höchster Burchan habe seinen feierlichen Einzug auf einem Elephanten, der unsere auf einem Esel gehalten, beide hätten große Wunder verrichtet, und herrliche Lehren hinterlassen, beide hätten für ihr Volk, um es zu bessern, gelitten; auch der ihrige belohne seine treuen Anhänger nach diesem Leben, und ertheile den guten für ihre edlen Handlungen - für fleißige Geschenke an die Pfaffen - nach ihrem Ableben die göttliche Würde. - Einige Spuren von christlichen Traditionen scheinen auch wirklich in ihrem Religionssystem vorhanden zu seyn, und ich möchte fast glauben, daß die Stifter desselben ein und das andere vom Christenthum entlehnt und mit ihren Fabeln ausgeschmückt haben. Da ihre Religion indischen Ursprungs ist, so ließe sich dieß vielleicht bei einer gründlichen Untersuchung leicht erklären. - Mehrere scheinen zu befürchten, daß die Lehre der Christen die ihrige verdrängen könnte, und suchen deßhalb allen Gesprächen über religiöse Gegenstände auszuweichen.
Da auch in Sibirien eine große Menge Völkerschaften leben, die mongolischen Ursprungs sind, so hat der Gouverneur in Irkuzk, Trefein, ein frommer Mann und ehemaliger Schüler unseres seligen Bruders Wigand, die Bibelgesellschaft um Mittheilung des kalmükischen Mathäus gebeten, und dringend den Wunsch zu erkennen gegeben, daß auch dorthin Missionäre gesendet werden möchten. - Die schottischen Missionäre am Kaukasus haben sich getheilt. Einige sind dort geblieben, andere wohnen in Astrachan, und ein Theil ist nach Orenburg gezogen, wo sich ihnen ein weites Feld eröffnet. Sie glauben, daß in dieser Gegend für das Reich Gottes viel zu thun sein möchte. - Auf den Colonien an der Wolga ist nach dem Ableben eines der dortigen Prediger ein gewisser Pastor , der im vorigen Jahr mir einer Anzahl Schwertfeger und Hüttenarbeiter aus dem Bergischen nach Rußland kam, und bei seiner kleinen Kolonie von Eisenarbeitern nichts zu thun fand, da schon ein anderer als Prediger bei der Fabrik angestellt war, - und zwar ein offenbarer Feind des Kreuzes Christ - nachdem er heute zufällig in Geschäften der Fabrik nach Saratow gereist war, einstimmig zum Prediger eines zahlreichen Kirchspiels erwählt worden, und wird sein Amt wahrscheinlich im Herbst antreten können. Er ist nach dem Zeugnisse des lieben Senior Pastor Graf und seiner beiden künftigen nächsten Amtsbrüder, der vortrefflichen Prediger Kohlreiff und Huber, ein ächter Evangelist und treuer Bekenner unseres Herrn. Gewiß ist es dankenswerth, daß von nun an drei gleichgesinnte Männer auf jener Seite der Wolga im Weinberge des Herrn geschäftig sein werden. Möchte nur das leider in irdischem Genuß und in Sorgen der Nahrung sehr versunkene Volk, der Stimme des Evangeliums, welches ihm mit Wärme und Nachdruck von diesen treuen und unermüdeten Zeugen der Wahrheit verkündiget wird, mehr, als bisher, Gehör geben. Auch in Saratow ist der lutherische Prediger, der aber, weil er ein trockener Moralprediger war, gewöhnlich leeren Wänden predigte, kürzlich aus der Zeit gegangen. Zu wünschen wäre es, daß die dortige arme Heerde einen evangelischen Mann, der für das Amt und nicht wie bisher, das Amt für ihn da wäre, erhalten könnte. Die Aussichten hiezu sind leider nicht die besten, da es hier zu Lande gänzlich an tüchtigen Subjecten mangelt. In Dorpat studiren zwar viele Theologen; diese alle trachten aber lediglich darnach, wie sie am vortheilhaftesten uxorem et censum erjagen können, und beides finden sie in Liefland, wo die Pfarreien sehr einträglich sind, besser als auf den Colonien, wo den Predigern viel Arbeit, aber sehr schmale Bissen zu Theil werden.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 107, S. 228-230.
„Sarepta den 4. August 1816.
So weit, theuerster Bruder, hatte ich geschrieben, als mir Anfangs Juni von der hiesigen Conferenz aufgetragen wurde, eine dringende Geschäftsreise nach Saratow, 400 Werste von hier, zu unternehmen, um an Ort und Stelle in Angelegenheiten unseres dortigen Etablissements das Nöthige zu verfügen. Sobald mir daselbst einige Ruhe von Geschäften zu Theil wurde, fuhr ich über die Wolga, um meinen lieben Kohlreiff, der 100 Werste nördlich am jenseitigen Ufer angestellt ist, wieder einmal zu besuchen. Bei ihm, und dem in Katharinenstadt ungemein thätigen lieben Pfarrer Huber verbrachte ich, wenn die Umstände es erlaubt hätten, sie schon früher dort besucht zu haben, um Theil an dem Segen zu nehmen, der am ersten Pfingsttage bei der feierlichen Confirmation von 87 Kindern im Kirchspiel meines lieben Kohlreiffs mächtig waltete. Die drei Söhne meines Freundes geben die schönste Hoffnung des Gedeihens, besonders zeichnet sich der älteste durch seine ungemein glückliche Geistesanlagen, durch kindliche Frömmigkeit und durch einen jetzt schon deutlich wahrzunehmenden Trieb aus, dereinst in die Fußstapfen seines frommen, vom Herrn mit ausgezeichneten Talenten begabten Vaters und seiner beiden würdigen Großväter zu treten. Seine Kindlichkeit, sein jugendlicher Frohsinn und Lebhaftigkeit, seine ungemein glückliche Bildung, und eine enthusiastische Liebe zur Musik, in der er es bereits zu einer bewunderungswürdigen Fertigkeit gebracht hat, da beide Eltern durchaus musikalisch sind, nehmen jeden, der dieß liebenswürdige Kind sieht, sogleich zu seinen Gunsten ein. Unbeschreiblich rührend und erbaulich waren mir die feierlichen Abendsegen, welche die frommen Eltern mit ihren drei Kindern zu halten pflegen, wobei sich der Friede Gottes auf eine kräftige Weise verspüren ließ. Die zwei ältesten saßen andächtig beim Vater, der den Gesang am Flügel accompagnirte, und mit seiner wohltönenden Stimme leitete, und entzückten mich durch ihren harmonischen Gesang; mein kleines, etwas über drei Jahr altes Pathchen, Julius, faltete, mir auf dem Schooß sitzend, andächtig seine Händchen, und stimmt so lieblich und rein in alle ihm bekannten Versen mit ein, daß ich mich in das glückliche Kinderreich, in der vollendete Gemeine, versetzt glaubte. Kurz, ich verlebte überaus selige Stunden und Tage in der Mitte dieser vom Herrn geliebten und gesegneten, mir unendlich theuern Familie. - Zwei fromme und bemittelte Kirchkinder des Pfarrers Kohlreiff, die den ältesten Sohn desselben besonders lieben, haben sich seit zwei Jahren verbunden, für ihren Liebling jährlich ein Stück Land mit Waizen zu besäen, das geärndete Korn zu verkaufen, und zu einem Kapital mit hinzugefügten jährlichen Interessen anzulegen, um dem Vater einige Mittel zu dessen künftiger Erziehung zu verschaffen. Der Segen des lieben Vaters im Himmel scheint auf dieser frommen Stiftung der biedern Landleute zu ruhen, denn schon beträgt dieses kleine Kapital über 100 Rhl. B. A. Für den guten Kohlreiff ist dieser Beweis reiner Liebe und Anhänglichkeit ungemein rührend, und er ist hoch entzückt, wenn er sich der lieblichen Vorstellung überläßt, daß unser lieber Herr, der sich ja immer geringscheinender Mittel bedient, um große und heilbringende Zwecke auszuführen, ihn auf diese und ähnliche Weise in den Stand setzen könnte, seinen Erstgeborenen zu einem gesegneten Streiter Jesu Christi erziehen zu lassen &.
Mit einem Herzen voll Liebe Ihr treu verbundener und geringer Bruder.
S.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 108, S. 231-234.
„Von Haus am 23. Juni 1815.
In ihm unserm allein anbetungswürdigsten Gott und Heilande innigstgeliebter Bruder!
Mittelst der Diligence erhalten Sie einen geschriebenen Band meiner Lebensgeschichte bis in mein sechzigstes Jahr, um Sie daraus ersehen zu lassen, daß der göttliche Menschenerzieher noch mehrere Stillinge Ihrer Art in der Welt hat, und daß Seine Führungen, von der Auswahl des königlichen Propheten, - von den Schafställen angefangen, bis auf den Kohlenbrenner Jungen Stilling und bis auf den Viehhirten W.. herab, sich von jeher gleich geblieben sind. Auch werden Sie daraus ersehen, warum mein Geist mit dem Ihrigen von Jugend auf so innigst sympathisirte, und will’s Gott bis in alle Ewigkeit um Jesu willen zu sympathisiren fortfahren wird.
Sagen Sie mir über meine Biographie, was Ihnen das Herz dictirt. Ueber ein kurzes fließen wir ohnehin am Throne des Lammes auch von außen mit einander zusammen. Tunc plura de Ore ad Os. Nun nur noch ein paar Worte zur Vervollständigung meiner Prosageschichte und zwar von meinem 60ten Jahre bis hieher.
Nachdem mir ein zweifacher Mordbrand, dann zweimalige Plünderung durch Franzosen, endlich mancherlei kaum zu erzählen mögliche Unglücksfälle, sogar Räuberei von Brüdern, mein mobiles Vermögen fast bis zum Nichts herabgebracht hatten, unterdeß auch meine Noah’sche Familie von acht Seelen bis auf mein einziges Ich geschmolzen, und noch zuletzt mein armes Weib, - eine 36jährige gesunde Frau, - in einem siedenden Kessel zu Grund gegangen war, so entriß ich mich endlich den Fesseln des Weltgeist’s, veräußerte mein letztes Grundstück an meinen Gesellschafter, einen gewissen Grafen, gegen eine sehr mäßige Leibrente, die ich quartaliter erhebe, zog dann hierher n ach W.. wo ich im Miethzins lebe, und fiel so lediglich dem Dienst unseres Herrn anheim; bin also nun ganz was sie sind, mein Herzensbruder; arbeite, qua civiliter Mortuus, ohne alle weltliche Pflichten, lediglich im großen unbekannten Weinberg, (was mir auch schon von Jugend auf unter allen den unbeschreiblichen Drangsalen, womit der Weltgeist mich beinahe erdrückte, die ausschließende Hauptsache war und blieb) und wähnte nun den Seeligkeiten des Himmels im Schoose zu sitzen; denn mein äußerer Mensch fühlte sich jetzt auf einmal herabgenommen von dem Pfahl seines Kreuzes. Aber der Herr wußte es nur zu gut, daß leidenslose Tage des Genusses mir höchstgefährlich wären, und war daher gütig genug mir auch meinen Erdenhimmel - wahrscheinlich bis zu meinem Heimgange - zu verbittern.
Er ließ es nemlich geschehen daß ein Mann ohne Gefühl, ohne Tugend und ohne einen Gott, vom Geizteuffel besessen, bis zu dem Punkt sich verlor, mich bei einem freundschaftlichen Mahle mit aqua tosana im Wein zu vergiften. Da ich äußerst wenig Wein trinke, so erreichte der böse Mann seinen Zweck nur halb. Das reichte aber doch schon hin mein Leben nun schon seit dritthalb Jahren zu dem elendesten zu machen. Die Symptome, die ich unaufhörlich leide, sind so schlimm daß ich sie gar nicht schildern kann. Alles an mir leidet. Mein Körper ist ein Siechenhaus.. Nur Kopf und Hände sind noch brauchbar, und jener auch nicht immer. Mein Vertrauen zum Allheil, das in Jesu Christo ist, hat mich allein wunderbarer Weise noch erhalten.
Sehen Sie, Vielgeliebtester, das ist ihr armer Bruder. Doch nein! er ist reich, - er ist glücklich, - er ist im Herrn selig. Auch mein Körper hat sein thierisches Futter, und 1 Tim. 6, 8, ist ohnedieß schon seit langer Zeit mein Motto. [„Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasset uns genügen.“] Endlich bin ich ewig Sein, - Er ewig Mein; was bedarf ich mehr?
Was Sie in ihrem Schreiben ‘Ihre praktische Uebung des Christenthums nennen, nemlich: einen stets innerlich betenden Lebenswandel in der Allgegenwart Gottes in Jesu Christo’ - das Herzensfreund war mir der Schlüssel zu Ihrem hochbegnadigten und erleuchteten Herzen. Diese ihre Uebung ist rechter Art, und Sie haben das große, unendlich leichte und doch so äußerst verborgene Geheimniß - Christus in uns - gefunden. Auch mir ist durch unverdiente, und ach! nur allzulange verkannte Gnade des Herrn ein Theilchen dieses nur durch Erfahrung verstehbaren Geheimnisses geschenkt worden. O so lassen Sie uns auf das allersorgfältigste bewahren und festhalten, was uns verliehen ist, damit uns der Höllenmächte keine unsere Krone raube! Apok. 3, 11.
Nun noch einen Beweis meines noch ungestorbenen Eigennutzes. Bruder W... möchte gar zu gern von Bruder Jung=Stiling ein zeitliches Andenken besitzen. Wie, wenn Sie ihm ihren 5. Theil der Lebensgeschichte brüderlich zukommen ließen? O wie würden Sie mich Ihnen so herzlich verbinden! Aber vergiß auch nicht, Bruder, Deinen Namen eigenhändig hinein zu schreiben.
Bist - und lebst nahe am Kriegstheater. Galliens Weltgericht währt lange, es ist schärfer als scharf; möchte sich das mitgestäupte Europa endlich daran spiegeln.
Leb’ im Herrn wohl, Ewiggeliebter! ich hoffe der Herr des Lebens werde Dich uns noch mehrere Jahre schenken, und ein begnadigtes Herz immer mehr und mehr gegen uns (den Verein der St. im L.) deine treuen Mitpilger, eröfnen. Wenn Kinder Gottes nicht zusammenhalten und mit ihrem Gebete, in der Einheit ihres Geistes mit dem Geiste Jesu, nicht unsichtbar und doch realiter vor den ungeheuern Kirchenriß stehen, ach! dann wird es bald um alles geschehen seyn, was den Himmel noch mit einigen Seidenfäden an unsere terra damnata heftet. Ich umarme Sie in eben diesem Jesus Christus zärtlichst, und bin mit der brüderlichsten Liebesgesinnung in Ihm, durch Ihn, und um Seinetwillen bis in die nahe Ewigkeit hinein Ihr innig ergebener, und ach, mit Thränen schreib ichs nieder - ganz unaussprechlich heimwehkranker Bruder
Z. A. W...“
 
JUNG: Sendschreiben Nr. 109, S. 235.
„Erlauben Sie, verehrter Mann, daß ein Unbekannter sich Ihnen naht, der zwar so lange er lebt, Ihnen nahe war, und von Herzen an Ihnen hing, der aber, so oft er es auch wünschte, doch immer nicht an Sie kommen konnte, als jetzt an der Hand der edelsten Freundin. Ich muß es Ihnen noch sagen, ehe wir vielleicht auf immer für diese Welt uns trennen, daß Sie der Freund meiner Jugend waren, daß ich Ihrem Stilling einen großen Theil meiner religiösen Bildung, meines Glaubens, meines Vertrauens auf Gott verdanke. Ich gehöre Ihnen an, als einer der mit Ihnen am meisten sympathisirt, weil er mit Ihnen gleiche Geistesstimmung, gleichen Glauben, gleiche Hoffnung hat, nemlich den Glauben an eine höhere, unsichtbare Welt, deren Sonne Christus ist. Dieß giebt mir den Muth und das Zutrauen, Ihnen mein Geheimstes aufzuschließen. Für solche, die jenem Reich angehören, giebt es ja kein Geheimniß, oder vielmehr, das Geheimste, Innerste des Herzens ist ja eben das eigentliche Leben des Menschen, und folglich das was jenem Reiche angehört. Lesen Sie beigehendes - -
Mit der innigsten Verehrung und Liebe Ihr
Dr. Hufeland.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 110, S. 235-236:
„Wie habe ich mich gefreut, daß unsere Gedanken so zusammen treffen! Auch ich bin fest überzeugt, daß es jetzt nicht genug ist, den Herrn im Herzen zu tragen, sondern die Zeit ist da, wo m an ihn auch öffentlich bekennen muß. Ich werde es nächstens thun. Nur bitte ich Ihn, daß er bei diesen Bekenntnissen und lauten Erklärung - Eitelkeit, Selbstruhm, und die traurige Folge, Intoleranz, ferne sein lasse.
- - Die Hauptsache bleibt: Er will unser Herz ganz haben, und das ist auch mir der Aufschluß des Räthsels meines im Herzensgang so verwickelten Lebens. Und ihm sey Dank! Er hat es ganz. Nichts auf dieser Erde fesselt mich mehr! Ich habe nichts mehr zu wünschen, noch zu hoffen von ihr. Die Zeit ist mir schon Ewigkeit, und bekommt nur dadurch Werth für mich, daß ich sie zur Ewigkeit mache. Bald ists überwunden, und es folgt ein ewig Wiedersehen. Auch Sie sehe ich dann von Angesicht zu Angesicht.
Ganz Ihr ergebener
Dr. Hufeland.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 111, S. 236 f.
„N. 21. Aug. 1815.
- - Noch immer säe ich in Hoffnung den Samen des göttlichen Worts auf meinem größtentheils steinigen Felde aus. In einem schmerzlichen Contraste mit der Frucht meiner Bemühungen steht die Erscheinung, die mir vor Augen liegt: das Heimführen der reichen und reifen Garben zur gegenwärtigen Erndtezeit. Doch für den geistlichen Säemann geht kein gutes Saatkorn verloren, und je geduldiger sein Warten ist, desto besser wird für ihn der unverdiente Lohn von dem großmüthigen Herrn ausfallen. In diesen Ansichten suche ich mich immer mehr festzusetzen, was aber freilich manche Uebung, manchen Kampf mit dem so schwer zu bedeutenden, natürlichen und sinlichen Theil unseres Wesens mit sich bringt. Ganz dem Herrn sich hingeben in kindlicher Einfalt und Folgsamkeit, ist in den Augen meines innern Menschen unaussprechlich schön. Es ist der stille Heroismus des Christen, von dem die Welt nichts weiß.
Bei meiner Amtsführung tröstet mich auch die Hinsicht auf die mancherlei Vorbereitungen für die selige Ewigkeit. Wer weiß, ob nicht etwa nur A B C Schüler von dem Einen und Andern gebildet werden sollen; eine Bildung die doch auch nothwendig ist, und dem Höhern vorangehen muß.
Möge nur ich von dem Herrn treu erfunden werden.
D.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 112, S. 237-238.
„Sch. den 5. Sept. 1815.
Ich sende Ihnen hiermit durch unsere werthe Freundin eine zweite kleine Schrift über einen großen Gegenstand, welche Ihres Beifalls werth zu seyn ich gewiß bin.
Der Logos (in Ihm war und ist das Leben) ist das organisirende Princip, und dieses organisirende Princip bleibt bei der Bildung der einzelnen Menschen=Organismen nicht, wie bei jener der Thiere, stille stehen, sondern strebt von da in einer höhern Dignität oder Potenz sich geltend zu machen, indem dieses Princip die einzelnen Menschenindividuen, als gleichsam Atome und Gliedmasen eines neuen höhern organischen Gebildes (des Leibes des Herrn oder Gottes) zu verbinden strebt, und dieses bisher verkannte, aber doch unaufhaltbare Organisirungs=Bestreben ist das, was man das Gekommensein und Kommen des Reichs Gottes nennt. Nur darum ward jenes mütterliche, göttliche Liebe= und Lebensprincip das Wort genannt, weil in der Sprache jener höhere Organisirungstrieb oder Bildungskraft sich zuerst äußert. Nur sehr schwach sind die Aeußerungen, die wir hienieden von dieser organisch=verbindenden Kraft der einzelnen Menschengemüther habe, und wenn schon die Exaltation des Lebens von zwei oder drei Menschen (wo zwei versammelt sind in meinem Namen, bin ich unter ihnen) das elende, beschränkte, gefangene, individuelle Leben des Einzelnen unendlich überwiegt, welchen Genuß, welches Moment muß das Leben mehrerer - aller Christen in Christo geben? wo jeder von, in, für alle, - alle, von, für und in jedem ohne Aufhören (partout & toujours) leben werden! In der seligen Vorahndung dieses Lebens reicht Ihnen die Bruderhand
B.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 113, S. 238-241
„Sch. den 6. den Febr. 1816.
Da ich aus Ihrem verehrten Schreiben vom 28. Jenner mit Leidwesen ersehe, daß Sie mit Magenschmerzen geplagt sind, so wünsche ich zu Gott, daß Sein heilbringendes Wort Ihrem Leibe bald wieder jene Gesundheit gebe, die Sie zu Ihren Arbeiten bedürfen. Die Ihnen ohne Zweifel bekannte neuere Entdeckung von dem entsetzlichen Gift, daß jeder von uns in dem Blausäurestoff (nur unentwickelt) bei sich trägt, und dessen blitzartige tödende Kraft die des Lauro Cerasus weit noch übertrifft, gibt uns übrigens einen neuen Beweis, in welcher saubern Gesellschaft wir in diesem und mit diesem unserm irdischen Leibe uns befinden, und bewahrheitet auch physisch jene Behauptung Pauli: in mir (das ist: in meinem Fleische) wohnt nichts Gutes: La nature (interieure) sagt St. Martin - n’est qu’une douleur concentrée; und ich setze hinzu: parce qu’elle renferme un poison concentrée!
Jede irdische Krankheit ist bei denen die im Zuge des Vaters zum Sohn d. i. zum Leben - stehen, eine Anticipation des irdischen Todes, und jede Anticipation des letztern ist eine Anticipation des wahren Lebens. Die irdische Declination der Magnetnadel unsers Herzens wird bei jeder Krankheit rectificirt.
Wenn es gräßlich ist, leiblich zu fallen, grundlos sich zu befinden, so sollte man meinen, daß das beständige innere Fallen des innern Menschen (in Herz und Kopf) den sogenannten Zeit=Weltmenschen (hommes du torrênt) wenigstens eben so schrecklich seyn sollte. Und wer von uns kann stehen, ohne jenen Eckstein, der jene Armen, eben weil sie ihn in der Zeit nicht ergreifen, und nicht auf ihn gründen und stehen wollen, zerschmettern wird, wenn sie beim Austritt aus der Zeit, auf ihn fallen werden?
Ich bin ganz mit Ihnen in Betreff des Strebens nach Wissen einverstanden, insofern hier von einem selbstsüchtigen Bestreben die Rede ist. Wie aber der Mensch durch Aufgabe und Ueberlassung seines Willens an Gottes Willen in diesen letztern tritt, so daß nun Gott durch und in ihm will, so tritt er durch Ueberlassung seines eigenen Sehens und Wissens in des Sehen und Wissen Gottes, so daß nun Gott durch ihn in ihm, und er durch und in Gott sieht. Und so wie der Mensch durch Uebergabe seiner Eigenheit (Selbstheit) in welcher er, wollend und besitzend, doch stets nur ein Particular des Ganzen wollen und besitzen kann, statt dieses Theils oder statt Vielem, in und durch Gott nun Alles will (liebt) und besitzt, so bekommt auch der in Gott gelasene Geist des Menschen wieder das göttliche Auge zum Sehen, und sieht nun das Ganze in Gott, da er in sich doch nur einen Theil, und auch diesen, weil er ihn außer Gott also außer der Einheit oder dem Ganzen sieht, noch obenein falsch sieht. Diese Theorie des menschlichen Erkenntnißvermögens (siehe Jakob Böhm Mysterium magnum C. 6. 7. 3. 13) kennen freilich die Weltweisen nicht; sie wissen nichts von diesem sokratischen Nicht=selbst=wissen, und zwar deßhalb, weil ihnen unsere Logik (urbi crux ibi lux) nicht schmekt. Aber nur aus diesem Gesichtspunkte soll man über Wissen und Nichtwissen urtheilen. Gleich bemitleidenswerth erscheint mir schon lange aus diesem Gesichtspunkte sowohl der von Selbstdünkel des eignen Wissens aufgeblähte Weltweise, als der frömmelnde Unwissende, der mir seine Unwissenheit für heilig ausgeben will. S. J. B. [Jakob Böhme] 40 Fragen in der Vorrede.
Haben E. H. W. Kunde von den Aussagen einer Helleseherin in St. [Kummrin in Stuttgart ?] - Gott muß doch bestimmt unsere Aufmerksamkeit auf solche Wunder gerichtet haben wollen, weil Er gleichsam die Gefahr des Mißbrauchs nicht achtet.
Auch mir hat Fräulein St... [Stourdza] geschrieben, und geklagt über die Dürre Ihrer dermaligen Umgebung. Aber diese Dürre schickt Ihr der Herr nur darum, damit Sie Sich inniger an Ihn halten, und sich überzeugen soll, daß Sie bestimmt ist, jene dürre Regionen mit dem Balsam der Liebe zu erfrischen, den Sie von ‘Erster Hand’ zu erwarten hat. Ihre Traurigkeit ist übrigens, wie Paulus an die Corinther sagt, eine göttliche Traurigkeit.
Auch Ihnen, hochverehrter Freund! lasse der Herr dieses Jahr, welches in seiner Zahl die sieben (oder Ruhezahl) führt, ein wahres Ruhejahr, d. h. ein ruhiges Wirken, in, durch, und für den Herrn seyn. *) In dessen allein heibringenden [sic; heilbringenden] Rapport wir uns beide durch unser Gebet zu erhalten eifrig angelegen sein lassen wollen.
Ihr ganz ergebenster Diener und Bruder
B.....
*) Stilling trat im September 1816 in sein 77tes Lebensjahr, in welchem er seine irdische Laufbahn beschloß. Anm. d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 114, S. 242-244.
„W... am 20. Aug. 1816.
Verehrungswürdiger, Theuergeschätztester Mitbruder im Herrn!
Vor dem Herrn unserm Gott kommen wir täglich zusammen, und so sind wir vereinigt, auch wenn Berge und Thäler, Flüsse und Seen uns trennen, und nur selten Briefe wechseln. Unser glaube an Jesus Christus und die Gemeinschaft der Heiligen in Ihm leidet keinen Abbruch - vielmehr wird er täglich fester, die Liebe inniger, die Hoffnung und die Sehnsucht nach der völligen Offenbarung des Reich des Herrn in seiner ganzen Herrlichkeit je länger je lebhafter. Sie sind nun ein Greis von 76 Jahren, und sprechen mit einem Barsillai ‘Was ists, das ich noch zu leben habe?’ - Ich hingegen stehe, menschlich zu reden, auf der Höhe des Tages, von Wo es nun in wenigen Jahren allgemach abwärts - bis es dann einst, wills Gott! mit Einemale aufwärts geht. Indeß ist ja nur ‘ein Schritt zwischen uns und dem Tode!’ 1 Sam. 20 - 3. Gleichviel also im Grunde 76 Jahre oder 4e wie ich es mit dem heutigen oder vielmehr morgenden Tage werde. Aber unsere Versöhnung mit Gott durch Christus erhebt uns über Zeit und Jahre - über Tod und Grab - und bereitet dort dem Glauben das Schauen, und der Christenfreundschaft das seligste Wiedersehen.
In welchen wichtigen Zeiten leben wir, mein Theuerster! Schon in dem ganz eigenen Gang der Natur und Witterung mehrerer Jahre liegt für jeden Menschen, der sich auch nur noch ein wenig über das Gewöhnliche und Alltägliche erheben kann, etwas sehr Ernsthaftes, zum stillen, ernsten Nachdenken Erweckendes.
Sehen wir aber auf den Religions und Sittenzustand im Allgemeinen und Ganzen, so können wir ja eben nichts anders denken, als daß wir je mehr und mehr einer gänzlichen Scheidung des Guten und des Bösen entgegengehen. Die gelehrte Welt besonders legt es ja recht darauf an, zu prüfen, weß Geisteskind jeder sey.
Es ist jetzt eine Zeitlang Ruhe, wie es in der politischen Welt auch ist - aber man ist nie sicher, wann der Krieg wieder losbricht. Die geheimen Werkstätten in beiden Gattungen sind gleichwohl Tag und Nacht in voller Thätigkeit. Sie wissen das besser, als ich.
Der Geist des Herrn stärke mich, und jeden meiner treuen Amtsbrüder (denn es giebt doch auch noch manche solche) daß wir treu verharren im großen Kampfe, damit wir dereinst bewährt erfunden werden mögen.
Mit meiner lieben Gemeinde stehe ich immer noch - Lob sey dem Herrn! im besten Vernehmen, und streue den Samen des Evangeliums mit Freuden unter sie, aber auch mit der demüthigenden Ueberzeugung, wie unwürdig ich bin, ein gesandter an Christi Statt zu seyn. Denn ach! wenn ich in mein Herz hineinblicke, welch’ einen Abgrund von Sünde, Thorheit, Eitelkeit, Weltliebe erblick’ ich in demselben! und welch’ eine tiefe Schaam ergreift mich bei dem gewiß nicht unwahren Gedanken: Du predigst so vielen Hunderten, wie sie leben und sich bessern sollen, und viele unter deinen Zuhörern sind ohne allen Vergleich besser als Du! - Da beth’ ich dann eben herzlich mit David: ‘Schaffe Du in mir, o Gott! ein reines Herz und erneuere in mir einen aufrichtigen Geist, verwirf mich nicht vor deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir!’
Die tiefe, lebhafte Erkenntniß unsers natürlichen Verderbens ist das erste und unnachläßige Bedingniß unsers Heils in Christo Jesu. Erst heute schrieb mir eine Freundin, die es recht gut mit mir meint.
‘Wenn ich einem etwas recht Gutes wünschen möchte, so wünsche ich ihm eine klare, tiefe durchdringende Einsicht seines eigenen Elends und eine recht gläubige, lebendige Zuversicht auf die alles vermögende und alles gebende Liebe Jesu Christi. - Der heilige Geist muß uns zuerst recht tief hinuntersetzen in unseren eigenen Augen, um uns dann durch die Fülle Christi reich und groß zu machen. - So lange wir noch einen eigenen Heller haben, stürzen wir uns darauf, und kommen nicht als arme Bettler zum Heiland, und so kann Er uns seinen Reichthum nicht schenken!’ -
O wie recht hat diese Freundin! der Geist des Herrn lasse mich je mehr und mehr meine Armuth und Blöße sehen und fühlen, damit ich Gold und Kleider bei Ihm suchen und finden möge. Beten Sie für mich! -
Wie gern säh’ ich Sie noch einmal in dieser Welt! - schwerlich geschieht’s - aber desto gewisser und froher -- daheim bei dem Herrn!
In Ihm Ihr ewiger Bruder.
St...“
JUNG: Sendschreiben Nr. 115, S. 245-248.
„Innigstverehrte! in unserm angebeteten König Jesus Christus geliebter Freund!
Ja, Freund sind Sie mir, obgleich Sie mich persönlich nicht kennen, denn Sie waren durch Ihre Schriften das gesegnete Werkzeug, wodurch mich die ewige Liebe aus der Finsterniß zu ihrem wunderbaren Licht brachte. Durch Zweifel, ja Unglauben höchst elend, bis zum Selbstmord gepeinigt, bekam ich von Hr. N. Ihre Lebensgeschichte und las mit Erstaunen, daß Sie sich in Ihrem Gebete immer an Jesus wandten, und erhört wurden. Mein Wunsch: Er möchte doch wahrer Gott seyn - wurde immer heißer, bis ich auf die merkwürdige Stelle kam, wo Sie in Straßburg, in der Noth, im verschlossenen Zimmer niederknieten, zum Herrn Jesu flehten, und auf der Stelle erhört wurden. Da traten Sie ans Fenster und lachten laut. Als ich dies las, besonders das Lachen, fuhr mir's wie ein Blitz durch die Seele. Er sprach: Es werde Licht! und es ward Licht. Hallelujah! - Das war mein neuer Geburtstag, den 31 Januar 1800 Nachmittags um 2 Uhr.
Diese Stunde vergeß' ich ewig nicht! In einer Minute war alles da; nie gefühltes Leben, eine unaussprechlich glühende Liebe zum vorher verkannten Erlöser, ein großes Licht, - das meine ganze Seele durchströmte. Es war mir, als wenn jeder Blutstropfen in mir laut rufe: Liebe! Liebe! Ich hatte Ihn gefunden den lang entbehrten Geliebten. In meiner Kindheit liebte ich bis ich 16 Jahre alt war, und in die Welt und ihre Thorheiten verliebt wurde. Hernach wurde Er mir vollends aus der Seele weggespottet, und ich wurde elend zwölf Jahre lang, bis zu dieser himmlischen Stunde, da Er mich allmächtig ergriff und an sein Herz drükte. Ja, es war die Umarmung des über alles Geliebten, die mich so mit Gottes Wonne durchglühte, daß mein Körper bebte. Ich sprang auf, lief in die Stube zu meinen Kindern, und rief ihnen mit lautem Jubel zu: Jesus Christus ist Gott - und ich bin ewig Sein! Ach, ich bin selig - selig - mehr kann man es im Himmel nicht seyn! Meine Kinder staunten ich an, aber glaubten mir. *)
Bald nach meiner Erweckung gab mir Gott die Gnade meinen 77jährigen Vater wieder auf den Weg des Lebens zurückzuführen, den er seit zehn Jahren verlassen hatte. Drei Jahre nachher starb dieser theure Greis mit gen Himmel gestrekten Armen, indem er rief: Mein Freund - mein Lieber - in Deine Arme - -! so entschlief er. Meine Kinder - mein Bruder, meine Schwester, sind durch mein armes Wort, das der Herr segnete, alle Anbeter des Erlösers geworden. Ja, so mancher Freund und Freundin sehen ich als Werkzeug des Herrn an. Das Alles hab' ich nächst Gott Ihnen zu danken.
Ihr Heimwehe ist mir zum großen Segen gewesen. Ich lernte daraus den Verläugnungsweg theoretisch kennen, den mich nachher HE. N. practisch lehrte. Ich finde immer mehr Seligkeit darin - ein Kind zu werden, das nichts wissen und verstehen will, als zu lieben und sich leiten zu lassen wie und wohin Seine Liebe es will. ------------------
Vielleicht wird mir noch die Freude zu Theil, Sie persönlich zu umarmen, - sobald der Herr will. Sollte Er es aber anders beschlossen haben, so bin ich gewiß Eine von den vielen Seelen, die Ihnen dort zurufen wird:
Heil Dir! Du hast nächst Gott das Leben,
Die Seele mir gerettet, Du!
Der Segen des dreieinigen Gottes fördere, stärke und erhalte Sie zum ewigen Leben, Amen.
Ihre auf Jesu Tod verbundene
C. E. B.
*) Ich verweise meine Leser auf Stillings Wanderschaft (S. 163 und folg. der Orig. Ausgabe), und erlaube mir zur Erläuterung dessen, was hier in Mdme. B. vorging, folgendes zu bemerken:
Im Anfang als Stilling in Straßburg studierte, hatte er für ein Collegium sechs Louisdor nöthig, die auf den Abend bezahlt werden mußten. An Geld fehlte es ihm. In dieser Noth flehte er zu Gott um Hülfe. Da trat unversehends sein Hausherr R. der von Stillings Verlegenheit nichts wußte, zum Besuch ein, und fragte im Gespräch: Ob er auch Geld mitgebracht oder Wechsel bekommen habe? Nein, antwortete Stilling. Nun, so schieße ich Ihnen so viel vor als sie brauchen, versetzte R. Stilling nahm das Anerbieten dankbar an, und erhielt mehr als er auf den Abend nöthig hatte.
Indessen mußte dieses Geld zurückgegeben werden, und auch hiefür hatte Gott gesorgt. Während jenes zu Straßburg vorging, hatten in Stillings Heimath zwei Freunde 300 Rthlr. zu seiner Unterstützung zusammengeschossen und nach Straßburg geschickt, wo der Wechsel eben zur rechten Zeit ankam. Hören wir nun über diesen Moment Stillings eigene Worte: [S. 247:] 'Er lachte hart, stellte sich gegen das Fenster, sah mit freudigem Blick gen Himmel und sagte: Das war Dir nur möglich, Du allmächtiger Vater! Mein ganzes Leben sey Gesang, - mein Wandel wandelnd Lied der Harfe.'
Dieses Lachen, Frohlocken - Stillings, diesen Ausbruch erhabener Freude einer in ihrem Hoffen gerechtfertigten, im Glauben bestärkten Seele, - diesen Siegesjubel des Glaubens über den Unglauben, mit dem Stilling in seiner damaligen Umgebung zu kämpfen hatte, dieses bedeutungsvolle Lachen verstand Madame B., in deren Herzen der glimmende Docht noch nicht erloschen war, sehr wohl. Tief ergriff sie die Wahrheit des Schlusses, den Stilling sich (an dem oben angeführten Orte) machte:
'Derjenige, der augenscheinlich das Gebet der Menschen erhört, und ihre Schicksale wunderbarer Weise und sichtbarlich lenkt, muß unstreitig wahrer Gott, und seine Lehre Gottes Wort seyn.'
'Nun hab' ich aber von jeher Jesum Christum als meinen Gott und Heiland verehrt und ihn gebeten. Er hat mich in meinen Nöthen erhört, und mir wunderbar beigestanden, und mir geholfen.'
'Folglich ist Jesus Christus unstreitig wahrer Gott seine Lehre ist Gottes Wort, und seine Religion, so wie Er sie gestiftet hat, die Wahre.' d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 116, S. 248-250.
„Am Geburtstage meines so von ganzem Herzen geliebten Freundes, d. 12. Sept. 1816.
Gönnen Sie mir noch einmal einen Herzensgruß, damit ich Ihnen noch einmal sage: ich trage sie auf meinem Herzen. Vielleicht kann es künftiges Jahr nicht mehr hienieden geschehen. Wie ich heute Morgen auf meinen Knieen lag, mußte ich meine Hände ausbreiten und mit dringender Kindlichkeit den nie genug geliebten Oberpriester, den Liturgus im himmlischen Tempel, bitte:
Ach segne dich den Mann, an den mein Herz sich gebunden fühlt, mit dem Genusse deines Nahe=Seyns, das nicht beschrieben aber wohl erfahren werden kann!
Das kostbare Wort Römer 8 Vers 32 *) wurde mir gegeben, das (in Application auf Sie) für Sie und für mich, mir einen herrlichen Prospect eröffnete.
Des Vaters einigem Sohn sind wir gegeben. Er ist uns zu allem gegeben. Wie sollte Er uns mit Ihm nicht alles schenken?
Ja wohl ist alles dein Geschenk und Gab! - wir wissen nichts, als nur vom Schenken, wir haben nichts von uns. Wir nehmen nur von Ihm, was Er gibt, wir haben ja kein Recht zum Leben; aber nun nehmen wir auch kindlich, was Er uns ist, und was Er uns erworben. Nicht wahr? wenns auch stürmte, so bleiben wir nur bei Ihm. Es ist uns göttlich empfohlen durch Johannes: Und nun Kindlein bleibet bei Ihm!
Lebe wohl Herzensbruder! es bleibt bei der Abrede, wenn Du eher hinüber kommst als ich, so frägst Du um Erlaubniß, mich beim Entrée im Hades zu empfangen, und eilend durch denselben dahin zu bringen, wo ich Jesum sehe; Den will ich anbeten. Amen Amen! ich werde zu Seinen Füßen niedersinken, wenn ich Ihn als meinen Heiland erblicke. Meine Zeit ist kurz, - ich möchte so gerne noch überwinden, um einen weißen Talar aus Barmherzigkeit zu bekommen (Offenb. Joh. 3 Vers 4.) Das Ueberwinden liegt mir sehr an, zumahl da ich noch so vieles entdecke, das kein Mensch merkt, was aber überwunden werden muß. - Doch - was ist mein krüppelhaftes Ueberwinden, und wie hätte ich Seelenfrieden und Ruhe, wenn ich nicht das verdienstliche Ueberwinden meines Bürgen ergriffe; indessen möchte ich doch nicht gerne Sein: Für=mich=Ueberwinden, zum Deckpflaster gebrauchen, worunter das und jenes, was die Feuerflammenden Augen wohl sehen, forteiterte, daher bitte ich mit Geistesthränen, um Ueberwindungs= und gründliche Ausheilungskraft.
An ihrem Geburtstage erquickte sich meine Seele an der 1791 gedruckten Piece ohne Namen: Gewisse, wahrscheinliche und falsche Gedanken von dem Zustand gerechter Seelen nach dem Tod, - welche der theure selige Herr Prälat Roos aufgesetzt hat. Nun umarmt Sie im Geist und drückt Sie an seine Brust
Jakob Gysbert van der Smissen.
*) 'Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns Alle dahin gegeben; wie sollte er uns mit Ihm nicht alles schenken?' d. H.“
JUNG: Sendschreiben Nr. 117, S. 250-252.
„Zürich den 1. März 1817.
Gottes Segen sey mit Dir, mein ewig geliebter Freund und Bruder Jung --
Du denkst auch, daß ich bei der lieben Sch. nach Dir frug? Sie sagte mir, daß Du ihrem Manne geschrieben, er möchte allen Deinen Freunden sagen, Du vermögtest nicht mehr an sie zu schreiben. Das war mir, mein Th., als ichs hörte, wie ein Adieu von Dir, und dafür soll mir's auch gelten.
In dem letzten Briefchen, das Freund Sch. noch an mich schrieb, vom 28. Dezbr. 1816, das kam mehr zu entziffern war, unterschrieb er sich: 'Ihr mit dem th. gemeinschaftlichen Freund Jung=Stilling bereits nach seiner himmlischen Reise sich sehnender Freund' - Auch diese Worte waren mir Abschiedsworte, nicht nur von Sch., sondern auch von Dir ....
Und so kann und mag ich Dich, mein 'ewiger Bruder' nicht ungesegnet von uns wegscheiden lassen. Es thut meinem liebenden Herzen wohl, auch noch an Dein Krankenbett zu treten, und Dir zu danken für all das Gute, was ihm, was meiner Seele durch Dich ward. Es sind der Genüsse geistiger Art viel tausende, die ich Dir zu danken habe. Ich habe mein Th. Heimweh nach Dir, und wünschte, Dich noch einmal zu sehen. Gereinigt, geläutert, geheiligt, ganz froh werden wir uns, wills Gott, daheim wiedersehen.
Geh hinüber, mein Bruder, es ist hienieden doch nur eine Todeserde, und nichts als Scheiden und Trennen - Dort ist wieder Vereinigtwerden und Bleiben. O Ihr lieben Vorangegangenen und Vorangehenden alle, Gott Lob, daß auch wir dort zu Hause sind, wo Ihr zu Hause seyd, und so wills Gott, auch wieder zurückkommen werden.
Eins um's Andere von denen, die unsere Seele liebte, und die uns das Leben lieb und froh machten, geht hin, bis uns die Welt leer ist, und sie uns zu sich hinausziehen.
Wenn ich, mein Theurer, Deinen Lebenslauf bis auf jetzt durchdenke, so seufz' ich: O gäb' es doch viele Seinesgleichen - Solcher ist das Reich Gottes! So geh hinüber mein Ewiggeliebter! der Herr, dein Gott mache Dir deinen Uebergang recht heiter und leicht! Er selbst hole Dich und reiche Dir seine Hand! Geh hinüber, und ernte den Lohn, den er Dir bereitet hat!
Geh hinüber und sey selig, und werde immer seeliger im Anschaun deß, an den Du geglaubt hast!
Geh zu ihm hinüber, und bitt' Ihn, daß Er Sich Seiner Christenheit erbarme, und - unsern Glauben stärke!
Geh hinüber, und grüße und küße mir meine Mutter und Lavater, die beiden von mir täglich vermißten, beweinten, ewig Geliebten!
Geh hinüber Du Treuer! ich komme wohl auch bald selbst nach.
Du sollst mir kein Lebewohl mehr sagen - ich glaube an Dich und Dein Herz - wenn Du mich dann nur von Oben herab segnest.
Geh hinüber und - ich möchte sagen: 'Sag' unserm Herrn ein Wort von mir. - Er soll mich stärken im Kampf, Sich meiner erbarmen. - Er wisse, was meine Seele bedarf.'
Wie meine Seele Dich warm und treu liebte und segnete, da Du noch unter uns Staub und Asche warst, so segnet - so wagt sie es noch Dich zu segnen und zu lieben, wenn Du nun als ein Lichtengel im Lichte, dem Lamme nachfolgst, wo es hingeht.
Deine ewige Freundin
A. M. H-K.
Adieu, auf Wiedersehen!“
 

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